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Kapitel Zwei

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Jake sah sich in seinem größtenteils leeren Schlafzimmer um. Plötzlich war er sich nicht mehr so sicher, was seine Rückkehr in die Wohnung anging. Es fanden sich keinerlei persönliche Sachen an den Wänden oder auf der Kommode. Es hatte nicht lange gedauert, seine Kleidung wegzuräumen und seine Reisetasche in dem winzigen Schrank zu verstauen. Selbst die blauen Laken und die Decke auf dem Bett gehörten nicht ihm, sondern Benny.

Der Raum fühlte sich nicht länger nach einem Heim an, nicht, nachdem er den größten Teil des Monats in Chets Haus verbracht hatte. In einem Haus, das warm, einladend und gemütlich war. In einem Haus, mit Chet und Cris darin und sogar Dell, der ein ziemlich netter Kerl war. Benny war cool, keine Frage, aber es war eindeutig nicht dasselbe.

Dabei war es ja nicht so, dass er Cris und Chet nicht jederzeit besuchen konnte, wenn er wollte. Auch wenn Jake zu Fuß zur Arbeit gehen und seinen Freund Ned besuchen konnte, hatte Cris ihn das Auto behalten lassen, sodass er schnell den Fluss überqueren konnte. Distanz zwischen den anderen und sich selbst aufzubauen, war wichtig. Jake musste sich vergewissern, dass er sein Leben auch ohne ihre andauernde Unterstützung meistern konnte.

Sie würden vielleicht nicht für immer Teil seines Lebens sein und Jake musste sich sicher sein, dass er damit fertigwerden würde, von ihnen verlassen zu werden.

Wer wollte schon langfristig ein fünftes Rad am Wagen seiner Beziehung haben, das zudem bipolar war und keinerlei Pläne für eine zukünftige Karriere hatte? Niemand. Schon gar keines, dessen Ausstattung dank seiner verdammten Medikamente an Fehlfunktionen litt. Dr. Englade hatte gemeint, diese Nebenwirkung wäre unter Patienten, die ihre erste Episode durchliefen, weit verbreitet und bezog sie daher eher auf seine erste depressive Phase, die das ganze Chaos ausgelöst hatte.

Ihm war egal, was dahintersteckte. Er wollte, dass sich sein Gehirn verdammt noch mal aussortierte, damit er wieder Sex haben konnte. Richtigen, aufregenden Sex mit allen Schikanen, wie er ihn früher mit Cris gehabt hatte. Es gefiel ihm, dass Cris sich bemühte, sich in sexueller Hinsicht um ihn zu kümmern, aber es war verflucht peinlich, dem eigenen superheißen Freund dabei zuzusehen, wie er an einem schlaffen Schwanz lutschte. Egal, wie oft Cris behauptete, dass es ihn nicht störte.

Jake störte es. Es störte ihn ganz gewaltig. Und mit Chet diesen Weg zu beschreiten, kam überhaupt nicht infrage. Keine Chance. Ihre einzige sexuelle Begegnung, bei der es Jake auf eine volle Erektion gebracht hatte und gekommen war, lag Wochen zurück und war so großartig gewesen, dass sie sich für immer in sein Gehirn eingebrannt hatte. Er würde vor Scham sterben, wenn er für Chet keinen hochbekäme.

In gewisser Hinsicht hatte sein Auszug Jake von spontanen intimen Augenblicken befreit. Oder zumindest verringerte es die Chance, dass es dazu kam. Er liebte Cris' Aufmerksamkeit in jeder Form, in der er sie bekommen hatte, und er bereute nie den Sex, den sie hatten. Es war nur nicht die Art von Sex, die Jake wollte.

Ich will, dass er mich auf vier Fingern abspritzen lässt und mich anschließend durchvögelt, bis ich ein zweites Mal komme.

Die perfekte Kombination aus dem ersten und dem zweiten Mal, das er mit Cris Sex gehabt hatte. Gott, das waren fantastische Erinnerungen. Jake hatte keinem Partner jemals so sehr vertraut wie Cris und er hatte eindeutig nie einem anderen erlaubt, vier Finger in seinen Arsch zu schieben. Hölle, Jake vertraute ihm vermutlich sogar genug, um es mit der ganzen Faust zu versuchen, aber er hatte keine Ahnung, ob das eine Grenze war, die Cris mit ihm zu übertreten bereit war.

