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Elftes Kapitel: Ein weiter Weg nach Westen

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Li dachte noch oft an Arnulf von Ellingen, und sie hörte aufmerksam zu, wenn fremde Händler auf den Basaren ihre Waren anboten und von den Ereignissen in Tukharistan sprachen. Immer wieder war auch von Fremden die Rede, aber nichts davon ließ sich mit Sicherheit auf das weitere Schicksal des fremden Ritters beziehen. Zudem gab es da andere Dinge, die den Menschen Sorgen machten. Offenbar waren Reiter des Kara Khan bis in die Eisenberge vorgedrungen und manche Schmiede beklagten schon, dass ihnen das gute Erz knapp würde. Aber das waren alles nur Gerüchte. Für ein paar Wochen kampierte ein Heer des Emirs vor den Toren der Stadt. Offenbar gab es in den Bergen ein paar aufständische Stämme, die niedergeworfen werden mussten. Ob der Kara Khan sie zu ihrem Aufstand angestachelt hatte oder ob die Ursache in einer vor kurzem erfolgten drastischen Erhöhung der Tributzahlungen lag – das vermochte Li nicht einzuschätzen.

Jedenfalls wünschte sich Li, dass der Christengott, an den Arnulf von Ellingen zweifellos glaubte, ihn beschützen mochte. Der Gedanke an diesen Mann machte ihr gleichzeitig aber auch in aller Schmerzlichkeit bewusst, dass es für sie wahrscheinlich nie eine innige Verbindung zu einem Mann geben würde. Liebe, Ehe, Kinder und die Gewissheit, dass man nicht nur für sich selbst gelebt hatte, sondern als Ahn von seinen Nachfahren Verehrung erfuhr – das alles würde es in ihrem Leben aller Wahrscheinlichkeit niemals geben. Der Überfall einer Nomadenhorde in Xi Xia hatte diesen eigentlich bereits schicksalhaft festgelegten Plan für ihr Zukunft fortgefegt und bedeutungslos werden lassen. Als Tochter eines Papiermachers in Xi Xia hätte es sicherlich genug Männer gegeben, die in ihr eine mögliche Ehefrau gesehen hätten. Aber hier in Samarkand war ein solcher Weg für sie völlig aussichtslos. Man mochte manchen der Papiermacher zwar noch ansehen, dass ihre Vorfahren einst aus dem Reich der Mitte gekommen waren, aber das hieß keineswegs, dass sie sich mit Li besonders verbunden fühlten. Sie war eine Fremde und außerdem eine rechtlose Schuldknechtin, die sich allenfalls unter ihresgleichen hätte verbinden können. Aber kein Mann in Samarkand hätte ihr zugetraut, Kinder zu gläubigen Muslimen erziehen zu können. Daran hätte es auch nichts geändert, wenn sie diesem Glauben beigetreten wäre. Sie hatte das immer wieder erwogen, es aber letztlich doch nicht getan. Vielleicht in erster Linie deshalb nicht, weil sie spürte, dass dies ihren Vater tief verletzt hätte. Meister Wang schien es als Ausdruck seiner innersten Würde zu betrachten, sich in diesem Punkt nicht seiner Umgebung anzupassen.

Gao hingegen war inzwischen Muslim geworden und hielt die Gebetszeiten genau ein.

„Wir werden hier den Rest unserer Tage verbringen, glaube ich“, meinte er einmal, als er zusammen mit Li auf dem Basar unterwegs war, um Lumpen einzukaufen.

„Ich bin mir da keineswegs so sicher“, meinte hingegen Li.

„Du glaubst wirklich, dass wir irgendwann zurück nach Xi Xia gelangen?“ Er schüttelte den Kopf. „Unser altes Leben, das wir dort hatten, ist vorbei, Li. Und je eher wir es endgültig verabschiedet haben, desto weniger wird es uns schmerzen.“

„Bist du deswegen der Gemeinschaft der Gläubigen beigetreten?“

„Es ist immer das Beste, man unterscheidet sich nicht zu sehr von allen anderen.“

„Das ist sicher wahr... Dass wir irgendwann zurück nach Xi Xia gelangen werden, halte ich auch für ziemlich ausgeschlossen, obwohl...“ Ein Lächeln huschte über ihr ebenmäßiges Gesicht. „Eigentlich solltest gerade du als jetzt frommer Muslim, doch auf Allahs Gerechtigkeit und Barmherzigkeit vertrauen!“

„Darüber solltest du dich nicht lustig machen, Li. Ich finde mich einfach nur mit den Dingen ab, wie sie sind. Etwas, was dein Vater zwar immer sagt, dass man es tun sollte – es aber selber wohl nicht so richtig fertig bringt.“

„Muss ein Wegweiser falsch sein, nur weil er nicht selbst in die Richtung geht, in die er weist?“, gab Li zurück.

