Читать книгу Die Hegerkinder im Gamsgebirge - Alois Theodor Sonnleitner - Страница 10

Beim Hafner.

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Dass Franzel als gesunder Bub mit treuherzigem Geschau beim Hafner behalten wurde, war eine Selbstverständlichkeit. Er „stand den Leuten zu Gesicht“.

Dressler und Sepperl übernachteten auf dem Heuboden des Hafners und nahmen am frühen Morgen des nächsten Tages Abschied.

Franzel trachtete sich im Hause nützlich zu machen. Er hoffte, dabei die Hafnerei vom Grund auf zu erlernen. Aber es kam anders. Er wurde zunächst bloss mit den Erzeugnissen der Hafnerei bekannt. Den Vormittag über durfte er dem Gesellen beim Abtragen der Mauer helfen, mit welcher der Töpferofen vor dem Anheizen abgeschlossen worden war. So wurde das gebrannte Geschirr zugänglich. In Schichten übereinandergetürmt, standen da zu unterst rohe Blumengeschirre, Tassen, Tonrohre, weiter oben bunt glasierte Weidlinge, Schüsseln, Töpfe und Schalen. Alles streng der Grösse nach geordnet, je zwei Schichten durch tönerne, dreikantige Stäbe von einander getrennt. In den Stoss eingebaut waren unglasierte Tondosen, die der Gesell als Muffeln bezeichnete. Sie enthielten feineres Geschirr, Vasen und Figuren, denen der Aschenflug geschadet hätte. Beim Ausräumen des gebrannten Geschirrs halfen Meister, Gesell und Franzel zusammen. — Nur, was schön geworden war, kam in die Gestelle des Lagers. Was sich beim Brennen verbogen hatte, wurde als „Ausschussware“ vom Gesellen und Franzel auf den Boden geschafft. Dabei gab es aber eine Schwierigkeit. Hertha, die Wolfshündin, welche sonst im Hofe an der Kette gelegen war, hatte die Kiste neben der Bodenstiege bezogen und darin zwei Junge zur Welt gebracht. — Und jetzt wollte sie es nicht dulden, dass jemand auch nur vorbeiging. Als die beiden hintereinander auf der Stiege standen, jeder ein Tragbrett mit Geschirr in Händen, knurrte die Hündin bedrohlich; als der Gesell den Boden betrat, bellte sie wie besessen, sprang aus der Kiste, knurrte und fletschte das furchtbare Gebiss. Aber sie liess doch mit sich reden. Der Gesell lachte sie an, nannte sie abwechselnd ein schönes Hunderl und ein dummes Vieh und schritt an ihr vorüber, als wäre sie nicht da. Franzel folgte ihm auf dem Fuss und musste sich’s gefallen lassen, dass sie ihn beschnupperte, wobei ihre Schnauze bedenklich nahe an sein linkes Handgelenk kam. Da er es aber im fröhlichen Zureden dem Gesellen nachmachte, tat sie auch ihm nichts. Er legte seine Last auf den Berg anderen Ausschussgeschirrs und sang beim Zurückgehen ein Liedel; die Hündin sollte nicht glauben, dass er vor ihr Angst hätte. Dieser Vorgang wiederholte sich einigemal und jedesmal gebärdete sich die Hündin, als müsste sie ihre Jungen verteidigen, aber ihr Knurren klang nimmer so bedrohlich.

Dass der Meister mit dem anstelligen Franzel zufrieden war, erfuhr der Bub beim Mittagmahl; die Meisterin legte ihm zu. „Hast brav g’arbeit, musst auch ordentlich futtern.“ Und die Hauskatz, das „Trutscherl“, machte Freundschaft mit ihm. Sie bettelte ihn um Brocken an. Sie dankte ihm schnurrend, sie schmeichelte ihm. Das heimelte ihn an.

