Читать книгу Juwelen, Mörder, Tote - Sechs Extra Krimis Juni 2018 - Alfred Bekker, Frank Rehfeld, Karl Plepelits - Страница 13
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Die nächsten Tage und Wochen verflogen wie in einem Rausch Elsa verbrachte ihre Zeit hauptsächlich damit, im Pool zu baden, sich in die kräftiger werdende Sonne zu legen und mit Robert in der Umgebung herumzufahren.
Sie machten Touren zu den alten Städten. Rabat, Fez, Marrakesch, wo sie ein paar Tage in einem Hotel blieben, und natürlich das unvermeidliche Casablanca.
Robert schien nichts zu tun zu haben, außer ihr Gesellschaft zu leisten. Keinerlei geschäftliche oder sonstige Verpflichtungen, nichts, was auch nur im entferntesten nach Arbeit aussah. Zunächst wunderte es sie ein wenig, dann genoss sie es einfach.
Robert wirkte wie ein Mann, der durch eine Erbschaft zu Reichtum gekommen war und nun nie wieder einen Finger krummzumachen brauchte. Eine Erbschaft, ein Volltreffer im Lotto, irgend etwas in der Art...
Elsa fragte ihn dann doch einmal nach seinen Geschäften, sie war einfach zu neugierig, und er meinte daraufhin, dass er mit ihr nicht darüber sprechen wollte.
„Vertraust du mir nicht?“
„Doch, damit hat das nichts zu tun.“
„Dann sag mir, womit es etwas zu tun hat!“
„Ich habe einfach keine Lust, über diese Dinge nachzudenken oder auch nur an sie erinnert zu werden.“
Und dann hatte er den Arm um sie gelegt und seine Hand war durch ihr dickes, braunes Haar geglitten. „Im Moment will ich nichts weiter, als mit dir zusammen zu sein und jeden Tag zu genießen.“
Und sie genossen jeden Tag. Es war ein rasanter Traum, wie die Fahrt auf einem Karussell - oder vielmehr: wie auf einer Achterbahn.
Es war Elsa instinktiv klar, dass das nicht ewig so weitergehen konnte, aber es gelang ihr erfolgreich, alle Gedanken an später erst einmal zu verscheuchen.
Je mehr Zeit verstrich, desto öfter dachte sie an zu Hause. Und dann fiel ihr wieder ein, dass es dieses Zuhause nicht mehr gab, jedenfalls nicht in der Form, in der sie es aus ihrer Kindheit kannte. Es gab nur noch ihren Vater und ihre Mutter. Das war alles.
Aber im Augenblick schmerzte sie das nicht mehr so schrecklich. Es wurde ihr etwas gleichgültiger, und das war gut so.
Vielleicht bin ich dabei, über die Sache hinwegzukommen, dachte sie.
Langsam, aber sicher rückte der Beginn des Sommersemesters näher. Es ging auf Ostern zu. Ursprünglich hatte sie dann wieder in ihren eigenen vier Wänden sein wollen. So hatte sie es geplant, aber jetzt war sie unschlüssig.
Sie hatte nicht die leiseste Ahnung, wie es weitergehen würde. Sie lebte einfach den Tag, den Augenblick, die Sekunde und wunderte sich dabei über sich selbst, wie schnell sie Roberts Ansicht verinnerlicht hatte, wonach nur das Hier und Jetzt von irgendeiner Bedeutung war.
Vielleicht war es so. Vielleicht auch nicht. Sie dachte nicht mehr viel darüber nach und wenn man es genau nahm, dann dachte sie kaum noch über irgend etwas nach, sondern zog es vor, einfach zu leben und zu genießen. Das zu können gab ihr ein bisher ungekanntes Gefühl von Freiheit und Glück.
Sie wollte, das es nie aufhörte. Eines Tages, als sie wieder einmal in der Stadt waren, hatte Elsa das Bedürfnis, ihre Mutter anzurufen. Sie ging ins Postamt, und wenig später hatte sie sie am Hörer.
„Mama?“
„Elsa! Du hast dich ja eine Ewigkeit lang nicht mehr gemeldet! Wo bist du?“
„Tanger, Marokko.“
„Immer noch?“
„Ja.“
„Wolltest du nicht schon längst auf dem Weg zurück nach Hause sein?“
„Ja, das stimmt...“
Elsa fühlte deutlich die Verkrampfung, die sie in dem Moment befallen hatte, als sie die Stimme ihrer Mutter am Hörer hatte. Sie hatte sich darauf gefreut, mit ihr sprechen zu können, aber jetzt fragte sie sich, ob es nicht ein Fehler gewesen war.
