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Fünfzehntes Kapitel: Konstantinopel

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Arnulf von Ellingen stand an der Kaimauer im Hafen von Chrysopolis und blickte über die Meerenge nach Konstantinopel. Die Kuppel der Hagia Sophia war das unumstößliche Beweis dafür, dass er es wirklich geschafft hatte! Er atmete tief durch. Fast ein ganzes Jahr hatte er gebraucht, um sich aus den Bergen von Tukharistan aus bis hier her durchzuschlagen. Ein Krieg zwischen unterschiedlichen muslimischen Fürstenfamilien, die nominell zwar alle dem Kalifen in Bagdad unterstellt waren, aber in Wahrheit längst ihre eigenen Reiche regierten und um die Vorherrschaft kämpften, war mit dafür verantwortlich, das seine Reise so lange gedauert hatte.

Abgerissen wie ein Bettler stand er jetzt da. Seine Kleidung starrte vor Dreck, der Umhang hatte Löcher und der einzig wirklich wertvolle Besitz, über den er im Moment verfügte, war das Schwert aus unzerbrechlichem Stahl, das er bei seiner Flucht aus Thorkilds Lager erbeutet hatte. Und auf dem langen Irrweg durch die Kysylkum und die Länder am kaspischen Meer bis zum Norden des Zweistromlandes und den kleinasiatischen Bergen, hatte diese Klinge ihm mehr als einmal gute Dienste erwiesen und ihm Freiheit und Leben erhalten.

Wie oft hatte er sich vorgestellt, endlich wieder die bekannten Gebäude dieser größten Stadt der Christenheit vor sich zu sehen. Das Hippodrom erhob sich ebenso über das Häusermeer wie der kaiserliche Palast und die alte Akropolis, wo sich der innerste Kern der Stadt befand, an dem einst die Griechen den Keim dieses Imperiums gelegt hatten.

„Wie willst du die Überfahrt bezahlen, Fremder?“, fragte der Kapitän des kleine Fährschiffs, der seinen Lebensunterhalt damit verdiente, Reisende über die Meerengen von Bosporus, Marmara-Meer und Goldenem Horn zu bringen. Der Kapitän war ein Grieche, aber sprach Arnulf auf Latein an, nachdem er gemerkt hatte, dass sein Gegenüber kein Griechisch verstand. Auch wenn das Griechisch in den Straßen zweifellos vorherrschte, so konnten doch sehr viele Bewohner auch Latein, das immer noch eine offizielle Amtssprache im Reich war. Die Bewohner des Imperiums nannten sich schließlich selbst Rhomäer – Römer. Das erste Rom, die Stadt des Papstes, hatte allerdings kaum einer der Rhomäer je gesehen.

Wie aus weiter Ferne hörte er die Worte des Kapitäns, der Gorgios hieß und von dem man Arnulf gesagt hatte, er sei der Preiswerteste unter den Schiffern von Chrysopolis.

Gut achthundert Schritt trennten ihn jetzt noch von dem Boden der Stadt, die man nicht umsonst die Große nannte. Aber wenn er hier in Chrysopolis kein Schiff fand, dass ihn übersetzen ließ, dann musste er eben die drei oder vier Meilen nach Süden nach Chalcedon wandern, von wo ebenfalls tagtäglich Dutzende von mehr oder minder großen Barkassen das Marmara-Meer befuhren.

„Na, was ist?“, fragte Gorgios.

„Ich kann dir meine Sporen geben“, sagte Arnulf. Ein Pferd besaß er im Moment ohnehin nicht. Also war das kein besonderer Verlust. Und seinen sächsischen Ritterhelm hatte er bereits bei anderer Gelegenheit in ein paar Münzen getauscht.

„Ich würde lieber dein Schwert nehmen“, meinte er.

„Die Sporen sind schon viel mehr wert, als du normalerweise für eine Überfahrt verlangen könntest“, erwiderte Arnulf. „Alles andere wäre unchristlicher Wucher!“

Gorgios lachte. „Einen Versuch war es jedenfalls wert. Lass mal deine Sporen sehen!“

Arnulf schnallte den rechten Sporen ab und gab ihn Gorgios. Der Grieche sah ihn sich von allen Seiten an und kratzte sich dann an seinem leicht gelockten Haupthaar. „Die haben auch schon bessere Zeiten gesehen. Aber ich will mal nicht so sein!“

„Du weißt genau, dass es nicht dein Schaden ist!“

––––––––



Wenig später stand Arnulf an der Reling des schwankenden Fährschiffs. Der Wind blähte die Segel. Vor Chrysopolis ragte der Leanderturm aus dem Wasser, auf dem Nachts ein Leuchtfeuer brannte, um den Schiffen auch bei Dunkelheit Orientierung zu geben. Und außerdem ragte hier das eine Ende jener gigantischen Eisenkette ans Ufer, die hochgezogen wurde, wenn angreifende Flotten die Durchfahrt verwehrt werden sollte. Dann spannte sich diese Kette siebenhundertfünfzig Schritt weit über das Meer.

Keine Winden wären stark genug gewesen, diese manngroßen Eisenglieder zu spannen. Dazu dienten bootsförmige Schwimmer, die am Ufer für den Ernst bereitstanden. Nur mit ihrer Hilfe war es möglich, die Kettenglieder in der Nähe der Oberfläche zu halten, sodass sie für Schiffe ein unüberwindliches Hindernis darstellten.

Gorgios Fährschiff überquerte die Meerenge und fuhr dann am thracischen Ufer des Marmara-Meeres die Küste entlang. Sein Ziel war der Eutherios-Hafen. Außer Arnulf waren ein paar Tuchhändler an Bord. Außerdem eine Gruppe von Pilgern, die auf dem Landweg ins Heilige Land aufgebrochen waren und sich nun auf dem Rückweg befanden.

Sobald sie Konstantinopel erreicht hatten, lag allerdings noch eine weite Reise vor ihnen. Sie stammten nämlich ihrer Sprache nach aus Italien. Arnulf hörte mehrfach das Wort 'Amalfi'. Offenbar stammten sie aus der italienischen Handelsstadt.

Als das Schiff im Eutherios-Hafen einfuhr, musste gerudert werden, da der Wind aus seiner ungünstigsten Richtung kam.

„Ich wünsche dir viel Freude mit meinen Sporen“, sagte Arnulf an Giorgos gewandt.

