Читать книгу Killer kommen nicht so leicht davon: 7 Strand Krimis - Alfred Bekker - Страница 26

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Taliferro bemerkte, dass der Typ bereits seit zehn oder zwanzig Minuten hinter ihm herschlich. Nicht gerade unauffällig. Eher provozierend. So, als legte der Bursche es direkt darauf an, gesehen zu werden.

Gemütlich wanderte Taliferro die achte Avenue hinauf, wechselte flachsige Worte mit den Girls, die an den Bordsteinkanten flanierten. An der Ecke West 42nd Street blieb er vor dem vergitterten Eingang eines Spirituosenladens stehen, lehnte sich gelangweilt an den Eingangspfeiler und sah sich um — wie einer, dem die Nacht noch zu jung war, um sie im Bett hinter sich zu bringen.

Der Typ schlurfte näher, zögerte, versenkte die Hände in die Taschen seiner Jeans und wandte sich dem hell erleuchteten Schaufenster eines Stereo-Ramschladens zu.

Taliferro klemmte sich eine Zigarette in den Mundwinkel und betrachtete den Burschen über das aufflammende Zündholz hinweg. Schwarze Lederjacke, weißes T-Shirt darunter, schwarzer naturkrauser Wuschelkopf, gebräunte Gesichtshaut, mittelgroß, breitschultrig.

Der Lieutenant konnte sich nicht erinnern, den Mann jemals zuvor in seinem Revier gesehen zu haben. Und sein Verhalten war vor allem deshalb auffällig, weil kaum noch Leute zu Fuß unterwegs waren.

Taliferro gab sich einen Ruck und schlenderte grinsend auf ihn zu.

Wuschelkopf reagierte anders als erwartet. Kein Zögern, keine Unsicherheit mehr. Es schien fast, als ob er froh war, dass ihm die Initiative abgenommen wurde. Seine dunklen Augen prüften den Lieutenant von der Anti-Crime-Unit, als dieser sich neben ihm aufbaute.

Scheinbar interessiert betrachtete Taliferro das wenig dekorativ angehäufte Sortiment von Plattenspielern, Verstärkern und Lautsprecherboxen. Er redete gegen die vergitterte Schaufensterscheibe.

»Was Besonderes im Sinn, Partner?«

»Du bist Taliferro, hm?«

»Hm.«

»Frank Taliferro?«

»Exakt. Und weiter?«

Der andere grinste bis zu den Ohrläppchen.

»Hab’ gehört, dass du ’ne besondere Ader für interessante Geschäfte hast.« Er sprach mit einem harten, rollenden Akzent. Dass Spanisch seine Muttersprache war, ließ sich leicht heraushören.

Taliferro kniff die Augen zusammen, blinzelte.

»Okay. Du hast also deine Lauscher gespitzt. Hier in der Gegend. Willst du weiter den großen Unbekannten mimen?«

»Nimm mal an, ich bin so was wie ’n Vermittler«, antwortete Wuschelkopf. »Namen sind… äh…«

»Schall und Rauch«, half ihm Taliferro auf die Sprünge. Äußerlich spielte er den Desinteressierten, den Gelassenen, für den es nichts mehr gab, was ihn noch vom Stuhl reißen konnte. Innerlich spürte er, wie sich seine Nerven anspannten. Vielleicht hatte er es mit einem glücklichen Zufall zu tun. Wenn ja, war es ein Ergebnis seiner Großspurigkeit, mit der er in den letzten Wochen in den finsteren Winkeln der Midtown von sich reden gemacht hatte.

»Richtig, Schall und Rauch«, brummte Wuschelkopf. »Ich will es kurz machen, Hombre: Es gibt gute Geschäfte, und es gibt bessere Geschäfte. Kommst du da mit?«

»Fällt mir nicht schwer«, nickte Taliferro.

»Bueno. Du bist einer, der schnell nach oben will. Richtig?«

»So kann man’s ausdrücken.«

»Prächtig. Dann weißt du bestimmt auch, dass man schneller ’raufkommt, wenn man nicht immer auf derselben Hochzeit tanzt.«

Taliferro inhalierte einen letzten Zug, ließ die Kippe fallen und zermalmte sie mit der Schuhsohle.

