Читать книгу Wolken über Taiwan - Alice Grünfelder - Страница 7
Abfall
ОглавлениеGlück ist, wenn sich abends die Müllabfuhr mit Beethovens »Für Elise« oder Badarzewska-Baranowskas »Gebet einer Jungfrau« ankündigt. Es klingt, als käme der Eisverkäufer. Und plötzlich hebt ein Türenschlagen und Getrappel an, alle Bewohner laufen auf die Straße, um ihren Abfall loszuwerden. Nur dann, sagt Yen-fang, eine meiner beiden Mitbewohnerinnen, bekommt man seine Nachbarn zu Gesicht. Jedenfalls sind sonst nie so viele Menschen auf der Straße, wie wenn die Müllwagen kommen.
In den neunziger Jahren führte die Stadtregierung Taipeis diese Abfallentsorgung ein, weil der Gestank im subtropischen Klima unerträglich war, sich Ratten und Ungeziefer über die Abfallsäcke hermachten und zu einer Plage wurden. Seither wird sauber entsorgt und gründlich recycelt. Vor den Abfallwagen stehen Arbeiter, die einem Glas, Papier und Plastikflaschen abnehmen. Müll sieht man auf Taipeis Straßen kaum, Abfalleimer sind selten, illegales Müllabladen ist strafbar. Einmal sah ich ein Schild, auf dem sogar die Götter mit Missachtung drohen, sollte hier jemand seinen Abfall abstellen.
Mittlerweile weiß ich, wenn der Müllwagen vorn beim Park »Für Elise« spielt, ist es etwa sieben Uhr. Wenn ich den nicht schaffe, kann ich den Müll beim Wagen mit »A Maiden’s Prayer« bei uns in der Straße um 20 Uhr 40 abgeben, fast auf die Minute pünktlich. Und doch wird man Abend für Abend überrascht, weil man gerade mitten in einem Satz, einem Gedanken, einem Telefonat oder was auch immer steckt.
Da diese beiden Melodien niemand mehr hören kann, hat die Stadtverwaltung neue einführen wollen, prompt riefen Bürger an und protestierten: Wo der Müllwagen denn bleibe? Nun habe man versäumt, den Müll zu entsorgen, weil man die neue Melodie nicht dem Müllwagen zuordnen könne! Her mit der alten Melodie! So erzählt es Yen-fang. Deshalb habe man es bei »Elise« und der »Jungfrau« belassen.