Dieser grinste. „Ich werde sicherlich einen guten Preis dafür erzielen.“

„Davon bin ich überzeugt.“

––––––––



Arnulf drängte sich durch das bunte Treiben am Hafen. In seinem Aufzug war kaum in Gefahr von einem der Händler angesprochen zu werden. Niemand erwartete, dass er auch nur eine einzige Kupfermünze übrig hatte - so abgerissen wie er aussah.

Nicht einmal die Bettler und Kriegsveteranen in den Gassen glaubten offenbar, dass er ihnen etwas hätte geben können. Nicht ein Einziger streckte die Hand aus, um von ihm ein Almosen zu erbitten.

Es war nicht einfach, sich in den labyrinthischen Gassen der Stadt zurechtzufinden. Dazu war sein erster Aufenthalt in Konstantinopel einfach nicht lang genug gewesen. Hier und da fragte er jemanden nach dem Weg und musste feststellen, dass nicht alle, die er fragte, überhaupt genug Latein verstanden, um seine Frage zu begreifen.

Aber schließlich stand er doch vor jenem Gebäude zwischen den Lagerhäusern, südlich des Hippodrom, in dem er schon einmal herzliche Gastfreundschaft erfahren hatte.

Er klopfte gegen die schwere Holztür, ohne, dass etwas geschehen wäre. Noch zweimal musste er klopfen, ehe sich jemand bequemte, ihm zu öffnen.

Ein junger Novize öffnete ihm. Was der Novize auf Griechisch sagte, verstand Arnulf nicht. Er sprach stattdessen in lateinischer Sprache. „Bitte, sagt Bruder Markus Bescheid, dass Arnulf von Ellingen zurückgekehrt ist“, verlangte er. Der Novize musterte Arnulf stirnrunzelnd.

„Gewiss“, versprach er. Er rief mit einer überraschend durchdringenden und offenbar durch den kirchlichen Gesang geübten Stimme nach Bruder Markus und wenig später kam der kleine, etwas dickliche Mönch herbei.

„Arnulf! Seid gegrüßt und willkommen in Konstantinopel!“, rief Bruder Markus aus.

Arnulf blickte an sich herab. „Es beruhigt mich, dass Ihr mich wiedererkennt, Bruder Markus! Wenn man bedenkt, wie ich aussehe, ist das gewiss nicht selbstverständlich!“

„Kommt herein und berichtet, was Ihr erlebt habt – und wie Eure Reise in den Osten verlaufen ist! Aber wahrscheinlich wollt ihr zunächst etwas essen und trinken!“

„Mir knurrt tatsächlich der Magen. Ich habe von allem Möglichen gelebt und bin mit Nomadenstämmen durch die Gebirge ferner Länder gezogen, die ein einfaches Leben gewöhnt waren...“

Bruder Markus wandte sich an den Novizen. „Worauf wartest du, Andreas? Ist dir jegliche Barmherzigkeit abhanden gekommen, nur weil jemand in schmutziger Kleidung und mit verfilztem Haar vor dir steht? Unser Herr hat sich um Aussätzige gesorgt, bedenke das!“

„Was soll ich tun?“, frage der Novize.

„Sag unserem Küchenmeister Bescheid. Gutes Brot und frisches Wasser ist ja wohl das Mindeste, was wir unserem Gast auf den Tisch stellen können! Und vielleicht lassen sich ja auch noch ein paar saubere Kleider auftreiben!“

––––––––



Bruder Markus führte Arnulf von Ellingen in den Speiseraum. Da im Moment keine Mahlzeit gehalten wurde, waren sie allein. Arnulf setzte sich und berichtete Bruder Markus davon, wie er zusammen mit Fra Branaguorno nach Samarkand vorgedrungen und in Gefangenschaft geraten war. „Mit etwas Glück gelang es mir, meinen Peinigern zu entkommen. Ich kehrte an jene Stelle zurück, an der ich Fra Branaguorno notgedrungen hatte zurücklassen müssen...“

„Ich nehme nicht an, dass Ihr ihn gefunden habt“, sagte eine Stimme, die Arnulf herumfahren ließ. In Begleitung des Novizen Andreas, der eine schnell und notdürftig zusammengestellte Mahlzeit herbeibrachte, betrat eine Gestalt in dunkler Kutte den Raum. Die Kapuze war über den Kopf gezogen und ragte tief ins Gesicht, das daher vollkommen im Schatten lag. Nicht die kleinste Einzelheit war aus Arnulfs Blickrichtung im Moment zu sehen.

Aber das war auch gar nicht notwendig. Die Stimme allein reichte schon aus, um den Mönch sofort zu erkennen.

„Fra Branaguorno“, entfuhr es Arnulf gleichermaßen verwundert und erfreut. „Wie ist das möglich?“

Fra Branaguorno trat hinzu und setzte sich. Er ließ dabei seine Kapuze auf dem Kopf und ergriff Arnulfs Hand. „Ich freue mich aufrichtig, Euch wiederzusehen, Arnulf von Ellingen. Angesichts der Umstände, unter denen wir uns aus den Augen verloren, ist das alles andere als selbstverständlich!“

„Da sagt Ihr ein wahres Wort, Fra Branaguorno!“, gestand Arnulf.

„Er ist schon vor Monaten hier angekommen“, erläuterte Bruder Markus. „Dabei war er kaum mehr als ein Gespenst, ein Schatten seiner selbst. Aber der Herr tut immer wieder Wunder – und die Kopfverletzung, die er davongetragen hatte, ist zweifellos eines. Wir haben lange gebraucht, um ihn wieder einigermaßen hochzupäppeln!“

„Ich bin immer noch schwach“, gab Fra Branaguorno zu. „Und die Folgen des Hiebes, den ich abbekommen habe, werden mich wohl auch noch länger begleiten. Aber ich will nicht klagen. Wahrscheinlich kann ich froh sein, mit dem Leben davongekommen zu sein.“

„Aber Ihr müsst zugeben, dass Ihr hier bei uns bisher eine gute Pflege genossen habt!“, wandte Bruder Markus ein.

„Für die ich Euch und Euren Helfern ewig dankbar sein werde“, sagte Fra Branaguorno.

