Читать книгу Drei Historische Liebesromane: Das 1500 Seiten Roman-Paket Sommer 2021 - Alfred Bekker - Страница 27
Zehntes Kapitel: Ritt in die Eisenberge
ОглавлениеWie ein geschmolzener Brocken Erz wirkte die Sonne, als sie im Osten über den von schroffen Bergmassiven gezeichneten Horizont kroch.
Arnulf von Ellingen und seine beiden Begleiter waren die ganze Nacht durchgeritten, ohne ihren Pferden auch nur eine einzige Pause zu gönnen. Jetzt erreichten sie einen kleinen Flusslauf, der allerdings zur Zeit so wenig Wasser führte, dass er eher einem Bach glich.
Dass er zumindest zeitweilig sehr viel breiter war, konnte man an der Landschaft und der Beschaffenheit von Boden und Pflanzenbewuchs deutlich sehen.
Arnulf zügelte sein Pferd und stieg ab. Die anderen folgten seinem Beispiel - denn hier sollten die Tiere erstmal ordentlich saufen. Und nebenbei ließen sich auch die ledernen Wasserschläuche wieder auffüllen, die die Reiter auf ihre Reise in die Ungewissheit mitführten. In der Eile ihres Aufbruchs hatten sie natürlich keine Zeit mehr gehabt, sie zu füllen, wie man es vor Antritt eines längeren Rittes ansonsten ganz sicher getan hätte.
Sie führten die Pferde zum Flussufer.
Seit ihrem Aufbruch aus Samarkand hatten die drei noch keine Gelegenheit gehabt, mehr als ein paar Worte miteinander zu wechseln, die sie sich während des Rittes gegenseitig zugerufen hatten. Und dabei war es dann vornehmlich um die Richtung gegangen, die sie einschlagen mussten.
Aber das Wichtigste war wohl, dass sie Samarkand erst einmal so weit wie möglich hinter sich gelassen hatten. Bisher gab es keinerlei Anzeichen dafür, dass irgend jemand ihnen gefolgt war – auch wenn Gero immer wieder sorgenvoll zurück blickte, so als erwartete er jederzeit, dass dort ein berittener Trupp auftauchen mochte oder gar eine Horde wilder Nordmänner, die unter der Führung des berüchtigten Thorkild Larsson Eisenbringer standen, der angeblich ihren Tod wollte.
Arnulf blickte zu den Bergen. Irgendwo dort lag Tukharistan, das Land der Eisenberge. Und nach allem, was sie in Samarkand erfahren hatten, waren sie zumindest auf der richtigen Spur. Und der Mordanschlag in Nedjans Herberge war dafür letztlich nur noch einmal eine Bestätigung – vorausgesetzt die Annahme stimmte, dass der Kerl, der mitten in der Nacht in ihre Unterkunft eingedrungen war, tatsächlich von Thorkild und seinen Helfershelfern gedungen worden und nicht einfach nur ein gewöhnlicher Räuber war. Aber dann wäre wohl wenig plausibel gewesen, weshalb er sich ausgerechnet dieses eine Zimmer in dieser ganz bestimmten Herberge für einen Raubzug ausgesucht hatte – zumal es sicherlich weitaus vermögendere und damit lohnendere Opfer für einen solchen Überfall gab.
„Ich weiß nicht, was ich von dieser seltsamen jungen Frau halten soll, die Euch angesprochen hat“, meinte Fra Branaguorno.
Arnulf zuckte mit den Schultern. Während des Rittes hatte er immer wieder an die ebenmäßigen Züge ihres Gesichts denken müssen. Li – eine Silbe, die fast zu kurz schien, um der Name eines Menschen sein zu können. Aber wenn er jetzt darüber nachdachte, dann schien vom Klang dieser einen Silbe ein ganz eigentümlicher Zauber auszugehen.
