Читать книгу Rebellische Leidenschaft - Ally Park - Страница 8
DREI
ОглавлениеBewaffnet mit dem Umschlag von Tomas streife ich nachmittags in der Maximilianstraße durch Geschäfte, in die ich sonst nicht mal einen Fuß setzen würde, Dior, Gucci, Dolce und Gabbana. Die haben Preise, staune ich.
Ein transparenter Highheel, sieht aus wie aus Glas, cool, fällt mir am Eingang einer Hausecke auf. Es ist ein großes, beiges und altes Gemäuer mit riesigen, alten und dunklen Fenstern, daraus schillert mir ein Schuh entgegen, den ich haben muss.
Ein Märchen wird wahr, als ich in das Geschäft eintrete, ich fühle mich ein wenig wie Aschenputtel. Eine nette, nicht zu junge Blondine empfängt mich mit einem: „Schönen guten Tag“, diesmal stört es mich gar nicht, gleich angesprochen zu werden. „Guten Tag, ich bin auf der Suche nach etwas Ausgefallenem. Den Schuh in der Auslage, den durchsichtigen mit den türkisen Einsetzen, in welcher Größe haben Sie den?“, erkundige ich mich gleich. „Den haben wir in den Größen 37, 38 und 40, das ist das neue Modell der Sommerkollektion, die Größe 39 haben wir auf Bestellung zur Seite gelegt. Ich kann die vielleicht anderweitig noch besorgen. Welche Größe darf es denn für Sie sein?“, höre ich von einer Verkäuferin, die ihren Job mal ernst zu nehmen scheint, denn die Antwort ist für mich überraschend informativ. „37“, erwidere ich kurz, da verschwindet sie motiviert tief hinten im Geschäft mit einem: „Kurzen Moment bitte, ich bin gleich wieder für Sie da!“
Auf einer Sitzgelegenheit mache ich es mir vorerst gemütlich, streife meinen Mantel ab und mein Blick wandert durch die Boutique. Im Hintergrund läuft Musik. Ich ertappe mich beim Mitsummen zu Lily Allens Song „Not fair“ – „…Oh, he treats me with respect. He says he loves me all the time. He calls me fifteen times a day. He likes to make sure that I'm fine…” Dabei muss ich daran denken, wie sich John auch um mich sorgt, er ruft mich echt oft an und ist immer für mich da…
„Hier bitte Größe 37”, vernehme ich fast beiläufig. Da sind sie, wow. Für einen kurzen Moment halte ich inne und betrachte das Juwel. Dann nehme ich die Schuhe wie einen Schatz an mich, führe den einen an den linken, den anderen an den rechten Fuß, sie sitzen wie angegossen. Jetzt erhebe ich mich und betrachte die Sensation im Spiegel. Das fühlt sich gut an. „Wie gefallen Sie?“, erreicht mich wieder die Verkäuferin. „Oh, nicht schlecht, ich weiß nicht, Türkis ist sonst nicht meine Farbe, aber diese Glasoptik ist ein Eyecatcher, der gefällt mir.“ „Ich bringe Ihnen dazu das Kleid, nur zum Anprobieren, dann haben Sie eine bessere Vorstellung, einen Moment“, und wieder verschwindet diese engagierte Fachkraft.
Alleine summe ich weiter: „…There's just one thing that's getting in the way. When we go up to bed, you're just no good, it's such a shame…” Verträumt sehe ich an meinen Beinen die aufregendsten Schuhe, die ich je getragen habe und denke an John, noch immer läuft Lily Allen: „…Oh, you're supposed to care. But you never make me scream. You never make me scream. Oh, it's not fair and it's really not ok. It's really not ok. It's really not ok!...”
Im Spiegel blicke ich mir tief in die Augen und muss zugeben, dass mein Liebesleben mit John in die Jahre gekommen ist. Ich gebe es nicht gerne zu, aber meine Leidenschaft wird von John nicht mehr so geweckt – nicht so, wie meine Gedanken an Ron.
