Читать книгу Juwelen, Mörder, Tote - Sechs Extra Krimis Juni 2018 - Alfred Bekker, Frank Rehfeld, Karl Plepelits - Страница 15

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Am Morgen war Robert schon früh aufgestanden.

Undeutlich nahm Elsa wahr, wie er ein paar Sachen aus dem Kleiderschrank holte und in einen Koffer packte. Es dauerte ein bisschen, aber dann war sie hellwach.

„So früh?“

„Ja.“

„Willst du hier noch frühstücken? Ich könnte die Kaffeemaschine...“

„Nein. Dazu ist kaum noch Zeit. Hast du einen Führerschein?“

„Ja.“

„Dann lasse ich dir den Landrover hier.“

„Und du?“

„Ich rufe mir ein Taxi.“

„Wenn du meinst...“

„Ja.“

Er schloss den Koffer zu und verließ das Schlafzimmer. Sie hörte ihn die Treppe hinuntergehen, schlug die Bettdecke zur Seite und stand auf. Dann warf sie sich ein paar Sachen über und folgte ihm.

Als sie die Treppe hinabstieg, sah sie seinen Koffer, den er flüchtig abgestellt hatte. Darüber hatte er sein Jackett geworfen. Aus dem Wohnzimmer hörte sie Roberts Stimme beim Telefonieren. Er rief wohl gerade das Taxi, was sie allerdings nur vermuten konnte, denn er sprach Arabisch.

Sie wollte schon weitergehen und ihm ins Wohnzimmer hinein folgen. Dann fiel ihr Blick auf den Pass, der aus der Innentasche seines Jacketts ein Stück herausragte.

Elsa runzelte unwillkürlich die Stirn, sie glaubte ihren Augen nicht zu trauen. Dann zog sie mit einem schnellen Griff den Pass noch ein weiteres Stück aus der Tasche heraus und dann gab es keinen Zweifel mehr.

Sie hatte sich nicht getäuscht.

Es war nicht mehr der dänische Pass, den sie damals auf der Post gesehen hatte. Der Pass war britisch.

Elsa fuhr augenblicklich zusammen, als sie Robert herankommen hörte.

„Alles in Ordnung, das Taxi kommt gleich.“

Sein Blick war auf die Armbanduhr an seinem Handgelenk gerichtet. Dann sah er auf. „Ist irgend etwas?“

„Nein. Was sollte sein?“

„Ich meine nur. Du siehst aus, als wäre dir irgendeine Laus über die Leber gelaufen.“

„Nein, du irrst dich.“

Er zuckte die Schultern.

„Na gut.“

Er nahm seine Jacke und zog sie an.

Blitzlichtartig wirbelte ein halbes Dutzend Gedanken auf einmal in ihrem Kopf herum. Wie kam Robert an einen britischen Pass? Wozu brauchte jemand überhaupt mehrere Pässe? Sie hatte keine Gelegenheit gehabt, hineinzuschauen und wusste nicht, ob derselbe Name eingetragen war: Robert Jensen.

Vielleicht gibt es eine ganz simple Erklärung, dachte sie. Es gab ja schließlich so etwas wie doppelte Staatsbürgerschaften. Sie hätte ihn leicht fragen können, aber irgend etwas hielt sie davon zurück.

„Du brauchst dich um nichts zu kümmern. Aziz schaut vorbei und regelt alles. Er hat einen Schlüssel.“

„Gut.“

„Ich lasse dir genug Geld da, damit du über die Runden kommst.“

Wenig später kam das Taxi. Als Robert weg war, fühlte sie sich, als würde sie in ein großes, finsteres Loch fallen. Langsam begann ihr jetzt zu dämmern, wie sehr ihr Leben bereits um diesen Mann zu kreisen begonnen hatte.

Eigentlich hatte sie nichts dagegen. Eigentlich wünschte sie sich nichts anderes als genau das: um ihn zu kreisen wie ein Planet um seine Sonne.

Aber da war die Sache mit dem Pass. Und eine Ahnung von Misstrauen. Sie konnte nichts dagegen tun, es hatte begonnen, an ihrer Seele zu nagen, und sie konnte sich nicht dagegen wehren...

