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I. Die Glaskugel

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Bernardo stieg in Mailand aus dem Zug, das Herz noch geschwollen vom Abschied, aber doch voll neugieriger Ungeduld auf alles Neue, das ihn in der Stadt erwartete. Er trug in seiner Tasche einen Zettel, auf den Detta Namen und Adresse eines ihrer Vettern, der in Mailand Bauunternehmer war, geschrieben hatte. An ihn solle er sich wenden. Beladen mit dem alten Familienkoffer aus Ziegenfell und einem Handkorb voll Eßwaren, wurde es Bernardo nicht leicht, den Vetter zu finden. Der rollende Lärm der großen Stadt, die kreuz und quer verlaufenden Straßen, Gassen und Winkel, die weiten Plätze, die Arkaden, Durchgänge und Höfe verwirrten ihn. Er staunte über das Menschengewühl, die Händler, Musikanten, Bettler, die spielenden und schreienden Kinder, die schön gekleideten Damen und die eleganten Herren. Erst am Abend traf er im Vorort, wo der Vetter wohnte, ein.

Ein junges Dienstmädchen kam barfuß ihm die Türe öffnen. Es führte ihn in einen weißgetünchten, von grellem Gaslicht erhellten Raum, wo an einem großen Tisch, den Rücken gegen die Tür, ein Mann zeichnete. Er kehrte den Kopf nach dem Eintretenden um und sah ihn fragend an. Bernardo nannte seinen Namen, den er schon dem Mädchen schüchtern gesagt hatte. Nun schwang sich der Mann auf dem hohen Stuhl herum und rief aus: «Schau, der Sohn der Base Detta.» Er wollte den Jungen lang und breit von seiner Mutter berichten lassen, die er, seit sie den Talbauern geheiratet und mit ihm weggezogen war, nie mehr gesehen hatte. Als Bernardo nicht viel vorzubringen wußte, fing der Vetter mit Erzählen an. Ein schönes Mädchen sei sie gewesen, die Detta. Wenn sie von Genua, wo ihre Eltern wohnten, zu den Seinen nach Mailand zu Besuch kam, waren alle Burschen des Quartiers ganz verrückt hinter ihr her. Blumen, Ständchen, Mauerklettereien und andere Dumm­heiten … Einer überbot den andern, damit sie ihn ansehe, aber sie hatte nur Tomaso im Sinn, und, zum Lachen, der schien sich nicht viel aus ihr zu machen, denn er faselte nur davon, Matrose zu werden. Daß sie dann doch zusammengekommen und auf Tomasos Hof ge­zogen waren, wunderte den Vetter noch heute. Freilich, es hieß, Tomaso sei ein reicher Mann, Besitzer eines beträchtlichen Gutes … «Und du willst also nicht bauern?» fragte er den Jungen, aus seinen Erinnerungen auftauchend. Bernardo schüttelte den Kopf. «Warum nicht?» Ja, warum nicht? Das war nicht so schnell gesagt. Die richtige Antwort konnte er dem Vetter kaum geben. Wie sollte er ihm verständlich machen, daß es auf der Bargada nicht zum Aushalten war? Die alten Frauen, der stille Vater, er dazwischen, immer allein, von allen schief angesehen, ge­mieden, verpönt … Mit Recht verpönt? Was wußte er! Die Bärin, das Fenster und von was sonst im Dorf geflüstert wurde, das war wohl ­dummes Zeug. Aber wie vieles im Hause blieb bedrückend … unheimlich … Was wußte er!

So erklärte er nur, der Hof bringe nicht mehr soviel ein wie früher, die Zeiten seien eben nicht die besten, für alle im Tal, nicht nur für seine Leute! Es wanderten immer mehr Männer aus, bis nach Amerika und weiter … und da hätten sie zu Hause gedacht, es wäre gescheit, ein Handwerk zu erlernen, für alle Fälle, und Maler wäre etwas Schönes, und da sei der Mutter der Vetter in den Sinn gekommen, und so sei er jetzt da und möchte fragen, ob er ihn irgendwo brauchen könne.

