Читать книгу Existenzanalyse und Logotherapie - Alfried Längle - Страница 12

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2 Verwandtschaft mit anderen Verfahren

2.1 Humanistische Psychotherapierichtungen

Die EA ist auf Person und Existenz fokussiert. Dies sind genuin humanistische Themen. Die EA wird daher im Allgemeinen den humanistischen Psychotherapierichtungen zugerechnet (Kriz 2014a; Bühler und Allen 1983; Hutterer 1998). Sie stellt mit ihrer existentiellen Ausrichtung aber eine eigene Strömung innerhalb des humanistischen Paradigmas dar. Die humanistischen Richtungen eint vor allem die Gemeinsamkeiten in der Anthropologie: der mündige Mensch, der frei ist im Erleben und Entscheiden und so seine Existenz aktiv gestaltet. Dabei erlebt er, dass ihn sein Handeln sowohl in die Welt einbindet als auch ihn zugleich an sich zurückbindet durch seine Urheberschaft der Wirkung auf andere. Dies stellt den Menschen in seiner Freiheit unabdingbar in eine Verantwortlichkeit für sein Handeln. Dieses Menschenbild ist ganzheitlich: »In der Humanistischen Psychotherapie wird der Mensch holistisch gesehen, also in seiner […] Ganzheit, in seiner Geschichtlichkeit, also seiner Vergangenheits- und Zukunftsorientiertheit, sowie in seiner Fähigkeit zur Introspektion und zu reflexivem Denken.« (Eberwein 2012, S. 505) Darüber hinaus sind diese Richtungen auch durch ähnliche philosophische Wurzeln verbunden, durch den gemeinsamen historischen Hintergrund und ihre Ablehnung deterministischer sowie reduktionistischer Erklärungsmodelle in der Psychotherapie (Kriz 2014a, S. 185–192; Stumm 2000). Hier finden sich große Übereinstimmungen der EA mit anderen humanistischen Verfahren wie der Gesprächspsychotherapie, der Gestalttherapie oder dem Psychodrama.

Merke

Die Existenzanalyse ist eine existentielle Richtung der humanistischen Psychotherapie.

Jedoch gibt es auch Unterschiede: Die Akzentuierung der EA liegt mehr auf dem freien Willen, der Entschiedenheit und Weltoffenheit sowie einer dialogischen Abstimmung mit der Welt (Verantwortlichkeit) als es in den humanistischen Verfahren zumeist üblich ist. Damit sieht sie den Menschen – vor dem Hintergrund der unaufhebbaren Eingebundenheit in seine Welt – stärker auf die Welt bezogen als manche andere humanistischen Verfahren. Denn das innere Wachstumspotential, das in der humanistischen Psychologie im Vordergrund steht, ist in der existentiellen Sicht im Hintergrund. Die Aufgabe des Menschen wird darin gesehen, sich für die Aufgaben und Angebote der Welt offen zu halten und auf sie einzugehen, um so zur Wirkung zu kommen – und weniger in der selbstorganisierten Entfaltung von Potentialen (Selbstverwirklichung, Aktualisierungstendenz) (Rogers 1981, S. 65; Kriz 2006a; Revenstorf 2003). Der Dialog und die Begegnung sind in der EA sowohl für das gesunde psychisch-geistige Leben als auch für die Heilung von Störungen die Grundlage. Die Durchführung des Dialogs wird in der EA als gemeinsames Suchen verstanden. Das bedeutet, dass auch die Therapeuten im Verlauf des Gesprächs ihre eigene Sicht und Stimmigkeit den Klienten mitteilen. Da dem dialogischen Basistheorem der EA ( Kap. 3.4) zufolge, der Mensch nicht aus sich heraus ganz ist, braucht er zur Entfaltung seiner selbst den anderen, Begegnung und die Erfahrung der Anderheit bzw. Bestätigung im Dialog.