»Scheint so, als ob ich’s mit dem großen Durchblicker zu tun habe. Was hast du auf der Pfanne, Partner? Wenn du’s gleich ausspuckst, sparst du dir viele schöne Worte.«

»Also Interesse?«

»Hm.«

Wuschelkopf nickte zufrieden.

»Hab’s nicht anders erwartet. Pass auf, Hombre. Ich gehe jetzt zu der Telefonzelle da vorn.« Er deutete mit einer knappen Kopfbewegung zur Straßenecke. »Du marschierst an mir vorbei. Wenn ich dir ’n Zeichen gebe, läuft die Sache. Dann gehst du ins Hotel Roxy an der Zweiundvierzigsten, Ecke Neunte. Zimmer Zwei — Eins — Eins.« Taliferro runzelte die Stirn.

»Und da werde ich auseinandergenommen?«

»Unsinn, Hombre. Du bist doch nicht von gestern, oder? Ich denke, du weißt, was läuft. Also weißt du auch, womit du rechnen kannst und womit nicht.«

»Hm.« Taliferro wiegte den Kopf auf den Schultern.

»Einverstanden also?«

»Hm… Okay.«

Wuschelkopf grinste erleichtert, klopfte ihm auf die Schulter und setzte sich in Marsch.

Frank Taliferro beobachtete ihn aus den Augenwinkeln heraus, wie er die Telefonzelle betrat, den Hörer ausklinkte und Münzen in den Automatenschlitz stopfte.

Als Taliferro kurz darauf an der Zelle vorbeischlenderte, hob sein unbekannter Gesprächspartner kaum merklich die rechte Faust, stieß den Daumen senkrecht empor und nickte dazu.

Ohne ihn zu beachten, überquerte der hochgewachsene Anti-Crime-Mann die Avenue und tauchte drüben in der West 42nd Street unter. Er spielte mit dem Gedanken, schon jetzt seine FBI-Kollegen anzurufen, um sie wegen des überraschend schnellen Kontakts zu informieren. Aber er ließ diesen Gedanken wieder fallen. Zum einen war die Sache noch zu vage, um schon beurteilen zu können, ob etwas dabei herauskommen würde. Zum anderen musste er damit rechnen, dass er beobachtet wurde. Möglich, dass Wuschelkopf Komplizen hatte, die mit wachen Augen durch die Gegend streiften.

Das Hotel Roxy war ein schmalbrüstiges Backsteingebäude, vier Stockwerke hoch, eingeklemmt zwischen Uralt-Wohnhäusern, deren rostige Feuertreppen im Schein der Straßenlampen bizarre Schattenlinien auf die verwitterten Fassaden warfen.

Über dem offenstehenden Eingang schimmerte ein gelbes Leuchttransparent mit roten Buchstaben: »Hotel Ro.y«. Dort, wo sich das ,x‘ befunden hatte, war das Mattglas zersplittert.

Taliferro betrat die Lobby. Wandlampen spendeten trübe Helligkeit, ließen die abgetretenen Teppiche und die angegrauten Tapeten deprimierender erscheinen als vermutlich bei Tageslicht.

Zwei Männer blickten auf. Einer hinter dem Tresen, einer davor. Der, der davorstand, war wie ein Cop uniformiert. Nur die Metallabzeichen auf seinem Kragen und über seinem Mützenschirm wiesen ihn als den Bediensteten eines zivilen Bewachungsunternehmens aus. Selbst billige Absteigen wie das ,Roxy‘ waren gezwungen, ein Minimum für den Schutz ihrer Gäste zu tun, wenn sie nicht vor leeren Zimmern stehen wollten. Der Mann hinter dem Tresen, in Hemdsärmeln, mit offenem Kragen, war der Nachtportier.

Die beiden unterbrachen ihr Gespräch, als Taliferro hereinkam. Der Uniformierte drehte sich um, schob die Ellenbogen hinter sich auf die Tresenkante. Wie unbeabsichtigt, schwebte seine Rechte dabei über dem Griff des schweren Smith &Wesson, der aus seinem Gürtelholster ragte.

