Читать книгу Fire&Ice 10 - Joey Parker - Allie Kinsley - Страница 5
2 Wiedersehen – 2 Monate später
ОглавлениеKYLE
Mit zitternden Fingern stellte sie den Motor des kleinen Ford Fiesta ab. Unsicher glitt ihr Blick über die neue, weiße Fassade des Gebäudes, in dem das Tattoostudio war.
Kyle träumte seit langem von einem Tattoo, hatte sich aber nie dazu überwinden können, jemanden nah genug an sich heranzulassen.
Bei einem Gespräch mit Tia hatte sie diese Information fahrlässiger Weise herausgerückt. Tia war sofort begeistert von der Idee und hatte ihr kurzerhand einen Termin in diesem Tattoostudio ausgemacht.
Sie kannte den Besitzer und hatte Kyle versprochen, dass sie sich hier absolut keine Sorgen zu machen brauchte.
Kurzfristig hatte Kyle sogar gedacht, es wäre eine gute Idee. Kurzfristig. Jetzt, so nah davor zu stehen, ließ ihren Puls in die Höhe schnellen.
Komm schon, Kyle! Versuch es einfach! Wenn es dir nicht gefällt, kannst du immer noch nein sagen! Sei tapfer, so wie du es Julie und Tia immer predigst!
Sie atmete noch einmal tief ein und streckte ihre Schultern durch.
Jetzt oder nie! Ein zweites Mal würde sie so eine Chance nicht bekommen.
Energisch stieg sie aus und ging auf den Laden zu.
Die Schaufenster waren groß und sauber. Sie konnte die Wände des Vorraums sehen, in dem jeder Zentimeter mit Fotos gepflastert zu sein schien.
Schritt für Schritt wurde sie langsamer und die neu gewonnene Motivation schwand.
Dann entdeckte sie Destiny durch das Schaufenster im Laden. Sie hatte Destiny schon das ein oder andere Mal in Netties Diner gesehen. Die junge Frau sprach mit einem großen, sehnigen Mann, der auf den ersten Blick sehr sympathisch wirkte.
Wenn Kyle das von einem Mann behauptete, dann musste das etwas heißen! War das ihr Tätowierer?
Destiny selbst hatte sie auch als eher zurückhaltend kennengelernt und auch sie schien sich in seiner Gegenwart wohlzufühlen.
Vielleicht konnte es doch noch etwas werden … mit allem ihr zur Verfügung stehenden Mut öffnete sie die Glastür zum Laden.
Ein kleines Glockenspiel ertönte und Kyle betrat zögerlich den Raum.
"Hi, willkommen bei Timeless Tattoos & Piercings", sagte der Mann und lächelte sie offen an.
"Hi … ähm … ich habe einen Termin", antwortete Kyle und sah sich unsicher um.
Destiny winkte ihr. "Hi, ich bin Destiny. Wie heißt du? Dann kann ich nachsehen."
Für Kyle war es nicht verwunderlich, dass Destiny sich nicht an sie erinnerte. Niemand erinnerte sich je an sie, darüber war Kyle mehr als froh.
Dieser Deckmantel der Unscheinbarkeit machte sie nahezu unsichtbar.
"Kyle Broke." Sie blieb neben der Tür stehen, zwang sich aber den Griff loszulassen.
Destiny blätterte einige Male hin und her.
"Hmm … ich habe hier nichts … oder doch. Bist du Tias Freundin?"
"Ja. Sie hat einen Termin für mich ausgemacht."
"Ah super. Die Tätowierung für elf Uhr also."
Der Mann seufzte. "Schade. Ich hatte mich schon fast gefreut heute noch ein bisschen Arbeit zu bekommen."
Kyle legte den Kopf schief. "Sind Sie kein Tätowierer?"
Gleich darauf zuckte sie innerlich zusammen. Wie kam sie nur dazu, einem wildfremden Mann eine Frage zu stellen?
"Nein. Ich pierce nur. Wenn Sie also lieber ein Piercing als Farbe unter die Haut wollen, sind Sie bei mir richtig", sagte er zwinkernd.
Kyle schüttelte stumm den Kopf. Der Mann wollte gerade noch etwas sagen, als die Tür zum Nebenraum heftig aufflog.
Ein ziemlich genervt aussehender Albtraum von einem Mann kam gefolgt von einer blonden Frau heraus.
Er war groß. Bestimmt 1,90 Meter. Sein Rücken war beinahe so breit wie die Tür. Die Arme in dem viel zu engen Shirt sahen eher aus wie Oberschenkel und waren über und über mit Tätowierungen bedeckt.