Unwillkürlich kamen ihr die Geschäfte ins Bewusstsein, mit denen Robert sein Geld verdiente... Viel Geld, wie auf der Hand lag. Sehr viel...

Was mögen das nur für Geschäfte sein?, dachte sie und zermarterte sich das Hirn. Am Ende gar Drogen oder etwas in der Art?

Robert hatte Elsa gegenüber bisher standhaft über die Herkunft seines Geldes geschwiegen.

Dann die Sache mit dem zweiten Pass... Wer, außer einem Mann, der seine Identität verdunkeln musste, brauchte mehrere! Es schien alles zusammenzupassen.

Elsa erschrak über ihre eigenen Gedanken. Mein Gott!, dachte sie. Das grenzt ja an Paranoia!

Sie sah ihren Traum bereits wie eine Seifenblase zerplatzen. Ein Teil von ihr weigerte sich, den Gedankengang zu Ende zu führen. Aber er ließ sich nicht einfach so aufhalten. Die Gedanken kamen wie von selbst, und sie konnte sie nicht stoppen.

Auf einmal hatte Elsa rasende Kopfschmerzen.

Elsa fühlte sich wie betäubt.

Ich lege mir da etwas zurecht, versuchte sie sich selbst einzureden.

Sie traute ihrer eigenen Wahrnehmung nicht so ganz. Sie erinnerte sich daran, dass sie sich früher oft verfolgt gefühlt hatte. Nicht nur, wenn sie in einsamen, finsteren Nebenstraßen einem nur als schattenhafter Umriss erkennbaren Unbekannten begegnete, sondern auch in ganz anderen Situationen. Im Kaufhaus zum Beispiel.

Eine Hälfte von ihr hatte immer gewusst, wie absurd das alles war und dass das alles nur ihrer Einbildungskraft entsprang. Die andere Hälfte zitterte vor Angst.

So ähnlich war es auch jetzt.

Sie ging hinauf ins Schlafzimmer, um in ihren Sachen nach Tabletten gegen die Kopfschmerzen zu suchen. Sie hatte immer so etwas dabei gehabt, seit sie 13 gewesen. Sie nahm die Tabletten, wenn sie Kopfschmerzen hatte, wenn ihre Regel im Anzug war - oder wenn sie sich ganz einfach schlecht fühlte.

Im Augenblick trafen alle drei Dinge auf einmal zu. Es war furchtbar.

Sie wühlte ihre Sachen durch, und schließlich fand sie, was sie gesucht hatte. Die Tabletten waren in der kleinen weißen Handtasche, die sie oft bei sich hatte.

Sie nahm ein paar, drei oder vier, und dann ging sie nebenan ins Bad, um sie mit etwas Wasser hinunterzuspülen.

Im Allgemeinen wurde davor gewarnt, das Leitungswasser unabgekocht zu trinken, aber das kümmerte sie im Augenblick nicht. Sie dachte überhaupt nicht daran.

Ihre Hand glitt die in Augenhöhe angebrachten Ablage entlang und suchte nach einem Zahnputzbecher, während sie eine Tablette bereits im Mund zerkaut hatte. Sie schmeckten scheußlich, und so verzog sie das Gesicht zu einer Grimasse.

Irgendetwas fiel ins Waschbecken. Es war ein Rasierapparat. Sie war ziemlich ungeschickt.

Dann hatte sie endlich den Becher, ließ ihn voll Wasser laufen und spülte nach. Und nach der nächsten Tablette wieder. Und dann noch einmal.

Als sie den Blick hob und den Rasierer zurück an seinen Ort legen wollte, sah sie ein paar Schminkutensilien, die ihr bisher noch nie aufgefallen waren.

Sie runzelte die Stirn. Für einen Mann in Roberts Alter war es nichts Außergewöhnliches, ein paar graue Strähnen im Haar zu haben. Und es war auch nichts dagegen einzuwenden, mit entsprechenden Mitteln etwas dagegen zu tun. Das galt für Männer ebenso wie für Frauen. Aber was Elsa hier vorfand, ging genau in die entgegengesetzte Richtung: eine graue Haartönung!

Ihr Interesse war jetzt erwacht, und trotz der Kopfschmerzen untersuchte sie sorgfältig, was sich da in Roberts Schrank befand.