Taliferro fluchte innerlich. Wenn er sich als Polizeibeamter ausgab, konnte das ganze Unternehmen platzen. Derjenige oder diejenigen, die ihn auf dem bewussten Zimmer erwarteten, brauchten nur mit dem Nachtportier zu reden, und schon kam es heraus. Präsentierte er seine Diestmarke nicht, wurde er für das gehalten, wonach er aussah: für einen abgewrackten Strolch, der das Aussehen eines potentiellen Hoteldiebs wie eine Visitenkarte mit sich herumschleppte.

Er musste es darauf ankommen lassen.

Ohne zu zögern, ging er geradewegs auf den Tresen zu und setzte dabei ein schiefes Lächeln auf.

Misstrauen in den Blicken, die ihn empfingen.

»Hi, Gents«, sagte er breit und deutete mit einer knappen Handbewegung zum Treppenaufgang. Einen Fahrstuhl gab es nicht. »Will hier kein schlechtes Bild abgeben. Deshalb sag’ ich’s lieber gleich. Hab’ ’ne Verabredung. Zimmer Zweihundertelf.«

Der Uniformierte grinste. Der Nachtportier grinste.

»Eine Verabredung«, echote der Wachmann spöttisch. »Hört sich verdammt gut an. Aber bist du sicher, dass du nicht stattdessen durch sämtliche Etagen schleichst und an den Türschlössern ’rumbastelst?«

»Genau das hab ich mir gedacht, dass ihr so was denkt«, maulte Taliferro scheinbar gekränkt.

Die beiden Männer am Tresen lachten.

»Wie heißt denn die Puppe auf Zweihundertelf?« fragte der Uniformierte.

»Keine Puppe, Mann. Da oben wartet ’n Freund von mir.«

Der Wachmann zog die Augenbrauen hoch, die Mundwinkel nach unten.

»Sieh mal in deinem Wälzer nach, Harvey.«

Der Nachtportier blätterte, suchte, fand.

»Brauchst du den Namen?«

»Nein. Nur, ob weiblich oder männlich.«

»Männlich«, sagte der Portier und kicherte anzüglich.

Taliferro machte einen wütenden Schritt auf den Tresen zu.

»Wenn du glaubst, dass ich anders ’rum bin…« fauchte er und überließ es dem Kicherer, sich den Rest der Drohung zu denken.

Der Portier wurde schlagartig wieder ernst.

»Friedlich, Buddy«, mahnte der Uniformierte und legte dem Anti-Crime-Mann eine breite, schwere Hand auf die Schulter. »Weißt du, dies ist ein Laden mit erstklassigem Service. Deshalb bringe ich dich jetzt nach oben. Dann brauchst du das Zimmer nicht zu suchen. Ist das Service oder nicht?«

»Zauberhaft«, feixte Taliferro. »Fühl mich richtig bemuttert. Gehen wir gleich los?«

»Klar doch, Buddy. Und als Gast hast du natürlich den Vortritt.«

»New York ist doch eine nette Stadt mit lauter netten Leuten«, nuschelte Taliferro und setzte sich in Bewegung.

Der Uniformierte folgte ihm mit zwei Schritt Abstand. Treppenstufen knarrten durchdringend. Die Wandlampen im Treppenhaus strahlten rissige Tapeten an, Fragmente eines Teppichs auf den ausgetretenen Stufen und den abgewetzten Handlauf eines altersschwachen Geländers.

Trotz der späten Stunde wurde in den Etagen gelärmt. Männerstimmen, Frauenstimmen. Entweder von überlauten Fernsehapparaten oder von Zimmerbewohnern selbst, denen Alkoholisches die Stimmbänder aktiviert hatte. Irgendwo schepperte ein zu weit aufgedrehtes Kofferradio.

Zimmer 211 befand sich im zweiten Stock gleich neben der Treppe. Die Ziffern waren per Schablone mit weißem Lack auf braunes Türholz gepinselt.