„Sie wollte uns warnen“, meinte Arnulf an Fra Branaguorno gewandt. „Und es ist doch in der Tat von Vorteil, dass wir wissen, wie weitreichend offenbar die Verbindungen dieses Nordmannes sind! Offenbar weit genug, dass hochgestellte Beamte am Hof des Stadthalters ihm Gefälligkeiten erweisen.“
„Habt Ihr Euch auch mal gefragt, weshalb sie Euren Namen kannte?“
„Das hat sie doch erklärt. Sie kannte ihn durch unsere Begegnung beim Schmied und hatte ihn zuvor wohl während eines Gespräches gehört, das sie – ob nun gewollt oder zufällig – belauschte.“
„Dennoch – sie hatte keinen vernünftigen Grund, uns zu helfen. Und ich komme auch immer noch nicht über die Tatsache hinweg, dass sie offenbar Latein und Griechisch zu sprechen vermag.“
Arnulf grinste. „Was ist daran so ungewöhnlich, wenn jemand die rechte Begabung dafür hat. Habt Ihr selbst mir nicht einmal gesagt, dass das Erlernen jeder weiteren Sprache immer leichter wird und nicht schwerer, weil es in vielen von ihnen ähnliche Worte gibt und sie einem deshalb immer besser im Gedächtnis bleiben?“
Fra Branaguorno hob die sehr schräg gestellten, grauweißen Augenbrauen, die seinem Antlitz eine Linie gaben, die es immer etwas finster und mürrisch und seinen Blick sehr durchdringend und prüfend erscheinen ließen.
„Trotzdem erscheint mir das sehr ungewöhnlich – eine Papiermacherin aus dem fernen Osten erlernt Latein und Griechisch...“
„Sie hatte einfach nur ein gutes Herz – ich denke, das ist der einzige Grund, aus dem sie uns zu helfen versucht hat“, glaubte Arnulf.
„Ihr seid zu wenig misstrauisch, Arnulf.“
„Findet Ihr?“
„Jemandem im Alter Eures Knappen kann man das vielleicht nachsehen – aber Ihr, die Ihr Euch doch schon auf mannigfachen Schlachtfeldern ebenso bewähren musstet, wie im Sumpf der Magdeburger Hofintrigen...“ Fra Branaguorno schüttelte energisch den Kopf. „Ich muss schon sagen, dass ich etwas überrascht bin und Euch etwas anders eingeschätzt hatte.“
„Habt Ihr die Blätter gesehen, in die das Licht Trugbilder hineinzauberte?“, mischte sich nun Gero in das Gespräch ein.
„Ich hoffe nicht, dass dich diese östliche Magie gleich um den Verstand bringen wird, junger Mann!“, sagte Fra Branaguorno in einem tadelnden Tonfall und schlug dabei ein Kreuzeszeichen.
„Das hoffe ich nicht“, erwiderte Gero, der im Gegensatz zu den ewig mürrisch wirkenden Mönch eine auffallend gute Laune zu haben schien. „Aber ein Wunder ist es doch trotzdem, oder?“
„Gewiss“, stimmte Fra Branaguorno etwas einsilbig zu.
„Oder erkennt Ihr darin irgendeine Inkarnation Satans?“
„Wenn der Herr solche Wunder möglich gemacht hat, dann wüsste ich keinen Grund, warum darin etwas Böses zu sehen wäre“, erwiderte Fra Branaguorno.
––––––––
Sie rasteten für kurze Zeit in der Nähe des Flusses. Obwohl es empfindlich kalt war, verzichteten sie auf ein Feuer. Schließlich wollten sie eventuelle Verfolger nicht unnötigerweise auf sich aufmerksam machen.
Nachdem die Sonne zur Gänze über den Horizont gestiegen war, schwangen sie sich wieder in die Sättel und setzten ihren Weg fort – den Bergen entgegen.
