Читать книгу Weltweit unter Segeln um 1850-70 – Die Seefahrt unserer Urgroßväter - Alfred Tetens - Страница 8
Militärpflicht auf der dänischen Korvette „NAJADEN“
ОглавлениеUm nun nicht unzeitig in meinem Kurs gehindert zu werden, hielt ich es für angeraten, meine Militärpflicht gegen Dänemark zu erfüllen, wie jeder diensttaugliche Schleswig-Holsteiner damals zu tun gezwungen war.
In Folge einer Verfügung der dänischen Militärbehörde war ich im Jahre 1855 für die dänische Marine „auskommandiert“ und hatte mich Ende April beim Oberkommando in Kopenhagen zu melden. Mit schwerem Herzen folgte ich dieser Weisung. Nachdem mir jedoch am Bestimmungsorte eröffnet wurde, dass ich von nun an zur Besatzung der Korvette „NAJADEN“ gehöre, die bestimmt sei, eine Übungsreise nach Westindien, Brasilien etc. zu machen, kehrte mein Frohsinn wieder. Für einen Seemann, der bereits die Weltmeere durchkreuzt hat und immer Neues sehen will, war das monotone in Dänemark übliche ‚Ostsee-Manöver’ gewiss keine verlockende Aussicht.
Nachdem Admiral Steen Bille die Parade an Bord der Korvette abgenommen und seine Zufriedenheit ausgesprochen hatte, verließen wir 2. Mai die Reede von Kopenhagen und steuerten mit frischem, fröhlichem Mute unserem fernen Ziele entgegen. Es war ein herrlicher Tag. Das klare weite Himmelszelt prangte in einem so tiefen Blau, wie es nur selten den nordischen Horizont färbt. Unser entzückter Blick schweifte weit hinaus. Es schien, als ob plötzlich die wunderbare Pracht der Tropen vor uns auftauchte. Das neckische Spiel der farbenschimmernden bewegten Wellen erhöhte diese bestrickende Illusion. Die unter dem herrlichen szenischen Eindruck begonnene, viel verheißende Reise täuschte unsere Erwartungen nicht. Noch heute, nach Verlauf vieler Jahre denke ich mit großem Vergnügen an jede Einzelheit derselben zurück. Ich sehe das rasche, von Ehrgeiz und militärischer Ordnung lebhaft unterstützte Manövrieren so klar und deutlich vor mir, als habe soeben erst der Kommandeur seine kurzen Befehle gegeben. War auch der Dienst an Bord eines Kriegsschiffes naturgemäß recht abweichend von dem auf Kauffahrern so erlernte ich doch alles Erforderliche gleichsam im Fluge. Mein Eifer, und ich darf wohl ohne Anmaßung hinzufügen, auch meine Fähigkeit, jedes Ding am richtigen Ende anzufassen, blieb nicht unbeachtet.
Sehr rasch durchlief ich die unteren Chargen und kam der ersehnten Stufe immer näher. Als Führer der Gig des Kapitäns hätte ich mein Leben daran gesetzt, kein anderes Boot an dem unsrigen vorüber rudern zu lassen. Der Versuch wurde zwar oft von meinen Gegnern mit achtungswerter Energie unternommen, aber meine gestählten Muskeln zeigten dann eine so erfreuliche Spannkraft, dass mir der Sieg zur Freude meines Kapitäns niemals entrissen wurde.
Bald avancierte ich zum Kapitän vom „Groß Topp“. Nicht nur die mannigfachen Arbeiten in der Takellage, auch alle Befehle, die sich auf Leesegel setzen, Boote aussetzen, erstreckten, waren meiner unmittelbaren Direktion unterstellt. Wer nie in einem streng disziplinierten Verhältnis gestanden, der kann wohl kaum begreifen, ein wie bestrickender Reiz der exakten minutiösen Ausführung des gegebenen Befehls innewohnt.
Die höchste militärische Ehre, die mir an Bord der Korvette erwiesen wurde, bestand in meiner Anstellung bei der Kanone Nr. 7. - Nur ganz Bevorzugte erhielten bei der ersten Fahrt eine artilleristische Ausbildung.
Diese neue, auf Kauffahrern nicht vorkommende Beschäftigung nahm meine Aufmerksamkeit derart in Anspruch, dass ich das Exerzitium bei den Geschützen sehr bald inne hatte und das meinige gleich dem erfahrensten Feuerwerker zu bedienen im Stande war. Beim Abfeuern meiner mir anvertrauten Nr. 7 gerieten meine Nerven in eine nie geahnte Erregung, aber kaum war der donnernde Schall dem Rohre entfahren und krachte über die weite spiegelglatte Geschossbahn, da empfand ich eine wahrhaft kindliche Freude.