„Nein, gewiss nicht.“

„Weißt du, ich kann es nicht erklären und es ist eigentlich auch mehr ein Gefühl, als ein wirklich vernünftig zu begründender Gedanke – aber ich glaube tatsächlich, dass sich alles sehr schnell für uns ändern könnte. Dies scheint mir nicht der Ort zu sein, an dem wir für länger bleiben werden.“

„Denkst du daran, dass vielleicht die Türken des Kara Khan der Macht unseres Herrschergeschlechts ein Ende bereiten könnten?“

„Zum Beispiel. Die Abgaben werden erhöht, überall redet man vom Krieg und davon, dass von den Schmieden fast nur noch Schwerter hergestellt werden. Gestern hörte ich, dass Pferde nicht mehr zu bezahlen sind, weil sie für die berittenen Truppen des Emir gebraucht werden.“

„Was bedeutet das schon für einfache Leute wie uns?“, gab Gao zurück. „Wir sind Papiermacher. Und solange ein Muslim und kein analphabetischer Christ oder Manichäer der Herr dieses Landes ist, wird Samarkand voller Bücher und gelehrter Schriften sein, die sich auf wundersame Weise vermehren und für die Papier gebraucht wird!“ Er zuckte die Schultern. „Man wird immer unsere Dienste benötigen und uns auf die eine oder andere Art ein Auskommen geben...“

––––––––



Ein paar Tage später wurde Li erneut in den Palast gerufen. Sie sollte sich dort einfinden, nachdem der Muezzin zum Nachmittagsgebet gerufen hatte. Unvorsichtigerweise hatte sie Gao nach langem Drängen davon erzählt, dass sie ein geheimes Wasserzeichen für das Briefpapier von Prinz Ismail gefertigt hatte. Schließlich konnte sie sich darüber mit ihm recht gefahrlos in der Sprache des Han-Volkes unterhalten, ohne befürchten zu müssen, dass irgendwer etwas davon mitbekam. Von der Form des Wasserzeichens hatte sie ihm natürlich nichts verraten, obwohl Gao es gerne gewusst hätte.

„Ich nehme an, der Prinz verlangt nach einer Abwechslung, was das Wasserzeichen für seine Briefe angeht“, glaubte Gao.

„Das nehme ich nicht an“, meinte Li. Sie lächelte. „Ich nehme an, dass die Empfänger seiner Briefe weiblich sind und ich glaube, dass ich für ihn genau das richtige Zeichen gefunden habe, um das Herz der Adressatinnen zu erreichen.“

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Als Li zur angegebenen Zeit im Palast eintraf, wurde sie in einen großen Raum geführt, der von Licht durchflutet wurde, das durch hohe Fenster fiel, die mit Alabaster verhängt waren – denn inzwischen waren die Winde, die durch die Straßen der Stadt pfiffen, sehr kalt.

Auf einem riesigen großen Mamortisch lagen unzählige Papierstücke mit Zeichen.

Vor allem Zahlen waren darauf zu sehen.

Abgesehen von Prinz Ismail befanden ich noch zwei andere Männer im Raum. Der eine war Abu Nasr Mansur, ebenfalls ein Prinz des Herrscherhauses, der mit großem Gefolge vor ein paar Tagen in die Stadt gezogen war. Li hatte den Zug gesehen, als sie gerade bei Kebir dem Schmied gewesen war, um von ihm Draht für weitere Wasserzeichen zu kaufen. Und in diesem Gefolge hatte sie auch den noch sehr knabenhaft wirkenden Mann gesehen. Er war noch so jung, dass sein Bart sehr dünn war, wie es ansonsten nur bei den Männern des Han-Volkes der Fall war. Auffällig war der Prinz vor allem deswegen gewesen, weil er auf einem Trampeltier gesessen und dabei versucht hatte, mit einem Silberstift auf ein Stück Papier zu schreiben, das er auf ein dünnes Stück Holz gespannt hatte.

Nie zuvor hatte Li etwas ähnlich Seltsames gesehen. Ein schönes Schriftbild konnte man auf diese Weise nicht hervorbringen. Selbst der geschickteste Kalligraph hätte das nicht vermocht, aber darauf war es dem Reiter wohl auch gar nicht angekommen.