Nach zwei Tagen kam ihnen auf eine Hochebene ein Nomadenstamm entgegen. Sie trieben auf breiter Front ihre Ziegen und Schafe über das karge Land. Dabei entfernten sie sich so weit wie möglich voneinander, denn sonst war es kaum möglich, dass die Tiere genug zu fressen bekamen. Vermutlich sollten die Herden in die tiefergelegenen Weidegebiete geführt werden, bevor es kälter wurde. Ein langer Zug von Kamelen kam den drei Reitern geradewegs entgegen. Arnulf schätzte die Anzahl der Kamele, die dieser Stamm mit sich führte, auf mindestens zweihundert.
Dafür besaßen sie anscheinend nicht einmal eine handvoll Pferde. Diese waren offenbar dem Stammesführer und seiner Eskorte vorbehalten. Diese Gruppe von Reitern hielt auf Arnulf und seine Begleiter zu.
In einem Abstand von mehreren Pferdelängen blieben sie stehen. Der Stammesführer war ein Mann mit einem hart geschnittenen, von Falten zerfurchten Gesicht. Der Bart unterstrich diese Linien noch. Er sprach Arnulf in einem Persisch an, das auch für Fra Branaguorno nur sehr schwer verständlich war. Der Mönch versuchte trotzdem so gut es ging zu übersetzen.
„Er will wissen, wohin wir ziehen und ob wir allein sind.“
„Sagt ihm, dass wir das Land des Eisens suchen.“
„Ihr müsst über die Berge“, lautete die Übersetzung der Antwort, die der bärtige Stammesführer gab und damit deutete er zu den schroffen Felsmassiven am Horizont. „Aber es gibt nur einen Pass und man findet ihn nicht, wenn man das Land nicht kennt.“
„Kannst du uns den Weg beschreiben?“, fragte Arnulf.
In den Augen des Stammesführers blitzte es.
Er ließ sein Pferd, das ihm offenbar außerordentlich gut gehorchte, ein Stück zur Seite treten, so dass er einem der anderen Reiter eine Hand auf die Schulter legen konnte. „Dies ist mein Neffe“, übersetzte Fra Branaguorno anschließend seine Worte. „Niemand kennt den Weg über die Berge besser als er. Er könnte Euch führen.“
Arnulf begriff, worauf das Ganze hinauslief. Die Nomaden wollten ein Geschäft aus der Angelegenheit machen. Aber das war ihnen nicht zu verdenken.
Man einigte sich schließlich auf drei Silberstücke. Eins gab Arnulf dem Stammesführer, die beiden anderen bekam der Neffe, sobald die Berge sicher überwunden waren.
„Euer Führer heißt Uthman und Ihr werdet es nicht bereuen, seine Dienste in Anspruch genommen zu haben!“, übersetzte Fra Branaguorno die Worte des Stammesführers und setzte dann noch hinzu: „Ich will hoffen, dass der Kerl recht behält!“
––––––––
Uthman ritt ihnen voran. Eine ganze Weile dauerte es, bis sie den Kamelzug hinter sich gelassen hatten.
„Bist du auch Nordmännern begegnet?“, fragte Arnulf an Uthman gerichtet und Fra Branaguorno schien erst einige Mühe zu haben, dem Führer verständlich zu machen, was er damit meinte.
„Männer mit hellen Bärten und Äxten? Ja, die gibt es hier. Sie kaufen Kamele. Aber wer sie ihnen nicht freiwillig und zu einem günstigen Preis gibt, dem nehmen sie sie einfach weg und erschlagen die Treiber!“, berichtete Uthman. Er schien auf die Nordmänner nicht gut zu sprechen zu sein. Er deutete auf Arnulf. „Du – siehst ähnlich aus wie sie“, übersetzte Fra Branaguorno dann seine Worte.
„Hast du von einem Mann gehört, den man Thorkild Eisenbringer nennt?“, wollte es Arnulf noch etwas genauer wissen.