Sein Schwanz versuchte, sich angesichts all der aufregenden Bilder in seinem Kopf aufzurichten. Jake schob eine Hand in seine Shorts und streichelte sich ein paar Mal. Fühlte sich gut an. Nicht so gut wie Cris' Mund, aber akzeptabel. Nur würden ihn weder Gedankenspiele rund ums Fisting noch tatsächliche Berührung mehr als halb hart bekommen, also gab er auf.

Erbärmlich.

Vielleicht würden Chet und Cris nun, da er aus dem Haus war, endlich dazu kommen, miteinander zu schlafen. Jake hätte es niemals laut ausgesprochen, aber ein kleiner Grund für seinen Auszug war gewesen, dass er die beiden nicht länger ausbremsen wollte. Sie hatten nie direkt gesagt, dass sie wegen Jakes schlaffen Schwanzes nicht vögelten, aber das mussten sie auch nicht. Es machte Jake mehr zu schaffen, dass sie sich zurückhielten, als wenn sie auf dem Küchentisch gefickt hätten, während er zusah.

Das geistige Bild jagte eine frische Welle der Begierde durch ihn hindurch. Einige seiner liebsten Erinnerungen an die vergangenen Wochen war, Cris und Chet zuzusehen, wie sie sich gegenseitig bliesen. Sie waren so eindringlich, so unglaublich aufeinander eingestimmt und so ineinander versunken gewesen, dass es beinahe wehgetan hatte, ihnen zuzusehen – aber das war es auch, was sie so wunderschön zusammen aussehen ließ.

Jake war meistens passiv und er wusste, dass Cris beide Rollen mochte, aber er hatte keine Ahnung, was Chet vorzog. Und verdammt, er würde liebend gern zusehen, wie Chet Cris über die Rückenlehne der Couch lehnte und ihn hart von hinten durchnagelte, genau wie in einem Porno.

Vielleicht sogar unten im Studio, auf der Couch am Set.

Als Jake dieses Mal seinen Schwanz zu reiben begann, erhielt er bessere Ergebnisse. Er stellte sein inneres Auge anders ein, sodass es aussah, als würde er Chet und Cris auf dem Bildschirm seines Laptops vögeln sehen. Wie in den Pornos, die er sich eine Million Mal online angesehen hatte. Mit Schnitten zu neuen Blickwinkeln, neuen Stellungen. Nahaufnahmen von Cris' engem Loch, das Chets langen Schwanz in sich aufnahm.

Jake streckte sich auf dem Bett aus, öffnete seine Shorts und rieb sich härter, schneller, während er den Porno in seinem Kopf mit seinen Freunden als Darstellern aufrechterhielt. Er stellte sich vor, auf der anderen Seite der Kamera zu stehen, die Szene zu filmen, ein Platz in der ersten Reihe für jeden Blickwinkel, jedes Geräusch und jeden Geruch im Raum. Chet streckte die Hand aus und bedeutete Jake, sich ihnen anzuschließen.

»Fuck.«

Zum ersten Mal seit Wochen hart, bearbeitete Jake seinen Schwanz mit jedem Trick, den er kannte. Aber aus irgendeinem Grund blieb seine Fantasie an der Stelle, an der Chet ihn bat, sich ihnen anzuschließen, hängen und sein Orgasmus versickerte, bevor Jake ihn erreichen konnte. Er starrte zur Zimmerdecke auf und ärgerte sich über sich selbst. Obwohl er Teil einer Dreiecksbeziehung war und obwohl sie es bei einer Gelegenheit alle zusammen in der Dusche getrieben hatten, machte ihm die Vorstellung, dass sie es alle drei richtig miteinander taten, immer noch Angst.

Vermutlich, weil ich bisher nicht einmal mit Chet allein Sex hatte, geschweige denn, während Cris uns zusieht.

Jake konnte nicht genau sagen, warum er mit Chet so viele kleine Schritte nahm. Ihre Küsse waren leidenschaftlich und fantastisch und es gefiel ihm, wenn Chet ihn durch die Kleidung rieb und versuchte, ihm eine helfende Hand zu bieten.

