Читать книгу Rebellische Leidenschaft - Ally Park - Страница 9
VIER
ОглавлениеZuerst geht es mit dem Taxi vom Flughafen direkt ins Büro. Es ist menschenleer, kein Wunder am Wochenende! Zeit für mich, die Unterlagen kurz beiseite zu räumen und meine mitgebrachten Blumen in meinem nicht zu kleinen Büro an der Sitzecke neben meinem Schreibtisch zu dekorieren. Erst jetzt nehme ich das Taxi nach Hause.
„Hallo, Mama!“, empfängt mich Aaron in unserer Eingangstür. Ich streife meine Highheels ab und umarme meinen Großen. „Wie war dein Training?“, erkundige ich mich und ziehe meinen Mantel aus. „Gut, alles ok, wir haben gewonnen, wie immer.“ Das ist also gut gegangen, erfreut mich die Nachricht. Mittlerweile ist auch Sidney im Flur und springt mich voller Freude an: „Hallo, Mami!“ Es ist schön zu Hause zu sein. „Hi, Darling“, strecke ich mich John, der ebenfalls in den Flur gekommen ist, entgegen und küsse ihn. Es ist gar nicht schwer, komisch.
Den restlichen Abend albern die Jungs und ich vor der Playstation rum. Ich bin miserabel, wenn es um Computerspiele geht, das gefällt meinen Kids zu gut. Wir essen gemütlich zu Abend. Den Sonntag nützen wir vier für einen gemeinsamen Ausflug ins Grüne. Schnell sind Liegestühle, Jause und eben das Nötigste gepackt und wir fahren raus aus der Stadt in die Nähe eines Waldes. So genießen wir gerne die ersten Sonnenstrahlen im Jahr, denn Garten haben wir keinen. Doch auch so sind wir bisher glücklich gewesen. Zu verlockend ist den Kids ein Haufen maroder Stöcke, wahrscheinlich stammen sie vom letzten Winter. Die Jungs bauen damit bereits ihr kreatives Baumhaus und ich genieße mit John die ersten Sonnenstrahlen seit langem. Gedankenversunken verweile ich im Liegestuhl und wundere mich. Ich habe wunderbar geschlafen, denke ich mir und hebe mein Gesicht ein wenig der Sonne entgegen. Schlechtes Gewissen- Fehlanzeige. Habe ich nicht so, wie ich es noch am Rückflug befürchtet habe. Immerhin ist es nicht meine Schuld alleine, überlege ich weiter. Überhaupt trägt hier einer Schuld?
Aaron und Sid klettern in den Bäumen ringsum und sind für die nächsten Stunden wohl beschäftigt. Ich sehe zu John hinüber. Unsere Beziehung scheint in die Jahre gekommen. Ich hasse Alltag und liebe einfach Neues und Veränderungen. Mahnend reagiert mein Unterbewusstsein: Auch in der Liebe? Ich werde nachdenklich. John erholt sich im Sonnenbad, es ist doch alles in Ordnung?
Ich werde meine Familie nicht gefährden, das habe ich – bestimmt – nicht getan. Ich habe so etwas nicht vor! Verfallen und doch gedemütigt von Vorwürfen grüble ich weiter. Nur was führe ich dann im Schilde? Hab ich überhaupt einen Plan – ein Ziel? Sonst bin ich so besonnen und kalkuliert, nur diesmal einfach nicht.
Sollte ich mich daran gewöhnen? Ist es als Frau falsch, wenn man auch mal seine Gefühle – und ich meine jetzt nicht die Liebe – zulässt? Ich beruhige mich – nun macht sich doch ein wenig schlechtes Gewissen breit – ich bin in eine Männerdomäne vorgedrungen. Einem Mann an meiner Stelle nimmt man solche Gelegenheiten wie sie eben kommen – und dabei entscheidet garantiert nicht sein Kopf – selten übel.
Mehr noch: Männer feiern ihre Trophäen.