Bruder Markus wandte sich an Arnulf. „Fra Branaguorno hat mir von dem schrecklichen Schicksal erzählt, das Euer Knappe Gero erlitten hat...“

Arnulfs Gesichtsausdruck wurde finster. „Als ich aus dem Lager von Thorkild Eisenbringer floh und an jene Stelle zurückkehrte, wo wir überfallen worden waren, brauchte ich nur den kreisenden Berggeiern zu folgen. Sie hatten die Toten völlig zerrissen und nur Knochen von ihnen gelassen...“

„Sie hatten selbst vor einem noch Lebenden keinen Respekt“, erwiderte Fra Branaguorno. „Ich hatte Mühe, mich in meinem geschwächten und elenden Zustand ihrer Gier zu erwehren. Und so konnte ich leider nicht dafür sorgen, dass Gero wie ein Christ beerdigt wurde...“

„Das solltet Ihr Euch nicht vorwerfen, Fra Branaguorno“, meinte Arnulf. „Auch mir blieb dazu leider keine Gelegenheit, denn Thorkilds Männer waren mir zu dicht auf den Fersen.“

„Er starb, noch ehe die Blüte seines Lebens richtig begonnen hatte“, sagte Fra Branaguorno daraufhin. „Aber so sehr wir es bedauern, das scheint der Lauf der Welt zu sein. Das Leben wird sinnlos genommen und verschwindet – und nur der Herr weiß, warum er den einen so früh zu sich ruft und den anderen leben lässt, bis sich alle schon wünschen, er wäre bereits gegangen.“

––––––––



Die Mahlzeit, die der Novize Andreas auf den Tisch gestellt hatte, war einfach, aber schmackhaft. Sie bestand aus Brot, Schmalz und frischem Wasser. Arnulf nahm einen kräftigen Schluck und biss in das Brot, das sogar noch warm war.

„Ihr solltet ein Badehaus aufsuchen, Arnulf“, fand Fra Branaguorno. „Und ich bin überzeugt, dass sich für Euch auch ein paar neue Beinkleider und ein standesgemäßer Umhang besorgen lassen...“

Dieses Haus diente immerhin als Teil der Gesandtschaft des Kaisers in Magdeburg und da durfte es eigentlich keine Schwierigkeit sein, so viel Geld aufzubringen, wie man brauchte, um sich für die Heimreis neu auszurüsten.

Fra Branaguornos neugieriger Blick hatte immer wieder dem Schwert des Ritters gegolten, was Arnulf durchaus aufgefallen war. Zweifellos war es den aufmerksamen, falkenhaften Augen des gelehrten Mönchs nicht entgangen, dass dies nicht jene Waffe sein konnte, die Arnulf sonst an der Seite getragen hatte. Schon an der etwas unterschiedlichen Form des Handschutzes und am Griff war das deutlich erkennbar. Dazu brauchte Arnulf die Waffe auch nicht erst hervor zu ziehen. Zudem war auch nicht zu übersehen, dass die Klinge nicht so exakt in die Lederscheide passte, die er am Gürtel trug, wie es bei seiner alten Klinge der Fall gewesen war.

Arnulf legte seine Hand an den Griff des Schwertes und sagte: „Es ist ein Beutestück, für das mir bereits ein Kapitän aus Chrysopolis einen guten Preis machen wollte, den ich aber abgelehnt habe, weil ich weiß, dass es für mich unbezahlbar ist!“

Die beiden Männer wechselten einen kurzen Blick. Ein Lächeln erschien um Fra Branaguornos dünnlippigen Mund.

„Ich verstehe“, sagte er.

„Ich gab ihm stattdessen meine Sporen, um das thracische Ufer zu erreichen!“

„So seid Ihr nicht mit leeren Händen aus den Bergen jenseits von Samarkand zurückgekehrt!“

„So ist es!“

Näheres wollte Fra Branaguorno dazu im Augenblick offenbar auch gar nicht erfahren. Es würde sich schon noch eine Gelegenheit ergeben, bei der sie allein miteinander sprechen konnten. Aber fürs erste reichte dem Mönch diese Information. Er wirkte jetzt etwas entspannter und lehnte sich etwas auf seinem Stuhl zurück.

„So war unser beider lange und beschwerliche Reise vielleicht letztlich doch nicht umsonst!“, fand Arnulf, der dann auch gleich das Gespräch auf ein anderes Gebiet lenkte, obwohl Bruder Markus anscheinend wohl noch gerne ein paar zusätzliche Einzelheiten erfahren hätte, wie seinem enttäuschten Gesichtsausdruck anzusehen war. „Wie steht es denn um die Hochzeitsmission unseres verehrten Gesandten Johannes Philagathos?“, fragte Arnulf. „Werden wir bald wieder eine Kaiserin aus Byzanz an der Seite unseres obersten Lehnsherrn haben?“

„Im Moment stehen die Möglichkeiten einer schnellen Einigung schlechter, als noch vor einem halben Jahr, in der Zeit, da ich Euch zum ersten Mal die Straßen dieser Stadt entlang geführt habe, Arnulf!“, sagte Fra Branaguorno.

„So? Berichtet mir! Ich wäre gerne auf dem neuesten Stand, was die Beziehungen zwischen den beiden Kaisern und ihren Reichen angeht!“

„Lasst es mich so zusammenfassen, werter Arnulf: Diese Beziehungen sind zurzeit nicht von vordringlicher Wichtigkeit. Ihr erinnert Euch, dass wir eine ziemlich informelle Audienz bei Basileios bekamen, der ja ohnehin dafür bekannt ist, dass er das Protokoll gerne mal umgeht. Aber zurzeit wäre so etwas wohl undenkbar. Die Verhandlungen von Johannes Philagathos steckten anscheinend im Morast der oströmischen Hofdiplomatie fest. Ich habe noch vor kurzem mit ihm gesprochen. Es ist monatelang her, dass er mit dem Kaiser sprechen konnte. Stattdessen musste er immer wieder mit wechselnden Logotheten als Gesprächspartner vorlieb nehmen.“

„Das ist bedauerlich“, meinte Arnulf. „Ich hatte eigentlich gehofft, eine frohe Botschaft mit nach Magdeburg nehmen zu können, wenn es denn an die Heimreise geht...“

„Die Bulgaren sind auf dem Kriegszug. Sie sind nach Thracien eingefallen und es ist nur eine Frage der Zeit, wann sie vor den Mauern der Stadt stehen werden“, berichtete Fra Branaguorno.