Ich konnte ja nicht ahnen, dass acht Jahre später dasselbe Geschütz gegen mein Vaterland und seine heldenmütigen Verteidiger gerichtet werden würde. Nach dem Geschützbedienen wurden wir auch in dem Gebrauch der anderen Waffen unterrichtet. Wenn unser Bajonettieren, Fechten mit dem Säbel, Gewehr- sowie Pistolenschießen auch keinen Anspruch auf eine besondere Leistung erheben konnte, so wurden wir doch soweit mit den Waffen vertraut gemacht, um bei vorkommender Gelegenheit wirksam Gebrauch von denselben machen zu können.
Wenige Jahre später war ich sehr oft in die zwingende Notwendigkeit versetzt, mein Leben mit der Waffe in der Hand zu verteidigen; so habe ich meiner militärischen Ausbildung auf dem Schiffe unendlich viel zu danken. Ohne sie würde mir sicherlich die Veröffentlichung meiner Erlebnisse erspart geblieben sein, und das wäre allerdings kein zu unterschätzendes Vergnügen gewesen. Aber ich fühle mich doch heute in meinem lieben mächtigen Vaterlande in meinem sicheren Heim bedeutend wohler, als wenn meine Knochen jetzt vielleicht am Gestade der Palau-Inseln bleichten oder den Kindern der Einwohner von Yap (Südsee) als Spielzeug dienten. Jedenfalls sollte es kein Seefahrer unterlassen, sich im Gebrauch der verschiedenen Waffen zu üben.
Unsere Besatzung durfte mit der Behandlung von Seiten der Offiziere Anfangs zufrieden sein. Mancher meiner holsteinischen Kameraden hatte seine ursprüngliche Besorgnis, Hannemann würde die Tysken gehörig vornehmen, bald verworfen.
Leider sollte sich diese Befürchtung am Schlusse der Reise bestätigen. Es kam immer einmal Gelegenheit, wo man die „Stiefkinder“ die brutale Behandlung ihrer unnatürlichen Eltern fühlen ließ. Ich könne mich sogar einer ehrenden Bevorzugung abseiten der dänischen Offiziere rühmen. Freilich war ich auch stets bemüht, durch unverdrossene Dienstleistung und freundliches Entgegenkommen ihre Zufriedenheit zu erlangen. Unter den dänischen Offizieren befanden sich auch mehrere englische Kameraden an Bord der Korvette, mit denen ich näher bekannt wurde. Von diesen englischen Offizieren war es namentlich Mr. Busby, der ich beim Abschiede dringend ersuchte, seinen Einfluss anzurufen, für den Fall, dass ich entschlossen sei, unter englischer Flagge zu fahren.
Während unserer Reise, auf welcher wir die Häfen von St. Thomas, St. Croix, St. Jean, Bahia, Rio de Janeiro, Santos, Montevideo, Buenos-Ayres anliefen, war das Zusammentreffen mit einem fremdländischen Kriegsschiffe stets unser größtes Vergnügen. Das Bestreben, die Gewandtheit und Manövrierfertigkeit des Gegners zu übertrumpfen, gehört zu den vornehmsten Eigenschaften des Seefahrers. Ohne Kommando setzt jeder seine ganze Kraft und Geschicklichkeit ein. Es beginnt ein heißer Wettstreit, bei dem die Glieder nicht geschont, keine Schmerzen beachtet werden.
Wer bei solcher Gelegenheit im Eifer der gestellten Aufgabe zufällig aus den Rahen purzelt, sich ein paar Rippen verknackst, den Arm bricht oder sonstige Extravaganzen treibt, der wird zwar dem mürrischen Blick des Kommandanten begegnen, im Übrigen aber so ehrenvoll behandelt werden, als ob er auf dem Kampfplatz gefallen wäre. Trotzdem habe ich stets danach gestrebt, dem zu entgehen, und ich freue mich noch heute nicht wenig, dass ich jener zweifelhaften Ehrenbezeugung auf der NAJADEN glücklich entronnen bin. Mein Militärischer Corpsgeist verlangt hier die Bemerkung, dass wir bei allen Konkurrenzmanövern gegen die verschiedensten Flaggen den Danebro stets zum Siege führten, aber es darf auch nicht unerwähnt bleiben, dass es zum größten Teile deutsche Jungens waren, die sich diesen idealen Erfolg zuschreiben durften.
