Читать книгу Weltweit unter Segeln um 1850-70 – Die Seefahrt unserer Urgroßväter - Alfred Tetens - Страница 5

Paketschiff „AMERICAN CONGRESS“

Оглавление

Aber ich war ein stämmiger Bursche geworden, der nicht gewohnt war, seine Hände in den Schoß zu legen und der nun auch an Bord des nach London bestimmten großen amerikanischen Paketschiffes „AMERICAN CONGRESS“ seine ihm lieb gewordene Arbeit fand.


Ich muss einen Moment bei diesem für mich wichtigen Ereignis verweilen, und der geehrte Leser wird mein Entzücken darüber begreiflich finden, dass mir eine nach meinen damaligen Begriffen sehr beträchtliche Monatsgage von 18 Dollars zugesichert war. Was wogen Rotschild’s Millionen gegen meine 18 Dollars? .. Sobald ein Tag zur Neige ging, war für mich der Augenblick gekommen, nachzurechnen, wie hoch sich jetzt mein Vermögen belaufe. Aber ich muss hinzufügen: nicht der Besitz allein machte mir diese Freude, sondern das erhebende Bewusstsein, dass ich den verdienten Lohn für meine Arbeit empfange, dass ich eine Leistung zu vollbringen im Stande sei, wofür der Amerikaner jene 18 Dollars gerne zahlte.

An Bord herrschte bei einer verhältnismäßig großen Besatzung ein recht reges, meinem Geschmacke zusagendes Leben. Der Umstand, dass unser Kapitän Leute von allen möglichen schifffahrttreibenden Völkern angeworben, was einen vielseitigen sprachlichen Verkehr hervorrief, bot dem für alles Fremdartige besonders entflammten Deutschen einen interessanten Sprachunterricht. Es war durchaus nichts Befremdendes, wenn z.B. der redegewandte Sohn Spaniens seinem holsteinischen Genossen eine lange Geschichte erzählte, von der dieser auch nicht ein Wort verstand, aber doch zum Schlusse der Erzählung auf einen Augenblick die Pfeife im Munde zur Seite schob und mit einem rührenden Ernst entgegnete: „Si, si, da kannst du di up verlaten.“

Nach einigen glücklichen Reisen mit diesem Schiffe erwachte eines Tages die bisher krampfhaft niedergehaltene Sehnsucht nach meinen Eltern zu lebhaft in mir, dass ich London schleunigst verließ und die Überfahrt auf der dänischen Brigg „CORA“ antrat. Auf dieser kurzen, aber heimtückischen Strecke musste ich entsetzliche Qualen erdulden. Unsere Brigg trieb mitten im strengen Winter bei einem rasenden Sturme zwischen Norwegen und England fünf volle Wochen umher. Auf der total durchnässten Kleidung hatte sich eine Eiskruste gebildet, welche die letzte Köperwärme aufzehrte. Bei diesem gänzlichen Mangel an trockenem Zeug, an Handschuhen und Stiefeln wurde mein Zustand ein geradezu verzweiflungsvoller. Andauernde bittere Kälte hatte meine Hände in dunkelblaue Fleischklumpen verwandelt, die bei der geringsten Bewegung namenlose Schmerzen verursachten. – Endlich war die Gewalt des Sturmes gebrochen. Der Kapitän konnte nunmehr den Hafen von Arendal anlaufen. Vierzehn Tage lagen wir hier vor Anker. Als dann das Eis der Ostsee kein allzu großes Hindernis mehr bot, gingen wir abermals unter Segel und erreichten unter anhaltenden Strapazen glücklich Kopenhagen. Der Reeder und alle Angehörigen der Besatzung waren freudig erstaunt, als das verloren geglaubte Schiff in den sicheren Port einlief.

Ohne Rücksicht auf meine äußere Erscheinung zu nehmen, wollte ich meine hier ansässigen Verwandten besuchen. Mein Herz sehnte sich nach teilnahmsvollen Menschen. Vor der palastähnlichen Wohnung meines Onkels vergaß ich alle Qual, ein behagliches Etwas zog durch meine Seele. Der vom heftigen Ruck meiner Hand geweckte helle Glockenton drang bis in meine kleine Zehe. Langsam und feierlich wurde das imposante Tor geöffnet. Aber kaum hatte der bunt geschmückte Diener die zerlumpte, zerfetzte Jammergestalt erblickt, da fuhr die majestätische Pforte so rasch ins Schloss zurück, dass ich einen Moment für meine Nasenspitze fürchten musste.

Sollte ich auf diese Weise von meinen Verwandten scheiden? Eine kurze Überlegung verneinte. Ich setzte also den Glockenzug nochmals in heftige Bewegung. Dieses Mal erschien ein weibliches, somit viel liebenswürdigeres Wesen, das mich wenigstens auf den Vorplatz führte und mein Anliegen im nächsten Zimmer meldete. Die halb geöffnete Tür gab mir Gelegenheit, die jetzt beginnende Unterhaltung zu vernehmen.

„Was sagst du? Der zerlumpte Matrose wäre mein Onkel? gab meine Tante zurück. – „Jawohl Madame, er hat es selbst gesagt.“ – „Dann führe meinen Onkel herein“, rief lachend die Dame, jetzt den Zusammenhang erkennend.

Ohne diese Aufforderung abzuwarten, stürzte ich in die Arme meiner hocherfreuten Tante. Das Mädchen hatte von meiner deutschen Anfrage nur das Wort ‚Onkel’ verstanden.

Nachdem das so entstandene qui pro quo herzlich belacht, erhielt ich alles, was mir wieder zu einem menschenwürdigen Aussehen verhalf.

Noch am selbigen Tage eilte ich meiner Heimat entgegen. Die letzte Strecke konnte nur im Postwagen zurückgelegt werden. Trotz meiner körperlichen Schmerzen vermochte ich meine Ungeduld kaum zu zügeln, und als ich das Heimatstädtchen, wo meine Eltern und all’ meine Lieben weilten, aus der Niederung empor tauchen sah, da verließ ich mit einem kühnen Satze das viel zu langsame Gefährt und stürzte Freude jauchzend in die Arme meiner mir entgegen eilenden Eltern und Geschwister. Ach, könnte ich die Freude des Wiedersehens, den Jubel im elterlichen Hause nur annähernd schildern! Der Leser würde mir dann sicherlich glauben, dass es für einen Seemann nichts Herrlicheres gibt, als zum ersten Mal nach einer mehrjährigen Reise zurückzukehren. Er, der als unerfahrener Bursche, oft nur einer Regung folgend, planlos hinausstürmte, hat jetzt seine Schwingen im ersten Fluge erprobt. Sein ganzes Wesen ist geläutert, er betrachtet das Leben mit ersteren Augen.

Meine körperlichen Schmerzen waren bald unter der sorgsamen Pflege meiner Mutter verschwunden. Eine so rasche Heilung meiner zahlreichen Wunden konnte auch nur einer liebenden Mutter gelingen. Die Erinnerung an den ersten elterlichen Empfang gehört zu den schönsten meines Lebens. Die monatelange Ruhezeit zu Hause flog mir wie ein kurzer Traum dahin.


Weltweit unter Segeln um 1850-70 – Die Seefahrt unserer Urgroßväter

Подняться наверх