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Kapitel Vier
ОглавлениеCris hatte nicht erwartet, so nervös zu sein, als er Sonntagmorgen die Treppe zum Kellerstudio hinunterstieg. Chet und er wollten sein Abschiedsvideo für die Mean Green-Website drehen. In all den Jahren, in denen Cris als Dane gefilmt hatte, war er nie nervös gewesen, nicht einmal während seines allerersten Solo-Masturbationsvideos. Nicht während seines ersten Dreiers. Nicht letztes Jahr, als Chet mit düstereren Dub-Con-Inhalten experimentiert hatte.
Sex war leicht und heute ging es nicht um Sex. Es ging darum, dass Dane sich bei seinen Fans bedankte und erklärte, warum er seine Karriere beendete. Nicht jeder Darsteller drehte ein Abschiedsvideo. Cris hatte während seiner insgesamt sechs aktiven Jahre mit mehr Darstellern zusammengearbeitet, als er je aufzählen konnte, aber die guten, die dabeigeblieben waren? Die, die eine Gefolgschaft aufgebaut hatten? Chet bot ihnen gern einen Abschluss. Der Schritt hatte für alle Beteiligten etwas Therapeutisches und half zudem, dass die Fans der Seite treu blieben.
Also warum zum Teufel bin ich so nervös?
Chet und Dell hatten eine einzelne Kamera auf ein Dreibeinstativ gesetzt und richteten die Leuchten um das Sofa aus. Die Wahl des Möbelstücks ließ Cris grinsen. Auch wenn Chet die Sofas aus Hygienegründen regelmäßig austauschte, hatte Cris vermutlich mehr Darsteller auf, über oder gegen verschiedene Sofas gelehnt gefickt als auf jedem anderen Möbelstück am Set.
Jakes Bemerkung vor drei Tagen, dass er zusehen wollte, wie Chet Cris über die Rückenlehne gebeugt vögelte, ließ Cris' Schwanz zucken. Er biss sich auf die Zunge. Sicher, er war es gewohnt, hier unten hart zu werden, aber heute ging es nicht um eine Szene. Allerdings blieb das Bild bestehen; in sein Gehirn gebrannt von der Nähe zu Chet und dem verflixten Sofa.
»Ah, da ist mein Superstar ja«, sagte Chet grinsend. »Bist du bereit?«
»Ich glaube schon.« Cris sah sich im Raum um. »Es ist merkwürdig, sich klarzumachen, dass ich jetzt zum letzten Mal als Angestellter hier unten bin.«
»Ex-Angestellter, aber ja, das kann ich nachvollziehen.« Chet hielt seinen Blick. Ihm war die untergründige Anspielung, dass Cris aus anderen Gründen wieder herfinden könnte, nicht entgangen. Immerhin war der Raum bestens mit Spielzeugen, Gleitgel und Kondomen ausgestattet. »Sei einfach so charmant wie immer und alles wird gut.«
»Ja. Hast du heute Morgen schon was von Jake gehört?«
»Noch nicht. Vermutlich schläft er aus.«
Wahrscheinlich. Jakes quasi vampiristische Arbeitszeiten im Club zogen nach sich, dass er morgens meistens ausschlief, um seine acht Stunden vollzubekommen. Doch solange er im Haus gewohnt hatte, war er oft mit Chet und Cris zusammen aufgestanden, sodass sie gemeinsam frühstücken konnten. Und dann hatte er sich nachmittags noch einmal hingelegt. Zurück in Bennys Wohnung zu ziehen, würde Jake sicher helfen, in seinen Schlafrhythmus zurückzufinden, aber Cris vermisste ihn dennoch. Die vergangenen drei Nächte ohne ihn im Bett hatten sich eigenartig angefühlt.
Sie hatten eine einfache Routine entwickelt, die sowohl Cris als auch Chet davon abhielt, sich allzu viele Sorgen zu machen: Guten Morgen und Gute Nacht-Nachrichten zwischen ihnen dreien. Auch wenn sie bereits schliefen, wenn Jake sein Gute Nacht schickte, war es beruhigend, es vorzufinden, wenn sie aufwachten – zu wissen, dass Jake heil in seine Wohnung zurückgekehrt war.
Cris setzte sich in die Mitte des Sofas. Worte sprangen ihm unbeständig durch Kopf und Magen zugleich. Dell fummelte hinter der Kamera herum, bevor er die Höhe des Stativs anpasste. Ein Licht anders justierte. Ein Perfektionist wie sein Onkel.