„Aber das wird seit langem erwartet und es sollte uns auch nicht allzu viel Sorgen machen“, mischte sich nun Bruder Markus in das Gespräch ein. „Die Mauer der Stadt sind unüberwindlich! Es mag den Bulgaren gelingen. Thracien ist schnell zu erobern, aber sie werden sich an den Schutzmauern genauso die Zähne ausbeißen wie die Goten. Und dann wird Basileios zurückschlagen und sich rächen!“

„Der Strom der Flüchtlinge, die in die Stadt kommt, hält jedenfalls unvermindert an“, stellte Fra Branaguorno fest. „Es werden jeden Tag mehr und die verbreiten nicht unbedingt die beste Stimmung gegenüber dem Kaiser. Schließlich scheint es ihm nahezu gleichgültig zu sein, dass die Bulgaren Thracien verwüsten. Er verlässt sich auf den Schutz seiner dicken Stadtmauern!“

„Und auf die Rückkehr eines großen Teils seiner Truppen, die derzeit an der Ostgrenze kämpfen, wo sich die Muslime gegenseitig töten!“, stellte Arnulf fest. „Ich hatte alle Mühe, nicht in diese Auseinandersetzungen hinein zu geraten und war gezwungen weite Umwege zu gehen.“

Nachdem sich Arnulf so satt gegessen hatte, dass ihm der Magen gut gefüllt war, ließ Bruder Markus vom Novizen Andreas Wein einschenken. Fra Branaguorno allerdings lehnte dankend ab, während Arnulf dies jedoch gerne annahm. „Ein guter Tropfen“, stellte er fest, nachdem er bereits einen halben Becher davon geleert hatte.

„Wir werden dem Kaiserhof eine Botschaft zukommen lassen, dass Ihr eingetroffen seid“, sagte Bruder Markus. „Schließlich solltet Ihr ja ein persönliches Schreiben von Kaiser Basileios an Kaiser Otto nach Magdeburg bringen. Diese Angelegenheit muss ich noch mit Johannes Philagathos besprechen, aber ich denke...“

„Ich wäre Euch dankbar, wenn Ihr das nicht tun würdet“, unterbrach ihn Fra Branaguorno.

Bruder Markus, der ja nicht in alle Geheimnisse jener Mission, mit der Arnulf von Ellingen und der gelehrte Mönch geschickt worden waren, eingeweiht war, runzelte die Stirn. „Aber weshalb nicht? Das wäre eine Gelegenheit, wieder zum Kaiser vorzudringen, denn er lässt unseren Gesandten seit Monaten am Hof weilen, ohne mit ihm zu sprechen oder sich in irgendeiner Weise dazu zu äußern, ob er überhaupt noch daran denkt, die beiden christlichen Kaiserreiche durch eine Heirat zu verbinden.“

„Ihr solltet auch Johannes Philagathos nichts davon sagen, dass Arnulf von Ellingen nach Konstantinopel zurückgekehrt ist“, erklärte Fra Branaguorno.

„Das müsst Ihr mir erklären!“

„Die Ankündigung, Arnulf ein Dokument des Kaisers überbringen zu lassen, diente nur dem einen Zweck: der Kontrolle. Schon die Tatsache, dass wir zu ihm gerufen wurden, war verdächtig. Der Herr allein mag wissen, woher er so gut informiert war, aber anscheinend gab es Zuträger, die ihn misstrauisch gemacht haben...“

„Ihr könntet uns wirklich einige Unannehmlichkeiten ersparen, wenn Ihr darauf verzichtet, Kaiser Basileios um seine persönliche Botschaft zu bitten, die er angekündigt hat.“

„Früher oder später wird er doch erfahren, dass Ihr in der Stadt seid, Arnulf! Es gibt überall Spitzel!

„Aber von dem, was die sagen, wird das meiste bei irgendeinem untergeordneten Logotheten hängenbleiben, so wie ich den oströmischen Hof kenne. Und bis diese Nachricht tatsächlich durchdringt, sind wir längst nicht mehr in der Stadt.“

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Am nächsten Tag ging Arnulf von Ellingen zum Bader und abschließend erwarb er einen neuen Umhang. Außerdem wurde ihm eine Hose angepasst. Das Lederwams war noch verwendbar, das wollene Unterziehwams nach einer gründlichen Wäsche ebenfalls. Allerdings brauchten die Stiefel neue Sohlen, wofür es in den Handwerkergassen der Stadt genügend kundige Hände gab.

Es war Fra Branaguorno, der Arnulf von Ellingen mit den nötigen Münzen ausstattete. Woher dieses Geld stammte, ob nun aus den Mitteln seiner Ordensbrüder oder denen der kaiserlichen Gesandtschaft oder ob es noch irgendwelche anderen Quellen gab, die er für einen solchen Fall zu öffnen vermochte, darüber gab Fra Branaguorno nur ausweichende Auskünfte.

Er selbst begleitete Arnulf bei dessen Ausflügen in die labyrinthischen Gassen Konstantinopels nicht. Die Verwundung, die er beim Angriff der Normannen davon getragen hatte, schien ihn weit mehr zu beeinträchtigen, als er dies zugegeben hätte.

„Ich will keine kleinen Kinder erschrecken, wenn ich durch die Straßen gehe“, sagte er Arnulf nur. „Als ich mich in Richtung Westen schleppte, da ist das so manches mal geschehen, wenn ich leichtfertigerweise die Kapuze meiner Kutte zurückgeschlagen habe, um meine Wunde zu behandeln oder mich zu waschen.“

„Ich habe Euch damals da liegen sehen, als Thorkilds Männer mich fortführten, ohne Euch helfen zu können“, sagte Arnulf daraufhin. „Von den Normannen hätte keiner auch nur ein Kupferstück darauf gesetzt, dass Ihr zwei Stunden später noch am Leben sein würdet.“

„Um ehrlich zu sein – ich ebenfalls nicht“, gab Fra Branaguorno zurück. „Aber der Herr hat mich offenbar noch nicht zu sich rufen wollen.“

„Es ist ein Wunder, dass Ihr überlebt habt.“

„Der Herr tut Wunder, damit wir an ihn glauben“, erklärte Fra Branaguorno. „So steht es immer wieder in der Schrift.“

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Nur ein einziges Mal in diesen ersten Tagen nach Arnulfs Rückkehr sah der Ritter aus Sachsen, wie Fra Branaguorno sich die Kapuze zurückschlug. Allerdings war das am späten Abend im Schlafsaal ihrer Unterkunft. Nur das Licht einer einzigen Kerze hatte flackernd in der Zugluft gebrannt. Fra Branaguornos Haare waren länger, als dies bei Mönchen normalerweise der Fall war. Die Tonsur hielt er nicht mehr ein und so verdeckte sein grauweißes Haupthaar wohl weitgehend jenen Schrecken, der sonst offenbar geworden wäre.