Taliferro drehte sich zu seinem Begleiter um.

»Darf ich anklopfen?« erkundigte er sich mit übertriebener Unterwürfigkeit.

Der Wachmann scheuchte ihn mit einer Handbewegung beiseite und klopfte selbst.

»Auch das gehört zu unserem Service, Buddy.«

Drinnen erstarb der Ton des Fernsehers. »Wer ist da?«, erscholl eine metallische Männerstimme.

»Wachmann Brenton, Sir. Ich habe hier jemanden, der behauptet, mit Ihnen verabredet zu sein. Sein Name ist…«

»Taliferro«, sagte der Anti-Crime-Mann.

»Taliferro!«, wiederholte der Uniformierte dröhnend.

Statt einer Antwort rasselte die Sicherungskette. Die Tür schwang auf.

Der Mann sah für die schäbige Umgebung fast eine Spur zu elegant aus. Er war schlank, fast hager. Sein blau-schwarzes, gewelltes Haar schimmerte matt im Licht der Deckenlampe. Er trug einen leichten cremefarbenen Sommeranzug, mit dunkelblauem Hemd unter dem Jackett. Sein Blick, der etwas Stechendes hatte, wanderte prüfend von dem Wachmann zu Taliferro.

»Was erscheint Ihnen ungewöhnlich, Officer?« fragte der Schwarzhaarige.

»Tja… äh… Sie haben ihn tatsächlich erwartet?«

»Haben Sie daran gezweifelt?«

»Nein, nein, Sir, natürlich nicht. Es war nur…«

»Erstklassiger Service«, fiel ihm Taliferro grinsend ins Wort. »Tausend Dank für Ihre freundliche Hilfe, Mr. Brenton!«

Der Uniformierte verzog das Gesicht. Enttäuscht. Er legte die flache Hand an den Mützenschirm, machte kehrt und stapfte zur Treppe.

Der Schwarzhaarige trat einen Schritt zur Seite.

»Kommen Sie herein, Taliferro. Freut mich, dass Sie so prompt aufgekreuzt sind.«

Der Lieutenant folgte der Aufforderung. Mit unbeteiligter Miene registrierte er, dass der Mann Puerto-Ricaner sein musste. Zwar sprach er fehlerfreies Englisch, flüssiger und geschliffener als Wuschelkopf. Doch der typische harte Akzent war noch im Ansatz vorhanden.

Die Einrichtung des Zimmers war erbärmlich. Die einzigen Stücke aus der Neuzeit waren der Fernsehapparat und das Telefon. Mit einem kurzen Rundblick stellte Taliferro fest, dass sein geheimnisvoller Gastgeber allein war. Keine Falle, wie es schien. Obwohl man in der Beziehung nie hundertprozentig sicher sein konnte.

Der Puerto-Ricaner schloss die Tür und deutete auf zwei wacklige Stühle vor einem nicht minder wackligen Tisch.

»Setzen Sie sich.«

Taliferro tat auch das. Er schlug die Beine übereinander, lehnte sich zurück und blickte den anderen mit hochgezogenen Augenbrauen an.

»Auch der große Unbekannte? Ehrlich gesagt, Mann, ich hab nicht gern mit Leuten zu tun, von denen ich nicht weiß, wo ich sie hintun soll.«

Der Schwarzhaarige lächelte verständnisvoll, setzte sich und klappte eine flache Blechschachtel mit dünnen braunen Zigarillos auf.

Taliferro bediente sich und ließ sich Feuer geben.

»Wir brauchen uns gegenseitig nichts vorzumachen«, sagte sein Gegenüber. »Sie haben angebissen. Also stecken Sie drin.«

»He, Moment!«, brauste Taliferro in einem Anflug südländischen Temperaments auf. »So einfach sieht die Sache für mich denn doch nicht aus!«

»Meinen Sie? Versuchen Sie, es mal aus meiner Sicht zu sehen. Wenn ich Ihnen sage, wer ich bin und für wen ich arbeite, liefere ich mich Ihnen aus. Umgekehrt habe ich Sie in der Hand, wenn es drauf ankommt. Ich brauchte Ihren… Hm… Brötchengebern nur einen Tip zuzuspielen, dass Sie mit mir und meiner Organisation Verbindung aufgenommen haben. Die Folgen wären für Sie alles andere als angenehm, oder?«

Taliferro grinste wieder.