„Ja. Alle fürchten ihn. Er ist ein Freund der Eisenleute und beide verlangen Abgaben dafür, dass wir hin und wieder ihr Gebiet durchwandern müssen.“ Während Fra Branaguorno noch Uthmans Worte übersetzte, machte dieser eine Bewegung mit der Hand, von der Arnulf zunächst nicht so ganz klar war, was sie bedeuten sollte. Er drehte sich dabei halb im Sattel herum. „Äxte immer blutig“, übersetzte der Mönch dann die Worte des Führers. „Bist du bekannt mit ihm?“
Arnulf nickte. „Er kennt meinen Namen und will mich umbringen. Ich hingegen bin ihm nie begegnet und habe auch nichts mit ihm zu schaffen.“
Fra Branaguorno hatte einige Mühe, bis er Uthman diese Worte so übersetzt hatte, dass man den Eindruck gewinnen konnte, dass er das Gesagte auch tatsächlich verstanden hatte. Uthman hob die Augenbrauen. „Wenn der Axtkrieger dich töten wollte, musst du ein guter Mensch sein“, war er überzeugt und sandte gleich darauf ein Stoßgebet purer Erleichterung zu seinem Gott.
––––––––
Drei Tage folgten sie Uthman durch das Labyrinth der Berge. Er führte sie einen Pass entlang, dessen Eingang sie vermutlich ohne Hilfe tatsächlich nicht gefunden hätten, so verborgen lag er zwischen den schroff aufragenden Felsmassiven und den abgrundtiefen Schluchten, die sich wie Kerben in einem Schnitzholz durch das unwegsame Land zogen.
Nachts kampierten sie an geschützten Stellen. Auf ein Feuer konnten sie nicht jedesmal verzichten. Dazu war es einfach zu kalt.
Ein paar Tage später zogen sie dann durch eine enge Schlucht, durch die ein schmaler Wasserlauf führte. Sie wollten gerade die Pferde tränken, als von mehreren Seiten Krieger wild brüllend die Hänge herabstürmten. Schon als die ersten Kriegsschreie ertönten, fuhr Uthman ein Pfeil durch den Hals, der ihn röchelnd aus dem Sattel rutschen ließ.
Innerhalb weniger Augenblicke waren sie von mindestens hundert Mann umgeben, alle gekleidet und bewaffnet nach Art der Nordmänner. Allerdings hatten manche von ihnen die Angewohnheit der Landesbewohner angenommen, sich Tücher um den Kopf zu schlingen, die sowohl gegen Kälte als auch gegen die Sonne zu schützen vermochten.
Arnulf riss sein Schwert hervor. Sein Pferd stellte sich wiehernd auf die Hinterbeine. Ein Pfeil, der andernfalls den Ritter unweigerlich getroffen hätte, fuhr nun dem Tier in den Leib. Mit einem markerschütternden Schrei, der nichts mehr mit jene Lauten gemein hatte, wie man sie normalerweise von Pferden gewohnt war, ging das Tier zu Boden. Arnulf rutschte aus dem Sattel. Ein Nordmann mit einer blutigen Axt in den Händen, stand über ihm. Die Axt sauste – dem Werkzeug eines Henkers gleich – nieder. Arnulf wich aus und während die Axt mit großer Wucht in den Boden fuhr, stieß Arnulf ihm das Schwert in den Leib.
Der Ritter rappelte sich auf, wirbelte herum und parierte sofort den Schwerthieb eines anderen Gegners, den er mit mehreren wuchtigen Streichen zurücktrieb.
Aus den Augenwinkeln sah er, wie sein Knappe Gero sich verzweifelt gegen glich zwei Angreifer zur Wehr setzte. Stahl klirrte auf Stahl. Er taumelte unter der Wucht der Schläge zurück. Mit einem weiteren Hieb schlug ihm sein Gegner den Kopf von den Schultern.
Arnulf fühlt nun kalte Wut in sich aufsteigen. Er ließ eine Folge schneller Schläge auf seinen nächsten Gegner niederprasseln und traf ihn schließlich so heftig an der Seite, dass er in sich zusammensank.