"Das macht 300 Dollar. Destiny, sie braucht einen 30-Minuten-Termin zum Nachstechen in zwei Wochen", brummte er und stapfte dann durch eine Tür am anderen Ende des Raumes.
Während die junge, glücklich wirkende Frau ihre Rechnung beglich, wandte Kyle sich langsam der Tür zu. Sie hatte sich dafür entschieden, besser kein Tattoo von Mr. Stiernacken zu wollen.
"Woher kennen Sie Tia?", fragte der andere Mann und lächelte freundlich.
Sie konnte ihm ja schlecht nicht antworten und einfach davonrennen … oder?
"Freunde." Naja, viel ausgefeilter war diese Antwort zwar nicht, aber ihr Gehirn war voll und ganz mit ihrem Fluchtplan beschäftigt.
In diesem Moment drückte sich die junge Frau an ihr vorbei und ging fröhlich pfeifend zu ihrem Wagen.
Immerhin scheint er seine Arbeit gut zu machen …, dachte sie und sah der Frau hinterher.
Natürlich machte er seine Arbeit gut, sonst hätte Tia ihn ihr nicht empfohlen!
"Ich schwöre, wenn ich diese Woche noch einen einzigen beschissenen Delfin tätowieren muss, mach ich den Laden dicht!", brummte Mr. Stiernacken, als er zurück in den Raum kam.
"Das kannst du nicht, es ist auch mein Laden und ich bin mir sicher, dass deine nächste Kundin hier keinen Delfin will. Stimmt doch, Kyle, oder?", fragte der Mann gut gelaunt.
Mr. Stiernacken drehte sich zu ihr um und erstarrte. Er sah sie einen Moment lang mit großen Augen an, dann breitete sich ein Lächeln auf seinem Gesicht aus.
Vor ihrem inneren Auge spielten sich Bilder ab, wie sie wie Road-Runner beschleunigte und zu ihrem kleinen Ford rannte.
"Kyle! Wie schön dich hier zu sehen!", sagte er und hörte sich auf einmal gut gelaunt an.
Sie stutzte einen Moment. Woher zum Teufel kannte er sie?
Mit langen Schritten kam er auf sie zu.
Automatisch wich sie schnell rückwärts aus, erst dann fiel ihr auf, dass sie sich damit von der Eingangstür weg bewegte.
Verdammt!
Dann bemerkte sie, dass er mitten in der Bewegung innegehalten hatte und sie ganz und gar nicht mehr lächelnd musterte.
"Alles okay. Komm erst mal mit, dann können wir dein Tattoo besprechen", sagte er ruhig und deutete auf den Raum, aus dem er ursprünglich gekommen war.
Mittlerweile war es beinahe unheimlich ruhig im Raum. Alle Blicke lagen auf ihr, was ihr fast noch unangenehmer war als Mr. Stiernacken gegenüberzutreten.
Kurz wägte sie ab und erinnerte sich selbst daran, dass Tia und Destiny den Mann kannten. Wenn sie nicht alles täuschte, gehörte er zu Fire&Ice, von denen Julie immer behauptete, man könnte ihnen vertrauen.
Vertrauen!, höhnte ihre innere Stimme.
Kyle beschloss, diese zu ignorieren, und ging um das Sofa herum auf den Raum zu. Stiernacken folgte ihr. Seine Präsenz in ihrem Rücken war geradezu greifbar.
Sie stellte sich hinter eine blaue Liege, die mitten im Raum stand.
Auch er betrat das Zimmer, hielt dann mit der Klinke in der Hand inne. "Ich werde sie offen lassen, wenn es für dich okay ist?"
Kyle nickte. So viel Feingefühl hätte sie dem Muskelberg nicht zugetraut, aber sie fühlte sich tatsächlich besser, wenn Destiny noch in Sichtweite war.
Er setzte sich auf einen kleinen, schwarzen Hocker mit Rollen, wirkte aber im Sitzen nicht wesentlich weniger bedrohlich.
Reiß dich zusammen, Kyle!
"Okay, nochmal von vorn", sagte er und lächelte sanft. "Ich bin Joey. Du hast einen Beratungstermin mit mir, stimmts?"
Kyle nickte. Sie musste sich einfach nur anhören, was er zu sagen hatte, danach konnte sie wieder von hier verschwinden.
Kein Problem!
"Wo möchtest du dein Tattoo?"
"Beide Unterarme, Innenseiten."
"Gut. Nicht gerade klein. Da solltest du dir sicher sein", sagte er und lächelte schief.