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Einige Tage später ließ Bruder Markus Arnulf zu sich rufen. Fra Branaguorno war nicht anwesend. Es ging ihm nicht gut. Er hatte über Kopfschmerzen geklagt und den ganzen Tag das Bett nicht verlassen.

Arnulf machte sich deswegen Sorgen, aber Bruder Markus beruhigte ihn. „In den Monaten, die Fra Branaguorno vor Euch hier eintraf, ist es schon des öfteren vorgekommen, dass er ganze Tage verschlafen hat und sehr unter den Folgen des Schlages zu leiden hatte, den man ihm versetzt hat.“

„Konstantinopel hat doch angeblich die besten Ärzte der Christenheit!“, stieß Arnulf hervor. „Warum kann man ihn nicht in einem der Spitäler helfen, von denen er selbst mir auf unserem Ritt hier her immer vorgeschwärmt hat!“

„Er lässt niemanden an sich heran. Auch keinen Arzt. Und sein Wesen ist misstrauisch geworden. Er scheint keiner Seele mehr zu trauen. Selbst ein Extrakt der Mohnblume, den ich ihm von einem arabischen Händler am Eutherios-Hafen besorgt habe, hat er nicht angerührt, obwohl dessen entkrampfende Wirkung gut belegt ist!“

„Was würdet Ihr mir raten, um ihm zu helfen, Bruder Markus?“

„Ich fürchte, niemand wird ihm da helfen können. Niemand, außer dem Herrn selbst, den Ihr im Gebet anrufen solltet, Arnulf. Diese Anfälle haben nie länger als ein paar Tage gedauert und sein Zustand hat sich dann zumeist von ganz allein wieder verbessert.“ Der kleine, zur Korpulenz neigende Mönch holte tief Luft, so als hätte er eine schwere Last zu tragen. Allerdings hatte diese unsichtbare Last wohl nichts mit dem Zustand zu tun, in dem sich Fra Branaguorno im Moment befand. „Ich muss etwas in aller Dringlichkeit mit Euch besprechen, was eigentlich auch Fra Branaguornos Anwesenheit erfordern würde. So bespreche ich die Angelegenheit nun mit Euch allein.“ Der Mönch erhob sich von seinem Stuhl und ging zunächst einmal zur Tür, um sich zu vergewissern, dass im angrenzenden Korridor niemand war, der lauschen konnte. Dann verriegelte er von innen die Tür des karg eingerichteten Raumes, der Bruder Markus zur Erledigung der Korrespondenz der kaiserlichen Gesandtschaft und anderen Schreibarbeiten diente, die offenbar in einer Stadt wie Konstantinopel sehr viel reichlicher anfielen, als dies beispielsweise in Magdeburg der Fall gewesen wäre. In einfachen Holzregalen standen einige in Leder gebundene Folianten. Pergamente lagen auf einem Stapel auf einem groben Holztisch. Teilweise waren sie in mühevoller Arbeit radiert worden, um sie ein zweites Mal benutzen zu können - eine Arbeit, für die vorzugsweise Ordensnovizen herangezogen wurden, wie Arnulf wusste.

Bruder Markus holte nun ein Dokument zwischen zwei dicken Folianten hervor, dass er dort offenbar aufbewahrt hatte. Er faltete es auseinander. „Diese Nachricht habe ich heute Morgen durch einen Boten bekommen. Darin wird ausdrücklich danach gefragt, ob Ihr, Arnulf von Ellingen, denn bereits zurückgekehrt seid oder ob mit Eurer baldigen Rückkehr zu rechnen sei, da der Kaiser ein persönliches Schreiben an seinen kaiserlichen Bruder aufgesetzt habe, das nur durch eine Person absoluten Vertrauens befördert werden dürfe...“

Arnulf wirkte einen Augenblick wie erstarrt.

„Wer hat das geschrieben?“, fragte er.

„Ein gewisser Petros Makarios“, gab Bruder Markus Auskunft. „Er ist der Erste Logothet des Kaisers, Ihr könnt also davon ausgehen, dass dies nicht ohne das Wissen allerhöchster Kreise und wahrscheinlich des Kaisers selbst geschehen ist.“

„Ich verstehe...“, murmelte Arnulf.

„Begreift Ihr auch, was dies bedeutet? Man weiß bei Hof, dass Ihr zurückgekehrt seid. Ich weiß nicht, durch wen diese Kunde dorthin gelangte, aber diese Stadt hat tausend Augen und noch mehr Ohren. Ich habe Euch von Anfang an gewarnt. Es war kein guter Vorschlag, Eure Anwesenheit verheimlichen zu wollen...“ Er warf das Dokument auf den Tisch. „Dies ist nichts anderes als eine zwar diplomatisch verklausulierte, aber nichts desto weniger sehr unmissverständliche Aufforderung, Euch zu melden!“

„Ihr hattet recht mit Eurer Bemerkung, dass eigentlich Fra Branaguorno anwesend sein müsste und ich möchte die Angelegenheit auch zunächst mit ihm besprechen.“

„In dem Dokument ist namentlich eindeutig nur von Euch die Rede – so wie der Auftrag, ein persönliches Schreiben zu überbringen. Im Übrigen war dieser auch nie an Fra Branaguorno gerichtet, sondern an Euch und an niemanden sonst.“

„Könnt Ihr Euch darauf einen Reim machen?“

„Tut mir leid. Es gibt Rätsel des kaiserlichen Hoflebens, die man gar nicht erst versuchen sollte zu lösen, weil es sinnlos ist.“

„Darf ich die Nachricht einmal sehen, Bruder Markus?“

„Natürlich. Sie ist allerdings in griechischer Sprache verfasst und ich glaube, Eure Kenntnisse darin sind sehr begrenzt, wenn ich das richtig in Erinnerung habe...“

Arnulf nahm das auseinandergefaltete Blatt. Es handelte sich zweifellos um Papier und nicht um Pergament. Das erkannte er sofort. Als er es zwischen seinen Fingern hielt, kam ihm die Art und Weise, wie es sich anfühlte, vertraut vor. Was die griechischen Buchstaben anging, mit denen es beschrieben worden war, so erkannte er tatsächlich kaum seinen eigenen Namen, der tatsächlich im Text Erwähnung zu finden schien. Aber das war für ihn für einen Moment nebensächlich.

