Читать книгу Unmögliche Aufträge: Zwei Thriller - Alfred Bekker, Frank Rehfeld, Karl Plepelits - Страница 16
VII
ОглавлениеGeorg sah an ihm vorbei, als er die Wohnung betrat.
»Guten Morgen, Georg«, sagte Schaake laut. »Schlecht gelaunt? Oder dicke Luft?«
Georg wandte sich wortlos um und öffnete die Tür zum Büro. Dort saßen Mehrländer und Urbach. Beide machten ernste, beinahe ärgerliche, Gesichter.
»Morgen«, grüßte Schaake.
»Haben Sie meine Nachricht nicht erhalten?«, fragte Mehrländer.
»Es war zu spät, als ich zurückkam. Und außerdem kannte ich die Telefonnummer nicht.«
Mehrländer gab Georg einen Wink. Der schrieb die Nummer auf einen Zettel, den er Schaake gab. Schaake wollte das Blatt einstecken, aber Urbach sagte scharf: »Stopp!«
Mehrländer sagte: »Lernen Sie die Nummer auswendig. In unserem Geschäft trägt man nichts Geschriebenes mit sich herum, jedenfalls nicht ohne triftigen Grund.«
»Weshalb wollten Sie mich sprechen?«
»Ich wollte mit Ihnen zu Abend essen. – Wo waren Sie?«
Schaake wurde wütend. Er wollte irgendetwas Kerniges sagen, aber er konnte die berechnenden, misstrauischen, abwägenden Blicke nicht mehr ertragen, und plötzlich hasste er auch Mehrländers Gesicht mit den hängenden Wangen und der wächsernen Haut. Sie waren alle kalt und gefühllos. Er betrachtete Mehrländers Hände, die groß und klumpig auf dem Tisch lagen. Unter der fleckigen Haut traten die Venen dick und blau hervor.
Er wollte lügen, irgendetwas erfinden. Er sei spazieren gegangen, habe einen Kneipenbummel unternommen, sei im Kino gewesen. Oder einfach sagen: Das geht Sie nichts an.
Er spürte die feindselige Haltung der Männer, und er wollte sie nicht unnötig reizen.
»Ich habe meine Mutter besucht«, sagte er.
In den Augenpaaren veränderte sich nichts. Unverwandt starrten sie ihn an, als hätten sie eins ihrer Opfer vor sich.
»Verdammt, ich sehe nicht ein, weshalb ich mir meine Freizeit nicht einteilen kann, wie ich will!« Er konnte nicht verhindern, dass seine Stimme laut wurde.
»Was wollten Sie bei Ihrer Mutter?«, fragte Mehrländer.
»Sie besuchen, nichts sonst. Ich habe sie seit Mai nicht mehr gesehen. Ich war nur drei Stunden bei ihr. Ich wurde weder verfolgt, noch habe ich Geheimnisse ausgeplaudert.« Er kniff die Lider zusammen. Wurde er etwa beobachtet? Observiert, beschattet? Hatte man einen Peilsender in den BMW gebaut und ihn trotzdem verloren? Er sah Gespenster. Das Misstrauen steckte an.
»Von jetzt an teilen Sie uns mit, was Sie unternehmen wollen, und wo Sie Ihre Zeit zu verbringen gedenken.«
Schaake sah Mehrländer ungläubig an. »Ich verstehe wohl nicht recht. Ich soll so etwas wie einen Plan machen? Oder Sie jedes Mal anrufen, wenn ich aufs Klo oder ins Kaufhaus gehe oder eine Zeitung hole?»
»Nicht gerade, wenn Sie aufs Klo gehen. Aber wenn Sie die Wohnung verlassen, hinterlassen Sie, wo Sie den Abend zu verbringen gedenken, und wenn Sie Ihre Pläne ändern, rufen Sie uns an. Wenn Ihnen das nicht passt, bekommt Ihr Wagen einen Peilsender, und ich lasse drei Teams aus Köln kommen, die Sie überwachen. Die Männer sind wie Schatten, denen entkommen Sie nicht.«
Die Kälte und die Autorität in Mehrländers Stimmer ließen Schaake frösteln. Mehrländers Augen waren fade Flecken hinter der Brille, die schweren Lider hatten sich halb gesenkt.
Als er weitersprach, klang sein Tonfall etwas verbindlicher. Aber nur etwas. »Wir müssen wissen, wo Sie sich aufhalten.«
»Wo Sie mich suchen können? Oder Heller?«
»Wir wissen eben gern, wo Sie sind«, sagte Mehrländer ausweichend. »Haben Sie schon mal daran gedacht, was passiert, wenn Heller Sie zuerst erkennt, aber Sie ihn nicht? Er ist ein Profi, vergessen Sie das lieber nicht.«
»Was wird er tun?«
»Schwer zu sagen. Wenn er kann, wird er Ihnen ausweichen, aber er wird gewarnt sein und wahrscheinlich in der Versenkung verschwinden.«
»Warum?«
»Er wird nicht an einen Zufall glauben. In unserer Branche gibt es keine Zufälle, Herr Schaake.«
»Was wird er tun? Oder was würde geschehen?«
»Wir wissen es nicht«, antwortete Mehrländer nach einiger Zeit.