"Ich will mich nur informieren."
"Schon über das Motiv nachgedacht?" Sie dachte an die Kopie einer Zeichnung von einer bunten Blumenwiese, die sie dabei hatte, war sich aber nicht sicher, ob sie sie Joey zeigen wollte.
"Die eine Seite, die rechte, soll voll schwarzer Tribals sein."
Joey nickte. "Die zweite?"
Sie zögerte. "Eine Zeichnung in Farbe."
"Kann ich sie sehen? Ich brauche sie, um den Aufwand abschätzen zu können."
Sie konnte sich zumindest mal einen Preis sagen lassen.
Also holte sie die Kopie hervor und legte sie auf die Liege.
Joey runzelte die Stirn. "Eine Kinderzeichnung als Tattoo?"
Kyle nickte.
"Von ihrem?"
"Von Ethan", sagte sie schnell.
"Julies Sohn?"
"Ja."
Er drehte und wendete das Papier ein paar Mal, ehe er die Stirn runzelte.
"Kann ich mir deinen Arm einmal ansehen? Ich denke wir werden die Zeichnung ein wenig zuschneiden oder verkleinern müssen, sonst bekommen wir sie nicht schön auf den Arm."
"Verkleinern ja, zuschneiden nein."
"Okay. Also deinen Arm bitte. Am besten setzt du dich auf den Hocker und legst ihn auf die Liege."
Einen Moment zögerte sie und schielte noch einmal zu Destiny, dann zog sie den zweiten Hocker heran und legte den Arm auf die Liege.
Joey rollte näher, griff so federleicht wie sie es niemals von so einem Muskelpaket erwartet hätte nach ihrem Arm und schob dann die weite Bluse nach oben.
Die Berührung seiner rauen Finger ließ ihre Haut kribbeln. Ihr Herzschlag beschleunigte sich, aber sie war sich nicht sicher, ob aus Angst oder … oder was?
"Innenseite?", fragte er ruhig und noch bevor sie antworten oder reagieren konnte hatte er ihre Hand bereits gedreht.
Sie spürte den Moment, in dem er die lange, senkrechte Narbe sah, die sie mit den Tätowierungen überdecken wollte.
Dann wurde sein Griff plötzlich fester. "Verdammt!", knurrte er.
Kyle zerrte an ihrem Arm, wollte ihn freibekommen, doch sein Griff war unnachgiebig wie eine Handschelle.
"Was …?", begann er, ohne Anstalten zu machen, sie loszulassen.
Blanke Angst überkam sie.
Sein Gesicht war wütend, sein Griff unerbittlich. Kyle packte ihre Handtasche fester und schlug sie ihm mit voller Kraft auf das Handgelenk.
"Autsch!"
Da lockerte sich sein Griff endlich und sie konnte ihm ihre Hand entziehen.
Schnell stand sie auf und machte einige Schritte von der Liege weg.
Das Blut rauschte durch ihre Adern und sie spürte, wie sie am ganzen Körper zitterte.
"Ich … ich habe mich anders entschieden. Danke", stotterte sie und ging dann so schnell wie möglich zur Tür. Vor Zittern wäre sie dabei beinahe über ihre eigenen Füße gefallen.
"Kyle warte! Ich wollte …"
"Schon okay. Hat sich erledigt." Sie lächelte Destiny angestrengt an und verließ fluchtartig das Gebäude. Nur schnell weg hier!
JOEY
"Kyle!" Sie stieß bereits rückwärts aus der Parklücke, als er bei ihrem Wagen ankam.
"Scheiße!", fluchte er und ging zurück in den Laden.
"Was war das denn?", fragten Mike und Destiny gleichzeitig.
"Keine Ahnung. Gib mir bitte ihre Handynummer, De", sagte er dann und ging in die kleine Mitarbeiterküche, um sich einen Eisbeutel für sein Handgelenk zu holen.
Hatte diese Frau Steine in ihrer Handtasche? Es tat auf jeden Fall verdammt weh!
Er band sich den Beutel provisorisch mit einem Küchentuch an die rechte Hand.
"Ich hab sie nicht", sagte De, als er zurück in den Empfangsraum kam.
"Warum? Du brauchst sie doch immer für die Kartei, falls wir absagen müssen."
"Tia hat sie angemeldet und die Nummer nicht gewusst. Sorry."
"Scheiße! Wann habe ich meinen nächsten Termin?"
De sah ihn verwirrt an. "Das war der letzte für heute."
"Okay, ich bin weg. Macht ihr hier fertig?"