Ich möchte nicht, dass mein erstes Mal mit ihm allein schiefgeht. Ich will mich nicht blamieren, indem ich keinen hochkriege. Indem ich nicht komme.

Jake könnte es nicht ertragen, bei dem Versuch, mit Chet Sex zu haben, zu versagen. Wie ein Kind, dem es nicht gelang, eine ganz leichte Aufgabe allein zu bewerkstelligen. Chet hatte so viel für ihn getan, ohne dass Jake ihn je darum gebeten hätte. Jake konnte ihn nicht enttäuschen, niemals. Besonders nicht, wenn es um etwas so Wichtiges ging.

Aber heute war er einem voll funktionierenden Sexleben einen Schritt nähergekommen und das war schon mal was. Seine Libido kehrte Stück für Stück zurück, während er die Depression zurückschlug und sich an seine Medikamente gewöhnte. Medikamente, die er vermutlich für den Rest seines Lebens nehmen würde, und mit dreiundzwanzig war das ein sehr beängstigender Gedanke, also schob er ihn beiseite.

Er musste etwas anderes unternehmen als nur im Bett zu liegen und sich zu bemitleiden. Bis er zur Arbeit musste, lagen noch Stunden vor ihm und er wollte Chet und Cris etwas Luft lassen.

Ned. Jake hatte ihn seit über einer Woche nicht besucht. Es war definitiv Zeit, nach ihm zu sehen.

Ned Thurmont war ein Bewohner des Präriehügel-Altenheims. Jake hatte durch Zufall eine Beziehung zu dem alten Mann aufgebaut, nachdem er sich in dessen Zimmer geschlichen hatte, um Essen von seinem Tablett zu stehlen. Ned war sechsundneunzig und litt an Demenz. Manchmal vergaß er, dass er Jake kannte; manchmal verwechselte er Jake mit seinem lang verstorbenen Liebhaber Wilson. Meistens redeten sie oder schauten sich Seifenopern an. Ab und zu las Jake ihm etwas vor. Er hatte seine eigenen Großeltern nie kennengelernt. Daher war das Zusammensein mit Ned für ihn, als hätte er zum ersten Mal einen Großvater.

Der Juli in Pennsylvania-Mitte war heiß und feucht. Daher war er ordentlich durchgeschwitzt, als er das Heim erreichte, ein traurig aussehendes Gebäude inmitten eines ebenso traurig wirkenden Wohnblocks. Er meldete sich an und stellte fest, dass die übliche Besetzung der Rezeption – eine Pflegerin namens Marla – nicht da war. Da sie inzwischen gefühlt im zwanzigsten Monat schwanger sein musste, hatte das Kind vielleicht endlich entschieden, zur Welt kommen zu wollen.

»Ihre Beziehung zu Mr. Thurmont?«, fragte die neue Pflegekraft.

Jake widerstand stolz dem Drang, die Augen zu verdrehen. »Urenkel.« Dann ging seine bissige Seite mit ihm durch. »Brauchen Sie vielleicht auch noch meine Sozialversicherungsnummer?«

Sie winkte ihn den Flur entlang.

Neds Zimmer lag im Erdgeschoss, sodass er nicht auf die Todesfalle von einem Fahrstuhl angewiesen war. Im Korridor roch es nach Urin und Sagrotan, was Jake zur Eile antrieb, und der kaum arbeitenden Klimaanlage gelang es nicht, seinen verschwitzten Körper abzukühlen.

In Neds Zimmer war der Fernseher aus und die Vorhänge waren zugezogen, sodass der Raum im Schatten lag. Jake gefiel das nicht. Das einzige Licht stammte aus dem Flur. Ned saß im Bett und starrte geradeaus. Er regte sich nicht. Er wirkte weder traurig noch aufgebracht. Einfach nicht ganz anwesend.