Er stand auf und ging zu einem der alabasterverhängten Fenster. Aber trotz dieses Vorhangs fiel genug Licht ein, um das Wasserzeichen erkennen zu können. Es waren ineinander verschlungene griechische Buchstaben und die stilisierte Form der Kaiserkrone. „Ich habe solches Papier schon einmal gesehen“, stellte er fest. „In Samarkand in einer kleinen Werkstatt, in der Menschen aus dem fernen Reich der Mitte arbeiteten...“

„Ich weiß nicht, was das jetzt für eine Rolle spielt, werter Arnulf!“, gab Bruder Markus etwas irritiert zurück. „Was soll ich tun? Man erwartet eine Antwort von mir!“

„Dann schreibt, dass ich zurückgekehrt bin und mich zunächst von den Strapazen der Reise erholen musste. Man möge mir den zu überbringende Brief zukommen lassen und ich werde ihn dem Kaiser des Westens übergeben.“

„Dann werde ich ein Scheiben mit diesem Inhalt aufsetzen.“

„Wisst ihr, wo hier in Konstantinopel solches Papier hergestellt wird? Papier mit einem Zeichen aus Licht?“

„Ich habe davon gehört“, sagte Bruder Markus. „Es soll irgendwo zwischen Konstantin-Forum und und Hippodrom eine Werkstatt geben, die von einer Frau mit geschlitzten Augen geführt wird und in der so etwas gefertigt wird.“

„Li...“, murmelte Arnulf.

„Was habt Ihr gesagt?“

„Nichts...“

Für Bruder Markus schien dieser Name nichts weiter als eine sinnlose Silbe zu sein. Wie viele Frauen mit geschlitzten Augen, die sich auf die Kunst, Papier mit Wasserzeichen herzustellen verstanden, mochte es in der westlichen Hälfte der Welt schon geben? Nein, dachte Arnulf von Ellingen, das konnte kein Zufall sein. Ihm stand das Gesicht der jungen Han-Frau mit ihren feingeschnittenen Antlitz, dem stillen, aber hintergründig wirkenden Lächeln und den langen, dichten blauschwarzen Haaren vor Augen. Aus irgendeinem Grund war ihm das Antlitz dieser Frau seit ihrer Begegnung in Samarkand nicht mehr aus dem Sinn gegangen. Die Erinnerung an jenen Moment wurde wieder lebendig als sie in der Nacht vor ihm stand und vor Thorkild Eisenbringer zu warnen versuchte. Vielleicht hätte ich diese Warnung ernster nehmen sollen, ging es ihm durch den Kopf. Aber es war müßig, jetzt darüber nachzusinnen.

Die Worte von Bruder Markus hörte er wie aus weiter Ferne.

„Ich war nie ein Freund des Papiers“, sagte er. „Es ist im Allgemeinen wenig haltbar und sieht nicht edel genug aus, um heilige Worte zu tragen und Bücher, die daraus gefertigt werden, gehen auseinander, weil die Fäden das Material durchschneiden...“ Er machte eine wegwerfende Handbewegung. „Es wundert mich nicht, dass es sich bis jetzt als bevorzugtes Schreibmaterial nicht durchsetzen konnte – aber dieses Schriftstück, da habt Ihr recht, ist von einer besonderen Qualität, wie ich zugeben muss!“

„Wisst Ihr irgendetwas Genaueres über die Lage dieser Werkstatt, von der Ihr spracht?“, fragte Arnulf.

„Nein. Aber Bruder Darenius, der unsere Einkäufe auf den Märkten besorgt, wird es genauer wissen!“

––––––––



Arnulf drängte sich durch die engen Straßen zwischen Hippodrom und Konstantin-Forum, dessen Säule zu Ehren jenes römischen Kaisers, der der Stadt ihren Namen gegeben und als erster christlicher Kaiser angesehen wurde, zu den unübersehbaren Wahrzeichen des neuen Roms gehörten.

Den Weg zu jener Papiermacherwerkstatt, die die Blätter mit den Wasserzeichen herstellte, hatte sich Arnulf sehr genau beschreiben lassen. Er drängelte sich zwischen den fliegenden Händlern und Bettlern hindurch und erreichte schließlich ein zweistöckiges Haus.

Arnulf klopfte an die Tür.

Eine weibliche Stimme antwortete auf Griechisch.

Wenige Augenblicke später wurde geöffnet. Arnulf blickte in ein Paar mandelförmiger dunkler Augen. Das schwarze, glatte Haar war in der Mitte gescheitelt und im Nacken zu einem Knoten zusammengefasst. Sie trug ein Kleid aus einem samtenen, dunkelblauen Stoff, der am Kragen mit goldfarbenen Stickereien besetzt war. In ihrer Kleidung unterschied sie sich in keiner Weise von den Frauen vieler Kaufleute und Handwerker, denen man einen gewissen Wohlstand durchaus ansehen konnte.

Um den Hals trug sie eine Silberkette mit einem Kreuz.

Arnulf sah sie einen Augenblick lang nur an und sie erwiderte diesen Blick mit der gleichen freudigen Verwunderung.

„Arnulf!“, stieß sie hervor – und der Ritter stellte dabei fest, dass sich an ihrer ganz eigentümlichen Art und Weise, seinen Namen auszusprechen, seit ihrer Begegnung in Samarkand nichts geändert hatte.

„Seid gegrüßt – Li!“, erwiderte Arnulf freundlich.