»Vielleicht habe ich den Auftrag, mich bei euch als Spitzel einzuschleichen.«

»Wir würden es herausfinden. Verlassen Sie sich drauf.«

»Okay. Ich nehme nicht an, dass Sie mit Dummköpfen zusammenarbeiten. Also gehen Sie davon aus, dass Sie mich überzeugt haben. Wir sitzen schon fast in einem Boot, wie?«

Der andere lachte leise und melodisch. Er lehnte sich zurück, faltete die Hände über dem rechten Knie.

»Mein Name ist Joaquin Venera. Spielen wir ab jetzt mit offenen Karten. Einverstanden?«

»Einverstanden.«

»Sehr schön. Wir sind an guten Leuten interessiert, Taliferro. Ich habe Erkundigungen über Sie eingezogen und weiß inzwischen, dass Sie sich in der Midtown hervorragend auskennen. Und dass Sie es gewohnt sind, sehr selbständig zu arbeiten.«

»Stimmt«, brummte Taliferro scheinbar geschmeichelt. »Natürlich nur in meiner Branche. Jobs, die mir nicht liegen, übernehme ich nicht.«

Venera wischte mit der flachen Hand durch die Luft.

»Davon ist auch nicht die Rede. Bevor wir über Einzelheiten verhandeln, müssen wir nur den wichtigsten Punkt klären: Wären Sie bereit, für uns zu arbeiten statt für Ihre bisherigen Auftraggeber?«

Taliferro zuckte die Achseln.

»Erstens hängt das hiervon ab…« Er hob die Rechte und rieb Daumen und Zeigefinger aneinander. »Zweitens würde ich Sicherheiten brauchen. Das heißt, ich kann nicht ständig mit ’ner Faust im Nacken herumlaufen und dann noch gute Geschäfte abschließen. Sie können sich vorstellen, dass meine jetzigen Freunde nicht gerade begeistert sind, wenn ich abspringe. Deshalb müsste ich wenigstens wissen, ob Ihr Verein stark genug ist, um mir die Killer vom Hals zu halten.«

»Wir sind stark genug«, lächelte Venera. »Stärker als Sie glauben. Und was das Finanzielle betrifft, werden Sie um ein Vielfaches besser abschneiden. Ich habe es Ihnen bereits durch meinen Vermittler ankündigen lassen. Nun… Sind Sie bereit, eine Entscheidung zu treffen? Oder brauchen Sie Bedenkzeit?«

Taliferro rieb sich nachdenklich das Kinn, blickte minutenlang ins Leere. Dann schüttelte er den Kopf.

»Nein. Keine Bedenkzeit. Ihr Angebot interessiert mich, Venera. Nach dem, was über Ihren Verein gemunkelt wird, scheint die Sache Hand und Fuß zu haben. Wenn das nicht so wäre, hätte ich mit dem Burschen, den Sie hinter mir hergeschickt haben, überhaupt nicht geredet. Allerdings… Wenn Sie glauben, dass ich einer bin, der dauernd von einer Seite zur anderen wechselt, können wir das Ganze vergessen. Dann bin ich nicht Ihr Mann.«

»Unsinn«, wehrte Venera ab. »Ich habe genügend Menschenkenntnis, Taliferro. Ich weiß, dass Sie eine Sache nur dann anpacken, wenn Sie hundertprozentig davon überzeugt sind.« Taliferro nickte zufrieden. Hinter der beruhigten Miene, die er zur Schau stellte, bewegten sich frohlockende Gedanken. Wenn es so weiterging, wurde aus diesem ersten Kontakt mit der geheimnisumwitterten Puerto-Ricaner-Gang ein durchschlagender Erfolg. Denn dieser Venera war offensichtlich alles andere als ein kleiner Handlanger.

»Und?«, fragte Taliferro. »Reden wir jetzt über die Einzelheiten?«

Joaquin Venera schüttelte den Kopf.