Prinz Abu Nasr blickte auf und schien etwas überrascht zu sein, als er Li erblickte. Der junge Mann hingegen ließ sich überhaupt nicht in seinem unaufhörlichen Redefluss aufhalten. „Dass die Erde die Gestalt einer Kugel hat, ist uns seit langem bekannt, aber wo genau wir jetzt gerade auf dieser Kugel stehen, das lässt sich nicht so einfach sagen! Aber mit der Methode, die ich mir jetzt überlegt habe, müsste das eigentlich zu berechnen sein! Man müsste bei einer Mondfinsternis an zwei verschiedenen Orten, deren Entfernung man sehr gut vermessen hat, den Zeitpunkt genau bestimmen, wann der Erdschatten eintritt. Und aus dem Unterschied müsste sich der Meridian genau bestimmen lassen, auf dem...“ Er stockte jetzt, als er Li bemerkt hatte. „Wer ist das?“, fragte er – offenbar etwas irritiert über Lis Anwesenheit.

„Das ist Li, die talentierteste unter den Papiermachern von Samarkand“, erklärte Prinz Ismail. „Sie vermag wie niemand sonst die Kunst des Wasserzeichens anzuwenden. Ein Händler verkaufte sie mir und ich bin froh, sie in meiner Stadt zu wissen.“ Prinz Ismail wandte sich nun an Li. „Tritt näher, Papiermacherin. Mein Bruder Prinz Abu Nasr Mansur ist ein Förderer der Zahlenkunst und der Wissenschaft und der junge Mann, der gerade ein Zeugnis seiner Beredsamkeit gegeben hat, ist trotz seiner Jugend bereits unter dem Namen Al-Biruni als gelehrter Sternendeuter über die Grenzen von Mawarannahr und Chorasan bekannt.“

„Kein Wunder!“, meinte Prinz Abu Nasr. „Er schreibt ja auch täglich mehrere Briefe, die an Gelehrte in Bagdad, Isfahan und anderswo gehen, sodass er wahrscheinlich Bekannte in allen Ländern des Kalifen hat!“ Mit sanftem Spott fügte er noch hinzu: „Eines Tages wird man ihn sogar noch in Indien und im Reich der Mitte kennen, wo es ja auch viele Gelehrte geben soll!“

Der junge Mann mit dem dünnen Bart schien ob des Spottes seines Förderers etwas verunsichert zu sein. Und Li begann darüber zu rätseln, weshalb man sie in den Palast gerufen hatte. Ihre Befürchtung, dass es etwas mit dem zu tun haben könnte, das sie Gao über das geheime Wasserzeichen des Prinzen erzählt hatte, schien sich nicht zu erfüllen. Doch warum war sie dann hier? Brauchte vielleicht auch Al-Biruni ein besonderes Wasserzeichen für seine Briefe?

Aber das, was man ihr dann eröffnete, ging weit darüber hinaus.

„Ich möchte mit Hilfe dieses jungen Sternendeuters eine Sternenkarte erstellen“, erklärte nun Prinz Ismail. „Sie soll so groß sein wie ein Wandteppich – aber aus Papier. Die Positionen der Sterne sollen dort in ihren exakten Abständen zueinander markiert sein, aber das Papier soll Wasserzeichen enthalten, die sie zu den bekannten Sternbildern verbinden, sobald von hinten Licht hindurch dringt. Hältst du so etwas für möglich?“

„Es ist sicher möglich, aber es bedarf einer sehr guten Planung“, erklärte Li.

„Dass wir uns nicht missverstehen: Ich möchte einen einzigen Bogen Papier, nicht mit Harz aneinander geklebte Stücke, bei denen die Übergänge immer zu sehen sein werden.“

„Eine schwierige Aufgabe“, sagte Li ausweichend. „Wenn Ihr gestattet, werde ich mich mit meinem Vater darüber beraten, denn er versteht mehr davon, wie ein geeignetes Sieb und ein Schöpfbecken herzustellen wäre, während ich mehr Geschick bei den Wasserzeichen habe...“

„Du und dein Vater, ihr sollt alles bekommen, was nötig ist“, versprach Prinz Ismail. „In meiner Bibliothek gibt es ein Werk, das exakte Zeichnungen aller Sternbilder enthält. Es sollen dir alle Drahtzieher zur Verfügung stehen und Mauerleute, die ein großes Schöpfbecken errichten können. Ich nehme an, dass sich ein Sieb, wie es dafür nötig wäre, nur durch Winden und Flaschenzüge betätigen lässt.“

Li hörte den Worten des Statthalters zu und bemerkte den Ausdruck von Begeisterung in seinem Gesicht, der schon an eine Entrücktheit grenzte. All das, was die Menschen auf den Basaren redeten, was über knappes Metall und gestiegene Preise und einen aufziehenden Krieg erzählt wurde, schien dem Statthalter von Samarkand in diesem Moment nicht weiter zu bekümmern.