„Es freut mich, dass Euch offenbar nichts geschehen ist“, sagte sie. „Es muss Schicksal sein, dass unsere Wege sich wieder kreuzen, wo doch eigentlich nichts dafür sprach, dass wir uns je wieder begegnen würden. Aber tretet ein und sagt mir, was Euch zu mir führt.“

„Die Kunst Eures Handwerks“, sagte Arnulf. „Was habt Ihr denn gedacht? Eine Nachricht des kaiserlichen Logotheten erreichte die Gesandtschaft meines eigenen Kaisers, der im Regnum Teutonicorum regiert...“

„Saxland“, sagte Li. „So nennen es die Nordmänner. Ihr redet mit mir wie mit einer Dame. Daran muss ich mich erst gewöhnen...“

„Und Ihr scheint Euer Latein so perfektioniert zu haben, dass ich mir schon beinahe wie ein Barbar vorkomme.“

Ein verhaltenes Lächeln erschien in Lis Zügen. „Tretet ein“, sagte sie. „Und schließt die Tür hinter Euch, damit die Zugluft mir nicht die fertigen Blätter durcheinanderwirbelt! Ich muss fast alle Arbeiten allein machen, weil die örtlichen Gilden es mir nicht erlauben, Lehrlinge und Gesellen zu beschäftigen. So bin ich darauf angewiesen, mir hin und wieder von ein paar Tagelöhnern helfen zu lassen, was aber möglichst niemand merken sollte...“

Arnulf sah sich um. Am Fenster stand ein Tisch. Darauf waren Drahtstücke zu sehen, die auf eigenartig erscheinender Weise gebogen worden waren. Außerdem lag da ein Stapel mit frischen Blättern. Die eigentliche Werkstatt bestand aus einem einzigen Raum. Eine Drehpresse stand darin. Arnulf hatte ähnliche Mechanismen schon gesehen, die dem Auspressen von Früchten dienten. Aber diese Presse war so umgebaut worden, dass mit ihrer Hilfe das Wasser aus dem gerade geschöpfte Papier entfernt und in Lagen aus saugfähigem Filz gesogen wurde. Gerade fertig gewordene Blätter hingen wie Kleidungsstücke von einer Wäscheleine herab und es gab einen Bottich, der offenbar als Schöpfbecken diente. Auf einer Ablage befanden sich verschiedene Arten von Sieben, die von ihrer Größe und Beschaffenheit her sehr unterschiedlich waren. Aus einem Nachbarraum waren stampfende Geräusche und hin und wieder ein paar Worte auf Griechisch zu hören.

Arnulf warf einen Blick durch die Tür und sah mehrere Männer mit hölzernen Stampfern Lumpen zu Brei zu zerstampfen. Ein weiterer Mann schüttete Wasser aus einem Holzeimer hinzu. Einer der Männer rief etwas auf Griechisch und Li antwortete ihm. Arnulf verstand nicht, was gesagt wurde. Er begriff nur, dass es sich um irgendeine Anweisung handeln musste. Sie ging kurz in den zweiten Raum und sah, was die Tagelöhner bisher geschafft hatten.

Wie sehr hat sie sich verändert!, dachte Arnulf. Eine verschüchterte Gefangene, die gezwungen dazu war, für ihre Herren zu arbeiten, hatte sich – offenbar Dank ihres Talents – selbst in kleinem Rahmen zu einer Herrin gewandelt, die darauf achtete, dass Anweisungen exakt so ausgeführt wurden, wie sie es für nötig hielt. Der Klang ihrer Stimme war dabei trotzdem stets freundlich und weich – aber gleichzeitig sprach sie auch mit großer Bestimmtheit und Klarheit. Da er ihre Worte nicht verstand, wirkte für ihn dies jetzt besonders auffällig.

„Habt Ihr das Land der Eisenberge gefunden?“, fragte Li dann an Arnulf gewandt.

„Ja, das habe ich – und wir wurden von Thorkild Eisenbringer überfallen, wobei mein Knappe starb.“

„Das tut mir Leid.“

„Eure Warnung hätte ich mir mehr zu Herzen nehmen sollen. Aber erzählt mir von Euch. Wie kommt Ihr aus diesem elenden Verschlag in Samarkand hier her?“

„Das ist eine lange Geschichte – und auf der letzten Etappe dieses Weges habe ich alle verloren, die mir lieb und teuer waren. Ich bin zusammen mit Ragnar dem Weitgereisten nach Konstantinopel gekommen, einem Händler, dem ich mich in Jerusalem anschloss. Ragnar ist ein Veteran der Waräger-Garde und unterhält Verbindungen bis in höchste Kreise des Palastes. Man sagt, dass ihm mehr als einer der obersten Logotheten finanziell verpflichtet ist und er dem Kaiser einst das Leben rettete. Diese Verbindungen waren es, die es mir ermöglichten, diese Werkstatt aufzubauen. Einige Proben meines Talents gelangten an höchste Stellen und fanden Gefallen. Jetzt kann ich mich vor lauter Arbeit kaum retten, denn diese Stadt hat einen so großen Hof mit so vielen Schreibern, dass es kaum zu fassen ist, wie wenig hier bisher über die Herstellung von Papier bekannt gewesen ist...“ Sie schluckte und ihr Gesicht veränderte sich. Ein Anflug von Traurigkeit war in ihren Zügen zu sehen, auch wenn sie sich mühe gab, ihr verhaltenes Lächeln aufrecht zu erhalten. „Es ist nur bedauerlich, dass mein Vater dies nicht mehr erleben kann.“

„Was ist mit ihm geschehen?“, fragte Arnulf.

„Ein schlimmes Fieber suchte Jerusalem heim. Sowohl mein Vater als auch sein Lehrling Gao sind ihm zum Opfer gefallen – und mit ihnen auch noch viele andere Menschen in der Stadt. Aber ich versuche, nicht in die Vergangenheit zu blicken, sondern in die Zukunft und das Gute zu sehen, das der Herr für uns bereit hält.“

„Es ist eigenartig, Euch auf diese Weise reden zu hören“, fand Arnulf.

Sie berührte das silberne Amulett um ihren Hals. „Ich habe mich taufen lassen“, sagte sie. „Ich glaube inzwischen nicht mehr, dass irgendein Gott bereit ist, das Leiden des Menschen zu beseitigen. Aber der Gott der Christen hilft einem wenigstens, es leichter zu ertragen, weil er zum Menschen wurde und selbst gelitten hat...“

„Da mögt Ihr recht haben“, gab Arnulf zurück. „Obwohl ich gestehen muss, mir über diese Dinge nie so tiefgehende Gedanken gemacht zu haben.“

In diesem Moment wurde die Tür aufgestoßen und zwei Männer kamen herein, die über und über mit Lumpen beladen waren, sodass man sie darunter kaum sehen konnte.