»In Ordnung«, sagte Chet. »Du musst es nicht lang halten, Cristian. Sag, was immer dir in den Sinn kommt. Wenn du dich wiederholen musst, können wir es entsprechend schneiden. Ohne deine Zustimmung werde ich nichts hochladen.«
»Danke.« Er rieb sich die feuchten Handflächen an der Vorderseite seines T-Shirts. »Weiß nicht, warum ich so nervös bin.«
»Du wirst das super machen, Schatz. Lass dein Herz sprechen.« Chet küsste seine Stirn, dann verschwand er mit Dell hinter der Kamera. »Fertig?«
»So sehr ich es sein kann.«
»Film ab.«
Die grüne Lampe an der Vorderseite der Kamera leuchtete auf und wie auf Knopfdruck legte sich die Identität des harten Danes über Cris wie eine zweite Haut. Chet hielt drei Finger in die Höhe… zwei… einen… und deutete auf Cris.
Cris legte ein sexy Grinsen auf. »Wenn ihr nicht wisst, wer ich bin, dann habt ihr nicht ansatzweise genug Videos von dieser Website angeschaut und das würde ich an eurer Stelle ändern, bevor ihr euch das hier weiter anseht. Macht nur, ich werde hier sein, wenn ihr wiederkommt.«
Er zwinkerte der Kamera zu, konzentrierte sich zum ersten Mal in seiner Karriere auf die Linse und nichts anderes. »Für diejenigen unter euch, die mich kennen: Dieses Video hat sich schon eine ganze Weile abgezeichnet. Ich habe aus persönlichen Gründen seit ein paar Monaten nichts Neues mehr gedreht und diese Pause hat mich begreifen lassen, dass es an der Zeit ist, Mean Green zu verlassen.
Ich habe zu einer Zeit hergefunden, in der ich jung und verwirrt war und nicht sicher, was ich mit dem Rest meines Lebens anstellen wollte. Hier habe ich Stabilität und Freundschaft gefunden und ich könnte für beides nicht dankbarer sein. Ich habe das Filmen geliebt und ich habe es geliebt, mit meinen Kollegen zusammenzuarbeiten. In vielen von ihnen sehe ich inzwischen Freunde. In einigen sogar Familie.« Er blinzelte heftig, als verschiedenste Gefühle in ihm aufstiegen und seine Augen brennen ließen. »Aber ich ziehe mit Liebe im Herzen und großartigen Aussichten auf die Zukunft weiter. Ich habe mich nie beschenkter gefühlt, als ich es zurzeit tue.«
Er spähte hinter die Kamera, wo Chet stand. Er hatte den Mund mit einer Hand bedeckt und seine Augen leuchteten. In Richtung Objektiv fuhr Cris fort: »Ihr, meine treuen Fans, könnt euch immer meiner Dankbarkeit gewiss sein. Danke, dass ihr meine Karriere im Pornogeschäft unterstützt habt. Ich hoffe, ihr werdet den anderen Darstellern hier bei Mean Green dieselbe Treue entgegenbringen. Dies ist nach wie vor ein fantastischer Arbeitsplatz mit einer tollen Truppe an Männern, die es sich zu unterstützen lohnt. Greift nach euren eigenen Träumen und holt euch weiter einen runter. Hiermit meldet Dane sich offiziell ab. Ciao.«
Mehrere Herzschläge verstrichen, bevor die grüne Leuchte erlosch. Cris schüttelte sich und die Identität des Dane fiel zum letzten Mal von ihm ab. Und statt traurig zu sein, empfand Cris Zufriedenheit. Freiheit.
»Hervorragende Arbeit«, sagte Chet. Seine Stimme war vor Emotionen ganz heiser. »Ehrlich und aus dem Herzen gesprochen.«
»Danke.« Cris hustete zwei Mal, um seine eigene Stimme unter Kontrolle zu bekommen. »Ich bin froh, dass ich es getan habe. Nicht nur zu kündigen, sondern das Video zu drehen. Es bettet alles zur Ruhe, weiß du?«
»Tue ich. Du warst fantastisch, wie immer.«
»Es war wirklich gut«, sagte Dell. »Ich kann hier unten aufräumen, Onkel Charles.«
»Danke.« Chet näherte sich dem Sofa und streckte eine Hand aus. Cris nahm sie und ließ sich auf die Füße ziehen. Hinterher ließ er nicht los. »Was hast du heute noch vor?«
»Ich muss ein bisschen arbeiten«, erwiderte Cris. »Jemand hat mich gestern von meinem Projekt abgelenkt.«
»Jemand, hm?« Chet drückte seine Hand. »Kann mir gar nicht vorstellen, wer das gewesen sein sollte.«
»Kannst du nicht, ja?«
Gestern war Cris gegen halb vier nach unten gegangen, um eine kurze Pause einzulegen. Er hatte Chet und Jake in der Küche vorgefunden, die Anstalten machten, die Enchiladas von zwei Tagen zuvor zuzubereiten. Er hatte aus einiger Entfernung zugesehen, wie das Kochen der beiden in eine Menge bewusster Berührungen überging und schließlich dazu führte, dass sie wild herummachten.