Ein Dutzend Schritt entfernt sah er Fra Branaguorno regungslos am Flussufer liegen. Sein Kopf war an der linken Seite vollkommen rot. Das Blut ergoss sich ins Flusswasser.
„Ihr Hunde! Wehrlose Priester und halbe Kinder töten! Mehr könnt ihr nicht!“
Mehrere Gegner griffen ihn nun zugleich an. Arnulf wurde zurückgetrieben. Dann ertönte ein durchdringender Ruf.
„Ich will den Narren lebend!“, rief ein riesenhafter Mann mit einem rotstichigen Bart.
Von allen Seiten waren Schwerter und Speerspitzen auf Arnulf gerichtet. Außerdem mindestens drei gespannte Bögen.
Eine Gasse bildete sich für den rotbärtigen Mann.
„Gib auf, Arnulf von Ellingen!“, rief der Nordmann. „So heißt du doch, oder?“
„Und du musst Thorkild Eisenbringer sein!“, knurrte Arnulf zwischen den Zähnen hindurch.
„So ist es! Und nun überlege dir, ob du auch sterben willst, oder vielleicht nicht besser dein Schwert fallen lässt!“
Aber Arnulf dachte gar nicht daran. Er schwang seine Klinge, ließ sie durch die Luft kreisen und die Nordmänner wussten inzwischen gut genug, dass sie diesem sächsischen Ritter mit Vorsicht begegnen mussten.
„Na los, worauf wartest du!“, knurrte er den Bogenschützen an, der mit einer Pfeilspitze auf sein Gesicht zielte, aber wohl deshalb noch nicht die Sehne losgelassen hatte, weil er den Zorn seines Anführers fürchtete. „In Samarkand habt ihr mir einen gedungenen Mörder auf den Hals geschickt, der mich im Schlaf umbringen sollte – dagegen ist es immer noch ehrenhafter, was ihr jetzt versucht!“
„Wahrhaftig, er ist wirklich ein Sachse!“, meinte Thorkild. „Niemand sonst spricht so seltsam!“ Dröhnendes Gelächter folgte. „Und jetzt zur Seite mit euch!“, brüllte Thorkild, zog sein mächtiges Schwert und nahm den Griff mit beiden Händen. „Du willst den Kampf? Meinetwegen! Dann werde ich dir jetzt mal zeigen, wie das geht!“
Thorkild stürzte sich dem Schwert in der Hand auf Arnulf, der den Schlag parierte.
Mit ungeheurerer Wucht prallten die Klingen gegeneinander. Arnulf konnte den Schlag zur Seite ableiten lassen. Ein weiteres Mal kreuzten sich die Klingen. Mehrere mit voller Wucht geführte Hiebe ließen die Waffen gegeneinander prallen. Dann brach Arnulfs Klinge. Der Ritter aus Magdeburg spürte im nächsten Moment den kalten Stahl des gegnerischen Schwerts an seinem Hals.
„Genau das war es, was ich dir zeigen wollte, Sachse“, murmelte er.
Arnulf ließ das geborstene Schwert sinken und warf es auf den Boden.
„Warum bringst du es nicht zu Ende“, murmelte Arnulf.
„Das werde ich noch“, versprach Thorkild. „Darauf kannst du dich verlassen! Aber vorher werde ich noch aus dir herausholen, was genau die Absicht deines Herrn ist!“ Er wandte sich an seine Männer. „Bringt ihn ins Lager!“, rief er.
Arnulf wurde gepackt. Man bog ihm die Arme auf den Rücken und mit einem groben Hanfstrick wurden ihm die Hände zusammengebunden. Dann bekam er einen Stoß. „Vorwärts!“, rief einer der Nordmänner. Sie trieben Arnulf vor sich her.
Inzwischen machten sich mehrere der Nordmänner an den Satteltaschen zu schaffen, die sich noch auf dem Rücken des getöteten Pferdes befanden. Ein Lederbeutel mit Silbermünzen sorgte sofort für gute Stimmung. „Seht mal, was wir hier haben!“, rief jemand.