„Hier ist es, Größe 36“, und die nette Angestellte präsentiert ein unfassbar schlichtes und dennoch atemberaubendes, türkises Seidenkleid vor sich. Natürlich schlüpfe ich hinein. „Oh, nein!“, geht es mir durch den Kopf, als ich mich im Spiegel der großzügigen Umkleidekabine betrachte. Ich sehe aus, wie wenn ich das Kleid meiner großen Schwester geklaut habe. Das geht gar nicht. Wieder im Verkaufsbereich, reiche ich der zuvorkommenden Dame das Kleid: „Das passt leider nicht, aber die Schuhe nehme ich.“ Ich bezahle 650 Euro – für mich ein Vermögen – und verlasse Dior.
Jetzt will ich auf der Maximilianstraße weiterjagen, ich muss ein Kleid finden. Mal sehen, Dolce und Gabbana? Valentino? In Gedanken verloren, genieße ich die Fülle von Luxus. Umschmeichelt davon schlüpfe ich in unzählige Kleider, eines angenehmer und verspielter als das andere. Aber keines so sagenhaft wie sein Preis versprechen will. Immer noch unentschlossen wähle ich zurück auf der Straße die Telefonnummer von Sonja Wagner, eine gute Bekannte und ehemalige Studienkollegin, die mittlerweilen in einer großen Presseagentur arbeitet.
Wir sind eigentlich nicht wirklich enge Freundinnen, gestehe ich mir. Zugegeben: Ich habe eigentlich gar keine enge Freundin. Beinahe beklommen denke ich plötzlich über mich und Freundschaften nach. Dafür fehlt mir einfach die Zeit? Nein, es wird wohl eher damit zu tun haben, dass ich einen schwierigen Charakter habe? Ich bin viel zu direkt, zu straight als Frau, werfe ich mir vor.
Erinnerungen an meine Schul- und Studienzeit kommen in mir hoch, es kann auch sein, dass es der Neid der anderen Mädchen war? Immer habe ich bekommen, wofür ich schwärmte. Habe immer das erreicht, was ich wollte. Jetzt verteidigt sich mein Unterbewusstsein, immerhin habe ich auch viel dafür gearbeitet, dafür Opfer gebracht. Statt auf Partys war ich oft beim Büffeln. Habe kein Problem damit gehabt, mir das zu nehmen, was ich wollte. Schon auf der Uni habe ich wohl deshalb kaum noch Freundinnen gehabt, mich immer mit den Jungs besser verstanden. Aber auch das ging nicht gut, die Jungs haben mich falsch verstanden, mehr gewollt als nur Freundschaft, was mich zum Einzelgänger gemacht hat. Wehmut? Nein, eigentlich fühle ich mich so wohl. Ich bin eben ich. Und ich mag mich.
„Hallo, Angie“, höre ich eine vertraute Stimme. „Hi, Sonja, du wirst nicht glauben, was ich grade erlebe!“ In kurzen Zügen lasse ich Sonja an meinem Wahnsinn teilhaben. „Angie, was ist los, so aufgeregt kenne ich dich nicht? Du bist auf der Uni zuletzt so aufgeregt gewesen?“ „Ach, lass mal, du musst für mich bitte etwas recherchieren?“, bereite ich Sonja auf meinen Wunsch vor. „Was denn?“, erkundigt sie sich. „Bitte finde alles über Ron Kern raus und gib mir einen kurzen Abriss über sein Leben, was er mag, was er nicht mag und so weiter, du kennst das eh!“ „Kenne mich aus, wofür brauchst du die Angaben, ist er Gegner eures Projektes oder für das Projekt?“, entgegnet Sonja, sie kennt meine Branche zu gut und hat meine Hintergedanken erkannt. „Das weiß ich nicht so recht“, gebe ich offen zu. „Jetzt kenne ich mich aus, ich suche dir alles, was du brauchst. Ob dafür, ob dagegen, lass mich nur machen! Bis wann?“ „Ich fliege am Freitag in der Früh, davor wäre super?“ „Schaffe ich bis morgen abends – ok!“, und weg ist sie.