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Als Li zur Werkstatt zurückkehrte und ihrem Vater von dem Gespräch am Hof berichtete, schüttelte Meister Wang nur den Kopf. „All das, was der Prinz möchte, ist gewiss mit viel Aufwand machbar. Aber es wundert mich sehr, dass er die Zeit und offenbar auch das nötige Silber hat, um sich um solche Dinge zu kümmern!“

„Nun sein Bruder scheint ein ebenso gelehrsamer Mann zu sein wie er selbst“, gab Li zu bedenken. „Das ist in dieser Familie offenbar tief verwurzelt.“

„Um so schlimmer!“, meine Meister Wang. „Wenn ihm seine Pflichten als Statthalter lästig sind, dann sollte er sie jemand anderem überlassen und sich ganz der Gelehrsamkeit widmen – oder mit aller Kraft seinem Emir dienen!“

„Aber für uns kann es doch nur gut sein, unter einer Herrschaft zu leben, unter der Bücher und Papier in jeder Form einen so hohen Rang haben.“

„Jeder Vorteil kann sich jederzeit in sein Gegenteil verkehren, Li“, murmelte Meister Wang besorgt.

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Tage vergingen, ohne dass Prinz Ismail noch einmal von sich hören ließ. Allerdings wurde jetzt merklich weniger Papier hergestellt – und zwar nicht nur in der Werkstatt von Meister Mohammed. Li bemerkte auch, dass die Papiermacher der anderen Werkstätten jetzt häufig in Gruppen auf den Straßen standen und sich unterhielten. Die Stimmung war gereizt. Sich zu diesen Gruppen von Männern zu gesellen, wäre für Li unschicklich gewesen, aber einiges konnte sie aus den Gesprächen doch aufschnappen. Danach schien der Hof des Statthalters im Augenblick nicht einmal Geld zu haben, um die Lieferanten für Gewürze und Brot zu bezahlen. Ein anderer hatte gehört, dass es bereits Unruhe unter der Stadtwache gäbe, weil deren Verpflegung schlechter geworden sei.

Prinz Abu Nasr Mansur und sein Gefolge zogen schließlich nach mehreren Wochen aus der Stadt. Es gingen Gerüchte um, dass am Abend zuvor ein Bote des Emirs eingetroffen sei, der eine dringende Nachricht überbracht habe.

Sie war auf jeden Fall dringend genug gewesen, dass der Bruder des Stadthalters unverzüglich aufbrach.

Der Winter kam in diesem Jahr sehr früh und versprach ausgesprochen hart zu werden. Die Nächte wurden eisig und Li fror selbst dann, wenn sie all ihre Kleidung übereinander zog, dazu noch ein paar der Lumpen anlegte, die eigentlich hätten zerstampft werden müssen und sich in ihre Decke einrollte.

Selbst auf ihrem Weg aus Xi Xia war ihr nie so kalt gewesen. Gao bekam einen Husten, der jeden Tag schlimmer wurde und ihm die Kraft nahm. Aber das Brennholz für den Ofen war knapp geworden und so brannte das Feuer nicht die ganze Nacht hindurch. Und in der jetzt sehr kalten und zugigen Werkstatt konnte man nicht erwarten, dass sich an Gaos Zustand irgendetwas zum Besseren wandte.

Der Plan einer großen Sternkarte schien von Prinz Ismail nicht mehr verfolgt zu werden. Stattdessen plagten ihn wohl ganz andere Sorgen. In einer dieser eiskalten Nächte wachte Li auf, weil von draußen Lärm zu hören war. Schreie gellten durch die Gassen. Pferde preschten daher und das Geklirr von Waffen war zu hören.

Meister Wang war ebenfalls erwacht, während Gao wohl auf Grund seines Hustens noch gar nicht richtig geschlafen hatte.

Am nächsten Morgen lagen entsetzlich zugerichtete Leichen in den Straßen. Es waren allesamt Angehörige der Stadtwache und Meister Mohammed glaubte zu wissen, dass sie und ihr Kommandant einen Aufstand gegen den Statthalter angezettelt hatten.

