Читать книгу Atemlose Spannung für den Urlaub: Vier Krimis: Krimi Quartett - Alfred Bekker, Frank Rehfeld, Karl Plepelits - Страница 16
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ОглавлениеAuf die Insel Fellworn gelangte man über einen Damm. Und auf diesem Damm verlief der Autobahn. Es wurden Kontrollen durch die Landespolizei durchgeführt. Auch wir gerieten in eine solche Kontrolle. Wir zeigten unsrer Dienstausweise und durften daraufhin sofort weiterfahren.
Die Werner Bretzler Halle war die größte Festhalle in Wismar. Als wir dort eintrafen, verstopften zahlreiche Einsatzfahrzeuge die Zufahrt zum Parkplatz. Es war das übliche Theater. Fahrzeuge der Polizei standen neben verschiedenen anderen Fahrzeugen.
“Die Kollegen aus Quardenburg sind offenbar auch schon hier”, meinte Rudi.
“Wildenbacher dürfte noch gar nicht wieder zurückgefahren sein”, warf ich ein.
Rudi zuckte mit den Schultern. “Wie auch immer.”
Wir zeigten einer uniformierten Beamtin unsere ID-Cards vor. “Gehen Sie ruhig weiter”, sagte sie. “Ich habe schon gehört, dass die Ermittlungen vom BKA aus geleitet werden.”
“So etwas scheint sich ja schnell herumzusprechen”, sagte ich.
An der Uniform stand ihr Name. Teresa Lautenbach lautete der. Sie trug ihre Haare zu einem Knoten, der dafür sorgte, dass ihr die Dienstmütze ziemlich tief im Gesicht saß. Sie hob das Kinn. “Ich schätze, der Täter war schon kurz nach dem Attentat auf und davon.”
“Wie kommen Sie darauf?”, fragte ich.
“Es gibt drei direkte Zufahrtswege nach Fellworn”, erklärte sie. “Sie sind wahrscheinlich von Norden her gekommen.”
“Richtig.”
“Es gibt die Autobahn, die in Richtung Sölzen führt und die Bundesautobahn im Süden, die direkt nach Wismar führt. Andere Wege kann man nicht nehmen, dazwischen ist Wasser. Und diese drei Verkehrswege wurden schon kurz nach dem Attentat abgesperrt.”
“Durch Kräfte der Polizei?”
“Genau. Jedes Fahrzeug ist kontrolliert und durchsucht worden. Es wurde nichts Verdächtiges festgestellt.”
“Der Täter könnte seine Waffe zurückgelassen haben.”
“Ich nehme sogar an, dass er das getan hat”, nickte Teresa Lautenbach. “Und was glauben Sie, wonach unsere Leute in den letzten Stunden wie verrückt gesucht haben! Aber Näheres dazu kann Ihnen sicher Hauptkommissar Krähenfelder sagen. Er hat unseren Einsatz hier geleitet. Sie finden ihn wahrscheinlich in der Halle.”
“Danke.”
“Ach ja, noch ein Tipp.”
“Und der wäre?”
“Gehen Sie den Kamerateams aus dem Weg, die hier im Augenblick herumschwirren. Die können ziemlich aufdringlich sein.”
“Wir werden uns Mühe geben”, versprach Rudi.
“Im Augenblick fragen die hier jeden Bewohner und jeden Angestellten in den Hotels, ob sie irgendetwas gesehen oder bemerkt haben und blasen das dann zu irgendeiner halbgaren Story auf, weil sie nichts haben, was auf Fakten beruht.”
Wir begaben uns ins Innere der Festhalle.
Ein paar Kollegen des Erkennungsdienstes waren hier noch zu finden. Im Wesentlichen war der Tatort vermutlich bereits abgespurt worden. Wie angekündigt trafen wir auch Hauptkommissar Krähenfelder dort.
Er unterhielt sich gerade mit einem Kommissar des BKA namens Sven Schmidt. Ich kannte Schmidt flüchtig. Er grüßte uns.