Im ersten Moment hatte Elsa an eine Frau gedacht. Eine Frau, die vielleicht - ebenso wie sie selbst - Roberts Geliebte gewesen war und diese Sachen hier zurückgelassen hatte.

Aber bei näherem Hinsehen sah es dann wie etwas ganz anderes aus. Es schienen die Utensilien eines Clowns oder besser: eines Schauspielers zu sein, der sich mit Schminke maskierte.

In ihr begann es zu arbeiten. Wozu konnte Robert solche Schminkutensilien benötigen? Er machte nicht den Eindruck eines Mannes, der in seiner Freizeit in einer Laienspielgruppe mitarbeitete...

Ein Mann, der mehrere Pässe besaß, brauchte möglicherweise auch mehrere Gesichter!

Bestimmt gibt es für alles harmlose Erklärungen!, hämmerte es verzweifelt in Elsas Kopf. Aber sie glaubte nicht daran. Ihr Instinkt sagte etwas anderes. Mit Robert war etwas nicht in Ordnung.

Und wenn er am Ende gar nur an einem Kostümfest teilgenommen hatte?

Es hat keinen Sinn, dachte sie.

Bis jetzt bestand alles nur aus Spekulationen. Ein Kartenhaus, das sich auf einen britischen Pass stützte, den sie flüchtig gesehen hatte und von dem sie nicht einmal mit Sicherheit sagen konnte, dass er Robert gehörte.

Vielleicht hatte ihn irgend jemand verloren, vielleicht hatte Robert ihn gefunden und eingesteckt, um ihn bei irgendeiner Stelle abzugeben. Und vielleicht war das Dokument dann einfach in seiner Tasche geblieben, weil er es vergessen hatte... Vielleicht, vielleicht...

Sie fasste sich an den Kopf. Ihr Daumen presste gegen die Schläfe. Mein Gott!, dachte sie. Wie schnell wird aus einem Traum ein Alptraum!

Du redest dir etwas ein, durchfuhr es sie dann. Sie wusste nicht mehr, was sie glauben sollte und was nicht. Sie ging schleppend nach nebenan, ins Schlafzimmer und ließ sich ins Bett sinken. Ihren Kopf vergrub sie im Kissen.

Sie fühlte sich müde und zerschlagen, obwohl sie doch gerade erst aufgestanden war. Elsa wartete, bis das Mittel, das sie genommen hatte, endlich anfing zu wirken. Aber besonders gut fühlte sie sich trotz dem nicht. Später, als sie dann hinunter ins Wohnzimmer ging, stand die Tür zur Terrasse auf. Zunächst war sie etwas verwundert, aber dann sah sie Aziz durch das Fenster.

Er beugte sich hinunter zum Swimmingpool und hantierte mit einer kleinen Apparatur aus winzigen Glasröhrchen herum. Elsa blinzelte, aber sie konnte nicht erkennen, worum es sich handelte.

Sie trat hinaus.

„Guten Morgen“, sagte sie.

Aziz blickte auf. Ohne darüber nachzudenken, hatte Elsa ihn auf Deutsch begrüßt. Aziz antwortete ihr auf Englisch.

„Guten Morgen, Miss.“ Sein Englisch war akzentbeladen, aber dennoch gut verständlich.

„Was machen Sie da?“, fragte sie - nun ebenfalls auf Englisch. Sie hörte sich in der fremden Sprache reden, und ihre eigene Stimme klang fremd für sie.

„Ich überprüfe den pH-Wert“, erklärte Aziz. „So ein Pool braucht regelmäßige Wartung. Vielleicht muss ich etwas Chlor zusetzen...“

Aziz hantierte noch etwas herum, dann erhob er sich ächzend. Er schien fertig zu sein.

„Und?“, fragte sie.

„Und was?“

„Müssen Sie Chlor zusetzen?“

„Ja. Sonst ist bald alles grün, und der Pool wird zu einer einzigen, stinkenden Kloake!“

„Na, aber das dauert doch eine Weile, bis es so weit kommt, oder?“

„Das geht viel schneller, als viele Leute glauben. Zumal wenn die Sonne so scheint.“ Er deutete zum Himmel. „Wird heute wieder ein heißer Tag!“

„Ja“, murmelte Elsa nachdenklich. „Scheint so...“

Der Marokkaner wollte sich zum Gehen wenden, aber Elsa hielt ihn zurück.