Doch nun war sie da auf der anderen Seite der Leitung, und es gab kein Zurück mehr.
„Wann beginnt das Semester, Elsa?“
Es war dieser unterschwellige Verhörton, den Elsa bei ihrer Mutter nicht mochte. Aber sie war es gewohnt, dennoch zu antworten.
Und genau das tat sie dann auch, obwohl sie es eigentlich nicht wollte, denn sie konnte es sich an zwei Fingern ausrechnen, in welche Richtung das Gespräch jetzt laufen würde. Genau dorthin, wo sie es nicht haben wollte.
Aber es war längst zu spät, um daran noch etwas ändern zu können. Sie wusste, dass alles seinen Gang nehmen würde und resignierte.
„Nach Ostern“, antwortete Elsa auf die Frage ihrer Mutter. „Genau einen Tag nach Ostern.“
„Wirklich kein freier Tag mehr zwischen Ostern und Vorlesungsbeginn?“
„Nein. Aber es macht nichts, wenn ich nicht rechtzeitig zurück bin. In der ersten Woche ist ohnehin noch nicht viel los...“
„Aber das ist doch keine Einstellung, Elsa!“
„Mama!“
„So etwas kenne ich gar nicht von dir... Du warst doch sonst immer so gewissenhaft.“
Elsas Mutter hatte Bluthochdruck und war ziemlich dick. Elsa konnte sich gut vorstellen, wie sie jetzt an ihrem Telefon saß und puterrot anlief.
Eigentlich hatte Elsa das vermeiden wollen, aber vermutlich wäre es ohnehin kaum zu verhindern gewesen.
Irgendwann musste ich mich ja mal wieder zu Hause melden, dachte sie.
Und sie hatte es ja wirklich schon eine geraume Weile vor sich hergeschoben.
„Wenn das dein Vater wüsste, dass du vorhast, nicht pünktlich zum Vorlesungsbeginn wieder zurück zu sein!“
„Es würde ihn kaum interessieren!“, versetzte Elsa dann eine deutliche Spur schärfer im Tonfall, als sie es eigentlich beabsichtigt hatte. Ihre Mutter schwieg, und Elsa erschrak.
Sie hatte sie an ihrem wunden Punkt getroffen. Aber es war schließlich die Wahrheit. Die verdammte, bittere Wahrheit, und die war ihr in einem unbedachten Moment einfach so über die Lippen geflossen.
Ihre Mutter schien verletzt.
Und wenn schon, dachte Elsa trotzig, als auf der anderen Seite der Leitung noch immer kein Ton zu hören war. Es stimmt ja schließlich! Er interessiert sich nicht mehr für mich und auch nicht mehr für sie! Oder wie sollte man das interpretieren, wenn jemand zu Weihnachten nicht einmal eine Karte schickte? Er rief immer nur an, wenn sie vergessen hatte, ihm die Immatrikulationsbescheinigung zuzusenden, die er für seine Steuererklärung brauchte.
Immerhin kam sein Geld meistens pünktlich. Wenigstens in diesem Punkt war er zuverlässig. Aber in allen anderen Dingen hatte er sie verraten. So empfand sie das jedenfalls.
„Es war nicht so gemeint“, sagte sie dann, obwohl es nicht stimmte. Es war durchaus so gemeint gewesen. Genau so und nicht anders.
„Schon gut“, kam es gedämpft aus dem Hörer. „Geht es dir wenigstens gut?“
„Ja, es ging mir nie besser!“
„Hast du überhaupt noch Geld?“
„Ich komme aus!“
„Ich habe dir geschrieben. Hast du den Brief bekommen?“
„Nein, habe ich nicht.“
„Du hast nichts bekommen?“
„Nein, ich sag's doch!“
„Ich habe aber an die Adresse geschrieben, die ich von dir hatte. Dieses Hotel... Ich komme jetzt nicht mehr auf den Namen...“
„Da wohne ich schon lange nicht mehr.“
„Nein? Hat es dir nicht gefallen?“
„Doch, aber... Das ist kompliziert.“
„Wo wohnst du jetzt?“
„Bei Robert.“
Sie sagte es einfach so dahin, und dann war es heraus. Aber vielleicht war es gut so. Irgendwann musste sie es ohnehin erfahren. Besser früher als später...