Der Vetter teilte den Jungen seinem besten Malergesellen als Lehrling zu. Am Anfang hatte Bernardo die nebensächlichen Arbeiten zu verrichten: Holzwerk ablaugen, Böden reinigen, Wände abkratzen, Leitern und Kessel herumtragen, Pinsel waschen und Farbe rühren. Dann bekam er eine Türe zu grundieren, einen Sockel zu streichen. Es gefiel ihm, langsam und bedächtig die Farbe recht gleichmäßig mit breitem Strich aufzutragen, mit feinerem Pinsel die Kanten nachzuziehen und die Ecken auszufüllen. Lustiger fand er noch das Tünchen, das flink und mit Schwung zu geschehen hatte. Sein Eifer wuchs, als er selbst die Farben mischen durfte und es hieß, er habe ein gutes Auge dafür. Nun ja, Rot war nicht Rot und Blau nicht Blau. Da gab es Töne und Tönchen. Sie zu treffen, bereitete Freude. Sein großer Wunsch aber war, sich im Schablonieren versuchen zu dürfen. Er bewunderte seinen Meister, wie er es verstand, akkurat und reinlich, ohne den Rapport erraten zu lassen, schöne Friese anzubringen oder Medaillons auf eine Decke zu zaubern, wobei er zum Schluß mit dünnem Pinsel die Blumen, Blätter, die Schleifen, Schmetterlinge und Genien ausmalte, daß sie leibhaftig erschienen. Auch er wollte es so weit in der Kunst bringen.

Wohnung hatte er in einer Arbeiterpension bezogen, wo andere ledige Arbeiter seines Vetters lebten. Er teilte sein Zimmer mit einem gleichaltrigen Burschen, Peppo, der Maurer war und schon selbständig arbeitete. Dieser prahlte gerne Bernardo gegenüber mit seinem Lohn und was er sich alles damit leisten könne: Wein, Bier und Mädchen. Manchmal nahm ihn Peppo mit zum Tanz und zahlte ihm ein Glas. Bernardo saß still am Tisch und schaute zu. Die Mädchen gefielen ihm, doch waren sie frech und so flink im Reden und im Tanzen, daß er sich vor ihnen scheute. Man hänselte ihn deswegen. Es war aber nicht böse gemeint. Man brachte ihm Freundlichkeit entgegen. Es gab keine schiefen Blicke, wenn er sich näherte, kein Getuschel, wenn er ging. Die Leute wußten nichts von den Geschichten, die im Dorf über sein Haus und seine Familie umgingen, und hätten sie davon gewußt, wären sie ihnen dumm vorgekommen. So viel hatte Bernardo bald verstanden, und es erleichterte sein Gemüt. Er verlor nach und nach das Mißtrauen, wurde vergnügt und umgänglich. Ein Gespräch mit Mädchen in Ehren zu bestehen, traute er sich noch nicht zu, oder gar weiterzugehen und sich mit ihnen jene Freiheiten zu erlauben, im Denken und im Tun, von denen unter seinen Kameraden so viel die Rede war. Aber er beobachtete sie, prüfte ihr Aussehen und gestand sich für diese oder jene eine Vorliebe ein. Die netteste, fand er, sei die Teresina, das junge Dienstmädchen des Vetters, die ihm am ersten Abend freundlich die Haustüre öffnete und ihn auch jetzt, an jedem Sonntag, wenn er im Hause zum Essen eingeladen war, anlächelte.

Schneller als mit den Mädchen auf dem Tanzplatz fand er sich mit den Männern beim Bocciaspiel zurecht. Dort war er in seinem Element. Die Kugeln gehorchten ihm: sie flogen und rollten, sie drehten sich auf der Stelle oder wirbelten über den Grund, sie trafen von fern in hohem Bogen, von nahe wie an einem Faden zum Ziel gezogen. Sein Auge war scharf, seine Hand ruhig und seine Bewegungen stark und geschmeidig. Bald gehörte er zu den besten Spielern im Umkreis. Man suchte ihn als Partner. Man bewunderte, man beklatschte seine Geschicklichkeit. Es tat ihm wohl, wenn er es auch nicht verriet. An einem Wettspiel, das über manche Wochen hin jeden Abend zwischen den Arbeitern des Vetters, alles leidenschaftliche Anhänger des Spieles, ausgetragen wurde, blieb er der Sieger, selbst verwundert über sein Glück. Der Vetter klopfte ihm auf die Schulter und hieß ihn neben sich sitzen. «Das hast du von deinem Vater. Ihr habt ruhigeres Blut als wir, so gewinnt ihr uns schließlich auch die schönsten Frauen ab.» Bernardo ließ sich stolz feiern. Er saß in der Mitte des langen Tisches und schaute in die lachenden, geröteten Gesichter seiner Kameraden. Das erstemal, daß er das Gewicht nicht spürte, das er sonst mit sich trug. Er wunderte sich darüber. Als wäre er aus einer dicken, schweren, pelzigen Haut herausgekrochen, die ihn bis jetzt an allem gehindert, von allem getrennt hatte, und nun irgendwo hinter ihm läge, leer und überflüssig, fühlte er sich befreit, endlich den andern gleich. Er wagte es, nicht nur zu Späßen der Freunde zu lachen, sondern selbst Witze zu erzählen, über die zu lachen war. Woher er sie bezog, das hätte er nicht sagen können. Sie stiegen in ihm auf und sprangen heraus, ihn so verblüffend wie die Gesellschaft, der er sie zum besten gab. An diesem Abend entdeckte er in sich das Vergnügen an raschen, schlagenden Worten, an frechen Gedanken und wohl auch an unerlaubtem Tun.