Chet hatte Jake gegen den Kühlschrank gepresst, während sie sich küssten, den kleineren Mann mit seinen Armen gefangen gehalten und ihre Becken dicht aneinandergedrückt. Leise, saugende Geräusche hatten den Raum erfüllt und Cris war dahingeschmolzen. Er hatte seine eigene, stetig wachsende Erektion durch die Shorts gerieben und war sich ein bisschen verdorben vorgekommen, sie zu beobachten. Und es hatte ihm gefallen.
Er liebte die neue sexuelle Freiheit, die sie seit den Blowjobs vom Vortag entdeckt hatten. Jakes Selbstbewusstsein war in ganzer Stärke wiedererwacht und eben dieses Selbstbewusstsein machte Cris unglaublich scharf. Das war schon bei ihrem ersten Zusammensein so gewesen.
Jake übernahm die Führung, indem er sie herumwarf und Chets Rücken gegen den Kühlschrank drückte. Cris hielt die Luft an. Er sah zu, wie Jake auf die Knie fiel und damit dank der Kücheninsel aus Cris' Sichtlinie geriet, und das war nicht fair. Er betrat die Küche, die Hand ungeniert über dem Ständer. Chet fing sofort seinen Blick ein. Seine Augen brannten vor Erregung und lockten Cris vorwärts. Er umrundete gerade rechtzeitig die Kücheninsel, um zu sehen, wie Jake Chets Hose und Unterwäsche nach unten zerrte. Sie wegschaffte und seinen Ständer befreite.
Die Bodendielen knarrten. Jake sah auf. Seine Augen waren weit aufgerissen und die Wangen gerötet. Das Lächeln, das er Cris zuwarf, sprach von vollkommener Lust.
Er lockte Cris mit dem Finger näher und Cris setzte seinen Weg fort, um neben Chet stehenzubleiben. Er sah zu, wie Jake Chet in den Mund nahm und ihm ein seliges Keuchen entlockte.
Cris hatte es am Vortag gefallen zu erleben, wie Chet Jake einen geblasen hatte, aber die andere Variante hatte er nicht mitbekommen. Endlich kam er dazu zu sehen, wie Jake sich über Chet hermachte, und es war wundervoll. Jake sah abwechselnd von Cris zu Chet, wandte nie den Blick von ihnen ab, während er Chet saugte und leckte, und so gern Cris Chet geküsst hätte, konnte er nicht wegsehen.
Bis Chet mit einer Hand Jakes Wange umfasste und ihn von seinem Schwanz wegschob. Ihre Blicke trafen sich und Cris schielte zu Chet hinüber, nicht sicher, was da wortlos zwischen ihnen vorging. Plötzlich grinste Jake Chet an und griff nach Cris' Reißverschluss.
»Heilige Scheiße«, flüsterte Cris. Er protestierte nicht. Er würde nie einen Blowjob von Jake ablehnen, aber dies lief ganz klar auf eine Premiere hinaus. Jake, der sie zeitgleich blies. Er angelte nach Chets Hand. Auf die erste Schockwelle der Lust, die seinen Schwanz schmerzhaft verhärtete, als Jake endlich die Lippen um seine Eichel schloss, war er nicht vorbereitet. »Gott!«
Jake lachte. Die Vibrationen schossen durch Cris' Schwanz und in seine Hoden und lieber Gott, er würde nicht lange durchhalten. Schon gar nicht, wenn Jake Chet rieb, während seine talentierte Zunge über Cris herfiel. Besser als jeder Live-Porno, einfach wegen der Männer, die im Spiel waren. Zwei Männer, die Cris liebte und zu denen er sich hingezogen fühlte. Er küsste Chet, denn das brauchte er auch. Er brauchte die kräftigen Bewegungen von Chets Zunge in seinem Mund, während ein heißer Mund ihn zum Höhepunkt brachte.
So kurz davor, seine Hoden zogen sich hoch – und Jake hörte auf. Cris fluchte. Seine Worte wurden von Chets Lippen verschluckt. Eine Hand ersetzte den Mund an seinem Schwanz und dann verriet Chets Aufstöhnen ihm, dass Jake sich wieder über dessen Schwanz hermachte.