Die Leichen wurden mehrere Tage liegen gelassen und nicht einmal die zahlreichen Diebe der Stadt hätten es gewagt, ihnen die Waffen oder Kleidungsstücke wegzunehmen. Immer wieder ritten Krieger des Statthalters durch die Straßen, um zu zeigen, dass jeder Widerstand sinnlos war. Hungrige Ratten hatten die Toten bereits angefressen, als man sie schließlich doch davonschleifte.

Kaum jemand wagte sich überhaupt auf die Straßen. Und in den Häusern und Werkstätten der Papiermacher herrschte zum ersten Mal, seit Li in Samarkand lebte, bei Tageslicht Stille, ohne dass ein Feiertag gewesen wäre, dessen Einhaltung zur Untätigkeit geführt hätte.

„Man scheint unsere Dienste im Moment nicht zu benötigen“, meinte Meister Wang dazu.

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An einem besonders kalten Morgen klopfte es in aller Frühe an der Tür. Bewaffnete Männer standen vor der Tür, als Meister Mohammed ihnen öffnete.

Ihr Anführer war ein korpulenter, gut genährter Mann mit einem mondrunden Gesicht. An seinem Gürtel trug er einen Lederbeutel, wie man es häufig bei den Händlern auf den Basaren sehen konnte. Er selbst war nur mit einem etwas längeren Dolch bewaffnet, wie Li sehen konnte, als er sich seinen Umhang enger um die Schultern zog. Die Männer in seinem Gefolge aber trugen Schwerter.

„Wer seid Ihr und was ist Euer Begehr?“, fragte Meister Mohammed blinzelnd und verschlafen.

„Man nennt mich Firuz und ich bin hier, um drei Papiermacher aus dem Reich der Mitte abzuholen“, erklärte er in einem geschliffenen Persisch, dessen Betonung und Aussprache sich jedoch in mancher Hinsicht von der in Samarkand gesprochenen Sprache deutlich unterschied. Er schien von weit her zu kommen, so war zu vermuten. „Es handelt sich um einen älteren Meister, seinen Lehrling und eine junge Frau, die das Geheimnis des Wasserzeichens kennt. Sie sollen ihre Sachen packen und mit uns kommen.“

„Was hat das zu bedeuten?“, stieß Li hervor, die sich inzwischen von ihrem Lager erhoben hatte.

Firuz sah zu ihr hinüber und musterte sie von oben bis unten. Auch wenn sie jetzt auf Grund der Kälte mehrere Schichten Lumpen übereinander trug und sie darauf geachtet hatte, ihr Haar schicklich zu verbergen, so war doch schon auf Grund ihrer hellen, klaren Stimme sofort zu erkennen, dass sie eine Frau war.

In den Augen des fremden Händlers stand ein Gesichtsausdruck, der ihr nicht behagte. Die Art und Weise, wie er sie ansah, geziemte sich nicht, und dabei machte es auch keinen Unterschied, ob an sich unter Muslimen, Christen oder Manichäern befand.

Firuz nahm ein Dokument hervor, dass hinter einem Gürtel steckte und entrollte es. „Ich habe Euren Schuldbetrag ausgelöst! Man könnte auch sagen, der Statthalter hat euch an mich verkauft!“ Firuz lächelte breit und auf ein Art und Weise, die Li gleich eine tiefe Abneigung empfinden ließ. Er ging durch den Raum und sah sich um. Gao musste husten.

„Wohin werdet Ihr uns bringen?“, fragte Meister Wang an Firuz gerichtet.

Dieser machte eine wegwerfende Geste und befühlte das aufgeschichtete Papier. „Seid nur froh, dass ihr von hier fortkommt! Es scheint nicht zum besten um Samarkand und die anderen Städte von Mawarannahr bestellt zu sein... Der Statthalter braucht dringend Einnahmen, und der Emir versucht eine große Armee aufzustellen, bevor es wieder wärmer wird!Denn wenn der Frühling kommt, wird es Krieg geben, dessen kann man gewiss sein!“ Er betastete eines der unteren Blätter, zog es aus dem Stapel und rieb seinen Daumen darüber. „Gute Qualität...“, lobte er. „So etwas findet man in Bagdad selten...“ Er drehte sich um und sah noch einmal Li an. „Man hat mir gesagt, du seist am geschicktesten, was die Wasserzeichen betrifft.“

„Die Bescheidenheit verbietet es mir darauf zu antworten“, sagte Li.

