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Ein ritterlicher Schurke

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Alfi, mein Goldfisch, hatte es echt gut. Er musste nie Hausaufgaben machen. Und zur Schule gehen musste er auch nicht. Nicht einmal sein Aquarium musste er aufräumen. Das machte ich immer mit Opa zusammen sauber. An manchen Tagen bewegte Alfi sich keinen Millimeter vom Fleck. Er sah dann so aus, als würde er über etwas Megawichtiges nachdenken. Bestimmt war er viel schlauer, als er immer tat.

»Maxi, vergiss nicht, den Wecker zu stellen«, rief Mama von unten. Ja, auch von dieser abscheulichen Grausamkeit blieb Alfi verschont – im Gegensatz zu uns Menschen. Wecker stellen – igitt! Bevor wir zu Bett gingen, machten wir alle das, was wir jeden Abend tun mussten. Wir taten es natürlich ungern. Nicht selten laut fluchend. Manche, wie zum Beispiel mein Papa, mussten sich nach dem Wochenende regelrecht dazu zwingen. Aber die Welt drehte sich nun mal und mit ihr all die Uhren.

Brummend und motzend stellte ich also das tickende kleine Monster scharf. Hätte ich gewusst, was mich erwartet, hätte ich mich vielleicht von dem Ding verabschiedet. Ein gezielter Wurf aus dem Fenster wäre ein kurzes, schmerzloses Lebewohl und Auf-Nimmerwiedersehen gewesen. Aber wie hätte ich denn ahnen können, dass das Unmögliche möglich werden würde.


Das ganze Durcheinander begann schließlich in tiefer Nacht, als alles ganz gewöhnlich schien. Es war weder Vollmond oder Blutmond noch Freitag, der 13. Kein Donnern und kein Blitzen, nicht einmal der Hauch eines Windleins ging durch die Baumkronen. Absolut gar nichts wies darauf hin, was am anderen Ende von Schnellbach gerade geschah. Etwas, was das Leben der Menschen völlig auf den Kopf stellen sollte.

Dass etwas nicht stimmte, bemerkte ich erst, als ich am nächsten Morgen wach wurde und mich gähnend im Bett auf den Rücken drehte. Durch das gekippte Fenster fiel Sonnenlicht. Statt Mamas drängender Rufe aus dem Badezimmer war nur das fröhliche Zwitschern der Vögel zu hören.

Eigenartig! Angenehm, doch irgendwie seltsam!

Mit einer Hand rieb ich mir das verklebte linke Auge, mit der anderen tastete ich mich aus purer Gewohnheit zum Wecker vor. Als meine Finger jedoch ins Leere griffen, setzte ich mich aufrecht hin.

Ich blinzelte.

Betrachtete meinen Nachttisch. Rieb mir diesmal beide Augen und blickte erneut auf die Stelle, wo eigentlich mein Wecker stand, sich jetzt aber nichts außer einer dicken Staubschicht befand.

Spielte mir Papa wieder einen Streich?

Ich sah mich staunend im Zimmer um. Sogar unter dem Bett schaute ich nach. Doch sonst schien alles dort zu sein, wo es hingehörte. Von allen wertvollen Dingen, die man aus meinem Zimmer hätte stehlen können (den getrockneten Nachtfalter, den Drachenzahnstein oder den Zombieknochen, der unmöglich von einem Huhn stammen konnte), war offenbar ausgerechnet der Gegenstand verschwunden, den ich am allermeisten hasste.


Der Tag hätte wirklich nicht besser starten können.

Summend stapfte ich ins Badezimmer. Aus dem riesigen Wäschehaufen wühlte ich mir eine Hose und mein Lieblingsshirt heraus. (Der Marmeladenfleck von gestern fiel kaum auf.) Anschließend spritzte ich mir ein wenig Wasser ins Gesicht, damit Mama annahm, ich hätte es mir gewaschen. Dann kämmte ich mir brav meine braunen, struppigen Haare hinter die Ohren.

Ein letzter Blick in den Spiegel.

Für einen Zehnjährigen gar nicht mal so übel.

Ich hüpfte gut gelaunt in mein Zimmer zurück und nahm das Aquarium mit. Irgendwie war mir nach der Weckersache nicht so wohl dabei, Alfi alleine zu lassen. Nicht dass er auch noch verschwand.

Mit Alfi im Arm spazierte ich gemütlich die Treppe hinunter, aber als ich die Küche betrat, überkam mich wieder dieses seltsame Gefühl von vorhin. Vielleicht lag es an dem leeren Ausdruck in Papas Gesicht. Oder, besser gesagt, der Art, wie er mit dem besagten Ausdruck die Wand anstarrte.

Wirklich schräg!


Auch dass Mama schweigend vor der Mikrowelle stand und sich keinen Millimeter rührte, fand ich äußerst komisch.