Chet biss Cris sacht in die Unterlippe, dann zog er sich keuchend zurück. Mit roten Wangen, runden Augen und so herrlich verdorben, dass Cris knurrte. Beinahe hätte er verlangt, dass Chet ihn verdammt noch mal sofort fickte, aber die Hand, die ihn gleichmäßig streichelte, ließ ihn schweigen. Dies war Jakes Auftritt.
Chet ließ den Hinterkopf gegen den Kühlschrank fallen und vergrub beide Hände in Jakes Haar. »Fuck, ich komme.«
Jake stieß tief in der Kehle einen Laut aus. Seine freie Hand stahl sich zwischen Chets Beine – zu seinen Eiern, seinem Damm oder Loch, Cris wusste es nicht und es interessierte ihn auch nicht. Er kniff in eine von Chets Brustwarzen. Chet schrie auf, sein ganzer Körper verkrampfte sich. Jake machte weiter, seine Kehle bewegte sich, als er Chets Sperma verschlang. Die Hand an Cris' Schwanz hielt inne, während er Chet erst leer trank und dann sauber leckte. Chet sackte gegen den Kühlschrank und rutschte dann nach unten, um vor Jake zu kauern.
Sie küssten sich nass, verzweifelt und so verflucht sexy. Chemie und Nähe und Liebe waren nicht zu übersehen und Cris wollte alles in eine Flasche füllen und mit sich herumtragen. Er wichste sich, während er den Kuss verfolgte, und stolperte eher als erwartet in seinen Orgasmus hinein. Sein Samen landete auf dem Küchenboden.
»He«, hatte Jake mit dem heißesten Schmollen gesagt, das man sich vorstellen konnte. »Du hast es verschwendet.« Er deutete auf den Boden.
Cris hatte leise gelacht. »Sorry. Euch beiden dabei zuzusehen, wie ihr euch gegenseitig auffresst, war mehr, als ich aushalten konnte.«
Er hatte die Dielen gereinigt, sodass Chet und Jake das Abendessen zu Ende zubereiten konnten, aber sie hatten ihn zu sehr abgelenkt, als dass er an die Arbeit zurückgekehrt wäre. Er war in der Küche geblieben und hatte ihnen zugesehen, hatte die Selbstverständlichkeit bewundert, mit der sie zusammenarbeiteten. Diesen Tanz in der Küche, den sie allmählich perfektioniert hatten und sie zu einem Liebespaar verschmolz. Einzigartig und wunderschön und ganz ihr eigenes Ding.
Die Enchiladas waren ebenfalls fantastisch ausgefallen. Cris hatte vor, die Reste zum Mittagessen zu verspeisen. Er wusste nicht, ob Jake zum Essen da sein würde oder nicht, da weder Chet noch er an diesem Morgen etwas von ihm gehört hatten.
Dell begann, die Kameraausrüstung wegzuräumen. Cris und Chet gingen Hand in Hand nach oben, bevor sie sich im Foyer trennten – Cris ging nach oben in sein Büro und Chet in sein eigenes im Erdgeschoss.
Cris verwendete inzwischen den Raum, der eigentlich als Schlafzimmer für ihn vorgesehen war, als Arbeitszimmer. Freitagmorgen hatte er alles, was er brauchte, aus seiner alten Wohnung geholt, inklusive seines Schreibtischs und Stuhls. Chet hatte ihm mit der Strafzahlung für den vorzeitig gekündigten Mietvertrag ausgeholfen, was Cris sehr zu schätzen wusste. Er hasste es, seine Kaution zu verlieren, aber dort zu sein, wo er am glücklichsten war, war den Verlust wert.
Und am glücklichsten war er hier mit Chet und Jake.
In seinem Büro stand immer noch ein Doppelbett. Chet hatte versprochen, es am Montag an eine Wohltätigkeitsorganisation liefern zu lassen, da die Matratze noch so gut wie neu war. Der Schreibtisch stand am Fenster, sodass er einen wunderbaren Blick auf die Bäume und die Nachbarschaft hatte.
Er hinkte bei seinem derzeitigen Projekt nicht allzu sehr hinterher, aber Cris blieb, wenn möglich, lieber vor dem Zeitplan, falls ein Notfall dazwischenkam oder falls normale Lebensumstände ihn für ein paar Tage vom Computer fernhielten. Vor ein paar Jahren hätte er dank einer hässlichen Grippe beinahe einen langjährigen Kunden verloren, dem er eine schnelle Lösung für sein Projekt zugesichert hatte.
Dank Taros rascher Hilfe hatte er die Arbeit beendet, wenn auch nur gerade rechtzeitig genug, um seinen Kunden zufriedenzustellen.
Taro. Scheiße.