„Eigentlich dachte ich immer, Frauen sind für andere Dinge geschaffen, als Lumpen zu einem Brei zu zerstampfen und daraus Blätter zum Schreiben zu machen!“ Er lachte auf abstoßende Weise. „Aber es soll mir gleichgültig sein! Deine Arbeit ist gut und man wird daraus viel Silber herausschlagen können! Und nun beeilt euch! Ich will das Tageslicht für die Reise nutzen!“

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Die wenigen Habseligkeiten waren schnell zusammengepackt. Sie verabschiedeten sich kurz von Meister Mohammed. Gao ging es nicht gut. Sein Husten hörte sich immer noch schlimm an, allerdings waren seine Augen nicht mehr so glasig wie es in den letzten Tagen der Fall gewesen war.

„Es soll euer Schaden nicht sein, mit mir zu kommen!“, meinte Firuz etwas später, als sie die Straße entlang gingen, an der die Werkstatt lag.

Eine Karawane von siebzig Kamelen gehörte Firuz, dazu noch ein Dutzend Pferde und ein paar Esel. Der ganze Zug wartete im Innenhof einer Herberge, die sich nur ein paar Straßen weiter befand. Bewaffnete Männer gehörten ebenso dazu wie Frauen und Kinder. Offenbar reiste er mit seiner gesamten Sippe durch die Lande. Die Kamele waren voll beladen mit begehrten Handelswaren, wie sie auf den Basaren von Samarkand den Besitzer wechselten. Ballen aus Seide waren darunter, aber Li bemerkte auch den Geruch von Seife.

Aber anders als es bei den Nomaden üblich war, wurden die Kamele nicht nur als Lasttiere benutzt, sondern auch zum reiten. Es gab in dieser Karawane niemanden, der zu Fuß gehen musste. Offenbar war es Firuz wichtig, eine höhere Geschwindigkeit erreichen zu können. Auch Li wurde auf eines der ihrem Empfinden nach riesigen Tiere gesetzt, das sich dazu niederbeugte. Ein einziger Befehl reichte dazu aus, aber die Zügel überließ man ihr ohnehin nicht. Die wurden am voranlaufenden Tier festgemacht. Bei dem schaukelnden Gang glaubte Li im ersten Moment, dass ihr übel werden müsste. Aber sie konnte sich beherrschen.

Dann ging es mitten durch die Stadt zum Haupttor. Die Wächter ließen sie passieren und es dauerte nicht lange, da waren die Türme und Kuppeln von Samarkand bereits sehr fern. Der Wind wehte den Ruf des Muezzins zu ihnen herüber. Firuz war allerdings offenbar kein so frommer Muslim, dass er deswegen die Karawane angehalten und den Weg um des Gebetes unterbrochen hätte.

Er ritt auf einem gescheckten Pferd an der Spitze der Karawane. Manchmal ließ er sich zurückfallen, um bei den Kamelen nach dem Rechten zu sehen, die in einer langen Reihe geführt wurden. Hin und wieder gab es auch Schwierigkeiten mit einem der törichten Esel.

Am Abend wurden mit wenigen Handgriffen Zelte aufgestellt und Feuer entzündet. Es gab warme Decken aus Kamelhaar, mit denen man sich einrollen konnte. Ein Zelt war für Frauen bestimmt und Li wurde angewiesen, dort zu nächtigen, während Gao und Meister Wang in einem der Männer-Zelte schliefen.

„Wir sollten froh sein, dass man uns nicht einfach auf der Erde schlafen lässt, wie es bei den Uiguren der Fall war!“, raunte Meister Wang seiner Tochter zu. Er hielt sich den Rücken. Der lange Ritt auf dem Kamel schien ihm ziemlich zugesetzt zu haben. „Wir wollen nicht klagen, sondern hoffen, dass uns auch dieser Weg an ein gutes Ende führt!“

Noch fiel es Li schwer daran zu glauben. Aber sie nahm sich vor, ihren Vater für sich als ein Vorbild an Gelassenheit zu nehmen. Ihn schien wirklich nichts aus der Ruhe bringen zu können – was für ein wechselvolles Schicksal ihnen auch zugemutet werden mochte.

Gao hustete und rang nach Luft. Er lief dabei rot an.

