Читать книгу Die Hegerkinder im Gamsgebirge - Alois Theodor Sonnleitner - Страница 7

Farmer, Fischer und Trapper.

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Herr Dressler, der kurz vor Beginn der Ferien die Staatsprüfungen an der Wiener Universität abgelegt hatte und im Herbst am Mariahilfer Gymnasium15 als Probekandidat16 den Dienst antreten sollte, verzichtete einstweilen auf die geplante Ferienreise; er konnte ja den Moasen-Thomerl nicht ohne Hilfe lassen. Er musste ihm einen Teil der Sorgen abnehmen. Für Franzel und Sepperl war im Häuschen des Schusters nicht Platz. Sie sollten einstweilen in der Hegerei wohnen, die der Vormund erst ausräumen wollte, bis die Brüder anderswo untergebracht wären.

So zog denn Dressler mit den beiden Knaben ins Hegerhaus, das inmitten der Au lag, wie eine Farm im Urwald.

Er half den zum zweitenmal verwaisten Buben über das Traurige ihrer Lage hinweg, indem er wie im Spiel ihr Farmerleben einrichtete. Vor lauter Arbeit sollten sie gar nicht dazukommen, wehmütigen Gedanken nachzuhangen. Das Ernten der Frühkartoffeln sicherte den Hauptbestandteil der Mahlzeiten, an Gemüse und Milch fehlte es nicht, geräucherte Speckseiten hingen in der Kammer, die Mehltruhe war noch halb voll, die Hühner waren in ihrer besten Legzeit. So fehlte es nicht an Nahrung. Und die drei „Farmer“ lösten einander in den Haus- und Feldarbeiten ab. Durch Hiasels Vermittlung bekamen sie die Erlaubnis, in dem vom Buschenwirt gepachteten Donauarm zu fischen. Von Bertel redeten sie als vom befreundeten „Trapper“, und hofften, dass er etwas Freiwild17 zu ihrer Wirtschaft beisteuern werde.

Die vom Heger im Laufe der Jahre aufgespeicherten Langhölzer mussten auf meterlange Scheiter zersägt werden; die sollten mit dem Kuhgespann zum Moasen-Thomerl verfrachtet werden; dann aber gab es in der nächsten Umgebung der Hegerei eine Menge Baumstrünke, die auch nicht zu verachten waren. Beide Brüder, die zu Lebzeiten ihres Vaters beim Sprengen des Stockholzes oft zugesehen hatten, nahmen sich mit Feuereifer um das mühsame Anbohren der Strünke an. Der vom Heger ererbte Pulvervorrat war beträchtlich. Die Bohrlöcher wurden damit geladen, mit Luntenstücken versehen und oben durch Lehmpfropfen abgeschlossen. Und Franzel liess sich’s nicht entgehen, Feuer an die lang wegliegenden Lunten-Enden zu legen. — Wenn er dann aus sicherer Entfernung das Fortglimmen der Zündschnur beobachtete und der Schuss recht kernig krachte, so dass die Trümmer des Strunkes auseinanderflogen, jauchzte er voll Vergnügen. Krachen hören, das war seine Freude. Sepperl aber fühlte sich so recht als Mann, wenn er beim Beladen des Wagens oben stand und die zugereichten Scheiter zweckmässig schichtete, wenn er die Kuh vor den Wagen spannte und dann als richtiger Fuhrmann nebenher stapfte, die Peitsche in der Hand. So lebten die drei Farmer vergnügt dahin bei ihrer Arbeit.

Sie hätten nun alle zufrieden sein können. Nur Franzel war’s nicht. Der Wildererstutzen18 über seinem Bette wirkte auf ihn wie ein Versucher. Die wilden Kaninchen, von denen es in der Au wimmelte, die Fasane, die ungescheut bis an den Gartenzaun heranstrichen, ja auch die Wildtauben und Krähen, die in den Beständen der alten Silberpappeln nisteten, sie reizten den beutegierigen Sohn des Wilderers immer wieder. Für Sepperl, seinen ruhigen Bruder, waren sie keine Versuchung. Der mochte wohl seiner stillen, leidenschaftslosen Mutter nachgeraten sein. So oft Bertel nachschauen kam, wie es den „Farmern“ ging, bettelte ihn Franzel an: „Geh, lass mi schiassen!“ Einmal griff er in fieberhafter Begierde nach der Büchsflinte, die am breiten Riemen von des Forstpraktikanten Schulter niederhing. — „Rühr mein Dienstgewehr nicht an!“ klang ihm die Abweisung hart entgegen. „Du hochfahriger Ding, du!“ murrte Franzel; in seinem Herzen entstand der Groll, wie ihn die Wilderer hegen gegen die Berufsjäger. — Da beschloss er, sich selbst zu helfen.