Nach dem Essen blieb der Franzel gern in der Werkstatt, obwohl das Lehmtreten, zu dem er angestellt wurde, einigermassen anstrengend war. Der Gesell hatte nämlich seinen Platz an der Drehscheibe eingenommen. Die war nichts anderes als ein kreisrunder Tisch, dessen hohler Fuss unten von einer zweiten Platte umschlossen war. Das Ganze ruhte auf einem Pflock, um den es sich drehte, wenn die untere Scheibe von den Fussspitzen des Gesellen in Schwung gebracht wurde. Auf der oberen lag der zum Formen bestimmte, feuchte Tonklumpen. Der Gesell hielt beim Drehen den Daumen der rechten Hand so in die Mitte des Tonklumpens, dass durch Reibung ein rundes Grübchen entstand. Durch sanften Druck wurde es gefässartig erweitert. Die linke Hand hatte er von aussen angelegt; die Wand des Gefässes wurde dünner und dünner, der Rand stieg höher und höher. Nach wenigen Minuten war ein Blumengeschirr fertig. Franzel meinte, er brächte das auch zusammen. Der Gesell aber wollte lange von einer Ablösung nichts wissen.

Erst in der Jausenrast räumte er dem Buben den Platz. Franzel nahm eine Hand voll Ton aus einer Tonne und wollte ihn gleich auf der Drehscheibe zu einem Gefäss verarbeiten. — „Gehst denn nit weg!“ — wehrte ihm der Gesell, „der Lahm is no lang nit hergricht zum Formen. — Den muss man erst fein sieben und gehörig kneten.“ — „Wozu denn sieben?“ — „Dass kein Kalk drin bleibt. Der tät das Geschirr beim Brennen zerreissen.“ — „Kalk? — Was für ein Kalk?“ — „Muscheln und Schnecken aus dem Meer, das einmal da war im Wiener Becken. Schau dort hin aufs Fensterbrettel. — Da siehst eine Menge dickschalige Schnecken 38 und Muscheln39. Die klauben wir aus für unsern Oberlehrer, den Herrn Garnhaft.“ — „Und was macht der Oberlehrer damit?“ — „In die Sammlung gibt er’s. — Andre Leut’ sollen auch wissen, dass da, wo heut’ das Steinfeld is, früher einmal ein Meer war. — Aber das is lang, lang her; damals ist Petersdorf no nit g’standen. — Was glaubst, wie tief die Lahmgruben von Siebenhirten san, wo mir den Lahm herhaben?“ — Franzel zuckte die Schultern. — „Fünfundzwanzig Meter! — Das ist dir wie ein Bergwerk; ich mein’ wie ein Tagbau mit Baggermaschinen und Feldbahnen. Das musst du dir einmal anschauen; wann der Meister wieder einmal um Lahm fahrt, bitt’n, dass er di mitnimmt.“

Nach der Jause stellte sich ein sehniger, dunkelhaariger Bub beim Franzel ein, es war der Schmaderer-Schani40. Der hatte es übernommen, den Neuling vor dem ersten Weidegang mit dem Weg vertraut zu machen. Und er tat sich was darauf zugute, dem Franzel unterwegs zu zeigen, was es zu bestaunen gab. Er führte ihn durch den Hof des Fugger-Wirtshauses, das schon durch den Namen an die entschwundene Zeit der fuhrwerkernden Kaufleute gemahnt, quer übern Marktplatz zum Uhl-Haus41 mit schönen Laubengängen, dann aber am Mölkerhof vorbei in die Holzgasse, wo er prahlen konnte mit dem Scharingerhaus42. Das sollte vor tausend Jahren ein Babenberger, Berthold, erbaut haben. Franzl machte grosse Augen! — Durch den Hohlweg, der die „Kuhtrift“43 hiess, gingen sie die noch erhaltenen Festungsmauern entlang und guckten in den ehemaligen Graben, in dem der Zechgarten des Rathauskellers war. Bertel erkannte das Hyrtl-Haus wieder. Dann aber kam der Friedhof im ehemaligen Turnierplatz 44 der Beatrixburg, von alten Mauern umgeben. Noch ragte ein Eckturm hoch empor. Quer über die kleine Heide trabten die Jungen am Föhrenbergerl vorbei auf die grosse Heide hinüber, wo oberm Steinbruch Franzel das Vieh sollte weiden lassen. Jetzt kannte er sich aus.