Sonja ist für mich da, immer wenn ich diese Informationen brauche. Nicht wegen mir, sondern weil sie sich später eine Story erhofft, so bin ich für sie eben dann da. Nicht mehr und nicht weniger. Das kommt nicht oft vor, aber wenn, dann kann ich mich auf sie wirklich verlassen.
Beruhigter schlendere ich weiter und stoße auf ein langes Seidenkleid in weiß, teilweise transparent, das könnte passen. Ich finde mich vor einer modernen Glasfront wieder – Valentino.
Schon weile ich begierig und fast verloren in der viel zu großen Umkleidekabine und mein Atem stockt, als ich in den Spiegel blicke. Das ist es. Zufrieden drehe ich mich und betrachte mich. Absolut elegant, es verspricht viel, aber es verrät nichts. Das Dekolleté und die Schultern sind frei, der Stoff fällt mondän und gibt meine schlanke Silhouette preis.
Stolz bin ich auf meinen durchtrainierten Körper, das Kleid fließt um meine Kurven. Größe 34 passt wie angegossen. Mit meinen 1,65m und den Highheels harmoniert auch die Länge perfekt. Integriert im Kleid ist eine Art Cape, transparent. Echt extravagant, einfach wie ich es mag, ich kann es verspielt über nur eine Schulter legen oder damit als eine Diva meine Schultern bedecken. Das Cape kann ich auch ganz einfach fallen lassen, dann umschmeichelt es die Silhouette und lädt zum Träumen ein. Es gibt noch andere Farben. Schwarz darf es nicht sein, auf keinen Fall, das wäre zu normal und nicht edel genug. Türkis steht mir nicht, aber transparent-weiß ist die Sensation, das bin ich. Ein Blick auf das Preisschild wirft mich um. Das Seidenkleid kostet ungefähr soviel, wie der zweiwöchige Urlaub, den ich mit den Kindern und John in Spanien vor nun fast drei Wochen verbracht habe. 3.500 Euro, ein weißer, transparenter Wahnsinn in Seide. Ich kaufe ihn.
„Exklusiv-Tatoos“ schnappe ich wieder draußen an der Einkaufsmeile irgendwo auf. Plötzlich habe ich eine Idee, das Kleid gibt viel Haut, vor allem am Rücken, frei. Schmuck dazu habe ich nicht, ich trage kaum einen, aber so ein Kristalltatoo, könnte mir gefallen.
(2 Tage später, Freitagfrüh)
Hastig steige ich aus meinem Taxi und finde mich auch zum heutigen Valentinstag am Flughafen in München schnell zurecht. Die Karten meiner Kinder mit den klassischen Herzen habe ich wie immer heute früh noch in unserer Küche feierlich aufgestellt, ich liebe diese Dinge, auch wenn sie manche kitschig finden. Jetzt bin ich aber nicht Mama, sondern Businessfrau.
Peter drückt mir kurz und knapp die versprochenen Unterlagen in die Hand und gleich darauf finde ich mich beim Suchen meines Sitzplatzes im Frühflug nach Wien. Bei meinem obligaten Kaffee stöbere ich zunächst die Unterlagen von Sonja durch, ich hab sie gestern noch ausgedruckt, aber nicht mehr durchgesehen. Ron ist nie verheiratet gewesen, er hat Kinder, er hat keine Geschwister. Er hat in London studiert und promoviert. Wie ich hat er Jura studiert. Hat mehrere Immobilien in Moskau, London, Paris, Wien (ah ja), Miami (wow, muss schön sein), Montego…
Interessant – nicht gefährlich, urteile ich und nehme mir nun den Teil über sein Leben vor: Mehrere Gerichtsverfahren, allerdings wurde er noch nie verurteilt. (Clever? oder Glück?) Entscheidungen trifft er immer rasch, es gibt nichts, wo Ron Kern lange überlegt, wenn es für ihn in Frage kommt. (Gut zu wissen!) Immer wieder kommt er im Zusammenhang mit dem ukrainischen Mafioso Sergej Olgdrov vor, dazu fand Sonja aber nichts. Jahrelange Beratertätigkeit für die großen Energiekonzerne im Osten, das weiß ich ja bereits. Er hat auch ein eigenes Unternehmen. Früher segelte er anscheinend gut, er gewann mehrere Regatten in Übersee. Jetzt fährt er aber Speedbootrennen. „Wichtig!“ steht da quer über die Seite, das erregt meine Aufmerksamkeit, was ist wohl wichtig? Vor zwei Jahren ist Ron anscheinend für knapp ein Jahr von der Bildfläche verschwunden. Warum ist fraglich. Es wird vermutet, dass er von der brasilianischen Mafia festgehalten wurde, weil er bei Drogengeschäften mitkassiert hat. Ich lege die Unterlagen vor mir ab, schließe die Augen und resümiere: interessant, gefährliche Szene, gut? Nein, ich urteile lieber nicht, aber ich weiß sehr viel, ich bin zufrieden und fühle mich sicher.