Es war erst vier Tage her, dass Cris entschieden hatte, auf Dauer bei Chet einzuziehen, und er hatte Taro noch nichts davon gesagt. Er hat auch nicht gebeichtet, dass sie drei – er, Chet und Jake – nun offiziell zusammen waren. Während ihrer wöchentlichen Abendessen hatte Cris sich relativ bedeckt gehalten, was sein Liebesleben anging, und sich eher auf Jakes zunehmende Stabilität und seine eigene Arbeit konzentriert. Er hatte keine andere Wahl, als Taro diese Woche alles zu erzählen.
Allerdings wäre es vielleicht besser, ihn anzurufen und sich zu ihm nach Hause einladen zu lassen, statt in einem öffentlichen Diner damit herauszuplatzen.
Nicht sicher, wie er vorgehen sollte, kam Cris zu dem Schluss, das Problem fürs Erste zu ignorieren und sich an die Arbeit zu setzen. Aus alter Gewohnheit sah er zuerst seine E-Mails durch. Er löschte einiges an Spam, bevor er eine Nachricht öffnete, die ihm von der Kontaktseite seiner Geschäftswebsite weitergeleitet worden war. Zu achtundneunzig Prozent ging es bei diesen um Anfragen zu seinen Preisen oder Qualifikationen. Ab und zu entdeckte er dort auch etwas Hässliches oder schlicht Unkultiviertes.
Schon die allererste Zeile der Mail ließ sein Blut gefrieren.
Sehr geehrter Mr. Vincent Maroni,
Cris starrte auf die Buchstaben. Rieb sich die Augen und schaute noch einmal hin. Jemand kannte seinen Geburtsnamen. Man hatte ihn verdammt noch mal gefunden, aber wer? Er ignorierte den kurzen Text, um zum Ende der Mail zu springen.
Special Agent Dwayne Booker, FBI, gefolgt von einer Telefonnummer und einer E-Mail-Adresse.
»Was, verdammte Scheiße, ist das?«, sagte er an den Bildschirm seines Laptops gewandt.
Niemand sollte wissen, wo er war, und noch viel weniger, wer er war. Im Verlauf der letzten sechs Jahre hatte er genau einmal mit seinem einzigen Kontakt zum New Yorker FBI-Büro gesprochen, und das war, als man ihm mitteilen wollte, dass sein Vater im Gefängnis einen Herzinfarkt erlitten hatte. Der Bastard lebte noch, aber darüber hinaus hatte ihm der Agent, mit dem er gesprochen hatte, keine weiteren Details genannt. Der Mann hatte sein Bedürfnis nach Anonymität verstanden und der Anruf war ohnehin inoffizieller Natur gewesen.
Er schloss die Augen und holte mehrmals tief und beruhigend Luft, aber das änderte nichts an seiner zunehmenden Unruhe. Das hätte niemals passieren dürfen. Seine Vergangenheit hätte ihn niemals einholen, nicht in diesem wunderbaren Leben ankommen dürfen, das er für sich geschaffen hatte. Nein.
Nachdem er ein paar Minuten in dem kleinen Raum hin und her getigert war, setzte er sich lange genug hin, um die eigentliche Nachricht zu lesen.
Mir ist bewusst, dass meine Kontaktaufnahme ein Schock für Sie sein muss und dafür möchte ich mich entschuldigen. Sie haben dafür gesorgt, dass Sie nur schwer zu finden sind, aber für jemanden, der weiß, wo er suchen muss, war es nicht unmöglich.
Ja, und es war natürlich überhaupt nicht gruselig, so etwas in einer Mail zu schreiben.
Mein Name ist Dwayne Booker und ich bin Special Agent beim FBI, Büro New York. Ich arbeite seit über dreißig Jahren hier und war die letzten zwanzig Jahre in der Abteilung für organisiertes Verbrechen aktiv.
Scheiße, Dreck und Mist, es ging um seinen Vater.
Kürzlich hat Ihr Vater, Roberto Maroni, mich kontaktiert, um mit mir über unsere fortlaufenden Ermittlungen im Fall der Organisation zu sprechen, mit der er sein ganzes Erwachsenenleben lang zu tun hatte. Er hat mir versichert, dass er Sie und Ihre verstorbene Schwester bestmöglich von diesen Vorgängen abgeschirmt hat. Als Jugendlicher haben Sie dies gegenüber den Kollegen, die Ihren Vater verhaftet haben, bestätigt. Mein Wunsch, mit Ihnen zu sprechen, liegt nicht in der Vermutung begründet, dass Sie in irgendwelche kriminellen Vorgänge verstrickt waren, oder darin, Sie in unsere Ermittlungen einzubeziehen. Es geht um etwas, das eher privater Natur ist.