Es war im Hause des Vetters Brauch, das Fest des Ortsheiligen, das in den Hochsommer fiel, gemeinsam mit den Arbeitern zu feiern. Von ringsherum und oft von weit her kamen Schaubudenbesitzer, Händler und fahrendes Volk gezogen und schlugen ihre Zelte bei der Kirche auf. Nach der Messe begannen die Lustbarkeiten mit einem Rundgang über den Markt, gipfelten in einem lang ausgedehnten Mahl in einer Osteria und schlossen, gegen Morgen erst, im allgemeinen Jubel.

Bernardo verdiente nun schon wie die andern. Er hatte ordentlich Geld im Sack. Es juckte ihn, es an diesem Tage springen zu lassen. Was gab es nicht alles zu kaufen! Die Buden waren voll Ware, was man sich nur wünschen konnte. Samthosen, bunte Tücher, kühne Hüte und Mützen, rostbraune Wolljacken, wie die Matrosen sie lieben, elegante Schuhe für den Sonntag, von dem aufgetürmten Kram, den die Frauen bestaunten, nicht zu sprechen. Berge von ölig duftenden Süßigkeiten, Küchlein und Fladen, von weiß- und rosafarbigem Marzipan, in durchsichtiges Papier gewickelt und mit dem Bild einer schönen, wenig bekleideten Frau besiegelt, von Zuckerstengeln, so bunt und so kunstvoll gedreht, daß man meinen konnte, sie seien aus Glas. Überall standen Männer mit Hunderten von rot-blau-grün-weißen Windmühlchen, die im Luftzuge leise schnarrten, mit wallenden, quellenden Wolken aus seidig schimmernden Luftballons für Kinder, mit Knarren und Pfeifen, falschen Nasen zum Aufsetzen, Spinnen auf Holzscheren, die Mädchen zu erschrecken, huschenden Blechmäusen, Rüsseln, um sie Nichtsahnenden unter anzüglichen Späßen entgegenzurollen. Leierkasten, Klaviere auf Karren, Harmonikas schrillten unbekümmert ihre Weisen durcheinander, Händler schrien ihre Ware aus, Frösche knallten, eine gewaltige Pauke schlug irgendwo im Takt; Gedränge, Gewimmel, Lärm und Hitze.

Vor einer Bude stand, eingeklemmt zwischen andern, das Dienstmädchen des Vetters, die kleine Teresina. Sie hatte sich für den Tag geputzt und trug spitze Schuhe, die sie schmerzten, doch lächelte sie dazu. Man weiß, um schön zu sein, muß man leiden. Sie bewunderte Strohhüte, die da feilgeboten wurden. Bernardo blieb neben ihr stehen. Diese Hüte sollte er kennen. Auf beiden Seiten etwas heruntergebogen, am Rand gezackt, um den Kopf ein vorne gekreuztes Band. Diese Hüte kannte er. Es waren die Hüte, wie die Frauen auf der Bargada sie zur Arbeit aufsetzten. Heimat! … Ob er dem schönen Fräulein einen kaufen wolle, fragte der Händler. Teresina schaute überrascht von dem Mann zu Bernardo. Er nahm den Hut, den ihm der Händler entgegenstreckte, in die Hand und schaute ihn an. Ja, so waren die Hüte der Frauen zu Hause, genau so. Er setzte ihn Teresina aufs Haar. Sie guckte ihn darunter hervor mit glänzenden Augen an. «Behalt ihn auf!» sagte Bernardo und zahlte, was der Verkäufer verlangte. «Nicht einmal gemarktet hat er», flüsterte Teresina stolz Peppo zu, der sich zu ihnen gesellte.