»Nicht hier. Ich benutze solche Hotelzimmer wie diese nur als Stützpunkte für kurzfristige Einsätze. Außerdem kann ich nicht allein entscheiden. Wir werden mit dem Mann reden, der über alles bestimmt. Und wenn Sie Glück haben, Taliferro, ziehen Sie bei uns das große Los. Wir scheuchen die Konkurrenz mit einem Paukenschlag auf. Und für alles, was danach kommt, brauchen wir gute Leute.« ’

»Ich bin verteufelt gut«, grinste Taliferro. »Wann und wo soll ich mit Ihrem Big Boss reden?«

»Wir fahren sofort los«, entschied Venera. »Der Zeitpunkt ist günstig.« Taliferro zwang sich, seine Überraschung nicht zu zeigen. Diese Puerto-Ricaner schienen ihn höher einzustufen als er es erwartet hatte. Prachtvolle Aussichten. Das Einzige, was ein wenig an seinen Nerven zerrte, war die Tatsache, dass er vorläufig keine Gelegenheit haben würde, beim FBI anzurufen.

Bellevue Medical Center — ein gigantischer Gebäudekomplex, zwischen First Avenue und Franklin D. Roosevelt Drive am East River gelegen.

Licht aus endlos langen Fensterreihen fiel auf gepflegte Grünanlagen. Unten gab es einige Pilzleuchten, die Spazierwege, Ruhebänke, Blumenrabatten, Buschgruppen und Springbrunnen erhellten. Eine Oase der Ruhe, hart am Rande der Betonwüste Manhattan.

Kalt und nüchtern wirkte dagegen das breite Portal des Hauptgebäudes, das während der ganzen Nacht von Neonröhren in gleißende Helligkeit getaucht wurde.

Ich öffnete das Fenster noch etwas weiter, aber selbst die kühle Nachtluft brachte wenig Linderung. Der Schweiß stand mir in Perlen auf der Stirn, beziehungsweise auf dem, was von meiner Stirn noch übrig war.

Ein weißes Gebilde, das frappierend an einen Turban erinnerte, verhüllte mein Haupt. Nur die Gesichtspartie vom Kinn bis knapp oberhalb der Augenbrauen war frei. Statt Hemd und Jacke trug ich auf dem nackten Oberkörper einen breiten Verband,- quer über die Schultern gewickelt. Darunter die Jeans und die leichten Schuhe, die noch von meiner Verabredung mit Frank Taliferro stammten.

Meine Dienstwaffe, gereinigt und neu geladen, trug ich in einem offenen Gürtelholster, das an einem breiten Lederkoppel baumelte.

Trotz Klimaanlage war es in dem Raum drückend warm. Wahrscheinlich lag es aber auch an der irren Aufmachung, die ich jetzt schon seit etwa einer halben Stunde erduldete. Okay, ich hatte es mir selbst ausgesucht. Es war mein Plan.

»Mr. Trevellian!«, sagte eine vorwurfsvolle Stimme hinter meinem Rücken. »Was Sie tun, ist unverantwortlich. Sie werden sich den Tod holen, wenn Sie weiter am offenen Fenster stehen!«

Ich wandte mich um und lächelte.

Aber es misslang, weil das weiße Gebinde auf meinem Kopf zu sehr spannte.

Schwester Janet war ein ausgesprochen hübsches Mädchen. Mit dunkelblonden Haaren unter dem weißen Häubchen, energischen blauen Augen und einer vollendeten Figur, war sie das, wovon vermutlich jeder Patient auf dieser Männerstation träumte. Sie hatte es sich neben dem Bett in einem Stahlrohrsessel gemütlich gemacht. Hinter ihr, in einem Fach des offenen Wandschranks, dampfte eine Kaffeemaschine. In einem Fach darüber befanden sich Tassen, Teller, ein großes Paket mit Sandwiches und zwei Schachteln Zigaretten.