Also, warum sollte ich das als Frau dann nicht auch so dürfen?
Beruhigt – nicht wirklich – schweifen meine Gedanken ab und ich überlege, wie ich morgen meine Argumente vor Tomas darstellen werde. Er wird sich freuen, immerhin haben wir einen großen Investor fix – die RAC.
Wieder ist Montag; In der Früh bringe ich wie gewohnt zunächst Aaron und Sid zur Schule, dann fahre ich weiter ins Büro.
Stolz öffne ich meine Bürotür, um sie rasch hinter mir zu schließen, betrachte sehnsüchtig die Orchideen, sie duften herrlich. Wien scheint mir so präsent. Gut haben sie die Reise überstanden, ich bin zufrieden.
Kaum habe ich mein Cape abgelegt, stolpert auch schon Tomas zur Türe herein. „Hi, Angie, wie war’s, erzähl! -Schön, dass du wieder da bist!“, kommt Tomas gleich zur Sache. „Die RAC ist fix dabei!“, damit will ich gleich einmal punkten. Schon strahlt Tomas über sein breites Gesicht: „Das ist gut zu hören, in einer Stunde habe ich eine Telefonkonferenz mit unseren Shareholdern, die wollen Fakten. Und das ist ein gutes Faktum!“ Bemüht versuche ich nun meine Erklärung: „ION wird ein harter Brocken, Kern ist nicht einfach zu motivieren, aber …“ Da fällt mir Tomas ins Wort: „Das war mir völlig klar, dass Kern nicht gleich ja sagt, das wäre zu schön gewesen! Die RAC ist schon mal ein Bonus für heute, den Rest bekommst du auch noch hin. Du siehst gut aus, es ist dir nicht schlecht ergangen, das ist schön zu sehen, Angie. Ich melde mich nach der Telko, bis später!“, und Tomas verlässt sehr zufrieden mein Büro. Mein Insiderwissen von Sonja behalte ich dann lieber für mich, Ron trifft nur schnelle Entscheidungen, das weiß Tomas also nicht?
Zurück an meinem PC, merke ich erst, wie lange ich nicht hier war. Eine Menge an Emails hat sich angesammelt, ich beginne sorgfältig eine nach der anderen zu bearbeiten. Es tut gut mal nicht in Gedanken hin und hergerissen zu sein und sich auf die Arbeit zu konzentrieren. Da läutet auch schon mein Telefon. Durchgewählt, hm wer wird das sein?
Meine Neugierde steigt plötzlich dramatisch. „Ja?“, frage ich förmlich in den Apparat. „Hi, Darling“, es ist John, ungewöhnlich um diese Zeit, mit dieser Nummer. „Was ist los?“, will ich sofort wissen. „Richy hat gerade angerufen, wir könnten für eine Woche als eine Männerrunde an den Gardasee, er hat gefragt, ob ich frei bekomme?“ John lächelt, das höre ich. „Na, da muss ich noch überlegen?“, reagiere ich im Spaß, ich bin John dankbar, dass er mir die Wienreise ermöglicht hat, wie kann ich jetzt nein sagen? „Aber sicher doch, um welche Woche geht es?“ „Wir fahren morgen also Dienstag bis Dienstag. Ursprünglich wollte Andi mit, er ist aber ausgefallen, jetzt bleibt ihnen ein Platz leer, ich könnt eine Auszeit brauchen?“, rechtfertigt John sich beinahe schon. „Fahr mit, du hast recht, du nimmst dir eine Auszeit, mach nur!“, ermutige ich John. „Love you!“, und weg ist er. Ich wende mich wieder meinen Emails zu.