“Es läuft zurzeit eine großangelegte Befragung von Zeugen”, sagte Schmidt. “Wir werden von den Polizeikräften vor Ort dabei unterstützt. Jeder Angestellte, jeder Gast des Charity Diners und auch sonst wer, der möglicherweise irgendwelche Angaben machen könnte, wird eingehend vernommen. Aber das dauert natürlich seine Zeit.”
“Vergessen Sie nicht die Hotels”, sagte ich.
“Keine Sorge. Auch da sind bereits Kollegen im Einsatz.”
“Es könnte sein, dass sich der Täter schon längere Zeit vor der Veranstaltung hier irgendwie eingemietet hat.”
“Wir dachten uns, dass wir ein besonderes Augenmerk auf den Sicherheitsdienst legen sollten, der hier im Einsatz war”, meinte Kommissar Sven Schmidt.
Ich nickte. “Das wäre der nächste Punkt gewesen, den ich angesprochen hätte.”
“Wir haben bereits die Personaldaten der Mitarbeiter. Die Firma war sehr kooperativ.”
“Gut.”
“Sie bekommen natürlich die Daten zugeschickt.”
“Vor allen braucht unser Ermittlungsteam Erkennungsdienst in Quardenburg diese Daten, um sie nach statistischen Auffälligkeiten auszuwerten.”
“Kein Problem.”
“Ich kenne die Firma und ihren Inhaber seit langem”, mischte sich jetzt Hauptkommissar Krähenfelder ein. “Um ehrlich zu sein, empfehle ich sie jedem weiter, der einen entsprechenden Bedarf hat.”
“Dann halten Sie das Unternehmen für zuverlässig?”, fragte ich.
Krähenfelder nickte. “Der Besitzer heißt Calanoglu und ist ein Ex-Kollege. Wir haben etwa zur selben Zeit bei der Polizei angefangen.” Hauptkommissar Krähenfelder zuckte die breiten Schultern. “Calanoglu ist früh ausgestiegen und ich habe es bis zum Hauptkommissar gebracht. In den ersten Jahren dachte ich immer, er hätte einen Fehler gemacht. Inzwischen habe ich manchmal den Eindruck, dass es umgekehrt sein könnte.”
In diesem Augenblick zuckte ein Laserstrahl durch den Raum. Es war dieselbe Art von Laserpointer, wie sie auch bei Zielerfassungsgeräten benutzt wurde. Der Strahl kam von der Balustrade und traf Rudi genau in Brusthöhe.
“Wenn ich die Herrschaften da unten mal bitten dürfte, etwas zur Seite zu treten”, rief unterdessen eine Stimme von der Balustrade herab.
Ich konnte den Sprecher nicht sehen.
Da war nur eine Bewegung hinter dem schweren Vorhang, der die Sicht versperrte. Der Laserpointer strahlte durch einen Spalt dazwischen. “Also bitte! Ich weiß, dass man mein gepflegtes Deutsch in diesem Land, das durch die gemeinsame Sprache von meinem getrennt zu sein scheint, nicht immer so versteht, wie es wünschenswert wäre! Aber die geneigten Herrschaften würden mir wirklich sehr helfen, wenn Sie zur Seite träten!”
“Förnheim”, murmelte Rudi. “Ich dachte schon, Sie wollten mich erschießen!”, fügte mein Kollege noch laut genug hinzu, dass der hamburgisch-stämmige Forensiker aus unserem Ermittlungsteam Erkennungsdienst es eigentlich verstehen musste. Zumindest akustisch.
“Wenn Sie nicht sofort zur Seite treten, überlege ich mir das noch!”, rief Förnheim. “Irgendein Kollege hier im Raum wird sicher so freundlich sein, mir dafür seine Dienstwaffe zu leihen. Schließlich geht es um den zügigen Fortgang der Ermittlungen!”
Rudi trat augenblicklich zur Seite. Alle anderen aus der Gruppe folgten seinem Beispiel.
“Und wenn Sie sich jetzt noch bitte auf die Bühne hinter Ihnen an Tisch Nummer vier von rechts setzen könnten, Rudi!”, rief Förnheim. “Sie würden damit meinen Ermittlungen sehr helfen.”