"Klar", antworteten beide sichtlich verwirrt, als er das Studio bereits verließ und zu seinem Auto ging.
Er hatte keine Zeit sich jetzt mit den beiden auseinander zu setzen. Er musste zu Tia und dann zu Kyle.
… vielleicht zwischendurch auch zu Dave, gestand er sich ein, als seine Hand beim Öffnen des Camaros höllisch schmerzte.
Zum Anlassen nahm er vorsichtshalber die linke Hand. Er verfluchte sich dafür, ein Auto mit Schaltung zu haben. Jedes Mal, wenn er hoch- oder runterschalten musste, knurrte er vor Schmerzen auf.
Gott sei Dank hatte er nur eine kurze Strecke bis zum Club zu fahren. Er parkte den Camaro auf dem Parkplatz vor dem Hintereingang und lief dann ohne zu zögern die Stufen zu Tias Wohnung hinauf.
Mit der linken Faust hämmerte er gegen die Tür.
"Was soll das?", knurrte Luce, als er die Tür öffnete.
"Wo ist Tia?"
"Warum?" Luce zog seine Augenbrauen zusammen, ohne Anstalten zu machen, nach ihr zu rufen.
"Weil ich mit ihr sprechen muss!", gab er ungeduldig zurück.
"Worüber?"
"Lass ihn schon rein, Luce. Ich bin angezogen." Tia schob Luce zur Seite und öffnete die Tür. "Sorry. Manchmal kann er wirklich anstrengend sein."
Joey konnte Luce normalerweise durchaus verstehen. Im Gegenteil, er war sogar froh, dass Tia jetzt so etwas wie einen Türsteher hatte.
Er war jedes Mal ein wenig peinlich berührt gewesen, wenn sie ihm halb nackt die Tür geöffnet hatte. Dieser Frau fehlte definitiv jedes Schamgefühl!
Nur eben jetzt hatte er keine Zeit zu warten.
"Ich brauche Kyles Handynummer!", platze er sofort heraus.
Tia zog ihre Augenbrauen nach oben.
"War sie heute nicht bei dir?" Luce ging zurück zum Sofa, setzte sich und beobachtete sie lächelnd.
"Doch, aber sie ist abgehauen."
"Warum?"
"Missverständnis. Ich hab jetzt keine Zeit das zu diskutieren, Tia!"
Sie legte den Kopf schief und musterte ihn eingehend. "Was ist mit deiner Hand?"
"Weiß ich noch nicht."
"Soll ich dir dann nicht lieber Daves Nummer geben?", fragte sie lächelnd und schien sich bestens zu amüsieren.
"Tia!", knurrte er, weil er genau wusste, dass sie ihn in den Wahnsinn treiben wollte.
"Ja, das ist mein Name", gab sie vergnügt zurück, ohne Anstalten zu machen, auf sein Anliegen einzugehen.
"Luce, pfeif deine Frau zurück, bevor ich sie erwürgen muss!"
Luce lachte aus vollem Hals. "Du kannst es versuchen, aber ich werde dich nicht retten, wenn du anfängst!"
Er atmete einige Male tief durch und sagte dann so ruhig wie möglich: "Ich wollte mir ihren Arm ansehen, daraufhin hat sie mir die Hand gebrochen und ist weggerannt. Kann ich bitte ihre Nummer haben?"
Er wusste zwar nicht, ob sie wirklich gebrochen war, aber das tat jetzt nichts zur Sache.
Tias Lächeln fiel schlagartig in sich zusammen. "Klar. Warte einen Moment." Sie ging in die Küche, schrieb eine Nummer auf einen Zettel und reichte ihn Joey dann. "Kyle ist … etwas zerbrechlicher …"
Luce schnaubte. "Etwas? Sie kommt nicht mal hier her, wenn ich da bin!"
Tia brachte ihn mit einem bösen Blick zum Schweigen. "Auf jeden Fall solltest du sie nicht zu sehr in die Ecke drängen."
Das hatte er bereits gemerkt. Es aber nochmal so bestätigt zu bekommen, war nicht gerade ermutigend.
"Okay. Danke dir."
"Kein Problem und viel Glück."
Das würde er definitiv brauchen. Da seine Hand aber mittlerweile heftig pulsierte, beschloss er erst einmal zu Dave zu fahren.
Weiter als jetzt konnte Kyle ihm sowieso nicht mehr davonlaufen, also kam es auf eine Stunde hin oder her nicht mehr an.
Er verabschiedete sich von den Beiden und machte sich dann, bei jedem Schalten fluchend, auf den Weg zu Dave.