Li wies ihnen eine freie Ecke innerhalb der Werkstatt zu, in die sie die Lumpen ablegen sollten und bezahlte sie anschließend mit ein paar Kupfermünzen, wobei sie einige Worte auf Griechisch mit ihnen wechselte.

Auch diese Männer waren offenbar Tagelöhner, wie sie von einer Stadt wie Konstantinopel zu tausenden angezogen wurden und normalerweise zumeist im Hafen ihr Auskommen fanden.

„Ich sehe, Ihr habt viel Arbeit“, sagte Arnulf.

Sie sah ihn an und ihre Blicke verschmolzen für einen kurzen Moment auf eine ganz besondere Weise. „Wie lange beabsichtigt Ihr, noch in Konstantinopel zu bleiben?“, fragte Li dann. Ihr Latein wirkte plötzlich unsicher und sie begann sich zu verhaspeln.

„Das steht noch nicht genau fest“, antwortete Arnulf. „Zumindest eine Weile noch.“

„Dann muss ich Euch ein zweites Mal davor warnen, Thorkild Eisenbringer zu begegnen.“

„Wie kommt Ihr darauf?“

„Ich habe mich bei Ragnar dem Weitgereisten über ihn erkundigt. Die beiden kennen sich gut. Wenn Thorkild Eisenbringer selbst über die Flüsse, die durch das Land der Rus führen, in die Heimat der Nordmänner fährt, dann reist er auf dem Rückweg über Konstantinopel, bevor er sich wieder zu den Eisenbergen begibt. Er bringt dann eine ganz besondere Ware hier her.“

Arnulf hob die Augenbrauen. „Und die wäre?“

„Junge Männer aus seiner Heimat. Männer, die bereit sind, sich in der Waräger-Garde des Kaisers für gutes Silber anwerben zu lassen. Thorkild bekommt dafür einen Anteil am Geschäft, so sagt man. Und an Gardisten besteht hier ständig ein Bedarf“, gab Li ihrer Überzeugung Ausdruck. „Ihr seht, früher oder später wird er hier mit einem Schiff voller Söldner anlegen.“

„In diesem Fall sollte ich ihm besser nicht begegnen“, meinte Arnulf.

Ihr Blick wurde sehr ernst. Sie trat auf ihn zu und ihre Hand berührte ihn leicht am Oberarm. „Warum sollte dieser Mann sein Mordkomplott Euch gegenüber vergessen haben? Ihr werdet eines Tages wieder in die Eisenberge reiten können und vielleicht wird der Strom dieses Metalls dann an ihm vorbeiziehen, ohne dass er ihm noch irgendeinen Gewinn bringt! Davor hat er Angst!“

„Ja, das mag schon sein.“

„Und dafür würde er auch töten, gleichgültig unter welchen Umständen.“

Arnulf lächelte mild. „Ihr habt keine Vorstellung davon, wie weit die Reise ist, die er zurücklegen muss, und welche Hindernisse dabei überwunden werden müssen. Er wird also eine Weile unterwegs sein, falls Eure Annahme den Tatsachen entspricht. Und ich glaube nicht, dass er es wagen würde, hier in Konstantinopel etwas gegen mich zu unternehmen – und wenn, dann würde es ihm schlecht bekommen, da ich ausersehen bin, eine persönliche Botschaft des östlichen an den westlichen Kaiser zu überbringen.“

„Mächtige Mauern wie die von Konstantinopel bedeuten keinen Schutz für Euch, Arnulf“, sagte sie.

Die Art und Weise, wie sie sich um ihn sorgte, rührte ihn – und ihr Blick hatte ein Gefühl in ihm ausgelöst, das ihn verwirrte und er nicht auf hinreichende Weise zu erklären wusste. Er deutete auf den Stapel von fertiggestellten Blättern. „Mein Kaiser ist ein noch sehr junger Mann, der allem Neuen aufgeschlossen gegenübersteht und sehr belesen ist. Viel belesener, als die meisten Gelehrten in den Abteien unseres Reiches. Er würde sich gewiss freuen, wenn ich ihm ein paar Proben Eures Talentes zeigen könnte.“

„Dagegen ist nichts einzuwenden“, sagte Li.

Arnulf nahm eines der Blätter vom Stapel und hielt es gegen das Licht. Es war ohne ein Wasserzeichen.

„Es ist zwar von exzellenter Qualität“, sagte Li. „Es fasert nicht an den Seiten, es ist gerade beschnitten und hat eine leichte, farblose Lackierung, die ihm eine glatte Oberfläche verleiht. Keine Unregelmäßigkeit kann den Strich der Feder ablenken und die Saugfähigkeit ist durch die Lackierung so reduziert, dass die Tinte nicht seitwärts verläuft wie ein Fluss, der über sein Ufer tritt und sich in seinen Auen ergießt.“

„Vielleicht könntet Ihr mir ein paar solcher Bögen überlassen, um sie Kaiser Otto zu zeigen“, schlug Arnulf vor. „Denn ich würde ihm gerne die Vorzüge der Papierherstellung zeigen, wenn ich ihn in Magdeburg wiedersehe.“

„Sagt mir einfach Bescheid, bevor Ihr Euch auf die Reise macht, Arnulf. Ich werde Euch in der Zwischenzeit ein paar schöne Blätter vorbereiten – und darunter auch solche, die ein Wasserzeichen tragen.“

„Dafür wäre ich Euch sehr dankbar. Und nun will ich Euch nicht länger von Eurer Arbeit abhalten.“

„Ihr habt mich von nichts abgehalten, was wichtig gewesen wäre“, erwiderte Li.

In der Tür drehte Arnulf sich noch einmal herum. „Vielleicht gestattet Ihr es, wenn ich Euch während der Zeit, die ich noch in Konstantinopel bin, noch einmal besuche, wenn Ihr weniger zu tun habt...“

„Gerne“, erwiderte Li.

„Schließlich wisst Ihr bestimmt einiges Interessante über jenes Land bei Samarkand zu berichten, in dem uns der Herr zusammenführte.“

„Mawarannahr“, sagte sie. „So heißen es seine Bewohner. Das bedeutet 'das Land hinter dem Fluss'. Die Griechen nennen es Transoxanien.“ Ihre Blicke begegneten sich noch einmal. Und auch als er bereits gegangen war, sah sie ihm durch das Fenster nach, bis er zwischen den vielen Menschen verschwunden war.


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