“Wenn es der Verbrechensaufklärung dient…”, meinte Rudi, schwang sich auf die ungefähr einen Meter erhöhte Bühne und setzte sich an den Platz, den Förnheim ihm zugewiesen hatte. Markierungen zeigten an, wo der MdB zu Boden gegangen war. Dunkle Flecken von getrocknetem Blut waren deutlich sichtbar.
“Keine Sorge, dass ist alles abgespurt”, versicherte Hauptkommissar Krähenfelder. “Und davon abgesehen können wir ja wohl davon ausgehen, dass Ihr Forensiker aus Quardenburg genau weiß, was er tut.”
“Ich habe volles Vertrauen in ihn”, meinte ich.
Inzwischen war ein roter Laserpunkt exakt in der Mitte von Rudis Stirn zu sehen. “Vermeiden Sie es im eigenen Interesse, direkt in den Laser hineinzusehen”, rief Förnheim.
“Ich nehme an, ich sitze jetzt genau dort, wo sich MdB Johannes Moldenburg aufhielt, als das Attentat geschah”, meinte Rudi.”
“So ist es!”, bestätigte Förnheim. “Harren Sie bitte ein paar Augenblicke genau so aus und bewegen Sie sich möglichst wenig. Ich bin mit meinen Messungen gleich soweit.”
In diesem Augenblick betrat Dr. Gerold M. Wildenbacher den Raum. Ich hatte erwartet, dass er früher oder später hier auftauchte. Dass er Wismar seit dem Attentat gar nicht erst verlassen hatte, war mir ja schließlich bekannt.
“Soll ich mich vielleicht dazusetzen?”, rief er dröhnend.
“Tun Sie das, Gerold. Dann machen Sie sich hier jedenfalls etwas nützlich und stehen unseren Kollegen nicht unnötig im Weg.”
Wildenbacher nickte Krähenfelder und mir kurz zu. “Dann gibt es ja tatsächlich mal etwas, womit ich unserem Kollegen aus dem Heimatland der Teebeutel und des spitzen Steins eine Freude machen kann”, meinte Wildenbacher und setzte sich an den Platz, auf dem er auch an dem Abend des Attentats gesessen hatte.
Der Laserstrahl bewegte sich etwas. Er schwenkte seitwärts und traf jetzt Wildenbacher in Brusthöhe.
“Ich hoffe, Sie warten jetzt nicht, dass Rudi sich auf den Boden wirft, und ich mich um ihn kümmern muss!”, meinte Wildenbacher.
“Keine Sorge, davon gibt es eine ganze Menge aufgezeichnetes Video-Material!”, rief Förnheim. “Die Veranstaltung war ja bestens dokumentiert.”
Wildenbacher wandte sich unterdessen an Rudi. “Ich habe kurz dieses Flimmern gesehen, dann ist es passiert”, berichtete er. “Einer der Leibwächter hat sich auf den MdB gestürzt und selbst noch etwas abgekriegt. Ich habe mit ihm gesprochen.”
“Das werden wir auch noch müssen”, sagte Rudi.
“Das ging alles so schnell”, sagte Wildenbacher. “Und so sehr ich mich auch bemüht habe, das Leben des MdBs zu retten, weiß ich nicht, ob mir das am Ende gelungen sein wird. Er liegt im Koma und sein Zustand ist alles andere als gut. Der behandelnde Arzt ist ein Studienkollege von mir. Ich habe mit ihm von Arzt zu Arzt geredet, wenn Sie verstehen, was ich meine, Rudi.”
“Ich denke schon.”
Auf Wildenbachers Stirn bildete sich eine tiefe Furche. Seine Bedenken, was den Gesundheitszustand des MdBs anging, standen ihm ins Gesicht geschrieben. “Sein Zustand ist wirklich sehr ernst und ich fürchte, die Chancen stehen achtzig zu zwanzig gegen den MdB.” Wildenbacher atmete tief durch und fuhr dann fort: “Ich wusste schon immer, dass mein Talent mehr bei der Behandlung von Toten als von Lebenden liegt!”