Zu dritt gingen sie weiter von Stand zu Stand. Es gab immer Neues zu sehen. Was meint ihr, was ein rechter Jahrmarkt ist, das läßt sich nicht in einer Stunde abschreiten! Da waren die Auslagen mit Geschirr für Küche und Haus, mit Binsentaschen und Besen, Kerzenstöcken, Nachttöpfen, Kellen und Bottichen. Die Gaffer stauten sich davor, man kam schier nicht durch. Ein Mann, der aus einem kleinen Karren zierlich Eis auf Tellerchen häufte und mit einem Kompliment herumbot, versperrte den Weg. Ein anderer hockte neben einem Korb voll Wassermelonen und schnitt mit einem großen Messer halbmondförmige Stücke von den Früchten ab. Die Durstigen stürzten sich darauf und bissen hinein, daß die Kerne wegsprangen und der Saft zu Boden floß.

Im wirbelnden Gewühl verlor Bernardo seine Gefährten. Er trieb allein einer stilleren Ecke zu und spähte musternd in einen Stand hinein. Fern von den Händen der Kauflustigen standen da auf Regalen die wundersamsten Dinge. Waren sie aus Zucker oder aus Eis? Sie waren aus Glas. Auf verschnörkelten, zarten Füßchen hielten sich Schalen und Becher schwebend im Gleichgewicht, gerippt und gewunden, mit Rüschen versehen und Fächern verziert, in allen Farben schimmernd, oder halbmatt mit goldenen Tupfen, Flitter und Staub darin. Zerbrechlich, zerbrechlich! Verknäuelte, grüne Schlangen krönten hohe Pokale, silberne Schwäne breiteten ihre Flügel aus, Fische spielten in erstarrtem Schaum. Überall Spitzen und Netze, gedrehte Bänder, bunte Stabbündel, Hörnchen, Zacken und Bogen. Alles aus Glas. Fahnen und Fransen aus Glas, Wassergüsse und Strudel aus Glas, Paläste, Berge und Himmel, alles aus Glas. Dort aber – Bernardo hielt den Atem an –, dort lag das Schönste von all dem Schönen: eine reine Kostbarkeit, eine Kugel. Weiter nichts als eine Kugel, aus Glas auch sie, durchsichtig, schwimmende Funken darüber verstreut, und innen, da war ein Gebilde beschlossen. Eine Blume: samtene Bahnen von glitzernden Kanten umrandet, flimmernde Höhlen, farbig leuchtende Grotten, seltsam gewundene, glattglänzende Zugänge zur Mitte, wo im Kranz zwischen langen Fangarmen ein gleißendes Herz lag. Die Blume war aus rotem Saft. Nein, wenn man genauer hinsah, waren es zwei Blumen, nicht eine. Zwei Blumen aus lebendigem Blut, die ihre Stengel ganz ineinander verwickelt hatten. Auch ihre Blumenblätter schoben sich aneinander, krempelten sich um und um, als wären sie ein einziges Ding. Und dieses Ding strahlte ein Licht aus, ein rotes, von goldenem Sprühen durchglitzertes Licht. Es ist nicht möglich, daß es etwas so Schönes gibt, dachte Bernardo, ich träume. Es zog ihm das Wasser im Munde zusammen vor Begierde, das Ding zu berühren. Wie mußte es sich anfühlen? Wie ein Riesenmarmel, zuerst kalt und dann warm, wie die eigene Hand.

Die Verkäuferin näherte sich und fragte ihn, ob er etwas wünsche. Sie bot ihm allerlei an. Bernardo sah nur die Kugel. Schließlich fragte er nach dem Preis. Das Ding sei nicht zu verkaufen, es liege nur da, daß man es ansehe. Das stimmte wohl, so etwas war nicht zu kaufen. Er wäre weiter und weiter davor stehengeblieben, wenn ihn nicht Peppo aufgefunden und am Arm weitergezerrt hätte. Ganz benommen folgte Bernardo dem Freund.