„Aziz...?“

„Ja, Miss?“

„Ich darf Sie doch so nennen, ich meine...“

Er lachte. „Aziz ist mein Name. Warum sollten Sie mich nicht so nennen dürfen?“

„Wie lange arbeiten Sie schon für Robert?“

„Für Mister Jensen? Schon sehr lange...“

„Wie lange?“

„Es werden jetzt bald drei Jahre, schätze ich.“

„Und seit wann ist Robert hier in Tanger?“

„Ich weiß es nicht, aber als ich hier angefangen habe, hatte er das Haus wohl noch nicht lange.“

Elsa machte eine unbestimmte Bewegung mit der Hand. „Er ist ein reicher Mann“, murmelte sie.

Und Aziz nickte. „Ja, sehr reich.“

„Was denken Sie über Robert?“

Aziz machte auf einmal einen ziemlich hilflosen Eindruck. In den Händen hielt er noch die Apparatur, die er zur pH-Wert-Bestimmung des Wassers gebraucht hatte. Er zuckte leicht mit den Schultern und lächelte etwas verlegen.

„Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll...“

Elsa kam in den Sinn, dass sie Aziz mit dieser Frage vielleicht überforderte. Schließlich lebte er von Robert... Aber sie bohrte dennoch weiter. Sie musste einfach mehr über den Mann erfahren, den sie liebte und in dessen Haus sie lebte.

„Sie werden doch sicher eine Meinung über einen Mann haben, für den Sie schon seit fast drei Jahren arbeiten!“

„Ich bin sehr zufrieden hier und kann mich nicht beklagen. Ich habe einen guten Job - und nicht nur ich, sondern auch meine Frau und meine Töchter. Sie kommen hierher zum Putzen. Wir alle verdanken Mister Jensen viel.“

„Das meine ich nicht.“

„Dann verstehe ich Sie nicht.“

„Was ist er für ein Mensch?“

„Er ist sehr verschlossen, Miss.“

„Was heißt das?“

„Dass er nicht gerne mit anderen über seine Angelegenheiten redet! Aber ist das nicht auch sein gutes Recht? Alles in allem weiß ich nicht viel über ihn, obwohl ich schon seit drei Jahren fast täglich sein Haus betrete. Etwas merkwürdig ist das schon.“ Er zuckte mit den Schultern. „Er vertraut mir immerhin so weit, dass er mir seinen Haustürschlüssel überlässt.“

„Ich meine...“

„Hören Sie, vielleicht können wir uns ein anderes Mal ein wenig unterhalten, aber im Augenblick habe ich eigentlich alle Hände voll zu tun...“

Er wandte sich bereits halb um.

„Nur noch eins!“

„Was?“

„Womit verdient Robert sein Geld?“

„Das geht mich nichts an. Hat er es Ihnen nicht gesagt?“

„Nein.“

„Haben Sie ihn gefragt?“

„Schon, aber... Ich werde nicht schlau aus der Sache. Aus allem hier.“

„An diesen Zustand sollten Sie sich gewöhnen.“

„Weshalb?“

„Weil der Besitzer dieses Hauses einen gewissen Hang zur Geheimniskrämerei hat. Ich habe es aufgegeben, mich über irgend etwas zu wundern. Und Sie sollten dasselbe tun.“

„Ich weiß nicht...“

„Es ist ein Rat, mehr nicht.“

„Gut.“

„Stellen Sie sich eine Rose auf einem Misthaufen vor.“

„Eine Rose auf einem Misthaufen? Etwas merkwürdig, nicht?“

Aziz entblößte seine Zähne, als er ein breites Lächeln aufsetzte. „So etwas gibt es, Miss.“

„Wenn Sie es sagen.“

„Sie sollten sich an der Rose freuen, Miss - und nicht in dem Mist graben, auf dem sie gewachsen ist!“

Dann wandte er sich mit einer entschlossenen Bewegung um und ging davon.

Juwelen, Mörder, Tote - Sechs Extra Krimis Juni 2018

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