An einem Vormittag, als Dressler und Sepperl in der Au mit dem Ausgraben von Stockholz beschäftigt waren, hatte Franzel Hausdienst. Erst besorgte er die Vorbereitungen zum Mittagmahle. Das Feuer prasselte unter dem gemischten Gemüse, das in mancherlei Änderungen die tägliche Kost der „Farmer“ bildete; jetzt hatte er Zeit für sich. Er nahm seinen Wildererstutzen von der Wand, den der Heger-Onkel seinerzeit durch Herausnehmen der Feder lahmgelegt hatte, und zog die Schrauben mittels seines Taschenfeitels aus den Deckplatten des Schlosses. Er nahm sie ab und legte den Stutzen auf den Küchentisch. Dann begab er sich auf den Boden, wo er in einer Kiste das eiserne Allerlei wusste. Er hoffte, eine Stahlfeder zu finden, die er ins Schloss einpassen könnte. Er fand ein zusammengerolltes Stahlband, das einst einem Glockenzug als Feder gedient hatte; aber es war viel zu breit. So holte er denn aus der Werkzeugkiste Feile, Meissel, Hammer und Schraubstöckel. Das letztere machte er am Rande des Küchentisches fest, klemmte das Stahlband ein und begann mit dem Zurechtfeilen. Das Band mochte härter sein als die Feile; es kreischte überlaut und gab nichts ab, so sehr sich der Bub auch plagte. Er verfiel auf den Gedanken, das Stahlband erst durch Anglühen und langsames Auskühlen weich zu machen und nach der Bearbeitung wieder zu härten. Als er es mittels des Schürhakens glühend dem Ofenfeuer entnommen hatte, legte er’s auf den bereitgestellten Hackstock. Hier gelang es ihm leicht, mit Hilfe des Meissels und des Hammers, aus dem erweichten Band die benötigte Feder herauszuschneiden. Dann passte er sie ins Schloss ein und nahm von ihren Rändern mit der Feile weg, was nötig war. Er bog sie zurecht, glühte sie wieder im Feuer an und warf sie dann ins Wasserschaff. Als er sie herausnahm, federte sie richtig, aber sie tat im Schloss nicht ihren Dienst. Mit einem Ende hätte sie festsitzen sollen. Aber wie sie festmachen? Es fehlte an der passenden Schraube. Er zweifelte nicht, dass es ihm gelingen werde, das zusammenzubringen, was vor ihm tausend andere gemacht hatten. Aber das Hindernis in der Ausführung seines Vorhabens brachte ihn zur Besinnung: In ihm wurde das Gewissen wach. Das Bewusstsein, dass er im Begriffe war, etwas Verbotenes zu tun, die Erinnerung an den verstorbenen Heger, der ihn beim Pfeilschuss auf den Marder ertappt hatte, das Gedenken des Vaters, den Gendarmen als Wilderer abgeführt hatten; all das wurde in ihm zur Hemmung. In einem Zustande qualvollen Ringens sass er da, den verhängnisvollen Wildererstutzen über den Knien. In ihm stieg die Frage auf, wie sich Bertel gegen ihn benehmen würde, wenn er ihn mit dem Stutzen in Händen im Reviere ertappte.

Als ob seine Gedanken an den Forstpraktikanten eine Ahnung von dessen Nähe gewesen wären, stand dieser plötzlich auf der Schwelle der offen gebliebenen Türe.

Mit einem unsagbar traurigen Ausdruck seiner braunen Augen schaute er auf Franzel nieder. Der Gruss war ihm auf den Lippen geblieben. Eine Weile schwiegen beide. Franzel fand als erster das Wort: „Ich hab’s nur herrichten wollen.“ — „Mir bind’st nix auf,“ erwiderte der andere. „Ich kenn dich. — Was glaubst, was ich tun müsst, wenn ich dich im Revier anträf’ mit dem Stutzen?“ — „Bist ja mein Ziehbruder,“ wendete Franzel ein. — „Im Revier bin ich Amtsperson; daran is nix zu deuten. Abliefern müsst ich dich an die Gendarmerie!“

Franzel sprang auf, dass der Stutzen dumpf zu Boden fiel. Seine Fäuste ballten sich. Bertel aber trat ruhig auf ihn zu und legte seinen rechten Arm um den Nacken des zornig Erregten. „Dank dem Herrgott, dass ich jetzt zu dir gekommen bin, du Zornbinkel; wer weiss, wie’s geworden wär.“ Da machte sich Franzel von ihm los, hob den Stutzen vom Boden und drängte ihn dem Bertel auf.

„Da nimm das Teuxelsschiesseisen. Es razt mi, sooft i’s anschau.“ — Bertel hielt es staunend in Händen. — „Aber heb mir’s gut auf; es is ja mein einziges Andenken an den Vater.“ Bertel nickte. — Nach kurzem Schweigen fuhr Franzel fort: „Weisst, Bertel, wir leben da mit dem Studenten im Spiel als Farmer. Und zum Farmerleben g’hört do ’s Jagen aa. Das war so mein dummer Gedanken. Von dir reden wir immer als von unserm Freund, dem Trapper. Und meinen, du könntest uns doch ab und zu ein Stück Freiwild bringen.“

Bertel musste lächeln. „Wann ihr schon Farmer spielt, so will ich euer Trapper sein. Ich schiess euch Künigl, soviel ihr braucht. Die sind ja für mich frei als Dammschädlinge, auch Nebelkrähen, die Schaden machen an Vogelbruten.“

Franzel war getröstet. „Dann hab’n m’r bachene Hasen und Krähensuppen wie der Stummerl.“

Mit kräftigem Handschlag verabschiedete sich Bertel.

Als er so hinschritt, aufs Forsthaus zu, dachte er bei sich:

„Höchste Zeit, dass wir den Franzel in eine ordentliche Lehr bringen, dass er nicht wieder auf dumme Gedanken kommt.“

Die Hegerkinder im Gamsgebirge

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