Ich halte mich derzeit in Harrisburg auf und würde mich gern mit Ihnen treffen, um persönlich darüber zu sprechen. Meine Handynummer finden Sie unten. Bitte rufen Sie mich sobald wie möglich an. Es handelt sich um eine eilige Angelegenheit.
Cris las die Nachricht drei Mal, ohne sie gänzlich zu verstehen. Ein FBI-Agent – einer, den Cris nicht kannte – untersuchte immer noch die Vorgänge der Verbrecherfamilie, gegen die sein Vater sich vor über einem Jahrzehnt auszusagen geweigert hatte, und er wollte mit Cris über etwas Privates sprechen. Das ergab überhaupt keinen Sinn, besonders der Teil, dass Roberto Booker direkt kontaktiert haben sollte.
Mein Vater will mit mir reden.
Das war der einzige Schluss, der Sinn ergab. Sein Vater hatte es schon einmal versucht – über seine Tante –, nachdem seine Schwester Grace gestorben war.
Cris hatte sich geweigert und dann war er verschwunden, ohne eine neue Adresse zu hinterlassen. Seitdem hatte er nicht mehr mit seiner Tante geredet, schon gar nicht, um ihr zu verraten, dass er seinen Namen geändert hatte und inzwischen seine eigene Programmierfirma besaß. Cris wusste nicht, wie der Agent ihn aufgespürt hatte, und es war ihm auch egal.
Booker konnte unmöglich wissen, wo Cris inzwischen wohnte. Möglicherweise hatte er seine alte Wohnung gefunden, aber Cris war noch nicht bei der Post gewesen, um einen Nachsendeantrag zu stellen, und das war ein Segen. Vielleicht konnte er den Typen blockieren, jeden Kontakt verweigern und hoffen, dass er ihn in Frieden ließ. Aber zuerst musste er herausfinden, ob dieser Agent echt war.
Cris machte seine Bürotür zu und schloss ab. Das Herz sprang ihm beinahe aus der Brust, als er seinen FBI-Kontakt Agent Strahm anrief.
Strahm meldete sich nach dem vierten Klingeln. »Hier ist Arrow.«
Ihr Code. »Hier ist Bullseye. Ich muss Sie um einen Gefallen bitten.«
»Oh, das ist das erste Mal. Was für ein Gefallen?«
»Nur eine Information. Haben Sie irgendjemandem persönliche Informationen über mich weitergereicht?«
»Natürlich nicht.« Strahm schnaufte. »Ich habe Ihnen Anonymität zugesichert. Glauben Sie mir, ich weiß, wie wichtig es ist, sich von den Kriminellen in seinem Leben zu distanzieren. Worum geht es?«
»Ein anderer Agent Ihres Büros hat mich aufgespürt. Ich weiß nicht, wie, aber es hat geklappt und er will mit mir über etwas Privates reden und ich muss wissen, ob es sich bei ihm um eine reale Person handelt oder nur um jemanden, der nur behauptet, für die Strafverfolgung zu arbeiten.« Cris hoffte, dass Strahm seinen Endlossatz verstanden hatte. Er geriet nicht oft aus dem Gleichgewicht, aber wenn er es tat, neigte er zum Plappern.
»Wie lautet der Name des Agenten?«
»Dwayne Booker.«
Strahm stieß einen leisen Pfiff aus. »Ich kenne ihn. Absolut geradlinig, ein guter Mann. Aber ich habe nichts läuten hören, dass es im Fall Ihres alten Herrn zu neuen Entwicklungen gekommen wäre. Daher habe ich keine Ahnung, warum er sich mit Ihnen treffen will.«
»Es hat etwas mit meinem Vater zu tun, aber ich will nichts mit ihm zu schaffen haben.«
»Hören Sie, ich forsche mal nach und sehe zu, ob ich etwas herausbekommen kann. Halten Sie sich an einem sicheren Ort auf?«
»Ja. Im Augenblick hat er keinerlei Möglichkeit rauszufinden, wo ich wohne.«
»Dann verhalten Sie sich ruhig. Ich prüfe, was los ist, und rufe Sie an.«
»Danke.«
»Passen Sie auf sich auf, Kleiner.«
Cris schnaubte, nachdem er aufgelegt hatte. Er war seit langer Zeit kein Kleiner mehr. Auch wusste er nicht, warum Agent Strahm während des Durcheinanders der Verhaftung und Verurteilung seines Vaters einen Narren an ihm gefressen hatte. Oder warum er weiterhin mit ihm in Verbindung blieb. Irgendetwas sagte Cris, dass er eine interessante Hintergrundgeschichte besaß.