Und wenn sie wirklich länger blieb, vielleicht sogar den ganzen Sommer hindurch und auf das Studium pfiff...
„Ich verstehe nicht...“
„Ich habe einen Mann kennengelernt. Und bei dem lebe ich jetzt.“
„Daher weht also der Wind!“
„Ja, daher weht der Wind, Mama!“
„Ich hoffe nicht, dass du deswegen dein Studium...“
„Nein, keine Sorge!“
Aber in Wahrheit war es genau das, woran sie gedacht hatte.
„Wie alt ist er? Was macht er?“
Elsa hatte keine Lust auf ein weiteres Verhör.
„Mama, es wird zu teuer für mich. Ich muss jetzt Schluss machen!“
„Ja, aber...“
„Tschüss!“
„Pass auf dich auf, Elsa. Wann höre ich wieder von dir?“
„Mal sehen. Wenn ich es einrichten kann.“
Elsa war froh, als der Hörer wieder in der Gabel hing. Sie fühlte sich wie befreit.
Es war Abend.
Elsa legte den Kopf an Roberts Schulter und fand, dass er gut roch. Ihre Hand glitt über seine behaarte Brust. Sie spürte Roberts ruhigen Atem und seinen Arm an ihrem Rücken.
„Ich liebe dich“, murmelte sie. Und dann, nach einer kurzen Pause: „Hast du eigentlich gehört, was ich gesagt habe?“
„Ja.“
„Liebst du mich auch?“
„Ja.“
„Sex mit dir ist wunderbar. Ich glaube, ich könnte süchtig nach dir werden, Robert!“ Sie lachte. „Wahrscheinlich bin ich es längst.“
Dann schwiegen sie eine Weile.
Elsa schloss die Augen. Sie war glücklich.
Eine wohlige Müdigkeit hatte sich ihrer bemächtigt. Um ihre Lippen spielte ein entspannter Zug.
Dann schreckte sie plötzlich Roberts Stimme auf.
„Ich muss für einige Zeit weg“, sagte er.
Elsa war sofort wieder sehr aufmerksam. Sie setzte sich auf und blickte ihn verwundert an.
„Was?“
„Eine Geschäftsreise. Du wirst eine Weile allein hier wohnen, vorausgesetzt, du willst hierbleiben.“
„Natürlich will ich hierbleiben!“
„Musst du nicht irgendwann zurück nach Deutschland?“
„Warum?“
„Ich denke, du studierst...“
„Ich werde das Sommersemester aussetzen. Ich muss mir ohnehin über verschiedenes klarwerden, und vielleicht ist das eine gute Gelegenheit dazu.“
„Du meinst, du willst das Studium abbrechen?“
„Ich will damit sagen, dass ich noch nicht so genau weiß, ob ich das eigentlich will, was ich da tue...“
Die Wahrheit war viel einfacher. Sie wollte bei Robert sein. Jeden Tag, jede Sekunde. Sie konnte den Gedanken nicht ertragen, dass dieser Traum einmal zu Ende sein sollte. Nicht einmal der Gedanke an eine Unterbrechung war ihr erträglich.
„Du hast erwähnt, dass du fort müsstest, Robert...“
„Ja.“
„Für wie lange?“
„Vielleicht eine Woche. Plus minus ein paar Tage. Ganz genau kann ich das noch nicht sagen.“
„Wohin geht es?“
„Erst mal Madrid.“
„Könnte ich dich nicht begleiten?“
„Nein!“
In seinem Tonfall lag etwas Endgültiges. Sie wusste, dass es keinen Zweck hatte, ein zweites Mal zu fragen. Er würde seine Meinung nicht ändern. Nicht nach diesem Nein; so gut kannte sie ihn inzwischen schon.
„Wann geht's los?“, fragte sie.
„Morgen.“
„Oh, morgen schon?“
„Ja.“
„Schade.“
„Es lässt sich nicht ändern, Elsa.“
„Ja, mag schon sein...“
„Irgend wovon muss dies alles hier, das Haus und so weiter, ja bezahlt werden. Und ab und zu muss ich halt auch etwas dafür tun.“
„Es ist trotzdem schade.“
„Ich komme ja wieder, Elsa!“
„Ich kann es schon jetzt kaum erwarten, obwohl du doch noch gar nicht weg bist und hier neben mir liegst!“
Sie bewegte sich wieder zu ihm hinunter und legte sich in seine Armbeuge.
Auf einmal begann sie zu frieren und zog die Decke bis zu den Schultern hoch.