Immer dann wenn ich Überraschungen vermeiden kann, fühle ich mich sicher. Viel mehr liebe ich es aber, wenn ich überrascht werde, schmunzle ich und packe die Unterlagen in mein Gepäck, das Flugzeug ist bereits gelandet und ich werde bald im Hotel sein, mich frisch machen und dann die Interessenten treffen.
„Guten Tag, Mrs Miller, Sie wurden umgebucht, es steht eine Suite für Sie bereit“, empfängt mich ein junger gutaussehender Italo-Typ mitten im Hilton in Wien. Suite? „Gut, klingt gut“, ich nehme die Keycard und folge dem Herrn amüsiert zu meiner Türe. Erst im vorletzten Stock verlassen wir den Lift, der nette Italiener öffnet mir eine große Türe. Überwältigt gebe ich ihm einen Fünfer Trinkgeld, wahrscheinlich viel zu wenig, das ist mir aber egal.
Ein rotweißes Rosenmeer und ich stehe mitten drinnen. Vor mir erstreckt sich ein Teppich aus Rosenblüten bis zur Glastür auf eine Terrasse. Dem Zauber folge ich, öffne die Tür nach draußen und mir liegt Wien zu Füßen. Atemberaubend, denke ich und wende mich wieder um, es ist kalt. Den Blüten folge ich hin zu einem Sideboard. Eine große Kristallvase bändigt einen Strauß von roten Rosen, darin steckt eine Karte. Neugierig greife ich nach ihr. In enger ausdrucksvoller Schrift steht dort:
Schließe die Augen.
Klettere mit mir auf den Regenbogen.
Auf einen Sonnenstrahl.
Hinauf zu den Sternen.
In die Unendlichkeit.
Mehr steht nicht drauf, ich wende die Karte, doch sie ist nur weiß. Berührt bin ich von einem unbekannten Zauber, aber ich weiß, die Karte ist von Ron. Es ist mir ganz und gar nicht recht, dass er seinen Namen nicht auch auf die Karte schreibt. Das macht mich unsicher. Dennoch ich liebe Überraschungen. (Vor allem solche und dann noch am Valentinstag.)
Keine Zeit zu träumen, raffe ich mich auf. Schnell wechsle ich meine Garderobe. Diesmal trage ich Jeans, hellblau in Bereichen fast weiß ausgewaschen mit Kristallen besetzt (unechte natürlich), dazu passend ein weißes Top, eng mit weitem Carmenausschnitt, so kommt mein Swarovski-Tatoo an meinem Nacken bereits jetzt gut zum Ausdruck. Hochsteckfrisur und natürlich Highheels von Milano in weiß mit Perlenapplikationen. So suche ich nun in einem anderen Geschoß des Hauses den Saal C.