Schaake beugte sich vor. »Sie haben mir gestern erzählt, dass für Heller keine physische Gefahr bestünde...«
»Richtig. Nicht von unserer Seite.«
»Aber was ist mit mir? Besteht für mich eine physische Gefahr?«
»Nach menschlichem Ermessen – nein. Aber wir wissen auch, dass die Gegenseite gelegentlich nicht vor drastischen Maßnahmen zurückschreckt.«
»Warum haben Sie mir das nicht vorgestern gesagt?«
»Hätten Sie dann gepasst, Herr Schaake?«
Schaake lehnte sich zurück. Er wusste es nicht, jetzt nicht mehr.
Georg hatte den Projektor und die Leinwand schon vorbereitet, und nachdem Mehrländer gegangen war, verdunkelte er das Zimmer. Neben Urbachs Platz brannte eine Stehlampe, die er mit einem Fußschalter bedienen konnte. In ihrem Schein öffnete er einen der Kunststoffkästen. Er enthielt Dias in vorführbereiten Rundmagazinen. Sie waren nach Nummern geordnet. Urbach verglich die Zahlen mit den Angaben auf einem Verzeichnis, das vor ihm lag, dann nahm er das erste Magazin aus dem Kasten und setzte es in den Projektor ein. Das Licht erlosch. Das Gebläse des Vorführgerätes summte leise, und Streulicht fiel über Urbachs Gesicht. Schaake hatte registriert, dass Urbach das Tonbandgerät wieder angeschaltet hatte.
»Versuchen Sie, sich zu entspannen, Herr Schaake. Wir können alle Bilder mehrmals durchlaufen lassen, oder bestimmte Dias noch einmal zeigen. Sie brauchen es nur zu sagen. Rechnen Sie nicht damit, Ihren Freund gleich auf den ersten Bildern zu erkennen. Achten Sie besonders auf Personen in der Umgebung der Zentralfigur.«
Das erste Bild leuchtete auf. Eine Straßenszene, irgendwo, ohne etwas Typisches. Ein Mann in einem Regenmantel verließ ein Geschäft. Am Straßenrand stand ein alter Kadett, der jedoch sehr neu aussah. Schaake ging auf, dass dieses Foto vor sechs oder sieben Jahren entstanden sein musste. Drei oder vier Passanten waren deutlicher zu erkennen. Schaake tastete ihre Gesichter ab, bis das Bild wechselte.
Schaake sah, wie ein Feuerzeug aufflammte, dann wehte Zigarettenrauch durch den Projektionsstrahl. Er sah sich um. Urbach erwiderte seinen Blick. Das Weiße in den hellen Augen leuchtete. Der Projektor war auf Automatik geschaltet.
Schaake konzentrierte sich auf die endlose Reihe der vorbeiklickenden Szenen. Mehrländer hatte nicht zu viel gesagt, als er behauptete, die Technik sei gut.
»Sind das alles Spione?«, fragte Schaake.
»Nicht alle, natürlich nicht. Die meisten Aufnahmen sind bei routinemäßigen Überwachungsaktionen entstanden. Es sind Botschaftsangehörige dabei, Mitglieder osteuropäischer Handelsmissionen, Mitarbeiter von Pressebüros. Die meisten von denen haben auch nachrichtendienstliche Funktionen.«
»Warum fotografieren Sie die denn, wenn Sie es ohnehin wissen?«
»Für unser Familienalbum, Herr Schaake. Für Gelegenheiten wie diese, zum Beispiel, oder um Beweismaterial zu haben, wenn es gebraucht wird. Manchmal müssen wir unseren Freunden auch einen Gefallen tun. – Aber um Ihr Gewissen zu beruhigen. Herr Schaake – sofern auf den Bildern Landsleute von uns festgehalten sind, sind sie zumindest verdächtig, für eine fremde Macht zu spionieren, um es einmal volkstümlich auszudrücken. Es sind Angestellte in Ministerien und Parteien, Mitglieder von Verbänden, die der Industrie oder Parteien nahe stehen, Sekretärinnen oder deren Liebhaber.«
Urbach setzte ein neues Magazin ein, ohne das Licht anzuschalten. Georg verließ lautlos den Raum, um Kaffee zu kochen. Die Vorführung ging weiter.
»Hat er Ihnen nie geschrieben?«, fragte Urbach.