„Gao!“, stieß Li hervor, aber er war nicht in der Lage, ihr zu antworten. Meister Wang kümmerte sich um seinen Lehrling, aber es gab wenig, was er für ihn tun konnte. Im Reich der Mitte – und selbst in Xi Xia – hätte es im Umkreis von ein oder zwei Tagesreisen einen Arzt gegeben, der in der Lage gewesen wäre, durch Betrachten von Hand und Augen eine sehr sichere Diagnose zu stellen und eine wirksame Medizin zu mischen. Die Ärzte der Muslime hatten andere Methoden, von denen Li nicht wusste, ob sie wirklich auf dem Wissen um den menschlichen Körper oder mehr auf Aberglauben gründeten. Und so berühmt einzelne Ärzte wie Ibn Sina auch über die Grenzen ihrer Heimat hinaus sein mochten, war es wohl nur in höchster Not ratsam, sich in ihre Obhut zu begeben.

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Die Frauen im Zelt sahen Li misstrauisch an. Sie waren unterschiedlichen Alters und Li war noch nicht ganz klar, in welchem Verhältnis sie jeweils zu den Männern der Karawane standen. Zwei von ihnen hatten kleine Kinder auf dem Arm. Außerdem war da noch ein Mädchen von ungefähr zehn Jahren. Ein Junge, der etwas älter war, schlief bei den Männern.

Den ganzen Weg über hatten sie laut untereinander geredet und sich von einem Kamel zum anderen etwas zugerufen, von dem Li vieles nicht verstanden hatte. Und bevor Li ins Zelt gekommen war, hatte sie ebenfalls lautes Stimmengewirr und schrilles Lachen hören können. Jetzt schwiegen sie und es war ihr klar, dass das nur an ihr lag.

„Mein Name ist Li“, erklärte sie.

„Ich hoffe, du schnarchst nicht“, sagte eine Frau. Sie hatte ihr Kopftuch zurückgeschlagen. Das Haar war kastanienfarben, die Augen sehr dunkel und ihr Blick drückte Stolz und Willensstärke aus. Ihr Blick wirkte falkenhaft. „Mein Name ist Fadia. Weißt du, was das bedeutet?“

„Ich nehme an, es ist ein Wort aus der Sprache des Propheten. Ich habe mich bemüht, einige Worte davon zu lernen, aber dieses kenne ich nicht.“

„Es bedeutet die Ritterin. Und das heißt, dass ich mir nichts gefallen lasse und um das kämpfe, was mir gehört.“

„Ich habe nicht vor dir etwas wegzunehmen, Fadia!“

„Dann hör auf die Sinne meines Mannes Firuz zu verwirren! Ich habe Augen im Kopf und genau gesehen, was sich ankündigt! Ein falscher Blick und ich werde dich so schlimm schlagen, dass es du es nie vergessen wirst, gelbe Frau!“

„Fadia...“

„Es reicht völlig, wenn du mich Herrin nennst!“

Verwechselte Fadia da nicht etwas? Schließlich war es ihr Mann Firuz gewesen, der Li immer wieder auf eine Weise angesehen hatte, die der Papiermacherin die Schamesröte ins Gesicht getrieben hatte. Sie war sich wirklich keiner Schuld bewusst, schließlich war es nun wirklich alles andere als ihre Absicht gewesen, diesen Mann auf sich aufmerksam zu machen. Ganz im Gegenteil! Allein die Vorstellung, dass er in ihre Nähe trat, verursachte ihr Übelkeit. Aber Fadia dies zu sagen schien wenig Sinn zu haben.

„Sei nicht zu streng zu ihr“, meinte eine Frau, die etwa jünger wirkte. Ihre Züge waren weicher, ihr Haar fast so schwarz wie das von Li. Und während der Klang von Fadias Stimme an das Klirren von Schwertern erinnerte und sehr durchdringend und scharf war, klang jene der Jüngeren sehr viel weicher und zurückhaltender. „Ich bin Jarmila“, sagte sie. „Firuz' andere Frau.“

„Sie kann dir sagen, wie hart ich schlagen kann!“, setzte nun Fadia noch hinzu. „Also sei gewarnt, gelbe Frau!“

Fadia hatte so laut und durchdringend gesprochen, dass eines der Kleinkinder aus dem Schlaf geweckt wurde und an zu schreien fing.

„Fadia, musste das denn sein!“, murrte die Mutter und wiegte ihr Kind auf dem Arm.

„Mein Mann gibt deinem das Brot, also beklag dich nicht, Alya“, gab Fadia unfreundlich zurück. Dann kroch sie mit ihrer Decke auf die andere Zeltseite und rollte sich dort ein.

Jedenfalls kenne ich nun den Verlauf der Schlachtlinien in diesem Zelt, dachte Li.

Sie rollte sich ebenfalls in ihre Decke und hörte eine Weile noch dem Gerede der Frauen zu. Alya versuchte, ihr Kind zu beruhigen und wiegte es hin und her.