Ist das nicht Herr Schulze von der RAC, denke ich mir, als ich einen großen gebräunten Herrn mit Glatze vor einer Türe im Kreise anderer Männer in Anzügen sehe. „Guten Tag, Mrs Miller“, erkennt auch er mich und befreit sich mit ein paar Schritten in meine Richtung aus dem Kreis. Einem nach dem anderen werde ich nun von Herrn Schulze vorgestellt. Auch die Politik hat sich heute eingefunden, vorgestellt wird mir der österreichische Minister Tadermahner. Er gibt mir entzückt die Hand: „Hallo, Mrs Miller, schön Sie kennen zu lernen.“ „Guten Tag, ich freue mich auch, Sie persönlich kennen zu lernen“, erwidere ich und bin erstaunt, dass die Erzählungen über sein Äußeres so exakt zutreffen – naja, schön ist eben anders. Gekonnt wende ich mich den weiteren Gästen zu und entkomme knapp einem Klapser, für den der Minister doch beinahe schon berühmt ist. So nehmen wir den Saal C Stück für Stück mehr ein. Gut fünfzehn Herren und keine Frau, das finde ich ok, ich bin’s gewöhnt, wo ist aber Ron?
Eine vollbusige Blondine im schwarzen Kostümchen stöckelt ein wenig unschuldig herein, lässt sich aus ihrem Mäntelchen helfen und erklärt, nachdem sie ihre offene Mähne ungeschickt zurecht rückt, mit piepsiger Stimme: „Herr Kern ist verhindert, ich soll für ihn hier aufpassen.“ Die Aufmerksamkeit ist ganz auf sie gerichtet.
Was? Meine Überraschung lasse ich mir natürlich nicht anmerken, in mir bebt alles – diesmal aus anderem Grund. Immerhin ist das Meeting doch überwiegend von ihm gewünscht gewesen? „Alles klar, dann darf ich Ihnen gleich die Unterlagen hier übergeben, für den Fall, dass sie noch keine haben? Mein Name ist Dr. Angelina Miller, ich präsentiere heute das Sommers-Hall-Verfahren und sie waren noch gleich?“, strecke ich äußerst straight dem Blondchen die Unterlagen entgegen. Sie weiß jetzt hoffentlich, mit wem sie es zu tun hat. Bereitwillig nimmt sie sie an sich und versucht mit: „Mein Name ist Nicole, Nicole Stick. Ron hat mir schon von Ihnen berichtet, ich habe einen Fragenkatalog mit.“ Gut, wenn du weißt, wer ich bin, denke ich mir und wende mich den übrigen in der Runde zu. Das Meeting ist genial, ich Punkte bei RAC, die Geschäftsführung signalisiert bereits heute, dass man investieren will. Nur Blondchen fragt nicht? Am Ende des Meetings muss ich es tun, ich konfrontiere Blondchen und erkundige mich nach den Fragen. Sie reagiert eingeschüchtert und übergibt mir eine Mappe: „Da drinnen steht alles, hat Ron mir gesagt, bitte!“ Ungeschickt schiebt sie die Mappe über den breiten dunklen Tisch. Fast wären die Erfrischungsgetränke am Tisch umgestürzt. Die Mappe vor mir liegend zögere ich kurz, dann nehme ich das Deckblatt innen in Augenschein, darauf steht in derselben Handschrift wie auf der weißen Karte in meiner Suite:
Heute 21 Uhr,
Penthouse,
ich freue mich!
Langsam schließe ich den Ordner, lächle ruhig in die Runde. „Gut dann sind wir hier am Ende unseres heutigen Meetings, ich bedanke mich noch einmal für Ihr Interesse und Ihre Aufmerksamkeit. Sie alle haben nun Zeit, die Unterlagen zu studieren und beim gemeinsamen Dinner heute um 19 Uhr stehe ich gerne zur Verfügung, um die eine oder andere eventuell noch offene Frage zu beantworten.“ In mir brodelt die Freude, der Termin lief sensationell gut und ich werde Ron doch noch sehen!
Es ist kurz vor 19 Uhr und ich betrachte mich in meiner Suite im Wandspiegel. Die Schuhe, das Seidenkleid und meine Hochsteckfrisur, alles sitzt. Ein paar Strähnen hängen gewollt in großen Engelslocken über den transparenten Stoff und umspielen meine Schultern. Das aufgeklebte Swarovski-Tatoo sieht geil aus, bewerte ich mein Äußeres bei meinen Verrenkungen vor dem Spiegel. Elegant schreite ich so zum Dinner. Am Empfang stehen zwei Herren, die für die Sitzordnung zuständig scheinen. Einem davon folge ich ganz ladylike.