Dann herrschte plötzlich Schweigen, als ein stöhnender Laut erklang. Fra Branaguorno bewegte sich leicht.
Ein Nordmann nahm sein Schwert und umfasste den Griff mit beiden Händen. Doch ehe die Klinge niedersausen konnte, schritt Thorkild Eisenbringer ein.
„Lass ihn von allein sterben, Hrolf!“, befahl er. „Es bringt Unglück, einen Mann Gottes zu töten. Und wir wollen das Schicksal doch nicht unnötig herausfordern, oder?“
Der Angesprochene ließ die Klinge sinken und steckte das Schwert dann ein. Dabei murmelte er etwas Unverständliches vor sich hin. Was er genau sagte, konnte Arnulf nicht verstehen, aber es waren wohl alles andere als ein paar freundliche Worte.
––––––––
Sie brauchten bis zum Abend, um das Lager zu erreichen, an dem die Nordmänner zur Zeit kampierten. Im Lager waren allerdings nicht nur Thorkilds Männer aus dem Norden, sondern auch eine größere Anzahl von Kameltreibern mit ihren Tieren. Offenbar standen sie im Dienst des Eisenbringers – oder wurden dazu gezwungen. Sie wirkten sehr eingeschüchtert, sprachen nur mit gedämpfter, leiser Stimme und wann immer Arnulf einen von ihnen direkt ansah, wurde der Blick abgewandt.
Von dem, was sie untereinander sprachen, konnte Arnulf nicht ein einziges Wort verstehen. Dazu hätte er die Sprachen des Ostens beherrschen müssen, so wie Fra Branaguorno, dessen Schicksal vollkommen ungewiss war.
Hilfe konnte Arnulf jedenfalls im Augenblick wohl von niemandem erwarten. Ich hätte auf die Worte der Papiermacherin hören sollen!, ging es ihm durch den Kopf, während er gegen einen Baum gelehnt dasaß. Man hatte ihm die Hände auf den Rücken gebunden, allerdings so, dass sie den Baum dabei umfassten.
Eine ziemlich unbequeme Sitzhaltung war das – und ganz gewiss keine, bei der man leicht Schlaf finden konnte. Aber das war wohl auch alles andere als die Absicht der Männer, in deren Händen er jetzt war.
Die Nordmänner waren recht ausgelassener Stimmung, was wohl auch daran lag, dass es ihr Anführer erlaubt hatte, ein Fass mit Met zu öffnen.
Thorkild gesellte sich zu ihm, während seine Männer bereits feierten.
„Ich will von dir alles darüber wissen, wer dich hier her schickt und aus welchem Grund dies geschehen ist“, verlangte er.
„Ich dachte, dass wüsstest du schon alles“, erwiderte Arnulf düster. „Oder reimst du dir vielleicht nur etwas zusammen und erschlägst lediglich zum Spaß vorbeiziehende Reisende?“
„Es hat keinen Sinn, wenn du versuchst als harmloser Reisender zu erscheinen. Das bist du nicht, Arnulf – und wir beide wissen das. Und davon abgesehen, sind die Quellen, aus denen mein Wissen stammt, für gewöhnlich zuverlässig.“
„Dann brauchst du mich ja nicht mehr zu befragen! Frag diesen Schreiber in Samarkand...“ An der Falte, die sich plötzlich auf der Stirn des Nordmannes bildete, erkannte Arnulf die Verwirrung seines Gegenübers darüber, dass Arnulf offensichtlich über seine besondere Verbindung zu Kentikian Bescheid wusste.