2.2 Tiefenpsychologisch fundierte Richtungen

Die Tiefenpsychologie fokussiert besonders die Psychodynamik, also jene Triebkräfte und Bedürfnisse, die zum größten Teil ihre Wirkung am Bewusstsein vorbei und daher unbewusst entfalten. Der Psychodynamik wird in der EA nicht jener hohe, gerade durch die Unbewusstheit so dominierende Stellenwert für die Gestaltung der Existenz zugesprochen wie in den tiefenpsychologischen Konzeptionen. Daher wird ihr in der EA nicht systematisch nachgegangen, sondern jeweils nur, wo sie den existentiellen Vollzug behindert. Dann wird die Psychodynamik auch ein bedeutsamer Aspekt der therapeutischen Arbeit (im Unterschied zur Logotherapie, wo sie in die Behandlung nicht integriert wird). Insofern hat die EA auch Parallelen zur Tiefenpsychologie, weil sie psychisch verursachte Dynamiken, die den Menschen hindern sein Leben entsprechend der eigenen Stimmigkeit zu leben, aufgreift. Der Psyche wird ein vitaler Erkenntniswert zugeschrieben, über dessen impliziten Inhalt nicht ohne Folgen hinweggegangen werden kann (Längle 2003b; 2019b). In der Therapie wird »störende« – Leid und Probleme verursachende – Psychodynamik daher als ein Hinweis aufgegriffen, dessen existentiellen Wert es zu erkennen gilt. Ihre lebenserhaltende Kraft soll in der Therapie verstanden werden, sodass man ihrem Verweischarakter grundsätzlich vertrauen kann. Mit diesem Menschenbild ergibt sich in der EA nicht die Notwendigkeit, die Dynamik des Psychischen möglichst immer bewusst zu machen, um sie in das Leben integrieren zu können. In einer phänomenologischen Richtung ist nicht Bewusstheit die Grundlage, sondern die Personalität (Entschiedenheit und Verantwortung in der Stellungnahme auf der Basis der Akzeptanz des Gegebenen und in gespürter Resonanz mit sich).

Als phänomenologische Richtung folgt die EA nicht diesem Paradigma, das in der Nachfolge der Aufklärung dem Bewusstsein den Vorrang gegenüber anderen kognitiven und emotionalen Fähigkeiten zuschreibt (Hegel 1988; Becker 1986, S. 150 f.). Wichtig für die Arbeit in der EA ist, der Psychodynamik mit Offenheit zu begegnen. Jedes Übergehen (oder Verdrängen) wird der Ganzheitlichkeit des Menschen nicht gerecht und bedeutet ein Übergehen wichtiger Information. Psychodynamik, biografische Vergangenheit, archetypische Symbolik decken im Verständnis der EA Lebensrelevantes auf, selbst wenn sie sich in Form von Pathologie bemerkbar machen.

2.3 Verhaltenstherapie

Lernen – das zentrale Paradigma der Verhaltenstherapie – spielt in jedem Leben eine nie endende Rolle. Im Lichte der phänomenologischen und inhaltlichen Ausrichtung der EA nimmt Lernen nicht die zentrale Rolle in der Lebensgestaltung ein, sondern erhält eine instrumentelle Bedeutung. Denn es geht im Leben (wie in der Psychotherapie) nicht immer um eine optimale Adaptation an die Um- und Mitwelt (Adaptation ist das Ergebnis des Lernens zur Sicherung oder Verbesserung des Lebens), sondern auch um deren Umgestaltung und Veränderung. Manchmal geht es gerade um Verweigerung von Adaptation und Lernen, wo immer die Welt um einen herum nicht dem entspricht, was man selbst für wesentlich ansieht (z. B. Missbrauchsverhältnisse, Unrechtsregime, apersonales Verhalten anderer). Die Verhaltenstherapie hat diesem Umstand zwar durch Theorieerweiterungen zu entsprechen versucht (z. B. Parfy et al. 2003), jedoch betont die EA wohl noch wesentlich deutlicher die Wertigkeit und Inhalte der Ziele, die angestrebt werden. Denn nicht jedes Ziel ist sinnvoll, bloß weil wir es anstreben, und passt in die Gesamtstruktur des Lebens zum Wesen eines Menschen oder in seine aktuelle Lebenssituation. Innerhalb dieses Rahmens können verhaltenstherapeutische Methoden und Techniken aber auch in der EA gut angewandt werden.

2.4 Systemische Psychotherapierichtungen

Die Positionierung des Einzelnen in seiner Welt ist auch in der EA von grundlegender Bedeutung. Kontextanalyse, Kontextschaffung und Kontextveränderungen sind die Basis für Sinnfindung und wichtige Elemente für existentielle Erfüllung. EA kann unter diesem Gesichtspunkt als eine aus der Existenz-Philosophie stammende Form der systemischen Sicht des Menschen gelten. Menschsein bedeutet stets und unaufhebbar in einer Welt zu stehen, in der man Teil ist und an der man Teil hat. Menschsein ist nicht verstehbar und realisierbar ohne Interaktion und bindende Beziehungen. Durch die individuelle Autonomie und persönliche (subjektiv empfundene) Orientierung wird die Person aus der Systemvernetzung aber auch wieder ein Stück weit gelöst. Die Existenzanalyse setzt daher in der Regel am Individuum an, auch in Familien- oder anderen Systemen, und versucht durch personale Positionierung und dialogischen Austausch Veränderungen im System zu erreichen. Diese Vorgehensweise bewährt sich nach unserer Erfahrung besonders dann, wenn Pathologien des Einzelnen (z. B. Persönlichkeitsstörung, Depression) ein System belasten, weil dann die Arbeit mit dem Einzelnen im Vordergrund stehen soll, hinterlegt mit der Arbeit mit der Familie.

Existenzanalyse und Logotherapie

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