Wir kommen an der Bar, die sich in der Mitte des gigantischen Saals quasi als überdimensionaler Raumteiler einfügt, vorbei. „Guten Abend, Angie“, fast wie ein Wirbelsturm treffen mich die Worte, denn sie kommen von einer vertrauten tiefen Stimme. Ich halte inne, lächle und blicke erst dann zur Seite. Es ist Ron, er lehnt an einem der Barhocker in einem schwarzen Seidenanzug, weißes Hemd mit großem Stehkragen, eine Zigarre in der Hand, die er zur Seite legt. Klassisch, elegant wirkt er, seine Haare zerzaust, wie nach einem Segelturn, verwegen. „Guten Abend, Ron“, erwidere ich und versuche dabei so ruhig und gelassen wie möglich zu klingen. Der Herr, der mir den Weg weisen sollte, erkundigt sich nun: „Wollen Sie hier einen Aperitif einnehmen?“ „Ein Gals Champagner für die Dame, Herbert!“, antwortet Ron und ich habe nichts dagegen. Tausend Dinge, die ich Ron fragen wollte und jetzt fällt mir nur ein: „Nett, deine Überraschung!“ Es klingt nicht edel, ich bin enttäuscht von mir. Ron erwidert: „Magst du Rosen? Rosen sind eigentlich nie falsch, obwohl du mehr bist?“, meint er und streift mit seiner Zunge über seine Lippen. „Mehr? Wie mehr als Rosen?“, das klingt schon besser, denke ich verlegen. „Mehr wie eine Orchidee, verdammt schön, kostbar und du erforderst viel Aufmerksamkeit, keineswegs wie eine einfache Rose“, versucht Ron seine Erklärung. In mir bebt die Euphorie.
Der Champagner mundet, wie er es verspricht.
Im anschließenden Dinner verläuft alles nach Plan, ich schaue geschätzte zwanzig Mal auf die Uhr. Mir kommt es vor, als ob das Dinner eine Ewigkeit dauern würde. Am Tisch residiere ich direkt neben Ron, somit gibt es so gut wie keinen direkten Blickkontakt mit ihm, das macht das Dinner noch mühsamer für mich. Endlich gibt es Nachtisch, das Sorbet. Nicht, dass ich auf so etwas stehe, aber es ist der letzte Gang. Es wird serviert und unbemerkt flüstert Ron mehr vor sich hin als zu mir: „Du siehst atemberaubend aus, du schillerst als größter Kristall von den vielen an dir“, er schwenkt seinen Kopf endlich mal zu mir, blickt auf meinen Nacken und lächelt mich dann an. Da ist sie, seine Zunge, wieder spielt er mit ihr über seine Lippen… Das Lächeln erwidere ich, innerlich völlig aufgewühlt, senke ich meinen Blick auf das Sorbet und bin sowas von zufrieden mit der Auswahl meiner Robe.
Die Gesellschaft löst sich endlich langsam auf und ich finde mich mit Ron im Lift wieder. Es ist still. Mein Blick hebt sich und ich spiele: „Nun Herr Kern, ich hoffe, Nicole hat die weiteren Unterlagen, die ich ihr zu dem dubiosen Ordner am Nachmittag bringen hab lassen, überbracht?“ Jetzt sehe ich tief in seine blauen Augen. „Hat sie“, meint er fast belanglos und legt seine Hände an meine Hüften, zieht mich langsam näher und betrachtet mich beginnend bei meinen Schuhen. „Genial“, flüstert er. Ich liebe es, wenn ich spielen kann, wie jetzt, muss ich mir eingestehen.
„Das Verfahren ist genial, das habe ich schon in Brüssel erwähnt“, bekunde ich leise, wohlwissend er meint etwas anderes. Die Lifttüren gehen auf und ich wende mich zum Ausstieg. Da ist noch eine Türe, stoppe ich? Ron nimmt seine Karte und jetzt öffnet auch die sich – klar Penthouse, wo bin ich nur wieder mit meinen Gedanken?
