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Sonntag, 15. Juni 2014

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Landsitz von Asher Hunter, Ohio

Der nächste Tag gestaltete sich ereignisreicher als Nathalie gedacht hatte.

Morgens erhielt sie zunächst Besuch vom Hausarzt der Familie.

Dr. Hopkins war ein älterer grauhaariger Herr, der recht gutmütig aber durchaus kompetent wirkte. Nathalie erfuhr, dass sie mit ihren Verletzungen einige Wochen zu tun haben würde. Das war nicht überraschend, doch äußerst ärgerlich. Er empfahl ihr zumindest eine Woche Bettruhe und dann regelmäßige, doch vorsichtige Bewegung.

„An Ihrer Stelle würde ich versuchen, so lange wie möglich hier zu bleiben“, lächelte er und zwinkerte ihr zu. „Das Essen ist wirklich gut.“

Nathalie lachte freundlich.

„Mag sein, doch ich habe einen Job und den will ich nicht vernachlässigen.“

„Ich werde Sie auf jeden Fall für die nächsten sechs Wochen krankschreiben“, schlug er vor. „Sie scheinen mir eine vernünftige Frau zu sein. Wenn Sie sich wider meiner Prognose bereits in fünf Wochen fit fühlen, können Sie ja selbst entscheiden, ob Sie die letzte Woche noch zur Erholung nutzen wollen.“

Das klang fair und Nathalie stimmte zu.

Die nächste neue Bekanntschaft ließ nicht lange auf sich warten. Benedict stellte seinen Hauslehrer vor.

Oliver Stewart war ebenfalls ein älterer Herr, dem Nathalie den Lehrer sofort abnahm. Er wirkte etwas verstaubt, sehr gelehrt, sehr autoritär aber nicht unfreundlich. Es sprach für Benedict, dass er diesen alten Knaben als nett empfand. Aber Nathalie vermutete, dass dem Jungen schlicht und ergreifend ein Vergleich fehlte.

Benni Hunter hatte Mr. Stewart anscheinend begeistert erzählt, dass Nathalie ihm strategisches Lernen beibringen würde und das wollte der Mann sich natürlich nicht entgehen lassen.

Mit skeptischer Miene betrachtete er die in seinen Augen junge Frau, die mit dicken Verbänden im Bett lag und irgendwie so gar nicht zu seiner Vorstellung einer Professorin passte.

Nathalie war über seine Anwesenheit zwar nicht begeistert, doch sie konnte ihn schlecht vor die Tür setzen. Immerhin war er Bennis Lehrer und sie nur zu Gast. Doch der Zeitpunkt gefiel ihr nicht.

„Ich habe nichts dagegen, wenn Sie dabei sind“, erklärte sie ihm. „Doch heute möchte ich das Ganze ungern beginnen. Ich fühle mich noch nicht fit genug dafür. Doch soweit ich es verstanden habe, bin ich noch einige Tage hier. Wenn es mir in drei Tagen besser geht, können wir das Ganze gerne angehen.“

Benni war zwar enttäuscht, doch seine Augen hingen mitleidig auf ihren Verbänden.

Also warteten sie die nächsten Tage ab. Langweilen tat sie sich nicht. Vormittags kam Tom vorbei und nachmittags erhielt sie immer wieder Besuch von Benedict. Der Junge hatte seine Schüchternheit schnell überwunden und hing bewundernd an Nathalies Lippen, was ihr beinahe schon unangenehm war. So viel Bewunderung schlug ihr selten entgegen. Die meisten Menschen hielten eher Abstand zu ihr. Einige aus Mitleid, da sie ihre Vergangenheit kannten, andere aus Respekt oder Ablehnung.

Nathalie wusste, dass sie klug war. Vermutlich zurzeit die intelligenteste Person der Stanford University. Und kluge Menschen waren nicht immer beliebt.

Sie war nicht stolz darauf. In ihren Augen war ihre Intelligenz ein Geschenk, das gleichzeitig auch eine Verantwortung in sich trug. Und diese begleitete sie schon ihr ganzes Leben. Nur wenige Jahre konnte sie dieser Verpflichtung eine glückliche Familienzeit entgegensetzen. Seitdem war sie einsam. Bennis bewundernden Augen machten ihr das nur bewusster und sie bemühte sich, die aufsteigende Traurigkeit zu verdrängen.

Sophias Temperament half ihr dabei. Das Mädchen sprühte vor Energie und Tatendrang und hätte Nathalie am liebsten das gesamte Gelände des Landsitzes gezeigt. Dass Nathalie das Bett hüten musste, empfand sie anscheinend als persönliche Beleidigung. Im Gegensatz zu ihrem Bruder hatte sie keine Probleme damit, Nathalie um Rat zu fragen, und so gestalteten sich der späte Nachmittag und ebenso der Abend zu einer munteren Hausaufgaben- und Lernbetreuung.

Nathalie beschwerte sich nicht. Alles war besser als langweiliges Herumliegen.

Julia Hunter zeigte sich nicht mehr, doch Daisy, das Hausmädchen, kam immer wieder herein und Nathalie brauchte nicht lange, um die junge Frau zum Lächeln zu bringen. Von ihr erfuhr sie, dass neben Daisy noch weitere Angestellte auf dem Landsitz lebten. Ein Gärtner mit zwei Gehilfen, ein Butler und eine Hauswirtschafterin namens Gertrud, die gleichzeitig auch Köchin war, und zwar eine sehr gute, so wie es Dr. Hopkins gesagt hatte.

Daisy verriet ihr auch, dass seit der Entführungsgeschichte noch zwei weitere Männer von Asher Hunter geschickt worden waren. Diese lebten zwar nicht auf dem Anwesen, doch sie begleiteten Sophia zur Schule und hielten vor dem Gebäude Wache, bis das Mädchen wieder nach Hause musste. Als sie Tom darauf ansprach, verzog der das Gesicht.

„Dieses Mädchen kann das Tratschen nicht lassen“, knurrte er, bestätigte aber das Gehörte.

Neues über die Entführer erfuhr sie leider nicht, und sie fragte sich, ob Asher Hunter seine Tochter tatsächlich für den Rest der Schulzeit so überwachen wollte. Sophia tat ihr jetzt schon leid, doch sie hütete sich, ihre Meinung zu sagen.

Aschenhaut

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