»Eines ist sicher«, entgegnete ich. »Wenn ich hier herauskomme, bin ich garantiert krank. Ich fange jetzt schon an, Wehwehchen zu fühlen, von denen ich vorher nie etwas geahnt habe.«

»Und das ist natürlich meine Schuld«, lachte sie.

»Weil Sie mich wie einen Kranken behandeln.«

»Wenn Sie schon diese Rolle spielen, sollten Sie sich auch mit den kleinen Randerscheinungen abfinden. Im übrigen schlage ich vor, dass Sie jetzt in die Waagerechte zurückkehren.« Sie lächelte verschmitzt. »Ich habe zwar von Ihrem Beruf keine Ahnung, aber ich könnte mir vorstellen, dass die Leute, die es auf Sie abgesehen haben, dieses Zimmer mit Ferngläsern beobachten.«

»Himmel«, seufzte ich, »Sie machen einem das Leben schwer. Aber Sie haben recht.«

Schwester Janet blickte mich mit ihren energischen blauen Augen an. Unter meinem Kopfverband kribbelte es.

Ich warf mich auf das Bett, streckte die Beine aus. Sie stand wortlos auf und zog mir die leichte Decke bis zu dem Schulterverband hoch. Dann schob sie das chromblitzende Gestell näher heran, an dem zwei Infusionsbehälter baumelten. Die Enden der Schläuche staken rechts unter der Matratze.

Ich war Benito Scalzone. Zimmer 328, dritter Stock, Trakt B, chirurgische Männerstation, Bellevue Hospital. Benito Scalzone, eingeliefert mit einem Schultersteckschuss und einer schweren Platzwunde am Kopf, die er sich beim Hinschlagen auf dem Trümmergrundstück zugezogen hatte.

Der echte Scalzone befand sich in dem Nebenzimmer eines der Operationssäle, wo er behandelt worden war. Außer dem Chirurgen, der die Kugel entfernt hatte, einem Assistenten und zwei OP-Schwestern wusste niemand davon.

Schwester Janet stand auf und zog die hellgrünen Fenstervorhänge zu. Dann löschte sie das Licht, bis auf die kleine rechteckige Leuchte hinter dem Kopfende meines Bettes. Und kehrte zu ihrem Platz zurück.

»Es ist die verrückteste Nachtwache, die ich je erlebt habe«, murmelte sie.

»Vielleicht die gefährlichste«, sagte ich.

Wieder dieser Blick aus den energischen blauen Augen. Dann ein verschmitztes Lächeln.

»Ich habe keine Angst. Mit einem echten G-man als Beschützer…«

»Ich werde Sie nicht fragen«, entgegnete ich. »Was fragen?«

»Ob wir uns irgendwann außerdienstlich Wiedersehen.«

»Warum nicht?«

»Weil Sie das für billig halten würden. Ich denke mir, dass Sie so etwas jeden Tag ein paar Mal zu hören bekommen.«

»Erwarten Sie die Initiative von mir?«

»Nein. Bei allem Verständnis für weibliche Emanzipation erwarte ich das nicht.«

»Sondern?«

»Eines Tages rufe ich Sie an. Aus heiterem Himmel. Ohne jede Vorankündigung.«

Sie lächelte nur. Und in ihren blauen Augen wich der energische Glanz einem sanften Schimmer.

»Möchten Sie Kaffee?«, fragte sie nach einer Weile. »Und eine Zigarette?«

Ich nickte. Es konnte eine lange Nacht werden. Vielleicht ohne jeden Erfolg. Mein Risiko.

Es klopfte. Zweimal kurz. Das war vereinbart, um Missverständnisse auszuschließen. Weil ich nicht wusste, was sich außerhalb meines Krankenzimmers tat, wollte ich niemanden mit gezogenem Revolver empfangen, der es nicht verdiente.

Geräuschlos schwang die breite, weißlackierte Tür auf. Schwester Janet und ich blickten über unsere Kaffeetassen hinweg. Meine Zigarette dampfte im Aschenbecher.

Dr. Gernsby, der Chirurg, der Scalzone operiert hatte, war nicht viel älter als vierzig Jahre. Groß, blond, jungenhaftes Gesicht. Der typische amerikanische College-Boy, der immer College-Boy bleibt. Doch jetzt, während er an das Fußende meines Bettes trat, sah er alt und müde aus.