Wieder läutet es, dieses Mal intern, es ist Tomas. „Ja, wie ist es gelaufen?“, reagiere ich nervös. „Soweit gut“, entgegnet Tomas knapp, das gefällt mir nicht. „ION scheint gar nicht so das Problem zu werden, Angie. Die Strategie der ION liegt voll auf unserer Seite, ION schwenkt angeblich mit der Unternehmensphilosophie um. Ganz in Richtung Umweltbewusstsein, will ION raus aus dem reinen Gaspipeline-Geschäft hin zum Händler, was ja für uns noch besser ist. Denn Händler, wie Speicher profitieren bei der Nutzung unseres Verfahrens. Es gibt sogar noch neue Interessenten aus Osteuropa.“ Stille. „Du musst auch dort intervenieren, das ist die nicht so erfreuliche Nachricht“, seufzt Tomas. „Wieso, ist das nicht mein Job?“, finde ich das mal nicht so schlimm. „Es wäre bereits für diesen Donnerstag ein Meeting in Triest vorgesehen, denn es geht um den dort geplanten LNG-Terminal.“ „Oh“, staune ich überrascht. „Seit wann liegt Triest in Osteuropa, Tomas?“, prüfe ich den geografischen Horizont von Tomas ab.
„Angie, es geht um die Anknüpfung des Ostens über den LNG-Terminal?“, reagiert Tomas widerwillig. „Schon gut, ich weiß, der Terminal wird für viele und für vieles spielentscheidend werden!“, gebe ich zu und blättere im Kalender. Melissa sollte eigentlich aus Kanada zurück sein? „Bekommst du das mit deiner Familie hin?“, erkundigt sich Tomas starrköpfig. „Ich muss kurz nachfragen, melde mich gleich!“, so lege ich auf. Unser kanadisches Kindermädchen war auf Besuch zu Hause, sollte aber in diesen Tagen wieder in München sein.
Schon wähle ich die Nummer von Melissa, Sid und Aaron lieben sie, das muss klappen, ich kann nicht John wieder einspannen, bitte lass sie rangehen, denke ich mir als es läutet. „Hi, Angie, what‘s the matter?“
Nach zwei Minuten ist die Situation viel entspannter, ich melde mich wieder bei Tomas und sage zu: „Melissa kann auf die Kinder aufpassen“, hasste ich ins Gespräch. „Super, du bekommst die Kosten für sie ersetzt, dafür sorge ich! Ach ja und noch etwas, Ron Kern scheint dabei zu sein, er ist im Projekt des LNG-Terminals ja involviert, das stört dich hoffentlich nicht?“, beichtet Tomas jetzt weiter. „Ich werde es hinkriegen müssen, denke ich!“, beende ich knapp unser Gespräch und klinge dabei nicht unglücklich.
Für Montag bin ich erstaunlich gut, denn ich schaffe es den Bürokram abzuarbeiten, bevor ich die Kinder aus der Schule hole und bin zufrieden mit mir.
An diesem Abend fährt John noch zu Richy. Sie wollen von dort gemeinsam am nächsten Morgen, noch bevor es hell wird, losstarten. Es ist mir recht, sehr recht. Zu recht?
Die nächsten beiden Tage bin ich zu Hause, kann die Zeit mit meinen Kindern nutzen und gehe in meiner Mutterrolle voll auf. Gedanken wälze ich in dieser Zeit bewusst keine, es fällt mir allerdings nicht immer leicht, mich daran zu halten.
Es ist schon wieder Mittwochabends, Melissa ist bereits bei uns einquartiert, damit morgen früh alles reibungslos klappt, wie immer werde ich im Frühflug sitzen. Aaron und Sid sind kaum zu bändigen, so freuen sich die beiden über den Besuch von Melissa. Für mich ist es in zweierlei Hinsicht schön, ich weiß, dass meine Kinder Melissa mögen und mit ihr Spaß haben und ich bin zufrieden, denn Melissa spricht nur Englisch, so lernen die Kids bereits spielerisch diese Sprache. Und es ist gut, gut zu wissen für mich, dass sich meine Jungs mit Melissa rundum für ein paar Tage wohl fühlen.