Thorkild grinste schief. „Ich kann dich foltern, um Antworten zu bekommen! Also rede besser, sonst ergeht es dir schlecht! Es hat keinen Sinn, irgendetwas verbergen zu wollen... Und abgesehen davon knurrt dir wahrscheinlich schon der Magen, oder? Also sei vernünftig! Dein Kaiser wird dir hier nicht helfen...“
„Das weiß ich.“
„Du bist wegen dem unzerbrechlichen Stahl hier, nicht wahr? Du suchst einen Weg, den Stahl an mir vorbei zu leiten, sodass ihn die Schmiede von Saxland zu einem günstigeren Preis bekommen und in meinem Beutel das Silber nicht mehr klimpert!“
„Du bist doch nicht der Einzige, der die unzerbrechlichen Klingen unerschwinglich macht“, gab Arnulf zurück. „Mein Kaiser wird gewiss weitere Männer aussenden, die den Ursprungsort des unzerbrechlichen Stahls finden sollen.“
„Du siehst an deinem eigenen Beispiel, dass ich das zu verhindern vermag, Sachse! Ich werde mir überlegen, was ich mit dir mache. Gute Krieger kann ich im übrigen immer gebrauchen. Wenn du für mich das Schwert ziehst, sollte das dein Schaden nicht sein.“
„So etwas wie Ehre scheinst du nicht zu kennen!“, versetzte Arnulf.
Thorkild schüttelte den Kopf und nahm einen tiefen Schluck aus seinem Trinkhorn. „Das kann ich mir nicht leiste. Aber ich hätte wirklich gedacht, dass du klüger wärst, Sachse. Wirklich!“
––––––––
Der Eisenbringer begab sich wieder zu den anderen ans Feuer. Die ganze Zeit schon hatte Arnulf damit begonnen, seine Fesseln gegen die Baumrinde zu scheuern - bislang hatten sie sich als unüberwindlich erwiesen, aber das musste ja nicht bis in alle Ewigkeit so sein. Er musste hier schnellstens fort, denn Thorkild war vollkommen unberechenbar, wie es ihm erschien.
Nach und nach wurde es im Lager ruhiger. Irgendwann weit nach Mitternacht war auch die letzte angeberisch klingende Stimme verstummt. Schließlich war es vollkommen ruhig und das Feuer brannte langsam nieder. Unermüdlich scheuerte Arnulf an dem Seil. Irgendwann kurz vor dem Morgengrauen löste sich die Fessel. Vorsichtig erhob Arnulf sich. Thorkild hatte Wachen eingeteilt, aber die waren nicht besonders aufmerksam. Manche waren selbst eingenickt. Andere patrouillierten gähnend durch das Lager und hatten am Abend wohl selber zu sehr dem Met zugesprochen, um sich nicht auch danach zu sehnen, die Augen zu schließen.
Beinahe lautlos schlich Arnulf in der Dunkelheit davon. Die meisten Wachen waren bei den Tieren und so war es wohl unmöglich, sich ein Pferd zu nehmen, zumal ein einziges lautes Wiehern wohl das ganze Lager aufgeweckt hätte.
Einen der wenigen Wächter auf der anderen Seite des Lagers überraschte er und schlug ihn mit einem harten Faustschlag nieder, ehe er den Ritter so richtig bemerkt hatte. Arnulf duckte sich und hoffte, dass er sich im Schatten befand. Ganz leise waren zwei Stimmen zu hören, die den Wächtern bei den Pferden gehörten. Arnulf nahm unterdessen die Waffen des Bewusstlosen an sich - einen Dolch und ein Schwert, das vermutlich mit genau jenem unzerbrechlichen Stahl gefertigt worden war, wie er in diesem Land bevorzugt wurde.
Was geschah, wenn es hat auf hart ging, hatte er ja bei seiner eigenen Klinge erlebt. Das Metall, das die Schmiede in Tukharistan schmiedeten, war offenbar einfach sehr viel bruchfester und jedem anderen Stahl überlegen.
Arnulf kauerte einige Augenblicke bei dem Bewusstlosen. Dann schlich er davon und wenig später hatte ihn die Finsternis der Nacht in sich aufgenommen.
Ein ungewisser Weg lag vor ihm.