Es gehörte ja in jener Zeit noch zu den echt deutschen Eigentümlichkeiten, am liebsten unter fremder Flagge das Heil zu versuchen. Wie viel deutsche Kraft und Intelligenz dem Mutterlande auf dem Wasser verloren gegangen ist, davon hat nur der ältere Seemann einen annähernden Begriff. Der Verlust jener Kräfte wäre noch zu ertragen, wenn er nicht auch gleichzeitig die Macht unserer Handel treibenden Konkurrenz so wesentlich vergrößert hätte. Die maritimen Positionen, welche wir uns nach unserer Erhebung von 1870/71 im Interesse des Handels mühsam errungen haben und noch erringen müssen, sind teilweise von deutschen Händen gegründet. Gott sei Dank, dass endlich die Zeit gekommen ist, wo der deutschen Flagge die lang entbehrte Achtung erwiesen wird und Deutschland eine würdige Stellung auf dem Meere einnimmt.
Spirituosen waren an Bord der NAJADEN streng verboten, aber ein kräftiger Trunk auf See ist namentlich für den älteren Seemann eine so verführerische Erquickung, dass er oft gegen die strenge Vorschrift verstößt und jede Gelegenheit zur Erlangung des verbotenen Getränk benutzt.
Die Korvette sollte in wenigen Stunden den Hafen von St. Croix verlassen, ich wurde zur Ordonanz ernannt und hatte den Auftrag, an Land zu fahren und noch etwa eingegangene Befehle oder Schriftstücke für den Kommandeur zu empfangen. In dem Augenblicke, als ich ins Boot stieg, erhielt ich von einem Unteroffizier den leise geflüsterten Befehl, ihm zwei Flaschen alten Rum zu besorgen, Aber gut zu verstecken. Ich versuchte zwar, den gefahrvollen Auftrag abzulehnen, erhielt aber nochmals eine so strenge Weisung zu gehorchen, dass ich stillschweigend einwilligte. Die letzten Worte meines verführerischen Vorgesetzten: „Nur recht schlau, dann geht’s leicht“, vergrößerten nur meine Sorge.
Schweren Herzens stieß ich vom Schiffe ab und erreichte nach einem viertelstündigen scharfen Rudern die Douane. Meine amtliche Funktion war rasch erfüllt; jetzt galt es, dem Befehle des Unteroffiziers nachzukommen. Hart am Strande in unmittelbarer Nähe des kleinen Regierungsgebäudes befand sich die Handlung, in welcher ch zwei Flaschen des kostbaren Rums käuflich erstand. Ahnungslos nahm ich dieselben unter den Arm und eilte damit zum Strande. Die Konterbande einfach im Boot verstecken schien mir nicht schlau genug. Ich beschloss also, die zwei Flaschen an einer Doppelleine zu befestigen, ins Wasser zu versenken und dann, für kein menschliches Auge sichtbar, einfach hinter dem Boot herzuschleppen, ein ingeniöser Plan, dessen Gelingen mir so sicher erschien, dass ich furchtlos meine Rückreise begann.
Ich hatte bereits meine Dokumente dem Nächstkommandierenden eingehändigt und wollte mich sorglos entfernen, als der sonderbare Befehl des Offiziers erschallte: „Boot untersuchen!“
Ich stand auf dem Fleck wie gebannt. Was war das? Drei Chargierte hatten den Befehl eiligst erfüllt, konnten aber zu meiner Freude nicht das Geringste entdecken, was gegen Ordnung und Gesetz verstieß. Natürlich! Auf meine Schlauheit war niemand vorbereitet. Aber ach! Wie vergänglich ist die Freude! Wie bald sollte der Jammer folgen!
Mit stürmisch klopfendem Herzen sah ich dem eigenartigen Beginnen der Mannschaft zu. Eiserne Haken wurden ins Boot gelassen und befestigt; dann erscholl der der schrillende Pfiff der Bootsmannspfeife, und mein kleines Fahrzeug flog aus seiner natürlichen Lage hinten am Heck hoch in die Luft. Je höher mein Boot stieg, desto tiefer wünschte ich in den Boden zu sinken. Der Anblick war auch gar zu schrecklich. Genau vor dem Kajütenfenster des Kommandeurs baumelten die verräterischen Rumflaschen, als freuten sie sich königlich darüber, vor den Blicken des Gestrengen paradieren zu dürfen. Im schmerzlichen Anblick vor diesen beredten Zeugen wr meine Schlauheit natürlich zu Ende; ich saß in der Schlinge; bei jedem Versuch zu entschlüpfen, musste diese sich nur fester ziehen, das war mir trotz meines glänzenden Durchfalls vollkommen klar.