Jake schaltete die Deckenbeleuchtung ein. Ned blinzelte ein paar Mal gegen den Lichteinfall an, sagte jedoch nichts und drehte auch nicht den Kopf. Manchmal verlor er sich in der Vergangenheit und dann dauerte es eine Weile, bis er wieder in der Gegenwart ankam. Jake zog das dem Zustand vor, in dem Ned unerwartet wütend wurde und um sich schlug. Letztes Jahr hatte er Jake zwei Mal versehentlich ins Gesicht geschlagen. Beim ersten Mal hatte Jakes ehemaliger Mitbewohner Jon versucht, mit ihm darüber zu reden, aber Jake hatte sich geweigert. Sie hatten sich nicht nah genug gestanden, hatten sie damals nie. Doch inzwischen hatten sie freundschaftlichen Umgang übers Handy.

Er bereute es, drei Jahre lang mit Jon zusammengelebt zu haben, ohne sich die Mühe zu geben, ihn besser kennenzulernen. Jon war ein wirklich anständiger Kerl, der sich einen Verlobten namens Isaac, ein Haus in der Vorstadt und sogar eine verfluchte Katze erkämpft hatte.

Ich habe selbst zwei Liebhaber und ein Haus in der Vorstadt und statt dort zu sein, bin ich wieder in der Stadt. Allein.

»Oh, Wilson, da bist du ja«, sagte Ned. Er hatte den Kopf gewandt, um Jake anzusehen. Seine faltige Miene wirkte nach wie vor abwesend.

»Hallo, Ned«, erwiderte Jake. Er hatte kein Problem damit, mitzuspielen und Ned die Chance zu geben, sich an Abschnitte seines Lebens zu erinnern, die bedeutungsvoll für ihn war. Und jedes Mal erfuhr er ein wenig mehr über die lange, heimliche Romanze zwischen Ned und Wilson. »Fühlst du dich wohl?«

»Ein bisschen müder als sonst.« Ned klopfte auf das Bett. Jake durchquerte den Raum, um sich auf Höhe von Neds Knien zu setzen. »Du wirkst glücklich.«

»Es ist ein guter Tag für mich. Wie steht es bei dir?«

»Ich kann mich offenbar nicht erinnern, was ich heute getan habe. Ich bin immer noch im Bett.«

»Jeder verdient von Zeit zu Zeit einen faulen Tag.«

»Ha. Sagt der Mann, der meint, wir sollten die Stadt abstimmen lassen, ob wir unsere Läden nicht auch sonntags öffnen sollten, statt zu ruhen, wie der Herr es vorgesehen hat.«

Die Städte haben einem früher vorgeschrieben, sonntags nicht die Läden zu öffnen?

Diese Erinnerung musste aus ferner Vergangenheit stammen. Jake war nicht sicher, wie er reagieren sollte. »Ähm, tja, du kennst mich.«

»Das tue ich. Das tue ich.« Neds Ausdruck nahm wieder etwas Abwesendes an und deutete damit einen Sprung durch seine Erinnerungen an. Allerdings sprach er nicht, sondern starrte wieder die Wand an.

»Ned? Möchtest du Karten spielen?«

Nichts.

»Ich kann dir auch etwas vorlesen.«

Wieder nichts. Jake war es nicht gewohnt, Ned so unzugänglich zu erleben, und die Sorge trieb ihn dazu, bei ihm zu bleiben. Er setzte sich auf den Besucherstuhl und las eine Weile in einer Zeitschrift.

Der Essenswagen kam und brachte das Tablett mit dem Mittagessen. Jake half Ned, seinen Hamburger und seine Tasse voll Apfelmus zu essen. Für die schlaffen Pommes schien Ned sich nicht zu interessieren, also knabberte Jake daran, während sein Magen knurrend ein richtiges Mittagessen verlangte. Chet verwöhnte ihn täglich mit seinen großartigen Gerichten und Jake genoss ihren gemeinsamen Kochunterricht. Kochen war sein und Chets Ding. Die eine Sache, die sie gemeinsam unternahmen, nur sie beide.

Er musste Chet anrufen und sicherstellen, dass sie weiterhin zusammen Mahlzeiten zubereiten würden, selbst wenn Jake nicht mehr dort wohnte. Er konnte das nicht aufgeben. Es war ihm viel zu wichtig.