„Ich kann es kaum erwarten, wenn wir in Jerusalem sind“, sagte Jarmila an Alya gerichtet. „Dann haben wir endlich wieder mehr Platz und leben in einem großen Haus, anstatt in einem Zelt...“

„Hast du eine Ahnung, wie weit es bis dahin noch ist? Wir waren fast mehr als ein Jahr unterwegs und der Kleine hier war noch nicht geboren, als wir aufbrachen...“

„Ja, ich weiß“, lächelte Jarmila. „Aber du kennst Firuz... Wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hat, dann verfolgt er es bis zum Schluss. Und ich glaube, selbst er hat nicht für möglich gehalten, wie tief man nach Indien reisen muss, um die leuchtenden Steine zu bekommen.“

„Ich hoffe, die Steine waren all das Wert, was wir durchgemacht haben!“

„Ganz bestimmt“, versprach Jarmila. Sie beugte sich etwas vor und sprach mit gedämpfter Stimme. „Die Steine, die Firuz bekommen hat, sind mehr Wert als ein ganzer Palast! Sie sollen magische Kräfte haben und Firuz' Onkel kennt Männer, die jeden Preis dafür zahlen würden!“

„Sei still, Jarmila!“, fuhr Fadia dazwischen. „Du redest einfach zu viel!“

„Ach, lass mich doch in Ruhe!“

„Zu viel und zu unbedacht! Wir sind schließlich nicht... unter uns!“

––––––––



Am Morgen standen sie in aller Frühe auf. Fadia war die erste, die sich fertig gemacht hatte. Bevor sie das Zelt verließ, wandte sie sich an Jarmila. „Sieh zu, dass die Gelbe uns nicht aufhält und pünktlich fertig ist!“

„Das wird sie schon.“

„Ich will es hoffen!“

Jarmila seufzte hörbar und verzog das Gesicht zu einer Grimasse, als Fadia das Zelt verlassen hatte.

Li wickelte sich inzwischen aus ihrer Kamelhaardecke heraus. Ihre Haare hatte sie zu einem Zopf geflochten, aber den löste sie nun und versuchte zu verhindern, dass sich verfilzte Stellen und Knötchen bildeten.

„Nimm das hier“, sagte Jarmila und reichte ihr einen Kamm. Li nahm ihn und konnte ihre Überraschung für einen Moment nicht verbergen.

„Danke!“

„Beeil dich. Ich glaube nicht, dass du dir vorstellen kannst, wie weit der Weg ist, den wir noch vor uns haben.“

„Und du schon?“

„Ich bin den ganzen Weg schließlich in umgekehrter Richtung bereits gezogen.“

„So kommt ihr aus Jerusalem?“

Während Li ihr Haar kämmte, nickte Jarmila leicht. „So hast du uns also gestern Abend noch zugehört... Das habe ich mir wohl gedacht.“

„Es war nicht zu überhören, was gesprochen wurde.“

„Nein, wir kommen nicht aus Jerusalem, sondern aus Schiras im Lande Fars. Aber Firuz hatte dort gewisse Schwierigkeiten, weil man ihn beschuldigte, er hätte Seife verkauft, die die Haut rot werden und brennen lässt.“

„Und – hat er das getan?“

„Er hatte die Seife von einem Choresmier erworben, der aber nicht mehr zu fassen war. Jedenfalls mussten wir deshalb fort aus Schiras. Und in Jerusalem lebt ein Onkel von Firaz – eigentlich ein Großonkel. Sein Großvater mütterlicherseits war nämlich ein Araber...“ Sie stockte plötzlich. „Vielleicht hat Fadia recht und ich sollte nicht so viel mit dir reden.“

„Ich will dir nichts Böses“, sagte Li. „Weder dir noch Fadia. Und ich denke schon gar nicht daran, irgendwem etwas wegzunehmen.“

„Dennoch, ich kann dich nur warnen. Allah mag so barmherzig sein, den Männern das Konkubinat zu gestatten – aber für Fadia gilt das nicht.“

„Das habe ich schon gemerkt“, gab Li zurück.

„Und für mich gilt in dieser Hinsicht übrigens dasselbe, auch wenn meine Wahl der Waffen vielleicht etwas anders ausfallen mag, als es bei Fadia der Fall wäre.“ Ihr Tonfall bekam jetzt einen durchaus drohenden Klang.

Li gab ihr den Kamm zurück. „An mir soll es nicht liegen“, sagte sie.


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