Auf einem kleinen Platz, wo Wege sich kreuzten, standen in dichtem Ring Leute und klatschten. Was gabʼs denn da zu sehen? Peppo drängte vorwärts. Sie vernahmen die Schläge der Pauke und zu mageren Klängen einer Drehorgel aufmunternde Zurufe und Befehle. Über die Köpfe der Gaffer hinweg war auf der Achsel eines dunkelhäutigen Menschen ein kleiner Affe zu erspähen. Er hielt sein Händchen ausgestreckt und bat mit eindringlichen Gebärden um milde Gaben. Doch nicht das Äffchen konnte die Leute so fesseln, es mußte etwas anderes sein. Plötzlich gewahrte Bernardo zwischen zwei Zuschauern den Kopf eines Bären. Er fuhr erschrocken zurück. Peppo bemerkte seine Angst und lachte ihn aus. «Ein Tanzbär!» meinte er verächtlich. Mit den Ellbogen bahnte er einen Weg nach vorn und zog den widerstrebenden Bernardo nach, der nun, in der ersten Reihe stehend, das Tier genugsam von nahem betrachten konnte. Sein Schreck war nicht verklungen. Er zitterte, so oft der Bär sich tanzend ihm zuwandte. Aber gleichzeitig besah er sich neugierig die Bestie. Er war enttäuscht. Das sollte eine Bärin sein? Er hatte sich eine solche ganz anders vorgestellt, viel größer und fürchterlicher, mit Augen wie aus Phosphor und einem rauchenden Rachen. War das alles? Eigentlich eine armselige Kreatur. Ein Ring in der Nase, Ketten an den Füßen und das schäbige Fell hinten verunreinigt, daß es in stinkenden Zotten einen widerlichen Anblick bot. Das war alles? Plötzlich lachte er laut auf. Als er vorhin für Teresina den Hut kaufte, war eine seltsame Schwere über ihn gefallen. Auch während er sich an der Glaskugel entzückte, hielt sie ihn nieder, ja, sie vertiefte sich zu leiser Angst. Die lächerliche Erscheinung des Bären nun, obwohl sie ihm zuerst Furcht eingejagt hatte, enthob ihn der drückenden Laune. Unvermittelt verfiel er in große Lustigkeit.

Bei Tisch wußte er die besten Scherze vorzubringen, antwortete am witzigsten, erzählte die gewagtesten Geschichten und übertrumpfte sich zum Schluß selbst durch eine Fertigkeit, die er soeben an sich entdeckte. Um der Hitze auszuweichen, hatte sich die Gesellschaft im Sälchen der Osteria das Essen auftragen lassen. Die Speisen zogen Schwärme von Fliegen an, die lästig wurden und über die sich schließlich alle beklagten. Bernardo, der ziemlich getrunken hatte, hob lässig die Hand, um eine Fliege zu vertreiben. Sie flog ihm zwischen die Finger, die er nur zu schließen brauchte – schon war sie gefangen. Er schob sie unter ein umgekehrtes Glas. Ein zweites Mal gelang ihm dasselbe. Da rief er den andern über den Tisch hin zu, sie sollten schauen, wie man es mache, um die Fliegen loszuwerden, man nehme sie ganz einfach so – und so – und so. Er griff ruhig in die Luft, und jedesmal erwischte er eine Fliege, nicht anders, als ob es das Einfachste der Welt wäre. Man lachte, man versuchte, es ihm nachzutun. Es gelang niemandem, während er weiterfuhr, gemächlich Fliege um Fliege aus der Luft zu pflücken und unter die nächsten Gläser zu sperren, wo sie wild durcheinander surrten. Aus dem anfänglichen Lachen um ihn herum wurde stürmisches Gelächter, Gebrüll, dröhnendes Toben. Leute, die draußen saßen, kamen an die offenen Fenster und starrten hinein, schnell von der Heiterkeit gewonnen. Neugierige drängten nach. Bald waren alle Fenster mit Pyramiden von Leuten angefüllt, die kreischend zusahen, wie Bernardo mit größter Ruhe die Fliegen, ohne je eine zu verfehlen oder eine Bewegung zuviel zu machen, eine nach der andern einfing. Er begriff nicht, wie es zuging, er hatte nie geübt, Fliegen zu fangen. Es ist wie beim Bocciaspiel, dachte er, es geht von selbst. Man klatschte ihm maßlosen Beifall, der sich bis auf die Straße fortsetzte. Im Taumel seines Erfolges vergaß er den Hut aus der Heimat, den Riesenmarmel und die Bärin. Er war glücklich.

In später Nacht, nach viel Tanzen und Singen unter den lampionbehangenen Bäumen des Wirtschaftsgartens, holte er sich bei Teresina den Dank für sein Geschenk.

Die Bargada / Dorf an der Grenze

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