Elegant und nicht zu schnell schreite ich in den Raum und drehe mich um mich selbst, wieder erfassen seine Hände meine Hüften. Wieder zieht er mich zu sich und steht diesmal hinter mir. Seine Lippen beginnen an meinem Tatoo zu spielen. Es gefällt ihm. Er streicht meine Haarsträhnen bei Seite und wandert mit seinen Zärtlichkeiten meinen Hals entlang bis zum Ende meines tiefen Ausschnitts. Getragen von dieser sinnlichen Leidenschaft drehe ich mich um und spüre jetzt seine Hände an meinem Rücken, sie erkunden mich behutsam, wandern tiefer und erforschen mich sanft. Trotz meiner hohen Stilettos bin ich kleiner als Ron und kann deutlich am Hals vor mir sein Parfum wahrnehmen. Im Rausch des Duftes schmiege ich mich an ihn, wende mich ihm zu und wir versinken in einen betörenden Kuss.
Ich besinne mich, weiche zurück und erforsche: „Hast du noch Fragen zu den Unterlagen, kann Sommers-Hall auf ein Ja von dir zählen“, fordere ich und gehe aufs Ganze. Ron senkt den Blick und sagt mit dieser noch tieferen leisen Stimme: „Ich dachte du bist wegen mir hier?“ Das ist direkt und überrascht mich. „Schließt die Frage das aus?“, flüstere ich und betrachte jetzt aus dem bodentiefen Fenster die Lichterwelt von Wien. „Angie, es ist zu kompliziert, ich will jetzt nicht darüber reden.“
Erst jetzt ist mir klar, Ron wird lange kein Ja geben wollen. Die Lichterstadt erfasst mich. Leise Musik und ein Kaminfeuer runden die Stimmung gekonnt ab, Ron hat dafür gesorgt und verschränkt seine Arme als er wieder vor mir steht, dabei hebt er eine Hand zu seinem Kinn und hält es mit Verzücken fest: „Angie, Du siehst umwerfend aus, noch nie hat mich eine Frau so angesprochen wie Du – und…“ „Das waren nicht wenige!“, unterbreche ich und genieße das Spiel mit dem Feuer. Ich lege mein Cape nun so, dass beide Schultern frei liegen und der transparente Stoff fällt als glamouröser Schimmer über mein glänzendes Seidenkleid. „Ich bin nicht gebunden, falls es das ist, was du wissen willst?“, reagiert Ron und nimmt mich erneut in die Arme. „Ich weiß, auch ich habe meine Aufgaben gemacht“, schmunzle ich ihn an. Seine zärtlichen Hände lassen meinen Ausschnitt noch tiefer schwinden. Sein Kopf senkt sich und seine Lippen streifen in betörenden Bewegungen, geradezu furios über mein Dekolleté. Mein Becken bebt, er dreht mich und beginnt wieder mit dem Tatoo zu spielen, während mein Seidenkleid endgültig zu Boden fällt. Ich will mehr. Wende mich um. Doch da kommt mir Ron zuvor, er hält mich nun fest, verschränkt meine Hände hinter meinem Rücken und führt mich langsam an die Rücklehne eines der Sofas, erst jetzt darf ich mich umdrehen und erhalte ein wenig Freiheit zurück. Gekonnt knöpfe ich Rons Hemd auf und gebe mich seinen kräftigen Armen hin. Erregt verschlingen sich Küsse. Einmal innig und hastig und dann wieder sanft und sinnlich. Ron führt nun meine Hände zusammen, streckt sie hoch und plötzlich bin ich gefangen. Meine Arme sind behutsam aneinander gebunden und ragen empor. Arrangiert in diesen Fesseln halte ich mich daran fest, um mehr Sicherheit zu haben. Es ist Seide.
Lüstern wandert Ron mit seinen Lippen langsam von den meinen – tiefer. Mein Körper sanft besiegelt, unumstößlich und dennoch fest im Griff seiner Hände. Seine Lippen tänzeln über meinen Busen weiter, tiefer und tiefer. Dieser Raffinesse gehorche ich widerspruchslos. Ich atme tief, sehr tief. Ron ist geschickt und kniet mittlerweilen vor mir. Doch was ist das? Plötzlich umgibt mich Dunkelheit, ein warmer glatter Stoff hüllt mein Gesicht ein.