Hallo? Es war Montag! Der Tag nach dem Wochenende, an dem meine Eltern normalerweise in Panik ausbrachen, schreiend umherrannten, mich alle dreißig Sekunden ermahnten, ich solle mich beeilen. Meine Mama stand montags extra eine Stunde früher auf, um mir Frühstück zu machen. Für Außenstehende mag sich das ja nett anhören, doch die Wahrheit sieht anders aus. Denn besonders zum Wochenbeginn bemühte sich Mama, das Essen so gesund und damit so eklig wie nur möglich zuzubereiten. »Du brauchst die Vitamine!«, drohte sie dann immer. Vielleicht, weil ihre Nerven ab Donnerstag nur noch für ein Nutellabrot und ein Glas Leitungswasser reichten.

Also, was zum Geier war heute los? Warum herrschte auf dem Tisch diese gähnende Leere? Nicht einmal ein Krümel, der darauf hindeutete, dass die beiden schon ohne mich gegessen hatten. Das taten sie nämlich gelegentlich, wenn sie mich mit dieser fragwürdigen Methode zu erziehen versuchten. Papa hob dann immer den Zeigefinger und sagte in einem tiefen, albernen Vaterton: »Früher, als ich noch ein Kind war, musste ich auch hungrig in die Schule, wenn ich nicht rechtzeitig bei Tisch war.«

Ich bekam mein Essen natürlich trotzdem. Wir alle wussten schließlich, dass es keine richtige Bestrafung war. Vor allem, wenn Mama ihre neuen Low-Carb-Rezepte ausprobierte. Da verzichtete ich sogar freiwillig auf meine Mahlzeit.

Heute steckte aber etwas ganz anderes hinter diesem blitzblanken Tisch. Ich setzte mich und rutschte unbehaglich auf dem Stuhl hin und her. Zugegeben, die Situation verwirrte mich. Vielleicht auch deshalb, weil ich der einzige Mensch in diesem Raum war, der eine Hose anhatte.

Verkehrte Welt! Und eine echt peinliche Boxershorts, die mein Paps da trug.

Plötzlich öffnete er den Mund und begann geistesabwesend zu nuscheln: »Das … das … ist eine Ka…Katastrophe.«

Ich verstand nicht, was er meinte, und hakte nach: »Eine Kakawas?«

Ohne den Blick von der gestreiften Tapete zu lösen, zeigte er mit seiner zittrigen Hand auf den krummen Nagel in der Wand. »Sie ist weg! Verschwunden! Hat sich in Luft aufgelöst.«


Ich betrachtete den Nagel, von dem eine kleine Spinne an ihrem Faden vergnügt hin und her baumelte.

Hmm. Stimmt! Mein Paps hatte recht. Gestern waren da weder der Nagel noch die Spinne gewesen. Jeder, der mich kannte, wusste, solche achtbeinigen Details entgingen mir nie! Nein, da war zuvor ganz sicher etwas anderes gewesen. Ich erinnerte mich, dass diese Stelle an der Wand mehrmals täglich die Aufmerksamkeit meiner Eltern auf sich gezogen hatte. Und meistens folgte daraufhin ein: »Jetzt beeil dich doch mal, wir kommen zu spät.« Oder: »Wenn du weiter trödelst, wird das Taschengeld gestrichen.«

Angestrengt suchte ich in meinen Erinnerungen nach weiteren Spuren, die mich bei diesem Wandrätsel weiterbrachten.

Puh … es fiel mir echt verdammt schwer, mich zu konzentrieren, weil mich die Spinne so süß anschaute. Ich musste sie unbedingt rausschaffen, bevor Mama mit ihrem Hightechsauger um die Ecke kam. Vor Killerbakterien fürchtete sich meine Mama als Ärztin nicht. Doch alle Krabbeltiere, für die man kein Mikroskop benötigt, sorgten bei ihr für Kreischalarm. Sehr ungewöhnlich, dass sie heute so gelassen blieb.

»Denk nach«, ermahnte ich mich. »Lass dich nicht von der niedlichen Spinne ablenken.«

Jetzt musterte ich aufmerksam den Kreis, der sich deutlich vom Rest der ausgebleichten Tapete absetzte.

Verflixt und zugekleistert!

Es traf mich wie ein Limonadenrülps durch die Nase.

Natürlich! Auf dem krummen Nagel hatte die Mutter aller tickenden Zeitmesser gehangen. Das Obermonster des Hauses.

Ein zufriedenes Lächeln rutschte mir über die Lippen. Es musste über Nacht ein Dieb hier gewesen sein. Und er hatte nicht nur den Wecker aus meinem Zimmer geklaut, sondern auch die Wanduhr aus der Küche.

Was für ein edler und ritterlicher Schurke! Im Kopf notierte ich mir, eine Dankesanzeige für den anonymen Helden an das Schnellbacher Wochenblatt zu schicken. Vielleicht hätte er ja nächste Nacht Interesse an meinem Halbjahreszeugnis, wenn ich es mit Keksen und einem Glas Milch aus Versehen auf der Fensterbank liegen ließe.

Voll relativ! Der Tag, an dem die Zeit verschwand

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