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Auf der Suche nach der Heimat der Hunde
ОглавлениеDie Debatte über den Domestikationszeitpunkt schwelt weiter, aber nicht weniger konfliktbeladen ist die Bestimmung der Gegend, in der Hunde erstmals domestiziert wurden. Einerseits sind die genetischen Belege unmissverständlich: Hunde sind eindeutig domestizierte Wölfe. Aber der Wolf hat ein gewaltiges Verbreitungsgebiet, das sich heute über den größten Teil von Europa, Asien und Nordamerika erstreckt, und in der urzeitlichen Vergangenheit war es sogar noch größer. Wo also in der weitläufigen Heimat der Wölfe kam es zum ersten Mal zum Bündnis mit dem Menschen? Nordamerika können wir schnell ausschließen – die Menschen kamen weit später hierher, nämlich erst nach dem Höhepunkt der letzten Eiszeit, als dass die ursprüngliche Transformation vom Wolf zum Hund hier stattgefunden haben könnte. Eine Analyse von Wolf- und Hundegenomen liefert weitere Belege dafür, dass Hunde sich aus Wölfen in Eurasien entwickelt haben müssen. Der Stammbaum der Hundeartigen zeigt in den Genomen eine frühe Abspaltung, als nordamerikanische und eurasische Wölfe sich getrennt weiterentwickelten, sowie eine spätere Divergenz zwischen Eurasischen Wölfen und Hunden. Im eurasischen Verbreitungsgebiet des Wolfes war bisher alles denkbar: Europa, der Nahe Osten und Ostasien wurden schon als ursprüngliche Heimat unserer vierbeinigen Freunde vorgeschlagen.
Genetiker – das wird Sie inzwischen nicht mehr überraschen – haben lange über diese Frage debattiert. Eine frühe Analyse der mitochondrialen DNA deutete auf einen möglichen einzigen Ursprung in Ostasien hin. Diese Erkenntnis schien durch die besondere Form eines Teils des Unterkiefers gestützt zu werden, die sowohl bei chinesischen Wölfen als auch bei heutigen Hunden zu finden ist. Auch die Analyse des gesamten Genoms schien für einen einzigen Ursprung zu sprechen, brachte aber vorübergehend weniger eindeutige Erkenntnisse über den Ort der Domestikation, da Wölfe aus ganz Eurasien offenbar gleich eng mit unseren heutigen Hunden verwandt waren. Weitere Untersuchungen der mitochondrialen DNA heutiger Hunde aus der ganzen Welt schienen die Frage dann zu beantworten: Sie zeigten eine scheinbar eindeutige Verbindung zwischen allen heutigen Hunden und den urzeitlichen Hunden und Wölfen Europas. Das schien zu den archäologischen Belegen zu passen. Knochen früher Hunde wurden in Ostasien und im Nahen Osten gefunden, aber der älteste ist nur 13.000 Jahre alt – in Europa und Sibirien dagegen gab es prähistorische Hunde, die auf 15.000 bis über 30.000 Jahre vor heute datiert wurden. Die ursprünglichen Vorfahren unserer Hunde waren höchstwahrscheinlich Wölfe aus Europa im Pleistozän, also in der Eiszeit.
2016 kamen neue Beweise ans Licht. Zunächst einmal wurde der Teil des Unterkiefers genauer analysiert, den man für eine Verbindung zwischen Mongolischen Wölfen (Canis lupus chanco) und heutigen Hunden gehalten hatte und der damit einen asiatischen Ursprung zu unterstützen schien. Der Kronenfortsatz, ein großer Knochenvorsprung, an dem der Schläfenmuskel ansetzt, hatte bei Mongolischen Wölfen und bei heutigen Hunden eine ähnliche Form, nämlich ungewöhnlich gebogen und nach hinten geneigt. Aber eine umfassendere Untersuchung zeigte, dass nur 80 Prozent der Mongolischen Wölfe und 20 Prozent der Hunde diese spezielle Eigenschaft aufwiesen. Sie war einfach zu variabel und uneinheitlich, um daraus einen asiatischen Ursprung der Hunde abzuleiten. Und gerade als dieses morphologische Argument für einen ostasiatischen Ursprung der Hunde sich in Luft auflöste, wurde 2016 eine neue genetische Studie veröffentlicht, die wieder Bewegung in die Diskussion brachte.