Um eins machte Jake den Fernseher an, da Neds erste Seifenoper begann. Er hatte keine Ahnung, ob oder inwieweit Ned die komplizierten Geschichten in den verschiedenen Sendungen verfolgte, aber er schien Freude an ihnen zu haben. Die Geräusche aus dem Fernseher weckten endlich Neds ganze Aufmerksamkeit. Er kletterte aus dem Bett und ging zu dem Sessel, von dem aus er normalerweise fernsah, direkt vor dem kleinen, kastenförmigen Gerät.

Dann sah er auf und registrierte erstmalig Jakes Anwesenheit. »Junger Jacob, du kommst mich besuchen.«

»Ja, tue ich.«

»Ich habe dich in letzter Zeit nicht oft gesehen, oder?«

»Nicht so oft wie früher und das tut mir leid.« Jake hatte sich bemüht, seine wöchentlichen Besuche bei Ned einzuhalten, aber dank seiner Depression war ihm eine ganze Woche verlorengegangen. Manchmal war er auch zwei Mal die Woche hergekommen und vielleicht würde er das nun, wo sich die Lage beruhigte, wieder tun.

»Du wirkst sorgenschwer«, sagte Ned. Er wandte sich Jake zu und schenkte ihm seine Aufmerksamkeit, während im Fernsehen eine Frau einer anderen vorwarf, ihr den Verlobten gestohlen zu haben.

»Ich bin nicht richtig sorgenschwer.« Jake war sich nicht einmal sicher, was das Wort bedeuten sollte. Aber Ned schien nun weit genug bei sich, dass sie miteinander reden konnten. »Hast du schon einmal von einer bipolaren Störung gehört?«

»Sicher. Es ist sogar schon in meinen Serien vorgekommen. Ist jemand, den du kennst, damit diagnostiziert worden?«

Sein Puls legte zu. »Ähm, ich. Habe die Diagnose erhalten, meine ich. Bipolar zu sein.«

Ned neigte den Kopf. »Ich vermute, das ist erst kürzlich passiert?«

»Vor zwei Wochen. Offensichtlich habe ich eine bipolare Störung des Typs II, die weniger manische Variante, aber sie wird im Grunde mit denselben Medikamenten behandelt. Und ich habe eine gute Therapeutin. Es fällt mir leicht, mit ihr zu reden.«

»Musstest du allein damit fertigwerden? Ich wünschte, ich hätte dir helfen können, mein Sohn.«

Ein Schwall Liebe und Stolz wärmten Jakes Brust. »Ich habe zwei sehr gute Freunde, die mir geholfen haben, auf mich achtzugeben. Es war einer von ihnen, der von Anfang an vermutet hat, dass ich bipolar sein könnte.«

»So eine Last für jemanden, der noch so jung ist.«

Jake versuchte, die Bemerkung abzustreifen, aber es lag dennoch eine Spur Verhängnis in ihr. »Ich komme zurecht. Es ist jetzt weniger als einen Monat her und ich mache Fortschritte, weißt du? Zumindest sagen mir das alle.«

»Aber du gehörst zur ungeduldigen Sorte, die es sofort geregelt sehen will, richtig?«

Er konnte nicht anders als angesichts von Neds perfekter Analyse seines Wesens hart aufzulachen. »Jepp. Ich hasse die Ungewissheit, verstehst du? Was, wenn die Medikamente nicht anschlagen? Was, wenn ich vergesse sie einzunehmen? Woher weiß ich, was eine hypomanische Phase ist und was normale Aufregung? Ich will, dass es wieder wie früher wird, auch wenn ich weiß, dass das unmöglich ist.«

Kummer trat in Neds Blick. »Ich habe mich genauso gefühlt, nachdem Wilson seine Diagnose erhalten hat. Wir wollten die Zeit zurückdrehen, zurück zu dem Zeitpunkt, bevor wir es wussten.«

»Was wussten?«

»Dass er Krebs hatte. Er war in seinem ganzen Leben nie einen Tag krank und innerhalb weniger Monate war er dauernd erschöpft und hat Gewicht verloren. Ich habe ihn endlich dazu überredet, einen Arzt aufzusuchen, aber es war bereits zu spät. Wir hatten keine sechs Monate mehr.«

»Es tut mir so leid.« Jake konnte sich nicht vorstellen, mehr als sein halbes Leben lang mit jemandem zusammen zu sein und sich dann innerhalb so kurzer Zeit verabschieden zu müssen. Dabei zusehen zu müssen, wie der Frachtzug auf einen zudonnerte, während man auf die Gleise gefesselt war und nicht fliehen konnte, egal, was man tat. Jon hatte letztes Jahr dasselbe durchgemacht: Er hatte zusehen müssen, wie sein bester Freund langsam dem Krebs erlag.