Also sah alles danach aus, als ob dieser Agent Booker echt sei, aber das war für Cris nicht weiter wichtig. Er wollte keinen Kontakt zu seinem Vater. Jede Reaktion auf die E-Mail würde beweisen, dass Cris sie auch nur gelesen hatte, und er wollte nichts mit Booker zu tun haben. Er bewegte den Cursor zum Löschen-Button und verharrte dort. Unsicher.
Jemand klopfte. Cris' Finger zuckte und traf. Er konnte die Mail jederzeit aus dem Mülleimer holen, aber sein Herz raste zu sehr, als dass er sich darum geschert hätte. »Ja?«
»Ich bin's, Charles. Alles in Ordnung? Normalerweise schließt du nicht die Tür.«
»Ja, tut mir leid.« Er schoss zur Schlafzimmertür und drehte den Schlüssel, um zu öffnen und sich Chets lächelndem Gesicht gegenüberzusehen. »Ich weiß gar nicht, warum ich das gemacht habe. Tut mir leid.« Gott, er hasste es, Chet anzulügen.
»Schon gut. Du bist hier nur schon eine ganze Weile drin und ich wollte fragen, ob dir nach Mittagessen ist.«
Cris warf einen Blick auf die Wanduhr. Fast Mittag. Die verdammte Nachricht hatte ihn fast eine Stunde gekostet. Gott, er musste sich zusammenreißen.
»Sicher, dass alles okay ist, Schatz?«, fragte Chet. »Du wirkst angespannt.«
Verzweifelt auf Ablenkung aus schlang Cris die Arme um Chets Taille und zog ihn fest an sich. Brust an Brust, Unterleib an Unterleib. Chet legte die Hände auf Cris' Schultern, sein Lächeln wirkte eher neugierig als besorgt. »Nur ein bisschen in meinem momentanen Projekt versackt.« Das kam der Wahrheit nah genug, auch wenn es sich nicht um ein Arbeitsprojekt handelte.
»Das ist verständlich. Ohne das Thema wechseln zu wollen: Hat Jake dir schon geschrieben?«
»Nein.« Normalerweise schlief er nicht so lange. »Sollten wir ihn anrufen?«
Chet schüttelte den Kopf. »Ich finde, wir sollten ihm mehr Zeit lassen. Wir sind nicht seine Eltern. Es ist nicht unsere Aufgabe, jeden seiner Schritte zu überwachen.«
Cris verabscheute es irgendwie, wie vernünftig Chet klang. »Ich weiß, aber normalerweise hat er sich um diese Zeit schon gemeldet und ich bin vermutlich überfürsorglich und irrational, aber du hast ihn an diesem ersten Tag nicht gesehen.« An dem Tag, an dem Benny Cris' Hilfe für einen zutiefst depressiven Jake eingefordert hatte. »Er war wie ein Zombie. Hat überhaupt nicht reagiert. Ich hatte solche Angst und ich möchte ihn nie wieder so sehen müssen.«
»Ich weiß, Schatz, das tue ich wirklich. Soweit ich mich erinnere, hast du dich am nächsten Tag ziemlich schwer auf mich gestützt. Ich habe gesehen, wie viel Angst du um ihn hattest.« Er hinterließ sanfte Küsse auf Cris' Wangen. »An dem Tag habe ich begriffen, wie viel er dir bedeutet. Es ist nur natürlich, sich jetzt Sorgen zu machen.«
»Aber?«
»Kein Aber. Ich will nicht…« Chets Hintern vibrierte. Er griff nach seinem Telefon, dann betrachtete er lächelnd den Bildschirm. »Wo wir vom Teufel sprechen. Er hat verschlafen und ist auf dem Weg hierher.«
Cris drehte Chets Hand, sodass er die Nachricht selbst lesen konnte. Erleichterung erfasste ihn – aber nicht so umfassend, dass sie seine zunehmende Angst wegen Bookers E-Mail mit sich gerissen hätte. »Tja, gut. Ich sollte ihm den Hintern versohlen, dass er mir solche Angst eingejagt hat.«
»Ihm den Hintern versohlen, hm?« Chet drückte seine Schulter. »Ich wusste gar nicht, dass du auf so was stehst.«
»Kommt auf den Mann an.« Cris hätte Chet beinahe erzählt, wie er Jake hatte kommen lassen, indem er ihm gleich vier Finger in den Arsch geschoben hatte, aber die Erinnerung wühlte ihn auf und sie war privater Natur. Falls Jake das Erlebte wiederholen wollte, während Chet zusah, war das eine andere Sache. »Du hast ja deine eigene dominante Ader, die von Zeit zu Zeit durchschimmert.«
Chet leckte sich die Unterlippe. »Ich war nie in dem Sinne Teil der Szene, aber in meiner wilden Jugend habe ich es recht heftig getrieben. Ich habe dabei ein paar Sachen entdeckt, die mir ziemlich gut gefallen.«
»Wirst du mir je davon erzählen?«
»Vielleicht.« Chet schob das Becken nach vorn. Sein halb steifer Schwanz drückte sich an Cris' Oberschenkel. »Vielleicht warte ich auch einfach ab und zeige dir ein paar dieser Sachen persönlich.«
Ja, bitte und danke.