Diesmal hatten die Genetiker sich selbst übertroffen und eine überaus gründliche Sequenzierung des Genoms eines 5000 Jahre alten Hundes aus der berühmten jungsteinzeitlichen Ausgrabungsstätte Newgrange in Irland vorgenommen. Sie sequenzierten auch mitochondriale DNA von 59 anderen urzeitlichen Hunden. All diese genetischen Daten verglichen sie dann mit vorhandenen Daten heutiger Hunde, darunter acht vollständige Genome und weitere 605 SNP-Sätze. Die erste Erkenntnis bestand darin, dass die Gene des jungsteinzeitlichen Newgrange-Hundes denen heutiger freilebender Hunde ähnelten – er war also nicht von der hochselektiven Zuchtauswahl geformt, die schließlich zu all unseren heutigen Rassen führte. Und obwohl seine DNA darauf hindeutete, dass er Stärke besser verdauen konnte als Wölfe, war diese Fähigkeit weniger gut ausgeprägt als bei heutigen Hunden.
Es war jedoch das Variationsmuster – oder vielmehr die Brüche in dieser Variation –, das die Forscher aufmerken ließ. Eine heutige Hunderasse, der Saarlooswolfhund, hob sich gegen die anderen ab und bildete einen eigenen kleinen Zweig abseits des restlichen Hundestammbaums. Das war keine echte Überraschung, da die Rasse in den 1930er-Jahren durch Kreuzen von Deutschen Schäferhunden mit Wölfen entstanden war, also ein echter Hybride ist. Aber es fand sich eine weitere tief reichende Abspaltung in der DNA, die einen Keil zwischen die Hunde aus Ostasien und die aus Europa und dem Nahen Osten trieb. Das Genom des jungsteinzeitlichen Newgrange-Hundes bildete das engste Cluster mit den westlichen eurasischen Hunden, stimmte also am ehesten mit ihren Genomen überein. Aber die mitochondriale DNA enthüllte noch etwas anderes: Die meisten der urzeitlichen europäischen Hunde hatten andere genetische Signaturen als die heutigen europäischen Hunde. Die Genetiker nahmen an, dass die urzeitlichen Hunde in Europa zum großen Teil durch eine spätere Welle von Neuankömmlingen aus dem Osten ersetzt worden sein müssen.
Dieser Studie folgte eine weitere auf dem Fuß, in der von den Ergebnissen der Analyse des gesamten Genoms nicht nur eines, sondern zweier Hunde aus der Jungsteinzeit berichtet wurde, diesmal aus Deutschland. Einer datierte vom Beginn der deutschen Jungsteinzeit vor 7000 Jahren (5000 v. Chr.) und der andere von ihrem Ende vor rund 4700 Jahren (2700 v. Chr.). Das Genom des Hundes aus der frühen Jungsteinzeit ähnelte stark dem des Newgrange-Hundes aus Irland. Doch es gab auch eindeutige genetische Verbindungen über Jahrtausende hinweg zum Hund aus der späten Jungsteinzeit – und auch zu heutigen europäischen Hunden. Hier fanden sich keine Anzeichen für einen umfassenden Austausch der Population. Beim jüngeren deutschen Hund fand sich dafür ein interessantes zusätzliches Abstammungssignal, das darauf hindeutete, dass in gewissem Umfang tatsächlich eine Kreuzung mit Hunden stattgefunden hatte, die von weiter östlich stammten. Das könnte das canine Echo einer großen Wanderbewegung der Menschen aus dem Steppenland nach Westen in den Norden des Schwarzen Meeres darstellen, mit dem sich die Jamnaja-Kultur in Europa verbreitete. Die Jamnaja-Menschen waren berittene Nomaden, die ihre Toten zusammen mit Keramikbechern und Tieropfern unter großen Erdhügeln begruben. Es scheint, als könnten sie auch ihre Hunde mitgebracht haben; diese mischten sich jedoch mit den europäischen Hunden, statt sie zu ersetzen. Das Verschwinden der mitochondrialen DNA-Linie des Newgrange-Hundes, die nur einen winzigen Teil seines Erbguts ausmacht, muss kein Hinweis auf den Austausch einer ganzen Population sein. Zu solchen Auslöschungen, dem Ausputzen bestimmter genetischer Linien, kommt es ständig.
