Читать книгу Existenzanalyse und Logotherapie - Alfried Längle - Страница 10
1.1.2 Logotherapie
ОглавлениеSchon ab 1926, als er noch bei Adler war, sprach Frankl von »Logo-therapie«. 1938 publizierte er den Namen erstmals und stellte sie als eine an der Sinnsuche orientierte Anthropologie vor. Ihre theoretischen Grundlagen bezeichnete er ursprünglich als Existenzanalyse, ab den 1960er Jahren als Logo-Theorie. Da er den Begriff Existenzanalyse danach fallen gelassen hatte, wird heute der Begriff der Logotherapie meistens für jene Behandlungsform gebraucht, die von Frankl als Ergänzung der herkömmlichen Psychotherapie für sinnrelevante Themen geschaffen wurde. Dagegen wird der Begriff Existenzanalyse heute von den Mitgliedern der Gesellschaft für Logotherapie und Existenzanalyse (GLE) als Bezeichnung für die umfassende existentielle1 Psychotherapierichtung verwendet (Längle 2016). Als es 1991 zur Trennung der Schulen kam, hat Frankl wider Erwarten den Begriff Existenzanalyse reaktiviert und innerhalb der logotherapeutischen Szene weltweit angeordnet, dass seine Schule hinfort nicht mehr einfach nur »Logotherapie«, wie er selbst sie jahrzehntelang bezeichnet hatte, sondern »Logotherapie und Existenzanalyse« heißen soll. In der GLE hingegen steht der Begriff »Existenzanalyse« für die Bezeichnung der Psychotherapie-Methode, und Logotherapie als Beratungs-, Begleitungs- und Behandlungsform für sinnrelevante Themen.
Als tiefstes Streben des Menschen sah Frankl den Willen zum Sinn nicht nur als Ergänzung der beiden tiefenpsychologischen (psychodynamischen) Motivationskräfte Libido und Machtstreben, sondern als die primäre Motivationskraft des Menschen. Darum solle die Psychotherapie nicht nur unbewusste Triebhaftigkeit bewusst machen, sondern es müsse vielmehr in jedem Fall (auch und in erster Linie) um die Bewusstmachung des (unbewussten) Geistigen gehen (Frankl 1982a, S. 39), um der Ganzheitlichkeit des Menschen zu entsprechen.
Frankl verwendete gerne den Begriff des »Geistigen« (wir sprechen heute in der Existenzanalyse mehr vom »Personalen«). Dieser Begriff ist in der Psychologie wenig geläufig und steht in Gefahr, mit Geistlichem oder Esoterischem (»Geister«) verwechselt zu werden. In der existenzanalytischen Anthropologie bedeutet das »Geistige« aber eine Veranlagung eines jeden Menschen, die seine personale Freiheit darstellt, und die ihn nach Sinn streben lässt, nach Werten und nach verantwortlicher Bindung, nach Gewissenhaftigkeit, Selbsttreue, Authentizität, Gerechtigkeit, Schönheit und Kunst usw. Der Begriff markiert eine Differenz zum Psychischen (zur vitalen Dynamik der Lebenserhaltung, der Triebe, Stimmungen, Persönlichkeitszüge und Schutzverhalten) und zum Körperlichen. Ein existentieller Zugang zum Menschen bedeutete daher für Frankl (1990, S. 271) das Bewusstmachen der Freiheit und des Verantwortlichseins »als Wesensgrund der menschlichen Existenz« (Frankl 1982a, S. 39).
Zwei operative Fähigkeiten stehen dem Menschen zur Verfügung, um seinem Willen zum Sinn folgen zu können. Sie sind die beiden grundlegenden Achsen der praktischen Logotherapie (Frankl 1982a, S. 160; 1990, S. 219 ff.): die Selbst- Distanzierung – die personale Fähigkeit, zu sich selbst auf Distanz zu kommen, und die Selbst- Transzendenz ( Kap. 3.9) – die personale Fähigkeit, aus sich herauszugehen und sich auf etwas oder jemand anderen einzulassen. Wenn dies auf der Basis einer Wende in der Haltung zum Leben geschieht, dann kann der Mensch zu einer sinnvoll erfüllten Existenz gelangen. Frankl bezeichnet diese grundlegende Wende als »kopernikanische Wende«. Heute wird sie »existentielle Wende« ( Kap. 5.4.1) genannt, da sie die Voraussetzung für die existentielle Gestaltung des Lebens ist. Sie beschreibt folgendes: Existentiell gesehen erhält der Mensch Erfüllung im Leben nicht dadurch, dass seine Fragen und Forderungen an das Leben befriedigt und erfüllt werden, sondern indem er sich vom Leben befragen lässt und auf die Fragen der Situation seine ganz persönlichen Antworten gibt.
»Die Frage nach dem Sinn des Lebens schlechthin ist sinnlos, denn sie ist falsch gestellt, wenn sie vage ›das‹ Leben meint und nicht konkret ›je meine‹ Existenz. Holen wir zu einer Rückbesinnung auf die ursprüngliche Struktur des Welterlebens aus, dann müssen wir der Frage nach dem Sinn des Lebens eine kopernikanische Wendung geben: Das Leben selbst ist es, das dem Menschen Fragen stellt. Er hat nicht zu fragen, er ist vielmehr der vom Leben her Befragte, der dem Leben zu antworten – das Leben zu ver-antworten hat. Die Antworten aber, die der Mensch gibt, können nur konkrete Antworten auf konkrete Lebensfragen sein. In der Verantwortung des Daseins erfolgt ihre Beantwortung, in der Existenz selbst ›vollzieht‹ der Mensch das Beantworten ihrer eigenen Fragen.« (Frankl 1982a, S. 72)
Es ist ein Spezifikum des Menschen, dass er sein Leben verstehen möchte, um nicht beliebig irgendetwas tun zu müssen, sondern konstruktiv leben zu können. Ein Leben, in dem es nicht um Werte geht, wird inhaltsleer. Das Leiden daran bezeichnete Frankl (1982a, S. 72) als »existentielles Vakuum«, ein tiefes Sinnlosigkeitsgefühl, das alsbald mit Apathie und Verlust der Interessen einhergeht. Die Frustration dieses Verlangens, sein Leben in einem größeren Zusammenhang zu verstehen, ist aber abgesehen von individuellen Ursachen auch ein Symptom unserer Zeit.
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