Ich hatte durchaus kein Verlangen, meinen Rücken für den dänischen Unteroffizier zu opfern. Wahrheitsgetreu berichtete ich dem Kommandanten den Vorgang. Meine Unschuld kam ebenso ans Tageslicht wie meine Flaschen; ich erhielt wohl einen energischen Verweis, aber die entsetzlichen 3 x 9 Peitschenhiebe blieben mir glücklicherweise erspart. Die Strenge des Militärgesetzes traf nun den Urheber; er wurde degradiert. Erst später habe ich erfahren, auf welche Weise meine verräterischen Rumflaschen so rasch endeckt werden konnten. Die Offiziere hatten vom Deck aus mein sträfliches Beginnen mit ihren Ferngläsern genau beobachten können; ein Umstand, den ich bei meiner Schlauheit nicht genügend berücksichtigt, und der dem rumsüchtigen Unteroffizier schon vor meiner Ankunft entsetzliche Qualen bereitet hatte. Zwischen mir und dem früheren Unteroffizier entbrannte ein nie beendeter Rechtsstreit um den Ersatz meiner Auslagen.
Beklagter beharrte bei seiner Entgegnung, dass ich meine Bezahlung nur von „dem“ beanspruchen könne, der den Rum getrunken, und da ich besagtem „dem“ weder entdecken konnte noch wollte, so schuldet mir eigentlich Dänemark bis zum heutigen Tage noch den Betrag für jene zwei Flaschen Jamaika-Rum.
Wenige Tage später ereignete sich ein Vorfall, der leider noch ungünstiger verlief. Meine Landsleute litten unter dem Druck der dänischen Offiziere. Es existierte jetzt entschieden ein Unterschied zwischen der Behandlung der dänischen und der schleswig-holsteinischen Mannschaft. Versehen, welche bei den Dänen kaum beachtet wurden, bestrafte man b ei den Schleswig-Holsteinern sehr empfindlich. Unter solchen Umständen war es natürlich, dass der erbitterte Deutsche nicht im Stande war, seinen Groll zu verbergen, sondern, statt die kleinen Schikanen zu ertragen oder an geeigneter Stelle zur Anzeige zu bringen, sich sein Recht auf eigene Weise zu verschaffen suchte und dadurch den Vorgesetzten noch mehr Grund zu Klagen gab.
So hatte sich ein holsteinischer Kamerad bei einer außerdienstlichen Gelegenheit einen sehr ungeziemenden deutschen Ausdruck gegen den dänischen Unteroffizier erlaubt, in der Meinung, dass dieser die deutsche Wendung nicht verstehe. Der Vorgang kam zur Anzeige, der Holsteiner gestand offen seine Schuld; ihm wurde trotz seiner bisher vorzüglichen Führung die außergewöhnlich harte Strafe von 27 Peitschenhieben zuerkannt. Wir alle mussten Zeugen der entsetzlichen Exekution sein. Der Verurteilte wurde festgeschnallt, und dann sausten die Schläge der so genannten „neunschwänzigen Katze“ auf den entblößen Rücken des armen mit solcher Wucht nieder, dass das Blut tatsächlich zu Boden floss. Und doch gab der Gemarterte keinen Laut von sich. Mit bewundernswürdiger Standhaftigkeit verbiss er den wahnsinnigen Schmerz, um seine Geringschätzung gegen die Peiniger auszudrücken. Tränen traten in die Augen aller deutschen Zuschauer; sie fühlten mit ihrem Kameraden, in dessen Brust ein echt deutsches Herz schlug!
Die Korvette hatte ihre Aufgabe gelöst. Sie kehre in die nordischen Gewässer zurück, vermochte aber den Ausgangshafen in Folge starken Eisgangs nicht zu erreichen. Wir waren somit gezwungen, in Arendal einzulaufen und erhielten bei späterer Ankunft in Kopenhagen unsere lang ersehnte Entlassung.
Ich empfing außerdem mein Steuermannspatent und hatte mit dieser einmaligen Reise meine Militärpflicht nach den gesetzlichen Bestimmungen gegen Dänemark vollkommen erfüllt. Ich war frei! Aber meine Freiheit diente nur meinem fortgesetzten Studium.