Wer ist da? Was geschieht?
Hinter mir geballte Männlichkeit, ich sehe nichts, umso intensiver meine Empfindungen. Heftig wird mein Nacken geküsst. Zigarrenrauch, in weiter Ferne, nimmt den Raum ein. Nun wendet sich diese Männlichkeit über meine Seite von vorne zu. Es ist sonderbare Leidenschaft. Leidenschaft die rebelliert. Ein emphatisches Prickeln. Ein inständiges Beben. Alles, einfach Entzückung. Ein Gipfel anderer Erfahrung.
Meine Arme werden befreit. Trunken im Gefühlswirrwarr werde ich in eine unbekannte Ferne getragen. Jetzt finde ich mich in weichen Daunen wieder. Spüre endlich Nähe, die Dunkelheit erhellt sich und ich blicke in Rons Augen. Er liegt mir seitlich gegenüber. Neugierig wende ich mich um und erkenne einen gut gebauten Mann, der den Raum verlässt. „Hat es dir gefallen?“, rekelt sich Ron in das weiße Seidenlaken eingehüllt und nimmt einen Zug von seiner Zigarre. Das hat es, denke ich und bin verwirrt. „Hat es denn dir gefallen?“, einmal eins, weißt du keine Antwort, stelle eine Gegenfrage. Ron schmunzelt und sieht mich an: „Du warst fantastisch, du hast einen tollen Körper. Es hat gigantisch ausgesehen.“ Flüstert Ron und beugt sich zu mir. „Männer visualisieren mehr und Frauen sind mehr die Kopferotiker, das wissen wir anscheinend beide, ja ich hab‘s genossen“, bringe ich die Situation auf den Punkt. „Deine Direktheit gefällt mir“, flüstert Ron.
In dieser Nacht denke ich an alles andere nur nicht an Schlaf. Tausend Dinge, tausend Fragen…Irgendwann schlafe ich in den Morgenstunden ein.
Nach einer warmen langen Dusche im Großraummarmorbad meiner persönlichen Suite, ziehe ich meine Lieblings-Jeans an, dazu werfe ich mir eine nette Bluse über und lass diesmal meine Haare offen. Ich bändige sie nicht und begebe mich hungrig zum Frühstück. Alleine für mich, das brauche ich jetzt. Gott sei Dank geht mein Rückflug erst zu Mittag, sodass ich noch ausgiebig frühstücken kann.
Im beinahe leeren Saal trinke ich überraschend guten Kaffee und beobachte dabei einen echt gutaussehenden, rassigen Mann. Er scheint etwas zu suchen. Er nähert sich und setzt sich an den freien Platz mir gegenüber. „Ich habe etwas, das Ihnen gehört“, teilt er mir zaghaft mit einem Akzent mit, blickt links und rechts und schiebt mir einen weißen kleinen Umschlag herüber. So schnell wie er gekommen ist, verschwindet er wieder. Ich will ihn aufhalten, doch es ist zu spät.
Verdutzt öffne ich den Umschlag, es ist ein Teil meines Swarovski Tatoos, das sich wohl heute Nacht gelöst hat – ich dachte ich hab es beim Duschen verloren? Wer ist der Unbekannte? Die Frage beschäftigt mich, während ich nun Obst zu Müsli schlichte und mir noch Ideen mit süßen Verlockungen für später hole.
Vom Hotelpersonal erfahre ich viel später, dass Ron Kern bereits abgereist ist und meine Suite bezahlt ist, also will auch ich Wien verlassen. In meiner Suite nach dem großartigen Frühstück angekommen, will ich nur noch meinen kleinen Koffer packen, als ich einen prächtigen Strauß vorfinde – Orchideen – mit einer handgeschriebenen Nachricht von Ron.
Du bist ein Traum,
ich will Dich wiedersehen…
Mit diesem Versprechen lande ich in München am späten Nachmittag.