“Okay, ich bin fertig!”, rief jetzt Förnheim. Der Laser wurde abgeschaltet. Er zog den Vorhang zur Seite, sodass man ihn auf der Balustrade sehen konnte. Förnheim ließ den Blick schweifen. “Gute Akustik hier.”
“Ja, man versteht Sie ohne Mikro!”, rief Wildenbacher.
“Das ist immer in erster Linie eine Frage der deutlichen Aussprache, verehrter Kollege!”, erwiderte Förnheim. “Aber davon weiß man in Bayern sicherlich nichts.”
“Das habe ich jetzt nicht verstanden! Muss an Ihrer Aussprache liegen!”, gab Wildenbacher zurück.
Wenig später hatte Förnheim die Balustrade verlassen und kam durch den Saal. Über seiner Schulter hing eine Tasche, in der sich vermutlich ein paar Utensilien befanden, die er für seine Untersuchungen brauchte. Rudi war inzwischen wieder vom Platz des MdBs aufgestanden, während Wildenbacher sitzen blieb und sehr nachdenklich wirkte. Mich wunderte das nicht. Wildenbacher galt zwar als jemand, unter dessen knochenharter Schale sich das Gemüt eines Schlachters verbarg, aber das war vielleicht nicht die ganze Wahrheit. Die Tatsache, dass direkt neben ihm jemand Ziel eines Attentats geworden war, konnte wohl auch an ihm nicht spurlos vorbei gegangen sein, auch wenn er vielleicht nach außen hin den Eindruck zu erwecken versuchte.
“Gibt es irgendwelche neuen Erkenntnisse, die Sie uns mitteilen können?”, fragte Wildenbacher.
“Ich wusste gar nicht, dass Sie als Gerichtsmediziner in diesem Fall zurzeit überhaupt involviert sind”, gab Förnheim zurück. “Soweit mir bekannt, gibt es bis jetzt nur mehr oder weniger schwer Verletzte, aber keinen Toten, den Sie sezieren könnten, abgesehen von dem Wachmann. Und wir wollen doch beide hoffen, dass das auch so bleibt, oder?”
“Wenn Sie mir auf Ihre gedrechselte Art sagen wollen, dass Sie nichts herausgefunden haben, ist das auch in Ordnung”, gab Wildenbacher zurück.
Förnheim runzelte die Stirn und wandte sich an mich. “Es ist noch ein bisschen zu früh, um darüber zu reden, und über ungelegte Eier…”
“Tun Sie es trotzdem”, unterbrach ich ihn.
Förnheim hob kurz die Schultern. “Irgendetwas passt hier nicht zusammen.”
“Was meinen Sie damit?”
“Kann ich Ihnen noch nicht sagen. Es betrifft die Schussbahn, die Position des MdBs… Naja, ich habe mehrere Video-Aufzeichnungen aus unterschiedlichen Perspektiven des Vorfalls gesehen und mir ist schon klar, dass das Ganze eine sehr chaotische Situation war.”
“Sie meinen wahrscheinlich das Eingreifen des Leibwächters.”
“Ja, das vor allem. Dadurch ist das entstanden, was man eine hochkomplexe Ereigniskette nennen könnte. Sehen Sie, der Schütze hat gezielt, aber offenbar wurde der Laserstrahl bemerkt und der Leibwächter konnte rechtzeitig eingreifen. Allerdings ist da ein Faktor, der mich etwas irritiert.”
“Und der wäre?”
“Also gehen wir mal davon aus, der Attentäter ist ein Profi und hat eine militärische Ausbildung genossen. Bei einem islamistischen Terroristen wäre das nicht ungewöhnlich. Manche nutzen den Dienst in einer Armee gezielt dafür aus, um entsprechende Kenntnisse zu erwerben…”
“Ja, und?”, fragte ich.