Beim Kofferpacken für meine vier Tage in Triest ertappe ich mich bei Träumen rund um Ron. Ich überlege, was ich anziehen werde, was ich einpacken soll und steh machtlos vor der Qual der Wahl.
Geschlagen – ja ich bin Frau. Ich habe mehrere Kästen voll Gewand und nichts anzuziehen.
Letztlich entscheide ich mich diesmal für violett und schwarz, meine Stimmung ist danach. Ich packe dunkle Jeans und dazu passend ein violettes, bügelfreies Satin-Shirt, es ist eng, nur an den halblangen Ärmeln weit und verspielt. Dann lege ich zur Sicherheit noch den Klassiker, ein kurzes schwarzes Kleid, mit rein. Für einen weiteren Tag wähle ich Perlmuttfarben und Bluejeans, da fühle ich mich wohl. Als dritte Kombination entscheide ich mich schließlich für eine Komposition in Erdtönen. Geschafft denke ich und stelle den Koffer in den Flur.
Der nächste Morgen verläuft ganz wie gewünscht und ehe ich mich in Träumen am Hinflug ausbreiten kann, lande ich bereits an Aeroporto di Trieste-Ronchi, dei Legionari.
Von dort starte ich gleich mit meiner Empfangsdame aus dem Osten, einer kurzhaarigen, großen, sehr robust gebauten Olga, so stellt sie sich vor. Zunächst geht es zum Sitz des Investors in die Hafengegend. Die Fahrt dorthin ist kurvig, langwierig und für den Magen etwas anstrengend. Ich bin froh, als wir endlich halten.
Die Besichtigung des Geländes verläuft sehr langatmig, ich werde von Olga durch das ganze Areal geführt, als wäre ich der Investor, aber ich lasse mir mein Desinteresse nicht anmerken, das gehört dazu. Jeder zeigt, was er hat, denke ich mir. Schließlich sind wir am Nachmittag endlich im Konferenzraum. Die Unterlagen kennen die Geschäftsführer und Shareholder bereits, jetzt geht es darum, dass ich die Herren auf den aktuellen Stand bringe und über Brüssel und das Interesse der RAC berichte.
Gekonnt nehme ich meinen Part ernst und die Riege Herrn in dunklen Anzügen scheint mir auch tatsächlich zuzuhören. Auf kurze Zwischenfragen – zumeist aus der Liga, die mir als ukrainische Interessenten präsentiert wurde – reagiere ich sachlich. Sergej Olgdrov, ist hier der Sprecher und erkundigt sich tiefgreifender. Es lässt sich aber für mich nicht einordnen, ob er sich wirklich wegen des Projektes von Sommers-Hall Gedanken macht oder ob er einfach wissen will, was Ron Kern so weiß und gesagt hat. Nun bin ich keine Information mehr schuldig und am Ende meines Vortrages. Wie immer sollte jetzt ein kurzer Abschlusssatz folgen, da öffnet sich die Türe.
Blondchen ist auch hier?