Geschrieben? Schaake erinnerte sich an zwei Briefe. »Ja«, antwortete er. »Zwei Briefe. Aber ich weiß nicht mehr, was drin stand.«
Belangloses Zeug. Nichts, was jetzt, nach 23 Jahren Aufschluss über Jochens Motive oder seinen Werdegang gegeben hätte Jochen hatte zuerst geschrieben, wo er wohnte und wie er untergekommen war. Und dass er beabsichtigte, theoretische Physik zu studieren. Und dass er die Filme vermisste, besonders die Western. Jochens zweiter Brief hatte noch nichtssagender geklungen. Er werde sein Studium aufnehmen, er habe ein Stipendium bekommen. Danach kam nichts mehr. Volker Schaakes letzter Brief blieb unbeantwortet. Und weil er, Volker Schaake, seinerseits sein Studium in Aachen aufnahm, und weil er neue Eindrücke empfing, neue Menschen kennenlernte, hatte er sich keine sonderliche Mühe mehr gegeben, die Verbindung zu halten, wiederherzustellen oder was auch immer. Jochen Heller war eins geworden mit der Erinnerung an eine schöne unbeschwerte Jugendzeit, war Bestandteil von ihr, wie der Anblick der Porta Westfalica oder ein Streifzug durch die Weserwiesen.
»Wie gesagt, wir dürfen nicht zu viel erwarten«, erklärte Urbach leichthin. Das Tonbandgerät lief ununterbrochen. »Sprechen wir von Ihrem Freund und Ihrer Zeit in Minden. Erzählen Sie einfach, woran Sie sich erinnern.«
Schaake sah auf die vorüberhuschenden Fotos, trank von dem Kaffee, den Georg wie ein aufmerksamer Gastgeber laufend nachschenkte, und er versuchte, Urbach entgegen zu kommen. Aber was er sagte, war unwichtig, belanglos. Er redete mehr von Stimmungen als von tatsächlichen Erlebnissen. Wenn Urbach enttäuscht war, zeigte er es nicht, jedenfalls nicht so schnell. Irgendwann schnippte er mit den Fingern, und Georg zog die Vorhänge zurück.
Schaake rieb seine Augen. Die Luft war schwer und blau vom Zigarettenrauch. Georg öffnete ein Fenster.
»Wird es Ihnen zu viel?«, erkundigte sich Urbach.
Schaake schüttelte den Kopf. »Es geht schon. Wir können weitermachen.«
Schaake konzentrierte sich und zeigte die Disziplin, die er bei seiner Arbeit gewöhnt war. Am Abend war er mehr als ausgelaugt. Die Gesichter auf den Dias verschwammen vor seinen Augen. Natürlich hatten sie immer wieder Pausen eingelegt, in denen sie Kaffee getrunken oder etwas gegessen hatten. Mittags hatte Georg für jeden eine Pizza aus dem nahe gelegenen Restaurant geholt und sie im Backofen aufgewärmt, damit sie wieder knusprig wurden. Fürs Abendessen hatte er einige Sandwichs zubereitet.
Urbach war ein geschickter Vernehmer, vermutete Schaake. Während der ganzen Zeit, während Szene um Szene von der Leinwand herabstrahlte, hatte Urbach mit monotoner Stimme immer wieder Fragen gestellt, und in den Pausen, wenn Schaake abzuschalten versuchte, hatte Urbach das Gespräch nicht abreißen lassen. Geschickt umkreiste er ein Thema, das ihm interessant erschien, machte Umwege, kam wieder darauf zurück, wenn Schaake es nicht erwartete. Urbach interessierte sich für alles. Er versuchte, Schaakes Müdigkeit auszunutzen. Als Schaake merkte, dass er wie unter Hypnose antwortete, warf er das Handtuch. Er stand einfach auf. Urbach unterbrach die eben erst eingelegte Serie. Georg brachte gerade ein paar Dosen Bier herein. Schaake nahm eine, riss den Verschluss ab und trank. Als Urbach die Lampe einschaltete, blinzelte Schaake, dann sah er auf die Uhr. Es war halb neun durch.
Urbach war sichtlich unzufrieden. Weniger, weil sich bisher kein Ergebnis gezeigt hatte, das hatte er, wie er immer wieder versicherte, auch nicht so schnell erwartet. Er schien einzusehen, dass sie in einer Sackgasse operierten.
»Ich hatte gehofft, dass wir mehr Serien durchziehen können«, sagte er. »Es geht zu langsam. Wir haben auch Filme, aber wir haben uns für Dias entschieden, weil wir da mehr Personen durchziehen können. Trotzdem – wir müssen weitermachen«
»Morgen«, sagte Schaake »Ich gehe jetzt ins Hotel und dusche. Anschließend besuche ich vielleicht noch eine Kneipe, denn ich kann bestimmt noch nicht schlafen, weil ich zu aufgekratzt bin. Ich rufe Sie dann an und sage Bescheid, wo ich bin.«
»Reden Sie keinen Blödsinn!«, fauchte Urbach.
Schaake deutete auf die sich drehenden Spulenscheiben des Tonbandgerätes. »Lassen Sie das Ihren Chef nicht hören«, spottete er.