“Der Killer müsste doch gewusst haben, dass man die Laserzielerfassung erst im letzten Moment vor dem Schuss einschalten darf, weil sonst vielleicht bemerkt wird. Wenn man unter den gegebenen Verhältnissen nicht sogar besser darauf verzichtet! Aber um das zu beurteilen, müsste ich mir noch einmal genau die Lichtverhältnisse in den Video-Aufzeichnungen ansehen.”
“Jetzt schwurbeln Sie nicht so herum”, meinte Wildenbacher. “Worauf wollen Sie hinaus?”
“Also zurzeit gehe ich davon aus, dass der Täter schlecht gezielt hat. Und das, obwohl er ein High-Tech-Equipment zur Verfügung hatte! Und im Augenblick denke ich über die möglichen Gründe dafür nach.”
“Er wurde gestört”, gab ich zu bedenken. “Darum wurde der Wachmann erschossen!”
“Das ist zwar bis jetzt nur eine Hypothese, aber in der Tat eine, für die sehr vieles spricht”, nickte Förnheim. “Es gibt noch zwei weitere Möglichkeiten, die in Frage kämen.”
“Und die wären?”, hakte ich nach.
“Er könnte einfach ein schlechter Schütze gewesen sein. Ein Amateur mit der Ausrüstung eines Profis - aber eben doch ein Amateur.”
“Glaubenskriegern und anderen Extremisten kommt es meistens in erster Linie auf die richtige Gesinnung und den nötigen Fanatismus an”, meinte ich. “Nicht auf militärische Präzision.”
“In so fern würde das zum Profil der mutmaßlichen Tätergruppe passen”, meinte Rudi.
“Sie erwähnten noch eine weitere Möglichkeit”, wandte ich mich an Förnheim. Der Forensiker kratzte sich am Kinn. “Naja, vielleicht war das auch keine, die man ernstnehmen sollte und es bleibt bei denen, die ich aufgezählt habe… Im Moment warte ich sowieso dringend auf die Ergebnisse des ballistischen Tests.”
“Wer macht den?”, fragte ich.
“Ein hinlänglich versierter Kollege.” Förnheim seufzte. “Und alles kann man ja schließlich nicht selber machen.”
In diesem Augenblick klingelte Förnheims Handy. Er langte in die Innentasche seines Jacketts und holte sein Smartphone hervor, um das Gespräch anzunehmen.
“Es freut mich überaus, endlich von Ihnen zu hören, Kollege”, sagte er. Wildenbacher verdrehte die Augen, was sicherlich an dem überdeutlich hervortretenden hamburgischen Akzent lag. Ich hingegen hegte die begründete Hoffnung, dass es sich bei der Person am anderen Ende der Verbindung um niemand anderen handelte, als den Kollegen, der die ballistischen Tests durchgeführt hatte.
Förnheim verstummte plötzlich.
Er schien ausgesprochen angestrengt zuzuhören. Eine sehr energisch wirkende Falte bildete sich dabei in der Mitte seiner Stirn und zog sich von der Nasenwurzel bis zum Haaransatz. “Okay, dann weiß ich Bescheid”, sagte Förnheim schließlich.
“Gibt es Neuigkeiten?”, fragte Wildenbacher.
“Ich bin sehr froh, dass Sie bei dem Attentat nicht getroffen wurden, Gerold. Ihre intelligenten Fragen würde ich nämlich sehr vermissen.”
“Ich vermisse im Moment eine Antwort!”
Förnheim hob die Augenbrauen. “Das Ergebnis der ballistischen Vergleichstests ist da. Die Waffe, die der Täter benutzt hat, wurde bereits einmal verwendet. Und zwar bei dem Mordanschlag auf einen gewissen Franz Lutterbeck.”
“Wann war das?”, fragte ich.
“Vor zwei Monaten”, antwortete jetzt Wildenbacher anstelle von Förnheim. “Ich war auf der Beerdigung. Franz Lutterbeck stammte wie ich aus Antonsburg, Bayern. Wir sind auf dieselbe Gesamtschule gegangen und hatten auch später noch immer wieder mal miteinander zu tun, als Franz als Staatsanwalt tätig war.”