Die Aufmerksamkeit hat sie, das muss ich ihr lassen. Ein Grinsen kann ich mir dennoch nicht verkneifen. Sie stolpert beinahe über ihre eigenen Beine, kein Wunder in einem viel zu kurzen roten Rock und ebenso roten Highheels ist es für einen jungen Hasen nicht immer leicht. Angie, lass das! Sie erregt auf jeden Fall genügend Aufregung. Mehrere kräftige Arme helfen ihr gleichzeitig über den gefährlich, glatten Boden an den großen runden Tisch. „Entschuldigung, der Flug hatte Verspätung!“ „Das tut mir leid, Nicole“, entgegne ich und bin ganz zahm. „Ich bin soeben am Ende meiner Zusammenfassung des Projektstandes bisher, da haben Sie nichts verpasst. Wie im Terminplan weiter vorgesehen, sehen wir uns in dieser Runde heute abends zu einem Empfang in der Botschaft. Morgen werden wir uns dann vormittags ab zehn Uhr wieder hier einfinden, um über mögliche Synergien zu diskutieren.“ „Ähhh, ja, ich habe noch etwas für sie Mrs Miller“, meldet sich Blondchen schüchtern. Ich kann es nicht leiden, wenn ich nicht das letzte Wort habe und erwidere schroff: „Das kann bis nach Ende des Meetings hier warten, Nicole.“ Nicole nickt und blickt verstohlen auf den leeren Tischbereich vor sich. Jedem Herrn schüttle ich nun bei der Verabschiedung die Hand und erkundige mich dabei quasi nebenbei, ob man sich nachher bei der Botschaft nochmals auf ein Glas Sekt sehe. Wie wenn ich es gewusst hätte, bleibt Sergej ruhig stehen, als ich ihm die Hand reiche, er hält sie mit beiden Händen fest und schmeichelt mir fast unangenehm: „Vielen, vielen Dank für die ausgezeichnete Darstellung, Mrs Miller“, er hat ukrainischen Akzent, ist dank meiner Highheels eigentlich gleich groß wie ich und wiegt wahrscheinlich das dreifache. Er wirkt ungepflegt. Sein teurer Schmuck, Ringe und Ketten und eine Riesenuhr fallen natürlich auf. Von Sonja weiß ich, dass er und Ron gleich alt sind, obwohl Sergej viel, sehr viel älter wirkt. „Gerne doch, sehen wir uns später noch?“, frage ich auch ihn und warte darauf, dass ich meine Hand wieder für mich habe. „Leider, leider bedaure, ich persönlich komme nicht, aber meine Kollegen Dimitrov und Boris hier kommen bestimmt.“ Ich mustere die genannten Herren gleich nebenan, die sehen nicht ganz so schlimm aus und sind halb so alt, geschätzt. „Gut!“, so verabschiede ich mich und bleibe mit meinem letzten Zuhörer zurück.
Endlich kommt somit Blondchen an die Reihe: „Auf Wiedersehen, Mrs Miller, hier ein Umschlag für Sie, ich muss ihn unbedingt persönlich überreichen, hat mir Ron Kern aufgetragen.“ Ich nehme einen kleinen weißen Umschlag in Empfang, stecke ihn beiseite, bedanke mich und packe meine Unterlagen. Blondchen verlässt den Raum, sie brauche ich nicht zu fragen, ob ich sie später sehe, denke ich, es hätte keinen Einfluss, egal was ich ihr auch sagen werde.
In der Dämmerung sitze ich endlich in meinem Taxi zum Savoia Excelsior Palace, ein gutes Hotel, direkt am Ufer zur Adria. Hoffnungsvoll und dennoch langsam öffne ich den Umschlag und lese eine neue Nachricht von Ron. Ich überfliege den Text aufgeregt:
Nimm dich in Acht vor Sergej und seinem Gefolge!
Ich würde dich gerne an meiner Seite haben, hier in Paris. Wir sehen uns bald!
Verdutzt lege ich den Umschlag bei Seite und bin enttäuscht. Ron ist in Paris? Im Hotel angekommen, will ich nur noch auf mein Zimmer, um mich nach dem langen Tag für einen nunmehr nicht so viel versprechenden Abend frisch zu machen. In meinem Zimmer wartet ein Strauß Orchideen, ich bin überrascht, langsam nehme ich die Blumen in Augenschein, sie duften und fühlen sich so zart an.
Das gefällt mir. Das gefällt mir immer mehr.
Das Zimmer ist edel, gediegen und mit einem fabelhaften Ausblick über die Bucht von Triest. Der Strauß hat keine Karte für mich versteckt, ich suche und suche, finde aber keine weitere Nachricht von Ron. Wann sehe ich ihn wohl wieder? Nach einer langen Dusche ist es Zeit für den Empfang bei der Botschaft.