Schmaderer führte den neuen Hirtenknaben einem hochgewachsenen alten Manne zu, der eine grosse Viehherde weidete: „Herr Freuntaler, da is der neue Halterbua aus der Neustiftgassen, der statt meiner austreiben wird.“ Der Gemeindehalter nickte, Franzel war angenommen.

Den Rückweg nahmen sie über die Walzen und über das Stiegel zum Leonhardibergel. Und der Schmaderer war stolz auf die wunderbare Rundsicht, die der ehemalige Kirchenplatz gewährte.

Über der Maurer Höhe drüben war der Satzberg, das Kahlengebirg, in der Tiefe die vieltürmige Wienerstadt, die Donau-Auen, dahinter das Marchfeld; ja sogar ein Streifen blinkenden Stromwassers war zu sehen, ganz nah an der ungarischen Grenze, dort, wo sich die Donau durchdrängt zwischen den Kleinen Karpathen im Nordost und dem Leithagebirg, das von Süd heraufstreicht, als ehemaliges Meeresufer das Wiener Becken begrenzend. Es war Heimatliebe im Ton, mit dem Schmaderer dem neuen Kameraden erklärte, was im herrlichen Rundbild zu sehen war.

Dann aber führte er ihn in den Hof der Spina-Villa, die sich auf der Stelle der Leonhardi-Einsiedelei erhebt. Er zeigte ihm ein altes Ölbild über der Türe der Brunnstube.

Es stellte einen Priester dar. Eine in altertümlicher Schreibweise gehaltene Inschrift gibt über ihn Auskunft: Schmaderer las laut vor:

„Joannes Aunosky, gewester Priester allhier, 35 jahre, so durch mehr als 4jährige arbeith diessen 18 Claffter tieffen Brunnen in diesse Felsen ohne einig Menschlichen beyhülff gehauen, so in gegenwärtigen Gotteshauss begraben lieget, deme seye zum Andenken dies wenig Lob gesetzet:

Dass Böhmen zwar dein Vaterland,

Durch stillschweigen ist all Ort bekanndt

jedoch dein ruff durch Hammerstreich

Hast ausgebreith in Österreich.

Franzel las es noch einmal für sich; es gab ihm zu denken: „Soviel versteh’ ich, dass der Aunosky da einen tiefen Brunn’ aus dem Felsen gemeisselt hat. Aber was soll das heissen: ‚Durch Stillschweigen ist allort bekannt?‘“ — „Das is doch leicht zu verstehen,“ versetzte Schmaderer: „Dass du ein Böhm warst, das wissen die Leut’, aber man redt nix d’rüber; es is in Öst’reich nur davon die Red’, was du mit dem Brunngraben den Leuten Gutes getan hast.“ — Du musst nämlich wissen, lieber Franzel, das vordem rundherum kein gutes Trinkwasser war. Das Wasser der Hausbrunnen ist meist saliterig45 oder schwefelig. Es sind nämlich ein paar laue Schwefelquellen im Ort, die Petersbachquelle46, dann eine im Eisenböckhof und eine im Knappenhof, wo die Leut’ baden. Aber die Quelle im Fels, auf die der Aunosky gestossen ist, gibt reines Wasser Sommer und Winter genug; die Petersdorfer Wasserleitung, die aus dem Aunosky-Brunn kommt, tränkt Menschen und Vieh in drei Gemeinden.“ — So einfach das der Schmaderer sagte, der Franzel spürte heraus, dass er die Tat des Brunnengräbers hoch einschätzte.

In der Abenddämmerung kehrte der junge Gschaider zu den Hafnerleuten zurück. Und er hatte das Gefühl, als ob er im Ort schon lange daheim wäre; er hatte ja hier in Gedanken viel grosse Vergangenheit durchlebt.

Die Hegerkinder im Gamsgebirge

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