“Interessant, dass ein guter Bekannter von Ihnen offenbar in diesen Fall verwickelt ist”, sagte Förnheim.
“Ich hatte mit der Morduntersuchung im Fall Lutterbeck nichts zu tun”, sagte Wildenbacher.
“Was sicher auch besser so gewesen ist”, gab Förnheim zurück. “Sie wären schließlich befangen gewesen.”
Ich wandte mich an Wildenbacher. “Ein MdB wird in Ihrer unmittelbaren Nähe mit derselben Waffe erschossen wie ein alter Schulfreund von Ihnen”, stellte ich fest. “Ich hoffe nicht, dass Sie auch auf der Todesliste des Täters stehen.”
“Da bin ich mir ganz sicher”, sagte Wildenbacher. “Es gibt tatsächlich eine sehr plausible Verbindung zwischen beiden Opfern.”
“Und die wäre?”, hakte ich nach.
“Meinen Sie Lutterbecks rechtliche Einschätzung zur Gefahr durch islamistischen Terror in der Enquéte-Kommission des Bundestages und MdBs Moldenburgs militantes Eintreten für die Verschärfung der Anti-Terror-Gesetze?” warf Förnheim ein.
“Sie sprechen da ein paar wichtige Dinge an”, bestätigte Wildenbacher. “Genau darauf wollte ich hinaus.”
“Es wäre nett, wenn Sie beide uns vielleicht einweihen könnten”, verlangte Rudi. “Welche Enquete-Kommission? Und was hat das mit unserem Fall zu tun?”
“Ich schlage vor, Sie übernehmen das, Gerold”, schlug Förnheim an Wildenbacher gerichtet vor. “Schließlich scheinen Sie ja einiges mehr über Lutterbeck zu wissen als die wenigen Informationsschnipsel, die man mir gerade am Telefon mitgeteilt hat.”
Wildenbacher nickte. “Mein Freund Franz Lutterbeck war ein brillanter Jurist mit einer Bilderbuch-Karriere”, sagte der Pathologe aus Quardenburg. “Im Vorfeld verschiedener Geheimoperationen der Kommando Spezialkräfte der Bundeswehr, die letztendlich zur Tötung einiger Terroristen geführt hat, hat die Bundesregierung sich durch eine Kommission hochrangiger Juristen beraten lassen, in wie fern eine derartige Operation gegen Terroristen im Ausland durch deutsches Recht gedeckt ist. Man wollte verhindern, dass möglicherweise irgendwann Angehörige oder Nachfahren vor Gerichten einzelne Mitglieder der Regierung verklagen.”
“Wie ich annehme hat Lutterbeck der Regierung juristisch grünes Licht gegeben”, sagte ich.
“So kann man das nicht sagen”, meinte Wildenbacher. “Es ist vielmehr so, dass diese Kommission aus Spitzenjuristen für die Regierung eine Art rechtlichen Rahmen erstellt hat, innerhalb dessen sie handeln konnte und dabei durch die Expertise der Kommissionsmitglieder juristisch einigermaßen abgesichert war.”
“Aber ein Terrorist, der sich als islamistischer Glaubenskrieger versteht, könnte in jemandem wie Lutterbeck natürlich ebenso ein Feindbild erkennen wie in MdB Moldenburg mit seinem Eintreten für schärfere Gesetze”, stellte Rudi fest.
“Das bedeutet, dass sich der Verdacht damit erhärtet hat, dass tatsächlich Terroristen für den Anschlag auf den MdB verantwortlich sind”, meinte Förnheim.
“Fehlt nur noch eine Bekennerbotschaft”, erklärte ich.
Wildenbacher machte eine wegwerfende Handbewegung. “Ich wette, die wird nicht lange auf sich warten lassen”, glaubte er. “Harry, da ist noch was anderes.”
“Was?”, fragte ich.
“Es ärgert mich ungemein, dass man mich in diesem Fall bislang nichts tun lässt, weil man mich anscheinend als irgendwie betroffen ansieht.”
“Sind Sie das denn nicht?”, fragte ich zurück.