»Scalzone ist tot«, sagte er gedämpft. »Wir haben alles versucht, aber sein Kreislauf…« Er hob die Schultern und ließ sie wieder sinken. »Ich will Sie nicht mit medizinischen Details bombardieren, Mr. Trevellian. Es würde alles nur wie eine Entschuldigung klingen.«

»Vergessen Sie eines nicht«, sagte ich und richtete mich halb auf.

»Ja?« Er blickte mich an. Irgendwie erwartungsvoll.

»Ich bin der Urheber. Letzten Endes geht Scalzones Tod auf mein Konto.«

Dr. Gernsby nickte matt.

»Ich verstehe, was Sie sagen wollen. Sie haben eine Rechtfertigung für das, was Sie tun mussten. Ich habe meine Rechtfertigungen für das, was ich nicht mehr tun konnte. Doch in beiden Fällen ändert es nichts daran, dass ein Menschenleben enden musste.«

»Es liegt an jedem selbst, wie er das verkraftet«, entgegnete ich, »aber im Moment geht es um das Vordergründige, Dr. Gernsby. Scalzones Tod muss auf jeden Fall streng geheimgehalten werden. Alles bleibt so, wie es jetzt ist. Der schwerverletzte Scalzone liegt hier auf Zimmer Drei-Zwo-Acht und wird von Schwester Janet betreut. Wir müssen damit rechnen, dass seine Hintermänner einen Informanten hier im Hospital haben. Einen Krankenpfleger, eine Schwester, vielleicht sogar einen Arzt…« Dr. Gernsby sah bestürzt aus.

»Es fällt mir zwar schwer, mir das vorzustellen, aber Sie können sich auf mich verlassen, Mr. Trevellian.«

»Danke, Doktor.«

Zwei Cops schoben sich ins Zimmer. Milo und Orry Medina, unser indianischer Kollege. Sie trugen Uniformen, die wir von der City Police ausgeliehen hatten. An ihren Gesichtern las ich, dass sie bereits über Scalzone Bescheid wussten. Die beiden standen draußen vor dem Krankenzimmer Wache, wie es üblich ist, wenn verwundete Gangster ins Hospital eingeliefert werden müssen. Unüblich war in unserem Fall lediglich, dass G-men in Uniform den Bewachungsjob übernahmen.

Dr. Gernsby verabschiedete sich mit einer Handbewegung und verließ den Raum.

Milo blickte erst mich und dann Janet an.

»Benimmt er sich anständig, Schwester?«

»Oh, ich wollte, unsere Kranken wären alle so nett«, erwiderte sie lächelnd.

Milo grinste. Ich schwieg. Medina warf einen Blick in die Runde. Dann spürte er den Luftzug vom offenen Fenster her.

»Unmöglich«, sagte er kopfschüttelnd und stieß Milo an.

Mein Freund nickte, stelzte zum Fenster und schloss es.

»Für solchen Leichtsinn übernehmen wir keine Verantwortung«, erklärte er, »ich habe zwar zugestimmt, dass du den Köder spielst, aber du brauchst es nicht zu übertreiben.«

»Mir bleibt auch nichts erspart«, seufzte ich. »Wenn das hier noch ein paar Stunden dauert, werde ich langsam vor mich hinschmelzen.«

»Die Klimaanlage funktioniert«, wandte Orry ein.

»Für Leute, die normal gekleidet sind«, konterte ich.

»Du hast es so gewollt«, feixte mein Freund und Kollege.

An Janets ernstem Gesicht las ich, dass sie den Grund unserer Flachserei sehr wohl verstand. Selbst wir, die wir unzählige gefahrvolle Einsätze hinter uns haben, können nicht behaupten, dass unser Nervenkostüm völlig entspannt bleibt, wenn Entscheidendes bevorsteht. Deshalb tut es in solchen Situationen gut, sich wenigstens mit Worten abzulenken.

Killer kommen nicht so leicht davon: 7 Strand Krimis

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