Ich zögere nicht lange und entscheide mich für meinen Klassiker ein schwarzes, etwas kurzes Cocktailkleid mit passenden Highheels, kein Schnickschnack, heute mal nicht. Mir ist einfach nicht danach.
Kaum bin ich bei der Botschaft vorgefahren, nehmen mich auch schon Dimitrov und Boris in Beschlag, sie sind höflich, nicht besonders eloquent, aber ich habe Mühe den Jungs – sie sind wirklich kaum über 30 – auf ihre unzähligen Fragen ruhig zu antworten. Immerhin will ich auch die anderen Menschen, allesamt Politiker, Wirtschaftsträger und wichtige, einflussreiche Herren im osteuropäischen Raum, kennen lernen.
Es gelingt mir immer wieder, mir mit einem Wunsch nach einem Glas Sekt oder Wasser Freiraum zu verschaffen. Die Gläser trinke ich natürlich nicht, ich vergesse sie immer. Vergesse, wo ich sie abgestellt habe – ungeschickt. So lerne ich den Premier von Russland kennen und versuche durchaus gewagt mein Insiderglück: „Sie sind gar nicht in Paris?“, erkundige ich mich nüchtern, gespannt auf seine Reaktion. „Nein, Ron Kern erledigt das heute, er sollte bereits auf dem Weg hierher sein. Eigentlich wollte er es zum Empfang hierher schaffen. Aber er tut, was er will“, strahlt der Premier mich an und wirkt dabei unverschämt ehrlich für einen Russen. Er ist sympathisch, ich weiß aber nicht warum. Im nächsten Augenblick bin ich mit meiner Garderobe plötzlich nicht mehr zufrieden.
Irgendwie zu normal, nicht extravagant, wie Ron es von mir erwarten würde…
Dimitrov hat den Ernst der Lage sofort erkannt und reicht mir ein neues Glas Sekt. „Danke sehr“, schmeichle ich ihm und bin nun wieder euphorisch auf das, was da noch kommen wird. Aufregend viele Leute lerne ich kennen, einer wichtiger als der andere und es wird immer später. Gerade unterhalte ich mich mit dem Präsidenten des LNG-Projektes über die Situation der Projekte von gemeinsamen Interesse, die unter der Abkürzung PCI von der europäischen Union schließlich auch gefördert werden sollen, als ich eine tiefe Stimme hinter mir wahrnehme.
Ergriffen blicke ich mich um, da ist Ron. In schlichtem Weiß, er ist atemberaubend. „Guten Abend, Angie“, Ron nimmt viel zu vornehm meine Hand und küsst sie, er lässt sie nicht los und fährt fort. „Den Herrn Premier, zu meiner Seite kennst du schon, ich bedaure, dass ich es erst so spät geschafft habe. Ich muss gleich noch ein letztes, wichtiges Gespräch für heute führen, wir sehen uns?“ Dann verlässt Ron auch schon wieder den Saal, an seiner Seite der Premier.
Noch einmal bin ich enttäuscht. Ron bleibt nicht? Was geht da vor? Entschlossen folge ich den beiden, nur um sicher zu sein, wo Ron hin will. Zu meiner Überraschung verlassen sie das Haus aber nicht. Gemeinsam wählen sie einen langen, leeren Flur entlang und verschwinden in der hintersten Türe zur Linken. Boris ist mir gefolgt: „Sie besprechen einen Deal“, erregt Boris meine hellste Aufmerksamkeit, wenngleich ich mich nicht wohlfühle, hier ertappt zu werden. Mein Blick scheint für sich zu sprechen. Boris fährt fort: „Heute gab es ein Treffen wegen der Unstimmigkeiten zwischen Russland und der Ukraine, auf französischem Boden.“ „Was hat das mit Gashandel oder der Gaswirtschaft zu tun?“, ich gehe aufs Ganze und meine Neugierde wird belohnt: „Unser Land wird erpresst von der russischen Regierung, der Gashandel kann an uns nicht vorbei, das ist für unser Land viel Wert“, offenbart mir Boris ein völlig neues Bild von Ron. „Und wie lautet dieser Deal?“, wenn schon denn schon, denke ich. Da lächelt Boris: „Tut mir leid Mrs Miller, das weiß ich nicht. Das weiß nur Sergej, er war heute auch in Paris.“ Na dann, weiß ich jetzt schon mehr, zumindest vorerst. Zufrieden? Ja, irgendwie auf eine unbekannte Art!
