Читать книгу Die besten 12 Strand Krimis im September 2021 - Alfred Bekker - Страница 67
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ОглавлениеNoch im Halbschlaf spürte Roberto, wie sich jemand an ihm zu schaffen machte. Er bäumte sich auf, doch sofort presste sich eine schwielige Hand auf seinen Mund und drückte ihn auf das Feldbett zurück. Die düstere Funzel, die vorher gebrannt hatte, war gelöscht worden, sodass er nichts sah.
„Wer sind Sie?“, stöhnte Roberto.
„Ruhig. Jetzt ist keine Zeit für lange Erklärungen“, zischte eine Stimme in hartem Englisch.
Der andere nahm die Hand von Robertos Mund und betastete ihn, bis er die Fesseln fand. Es gab einen Ruck, und Robertos Hände waren frei.
„Hören Sie mir gut zu“, flüsterte wieder die Stimme in dem schwer verständlichen Englisch. „Sie werden jetzt das Haus verlassen. Wenn Sie sich lautlos bewegen, wird es gehen. Die anderen schlafen alle. Außer Ihnen und Ihren Bewachern ist niemand im Hotel. Sie verlassen das Haus durch den Seiteneingang. Ich habe die Tür geöffnet.“
„Woher wissen Sie, dass ich hier bin, und weshalb tun Sie das? Wer sind Sie überhaupt?“
Ein leises Lachen ertönte. „Auch das will ich Ihnen sagen. Mich schickt Nadir, der Kurdenhäuptling. Er will, dass Sie befreit werden von diesen Amerikanern. Aber sobald Sie dieses Haus verlassen haben, wird er Sie jagen und töten. Er hat Ihnen Blutrache geschworen, und er wird sie erfüllen. Seine Ehre lässt es jedoch nicht zu, Sie zu töten, solange Sie in der Gefangenschaft dieser Leute sind. Also sollte ich Sie befreien. Aber ab jetzt nehmen Sie sich in Acht. Sie haben noch eine kurze Gnadenfrist, aber Sie werden wenigstens wie ein Mann sterben.“
„Sind Sie Kurde?“, fragte Roberto.
„Ja.“
„Wie hat man uns so schnell gefunden?“
„Wir sind viele, und wir haben überall unsere Augen und Ohren. Die Amerikaner waren nicht zu übersehen.“
„Aber Nadir kann uns doch nicht überholt haben. Das ist völlig unmöglich.“
Wieder lachte der Kurde. „Es gibt nicht nur in Amerika Telefone. Zwar machen meine Landsleute in den Bergen manchmal den Eindruck, als befänden sie sich noch im vorigen Jahrhundert, aber das täuscht. Das alles hat seinen Grund. Wir können uns sehr wohl aller modernen Techniken bedienen. Vergessen Sie das nicht. Und jetzt gehen Sie. Je eher Sie das Haus verlassen, desto größer wird Ihr Vorsprung sein.“
Roberto erhob sich von seinem Feldbett. Das also war die Chance, die er erhofft hatte! Man befreite ihn, um ihn anschließend umzubringen. Aber immerhin, seine Fesseln war er los.
Der Kurde war in die Zimmerecke zurückgewichen. „Kommen Sie mir nicht zu nahe und versuchen Sie keinen Trick. Man hat mich vor Ihnen gewarnt. Ich bin als Geisel nicht zu gebrauchen. Außerdem habe ich keine Waffen bei mir, die Ihnen nützen könnten. Nur das winzige Messer, mit dem ich Sie befreit habe.“
„Schon gut“, sagte Roberto und ging zur Tür.
In diesem Augenblick hörte er ein Geräusch von draußen. Dann ertönte ein Ausruf des Erstaunens, und die Tür wurde aufgerissen. „Welcher Idiot hat die Tür offen ...“ Pezarro unterbrach sich in seinem Selbstgespräch und reagierte blitzschnell.
Vom Gang her fiel genügend Licht in den Raum, um ihm die Einzelheiten zu zeigen. Er riss seine Pistole heraus.
Roberto sprang ihn aus dem Stand an. Pezarro wankte und feuerte an ihm vorbei. Ein dumpfes Stöhnen ertönte, und Roberto sah aus den Augenwinkeln, wie sein unbekannter Befreier die Hände vor der Brust verkrampfte und langsam an der Wand zusammensank. Der Mann war in die typische kurdische Tracht gekleidet. Auf seiner hellen Bluse breitete sich ein dunkler Fleck aus.
Pezarro fluchte unterdrückt und versuchte, sich aus der eisernen Umklammerung zu befreien. Roberto schmetterte die Schusshand des anderen mehrmals gegen die Türfüllung, bis die Pistole aus den Fingern glitt. Er musste sich beeilen, in wenigen Sekunden mussten die anderen hier sein. Der Schuss hatte mit Sicherheit das ganze Haus alarmiert.
Mit einer letzten Anstrengung setzte er einen Judohebel an, und Pezarro ging zu Boden. Roberto verpasste ihm einen Handkantenschlag und der Gangster kippte seufzend zur Seite. Dann hob Tardelli die Pistole auf und rannte durch den Gang.
Ismet Erim kam ihm entgegen, ebenfalls eine Waffe in der Hand. Sie schossen gleichzeitig, aber Roberto hatte die besseren Nerven und die geübtere Hand. Er traf den Türken in den rechten Oberarm, die Wucht des Geschosses riss den Getroffenen herum und schleuderte ihn gegen die Wand. Der Revolver polterte zu Boden.
Roberto setzte mit einem Sprung über den Türken hinweg und rannte die Treppe hinunter. Der Seiteneingang war tatsächlich geöffnet. Roberto schob die Pistole in die Tasche und war auf der Straße in einer trügerischen Sicherheit.
Roberto sah sich um. Fast erwartete er, dass aus irgendeiner dunklen Ecke der tödliche Schuss kam, aber nichts geschah. Kein Mensch war zu sehen. Er war allein. Immerhin hatte er eine Waffe und das bisschen was er am Körper trug. Die Gangster hatten ihm seine persönlichen Sachen nicht abgenommen, sodass Roberto auch noch sein Geld besaß. Das eröffnete ihm doch noch einige Möglichkeiten. Zunächst musste er weiter nach Westen. Nach Ankara, der Hauptstadt. Von dort konnte er mit dem Flugzeug weiter.
Das dringendste Problem war allerdings, aus der Stadt zu kommen. Mitten in der Nacht war das wohl aussichtslos. Er sah auf seine Uhr. In etwa einer Stunde würde die Sonne aufgehen. Bis dahin musste er sich irgendwo verstecken. Er hastete im Schatten der Häuser entlang, ohne zu wissen, in welche Richtung er sich bewegte.
Er kam an einen Platz, von dem mehrere Straßen aus weiterführten. Ein Auto mit abgeblendeten Scheinwerfern kam ihm langsam entgegen. Polizei! Er drückte sich in einen Hauseingang, bis der Wagen vorbei war. Wie sollte er den Polizisten erklären, wer er war? Sie würden ihn nur einsperren, und es war sehr fraglich, wie lange es dauerte, bis er aus einem türkischen Gefängnis wieder herauskam. Außerdem war er auch dort vor der Rache der Kurden nicht sicher.
Schnell überquerte er den Platz. Auf der anderen Seite begann eine Grünanlage, die sich bis zu einem alten Gemäuer hinzog. Er schob sich unter eine Gruppe von Büschen und beschloss, das Tageslicht abzuwarten.