Cris löste die Hände von Chets Taille, um seinen Hintern zu umfassen. »Ich bin dabei. Ich bin auch dabei, wenn es um Jakes Fantasie geht, wie du mich über die Rückenlehne der Couch fickst. Jeder Couch.«
»Ich glaube, das kriegen wir hin.«
Die Worte schossen Cris quer durchs Rückgrat bis in seine Eier. Er wollte, dass Chet ihn vornüberbeugte und fickte, bis ihm Hören und Sehen verging. Dass er all seine Zweifel und Ängste verscheuchte. Jede Erinnerung an die gelöschte E-Mail verjagte. Dass sie sich in den harten Stößen von Chets Schwanz in seinem Arsch verloren, während ihre Orgasmen in weiter Ferne lockten. Vielleicht all das, während Jake ihnen zusah. Und sich ihnen anschloss.
»Fuck.« Cris verschloss Chets Mund mit seinem eigenen. Er brauchte den Kontakt. Den vertrauten Druck von Lippen und das Streicheln der Zunge. Hände vergruben sich in Cris' Haar, hielten ihn still und sorgten dafür, dass Chet den Kuss kontrollierte. Chet stieß die Zunge in Cris' Mund, forderte Zugang. Er nahm sich, was immer er wollte, und Cris schmolz angesichts seiner Stärke und Dominanz. Er stöhnte und Chet verschluckte auch diesen Laut, machte ihn zu seinem Eigentum. Cris vertraute Chet voll und ganz, mit Herz und Körper.
Aber er kann mir nicht trauen.
Cris wollte den Gedanken verscheuchen, aber er blieb ihm trotz der Freude, die seinen Körper durchflutete, erhalten und hatte verheerende Auswirkungen auf seine Erregung, denn so gern er es auch ignoriert hätte, hatte er Geheimnisse. Er log. Und er konnte nicht zulassen, dass Lügen mit ihnen im Bett lagen, wenn Chet und er endlich die letzte Hürde nahmen und miteinander schliefen.
Er zog sich aus dem Kuss zurück und drückte seine Stirn an Chets. Ihr keuchender Atem vermischte sich miteinander. »Fuck, ich kann nicht. Nicht jetzt gerade.«
Chet stieß ein leises, grollendes Geräusch aus, das Cris' Widerstand beinahe ins Wanken gebracht hätte. »Du machst mich verrückt, Cristian, weißt du das?«
»Es tut mir leid. Es ist nur… dieses Projekt. Ich muss das… ähm… erst mal beenden. Verschieben wir's?«
»Ich verstehe.« Chet richtete sich auf und leckte sich vielsagend die Lippen. »Ich freue mich darauf, zu einem anderen Zeitpunkt weiterzumachen. Heute Abend?«
»Ja, tut mir leid.«
»Entschuldige dich nicht. Ich bin derjenige, der dich bei der Arbeit gestört hat, um mich nach dem Mittagessen zu erkundigen, und zugelassen hat, dass das in Sex ausartet.«
»Fast Sex.«
Chet lachte, bevor er sich zurechtrückte. »Wie wäre es mit Mittagessen ohne Sex?«
»Ich könnte etwas essen.« Vielleicht. Ein bisschen. Falls es seinem Magen gelang, sich zu entknoten.
Cris folgte Chet nach unten, um die verbliebenen Enchiladas zu essen. Dank des weißen Rauschens in seinem Kopf, bestehend aus der Sorge um Jakes unbekannten Aufenthaltsort und Agent Bookers Motiven für seine Kontaktaufnahme, schmeckte er kaum etwas. Chet konnte Cris' anhaltendes Schweigen als Sorge um Jake abschreiben und gerade das ließ Cris' derzeitige Täuschung umso schwerer wiegen.
Ich muss das in Ordnung bringen. Sobald wie möglich, bevor die Lüge zu groß wird, um sie zu vergeben. Ich muss das noch heute in Ordnung bringen.