Dimitrov hat uns auch gefunden und gemeinsam erfreuen wir uns am mittlerweile eröffneten Buffet. Ich habe keinen Appetit, meinen Teller habe ich eher ziellos beladen, je nach dem, mit wem ich sprechen wollte, habe ich mich einfach an der Stelle am Buffet bedient. Boris scheint meine Lage zu erkennen und hilft mir ganz Gentleman aus meiner Lage, indem er mir den ominösen Teller abnimmt. „Sergej hat gesagt, der Deal ist geplatzt, die Russen wollten die Auslieferung von Gefangenen, das war für unser Land kein Deal, sondern Verrat“, erzählt Boris beiläufig und steckt sich das zweite Lachsbrötchen von meinem Teller genüsslich in seinen breiten Mund.
Etwas abseits der Menge will ich noch mehr von Boris zum Deal erfahren. „Das ist ja nicht so gut?“, bin ich entzückt, was ich alles erfahren kann. Boris lehnt sich jetzt zu mir, er kommt mir sehr nahe, es ist mir zwar unangenehm, aber es ist zu verlockend, mehr zu erfahren. „Mrs Miller, ich kann Ihnen noch viel mehr Informationen beschaffen, für die eine oder andere Gefälligkeit?“, dabei blickt er mir in die Augen und ich muss mich stark zügeln. Ich finde ihn abstoßend. Was bildet der sich ein? „Danke, Boris, aber einstweilen habe ich daran kein Interesse“, versuche ich nett zu bleiben und wende mich ab. Boris scheint nicht zu verstehen, eine Hand hält mich an der Schulter zurück, mich durchfährt ein unangenehmes Gefühl – Angst? „Sie werden es nicht bereuen“, flüstert er mir von hinten ins Ohr. Mit einem Ruck löse ich mich und gehe zielstrebig geradeaus, ohne ein Wort. Shit wohin?
In der nächsten Sekunde greift ein Arm von meiner linken Seite kommend an meine rechte Hüfte und dreht mich seitwärts. Wie ein Erdbeben löst das in mir einen Schreck aus, ich zucke zusammen und bin wie erstarrt. „Angie, was ist denn?“, es ist Ron. „Ron?“, meine Spannung löst sich rasch und Erleichterung macht sich breit. „Es, es war…“, ich stottere, das war ja noch nie mein Ding? „Du hast mich warten lassen, das macht man nicht?“, fordernd blicke ich in Rons Augen und hoffe auf einen Funken an Glauben. Er lächelt. Ich hab‘s geschafft. Ron begleitet mich ein Stück, bis wir am Ende des Buffets ankommen. Ich will mir eigentlich jetzt tatsächlich ein kleines Abendessen gönnen, als mich bekannte große Hände an meinen Hüften packen und mir eine noch bekanntere tiefe Stimme ins Ohr flüstert: „Ich hab etwas viel Besseres, wenn mir die Dame unauffällig folgen möchte?“
Entzücken kommt über mich. Das klingt vielversprechend, ich zögere dennoch. Die Hände an meinen Hüften beginnen mich nun zu lenken, vorbei an den vielen Menschen mit einer kleinen Drehung schreitet Ron jetzt vor mir und hält hinter sich meine Hand, die er nicht loslässt. Er führt mich aus dem Saal. Erst vor dem Lift bleiben wir stehen.
Es ist klar wir halten im Penthouse, endlich?