Читать книгу Existenzanalyse und Logotherapie - Alfried Längle - Страница 11

1.2 Weiterentwicklung der EA als eigenständige Psychotherapierichtung

Оглавление

In den letzten 35 Jahren wurde in der Gesellschaft für Logotherapie und Existenzanalyse, Wien (GLE) die Existenzanalyse (EA) in theoretischer und methodischer Hinsicht weiterentwickelt, sodass sie heute als eigenständige Hauptrichtung der Psychotherapie gelten kann. Dieser Schritt von »der Logotherapie als Ergänzung herkömmlicher Psychotherapie« zur eigenständigen psychotherapeutischen Methode schlägt sich auch in der Bezeichnung nieder: als Psychotherapie heißt das Verfahren nun »Existenzanalyse« (Stumm 2011, S. 236–244). Der Anstoß zu dieser Weiterentwicklung kam aus der systematischen praktischen Anwendung und den Erfahrungen aus der Lehre in den Ausbildungen (Längle 2015).

Als eigenständige psychotherapeutische Richtung erfüllt die EA die internationalen Standards einer Psychotherapie. Dank dieser Weiterentwicklung wurde sie in einer Vielzahl von Ländern als Psychotherapieverfahren anerkannt bzw. verbreitet, wie z. B. Österreich, Schweiz, Deutschland (ohne staatliche Anerkennung), Tschechien, Rumänien, Polen, Kanada, aber auch in weiteren Ländern gelehrt wie England, Ukraine, Russland, Argentinien, Chile, Mexico etc. (www.existenzanalyse.org).

Was die EA und ihre Entwicklung kennzeichnet, ist der stringente Einsatz der Phänomenologie sowohl in Forschung als auch in der Praxis und Methodik. Dadurch ist die EA nicht primär theoriegeleitet, sondern auf das Erleben fokussiert. Damit wird der Emotionalität viel Raum gegeben, Vergangenes wie künftig Erwartetes spielen in die Aktualität der Gegenwart herein, dialogischer Weltbezug und Wechselwirkung mit anderem und anderen prägen die Existenz. Das Mit-sich-sein-Können durch ständige Wahl und Entscheidung bestimmen das Bild. Dadurch ist die Sinnthematik (im Unterschied zur LT Frankls) nicht mehr tonangebend. Motivationstheoretisch hat sich durch die phänomenologische Arbeit ergeben, dass drei weitere Dimensionen der Existenz der Sinnsuche vorgängig sind.

Diese »Grundmotivationen der Existenz« werden als eine Dynamik verstanden, die aus dem unaufhebbaren und den Menschen konstituierenden Eingebundensein in »Welt« emergieren. Das Eingebundensein des Menschen in seine Welt hat einen wechselbezüglichen Charakter, der durch die Personalität des Menschen zu einem dialogischen Austausch wird. Aus dieser Eingebundenheit entstammt das intentionale Gerichtetsein des Menschen auf Welt (auf »Alterität«, also auf etwas oder jemanden, der nicht »Ich« ist, sondern ein »anderer«) und zugleich auf sich selbst (Selbstsein). So gesehen kann man auch sagen, dass der Mensch durch seine Veranlagung einerseits (Personsein) und durch das konstitutive Eingebundensein in Welt andererseits ein lebenslanges Verlangen nach Antworten auf die Welt hat (man kann dies auch als »Ur-Intentionalität« bezeichnen). Die unaufhebbare, auf Dialog angelegte Beziehung zur Welt und zu sich selbst wird in der EA als Ursprung der Dynamik des personalen Ichs angesehen. Sie ist die zentrale theoretische Basis psychotherapeutischen Arbeitens.

In einem solchen Verständnis von Existenz ist Freiheit das zentrale Theorem, auf deren Entwicklung und deren Einsatz die ganze Arbeit in der EA ausgerichtet ist. Damit stehen die Selbstpositionierung und Entschiedenheit des Menschen im Mittelpunkt. Dank ihrer kann der Mensch sich als Gestalter seines Daseins erleben. Durch ihren stimmigen Einsatz kann er sich mit seinem Dasein identifizieren und sein Handeln verantworten. Im täglichen Lebensvollzug wird der Einsatz der Freiheit in Form der emotional empfundenen Zustimmung zu dem, was man tut oder lässt, vollzogen ( Kap. 3.7). Durch dieses Konzept wird der Existenz-Begriff gegenüber dem der LT aufgeweitet. Existenz ist nicht nur Vollzug von Sinn, sondern verlangt explizit den Einbezug der eigenen Person, um einen echten Dialog mit der Welt zu begründen. Daher geht der Sinnerfüllung die »Besorgung« von Sein-Können, Leben-Mögen und Vollzug des Selbst-Seins voran (der Begriff Besorgung spielt auf Heideggers (1979) Verständnis der Sorge für die Existenz an). Auf der Basis eines solchen personalen Dialogs mit der Welt kann der Mensch zu einer erfüllenden Existenz gelangen. Existenz wird in der EA verstanden als ein sinnvolles, in Freiheit und Verantwortung gestaltetes Leben, das der Mensch als das seinige empfindet und worin er sich als Mitgestalter erlebt.

Durch das starke Einbeziehen der Phänomenologie in die psychotherapeutische Praxis entstand eine eigenständige Vorgehensweise (Längle 2014a). Damit hat sich die EA weit entfernt von einem appellativen Prozedere, wie Frankl (1982a, S. 143) es für die LT vorgab, nämlich an die »bewusst gewordene Freiheit zu appellieren« und so den Menschen in seine Verantwortung zu führen. Die phänomenologische Haltung brachte auch eine eigenständige Emotionslehre hervor und führte zum stärkeren Einbezug der Gefühle als Drehscheibe in der Praxis. Als phänomenologische Psychotherapie setzt die EA am subjektiven Erleben der Klienten3 bzw. Patienten sowie der Therapeuten an und bringt diese Wahrnehmungsformen in einen partnerschaftlichen Dialog. Beides – die Phänomenologie und der hohe Stellenwert der Emotionalität – führte zur Entwicklung einer spezifischen Vorgehensweise, der Personalen Existenzanalyse (PEA) (Längle 2000a) und zur Implementierung biografischen Arbeitens (Kolbe 1994), was Frankl als der LT widersprechend abgelehnt hatte (Längle 1991). Um die notwendige Epoché (d. h. die »Einklammerung« des Vorwissens und der eigenen, »privaten« Interessen und Dynamiken) erreichen zu können, wurde in der Ausbildung ein erhöhtes Maß an Selbsterfahrung (die Frankl ebenso strikt abgelehnt hatte) erforderlich (Längle 1989; 1996).

Diese Entwicklungen, verbunden mit einem knappen Dutzend von methodischen Anwendungen, macht die EA bei allen psychischen, psychosomatischen und psychosozialen Erlebnis- und Verhaltensstörungen anwendbar und verleiht ihr eine empirisch überprüfbare Effizienz.

1 In der Tradition V. Frankls wird die Schreibweise »existentiell« mit t beibehalten, die früher auch als eine offizielle Schreibweise galt.

2 Vgl. https://www.univie.ac.at/logotherapy/institute_wwD.html (12.09.2019) und Bücher von Frankl: https://www.univie.ac.at/logotherapy/buecher_von_vf.html.

3 Der leichteren Lesbarkeit halber wird das generische Maskulinum für die Bezeichnung aller Geschlechter verwendet.

Existenzanalyse und Logotherapie

Подняться наверх