Wenn wir aber noch einmal über Newgrange hinweg in die Vergangenheit gehen, zum Ursprung der Domestikation an sich, was bedeutet dann diese prähistorische Ost-West-Spaltung unter den Vorfahren der Hunde? Es gibt zwei Möglichkeiten. Zum einen könnte es sein, dass die Hunde einen gemeinsamen Ursprung hatten, sich dann verbreiteten und die Populationen faktisch getrennt wurden, sich genetisch voneinander entfernten und so die tiefe Kluft bildeten. Oder die heutigen Hunde gingen an zwei getrennten Orten aus genetisch unterschiedlichen Wolfspopulationen hervor, die eine irgendwo in Westeurasien und die andere in Osteurasien. Die Antwort auf diese Frage beruht auf dem Zeitpunkt der Spaltung und auf dem Datum der Domestikation. Die Genomsequenzierung der beiden jungsteinzeitlichen deutschen Hunde hilft dabei, diese zentralen Ereignisse in der Zeit zu verorten. In Kombination mit den bereits vorhandenen Daten kamen die Genetiker so auf einen Divergenzzeitpunkt von Hunden und Wölfen, der 37.000 bis 42.000 Jahre in der Vergangenheit liegt. Die Ost-West-Divergenz entstand dann vor 18.000 bis 24.000 Jahren, nach der Domestizierung. Das bedeutet, dass ein einziger Ursprung, gefolgt von einer Spaltung, am wahrscheinlichsten ist. Noch immer unklar ist derzeit jedoch, wo genau es erstmals zur Domestizierung kam. Die einzige Möglichkeit, um diese Frage zu beantworten, besteht in der Analyse weiterer urzeitlicher DNA von noch früheren Hunden bis zurück in die Eiszeit. Im Augenblick ist die Frage aber noch offen. Prähistorische mitochondriale DNA und archäologische Belege scheinen dafür zu sprechen, dass ein europäischer Ursprung am wahrscheinlichsten ist, aber genomweite Daten von heutigen und frühen Hunden belegen einen Diversitätsschwerpunkt in Ostasien, was darauf hindeutet, dass es dort schon länger Hunde gibt als irgendwo sonst.
Ganz sicher wurde das letzte Wort über den Ursprung der Hunde noch nicht gesprochen. Aber es ist erstaunlich, wie viel wir allein in den letzten fünf Jahren gelernt haben. Die Pioniere der Genetik zeigten uns die schmalen Pfade, die durch das Entwirren der mütterlichen Abstammung mithilfe der mitochondrialen DNA zutage treten. Die neueste Technik, nämlich die Sequenzierung von ganzen Genomen, ermöglicht uns die Betrachtung der gesamten genetischen Landschaft. Fragen, auf die wir bis jetzt keine Antwort fanden, können jetzt beantwortet werden. In den nächsten Jahren wird sich unser Blick auf die Vergangenheit noch mehr ausweiten. Wir wissen bereits, dass Hunde domestiziert wurden, am wahrscheinlichsten irgendwo in Europa, als unsere Vorfahren noch Jäger und Sammler waren. Bald könnten wir eine bessere Vorstellung davon haben, wo genau dieses Bündnis erstmals geschmiedet wurde.
Aber wie kam es eigentlich zur Domestizierung des Hundes und wie absichtlich geschah sie? Wir haben uns sehr daran gewöhnt, uns die Domestizierung von Tieren und Pflanzen als Idee vorzustellen, auf die unsere Vorfahren vor rund 11.000 Jahren im Zusammenhang mit der sogenannten „neolithischen Revolution“ kamen, als sie die primitive Lebensweise der Jäger und Sammler aufgaben, sich niederließen, um Ackerbau zu betreiben, und dabei die Kontrolle über sich selbst und ihre Umwelt übernahmen und so die Fundamente für die Zivilisation an sich legten. An dieser vereinfachenden Betrachtungsweise stimmt vieles nicht – nicht zuletzt, dass die Domestizierung ein allmählicher Prozess ist, der wahrscheinlich aus der menschlichen Perspektive deutlich weniger absichtlich verläuft, als wir bisher angenommen haben.