“Ach, Harry! Nur weil ich neben einem MdB gesessen habe, auf den geschossen wurde, muss man mich doch nicht wie ein rohes Ei behandeln! Ich bin arbeitsfähig, in keiner Weise in den Fall involviert, der mich voreingenommen oder befangen erscheinen lassen könnte und trotzdem lässt man die Obduktion des toten Wachmanns jemand anderen durchführen.”
“Dieser andere ist auch ein renommierter Kollege”, gab Förnheim zu bedenken. “Das sollte man nicht unerwähnt lassen, Gerold. Und so sehr Sie alle Welt als Papst der Pathologie schätzen mag: Leichen aufschlitzen und in den Gedärmen herumwühlen können auch andere. Mag es Ihnen auch noch so schwer vorstellbar erscheinen!”
“Es ist nicht so, dass ich nicht noch genug Leichen in Quardenburg auf dem Tisch des Hauses liegen hätte”, meinte Wildenbacher, der Förnheims Bemerkung anscheinend gar nicht weiter zur Kenntnis nahm, sondern stattdessen die Unterhaltung mit mir fortsetzte. “Trotzdem werden Sie verstehen, dass mich dieser Fall nicht loslässt.”
“Natürlich”, sagte ich.
“Sie sollten vielleicht mal mit MdB Moldenburgs Frau sprechen”, meinte Wildenbacher. “Sie war nicht an dem Abend anwesend, weil die Tochter der Moldenburgs an dem Abend eine Schulaufführung hatte.”
“Hat Ihnen das der MdB erzählt?”
“Er saß ja neben mir”, sagte Wildenbacher. “Und er hat ein ziemlich mitteilsames Wesen, wenn Sie verstehen, was ich meine.”
Ich verstand das sehr gut. Bei Wildenbacher war das die Umschreibung für einen Dauerredner.
“Ich nehme an, Frau Moldenburg ist jetzt in Berlin, wo ihr Mann behandelt wird”, meinte ich.
“Ja, aber ich habe mit ihr inzwischen zweimal telefoniert. Das erste Mal, als ich sie darüber informiert habe, was passiert ist. Und das zweite Mal heute Morgen. Ich wollte nämlich Näheres wissen. Und offenbar ist es so, dass die Moldenburgs in letzter Zeit Drohungen erhalten haben, die explizit Bezug auf Moldenburgs politische Positionen nahmen.”
“Ich nehme an, die Behörden wissen davon.”
“Nein, anscheinend wusste nur Moldenburgs engere Umgebung darüber Bescheid, Harry.”
“Wieso das denn?”, mischte sich Rudi ein. “Normalerweise wird doch gleich Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, wenn ein MdB von Terroristen bedroht wird.”
“Genau”, nickte Wildenbacher. “Und genau das wollte Moldenburg offenbar verhindern. Seine persönlichen Sicherheitsleute waren gewarnt, aber er wollte auf gar keinen Fall, dass davon etwas in die Öffentlichkeit dringt oder er sich vor lauter Sicherheitsmaßnahmen gar nicht mehr frei bewegen kann. Möglicherweise hätte dann dieses Charity-Essen hier in Wismar gar nicht stattgefunden…”
“...sondern an einem Ort, der sich besser sichern lässt”, vollendete ich.
“Frau Moldenburg hat mir gesagt, dass ihr Mann in der Öffentlichkeit als kraftvoll und durchsetzungsstark dastehen wollte - nicht als jemand, der sich vor irgendwem verstecken muss. ‘Ein paar Spinner, die fiese Mails schreiben, gibt es immer’, hätte er gesagt. Das müsste man nicht ernst nehmen.”
“Nur dass einer von denen in diesem Fall tatsächlich seinen Plan in die Tat umgesetzt hat”, meinte Rudi.
“Wann fahren Sie zurück nach Quardenburg?”, fragte ich Wildenbacher.
Der Pathologe zuckte mit den Schultern. “Keine Ahnung. Ich dachte, ich verfolge erstmal, was hier am Tatort noch sonst ans Tageslicht kommt.”