Jake würde lieber schnell und unerwartet abtreten. Rums, bums und vorbei.

»Es war nicht leicht, sich von jemandem zu verabschieden, der einem das ganze Leben lang der beste Freund gewesen ist. Ich vermisse ihn jeden einzelnen Tag.«

Wenn ich morgen sterben würde, wie lange würden Chet und Cris trauern? Eine Woche lang? Einen Monat?

»Ich weiß, dass sich das jetzt alles sehr elend anhört«, fuhr Ned fort. »Aber ich hoffe, dass du diese Art von Liebe eines Tages ebenfalls findest, junger Jacob. Die Liebe, die durch die dunkelsten Stunden trägt und dir die größte aller Freuden ermöglicht.«

»Ich möchte das auch.« Er sah Potenzial in seinen Romanzen mit Chet und Cris, aber es war alles noch so neu. So ungewiss. Cris und Chet teilten eine achtjährige Geschichte, aber Jake kannte sie keine zwei Monate lang. Er wusste kaum etwas von ihnen.

»Was ist mit dem Jungen, mit dem du dich getroffen hast? Cris?«

Jake hatte Cris während seiner letzten Besuche erwähnt, aber nicht Chet. Er war nicht sicher, wie Ned auf eine Dreiecksbeziehung reagieren würde, besonders, wenn jemand so viel Älteres dabei war. »Wir treffen uns immer noch. Es ist alles so neu, dass es schwierig ist, in die Zukunft zu schauen. Abgesehen davon lautet mein neues Mantra Ein Tag nach dem anderen.«

»Das ist für jeden ein gutes Mantra. Nur lass dich nicht so sehr vom Heute fesseln, dass du dir nicht länger erlaubst, vom Morgen zu träumen.«

»Ich denke daran.« Sein Handy kündigte den Eingang einer Textnachricht an.

Chet: Kommst du zurück, um mir mit dem Abendessen zu helfen? Ich habe an Enchiladas gedacht.

Jake grinste, dann schrieb er: Das will ich auf keinen Fall verpassen. Wir sehen uns gleich.

Chet schickte ihm ein lächelndes Smiley.

»Darf ich fragen, ob das eine Nachricht von deinem Cris war?«, erkundigte sich Ned.

»Pläne fürs Abendessen mit einem Freund.« Das kam der Wahrheit nah genug, ohne zu lügen. »Genau genommen sollte ich bald los. Dich wieder deinen Sendungen überlassen.«

»Wie immer weiß ich deinen Besuch sehr zu schätzen. Meistens geht es hier recht einsam zu und du bringst einen höchst willkommenen frischen Windzug herein.«

»Immer wieder gern. Vielleicht bringe ich eines Tages Cris mit.« Die Worte waren heraus, bevor Jake richtig darüber nachgedacht hatte, aber es war keine große Sache, oder? Cris und Chet wussten von Ned. Aber würde Chet sich ausgebootet fühlen, wenn er Cris mitnahm?

Warum muss mein Liebesleben nur so kompliziert sein?

»Ich würde deinen Cris gern kennenlernen«, sagte Ned. »Sehr gern sogar. Bestell ihm Grüße.«

»Mach ich.«

Jake ließ sich Zeit auf dem Rückweg zum öffentlichen Parkhaus, in dem er Cris' Wagen untergebracht hatte. Er freute sich darauf, für eine neuerliche Lektion im Kochen in Chets Haus zurückzukehren, und gleichzeitig scheute er sich davor. Er hatte seine paar Stunden der Freiheit in der Stadt genossen. Sich niemandem erklären zu müssen und seine eigenen Bedürfnisse in den Vordergrund zu stellen. Es würde nicht leicht werden, ein Gleichgewicht zwischen seinem eigenen Leben und dem als Freund zweier anderer Männer zu finden. Aber es war der einzige Weg, um diese Dreiecksbeziehung zum Funktionieren zu bringen.

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