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Es kracht auf dem Schulhof

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Nachdem der Feueralarm losgegangen war und Rüdiger heulend nach seiner Mami gerufen hatte, machte Konstantin dann doch den Weg frei. Einige gingen nach Hause, die meisten gesellten sich zu Frau Hoppe ans Lagerfeuer. Kam schließlich nicht alle Tage vor, dass man auf dem Schulhof sein Pausenbrot grillen durfte. Konstantin hatte sich mit den Worten »Gehe Erstklässler quälen« aus dem Klassenraum verabschiedet.

»Das ist so abgefahren!« Basti grinste wie ein Honigkuchenpferd übers ganze Gesicht. »Sei mir nicht böse, Elli, aber Schule ist langweilig.« Dabei zeigte er auf den Stapel Mathebücher, der heute unberührt im Regal liegen blieb. Aufgeregt klatschte er in die Hände. »Jetzt lassen wir’s so richtig krachen! Sollen wir eine Party in der Sporthalle schmeißen?« Er überlegte. »Oder doch zuerst das Lehrerzimmer plündern?«

Mein Freund sah mich auffordernd an.

Ich räusperte mich. Dass der Unterricht heute ausfiel, freute mich ja mindestens genauso sehr wie ihn. Vor Elli traute ich mich aber nicht, das zuzugeben. Sie liebte die Schule, das wusste ich. Elli wollte wie meine Mutter Ärztin werden. Und irgendwer hatte ihr mal gesagt, dazu müsste sie richtig gute Noten haben. Übertrieben gute Noten. Deshalb nahm sie vermutlich auch die Schule so übertrieben ernst.

Elli stützte die Fäuste in die Hüfte. »Hier wird gar nichts geplündert! Und unerlaubte Partys kommen auch nicht in die Tüte.«

Basti verdrehte die Augen und seufzte. »Komm schon, Max. Lass wenigstens du mich nicht hängen!«

»Na ja, ich weiß nicht«, stammelte ich. »Was ist, wenn Herr Quark doch noch kommt? Oder ein anderer Lehrer?« Außerdem war da ja noch die Sache mit den Uhren …

»Boah, ey. Ihr Spielverderber. Ihr könnt machen, was ihr wollt, aber ICH hole mir jetzt meine Actionfiguren zurück.« Damit wandte er sich von uns ab und marschierte zielsicher in Richtung Lehrerzimmer.

Etwas neidisch sah ich Basti hinterher. Denn da gab es etwas, was auch ich unbedingt wiederhaben wollte.

Es war nämlich so, die Lehrer nahmen uns alles ab, was uns irgendwie Freude bereitete: Tauschfiguren, Kaugummis, Sticker, Steinschleudern, Blinkschuhe, Hamster … »Das lenkt euch nur vom Lernen ab«, schimpfte Frau Besserdich immer. Deshalb wurden unsere Schätze in einer fensterlosen geheimen Kammer gehortet, die sich direkt hinter dem Lehrerzimmer befand. Um diese Kammer gab es unter den Schülern viele Verschwörungstheorien, Gerüchte und Geheimnisse. Noch nie zuvor hatte ein Kind diesen sagenumwobenen Raum betreten. Und genau in dieser Kammer lag irgendwo mein Schweizer Taschenmesser, das mir Herr Nimmerfroh vor den Weihnachtsferien abgenommen hatte, als ich Konstantins fiese Schmiererei von der Jungentoilette wegzukratzen versucht hatte.


Davon abgesehen könnten vielleicht auch alle Uhren in die Kammer des Versteckens gebracht worden sein. Wenn ich Elli die Klassenuhr zurückbringen würde, dann wäre ich ihr Held.

Versöhnend stupste ich Elli an. »Komm schon! Ich werfe nur einen kurzen Blick hinein. Und dann finden wir heraus, was hier los ist. Versprochen!«

»Mist. Verschlossen«, zischte Basti. Er rüttelte verzweifelt am Türgriff. Ich hatte ihn gerade eingeholt, als plötzlich auch Konstantin um die Ecke bog.

»Na, wen haben wir denn da?« Konstantin verschränkte seine Finger ineinander und ließ jeden einzelnen Knöchel eindrucksvoll knacken. Er schaute sich heimtückisch um. »Wo habt ihr Elli gelassen?«

»Och … sie kommt gleich«, flunkerte ich, obwohl ich wusste, dass sie im Klassenzimmer auf uns wartete. Die Sache war die, dass Konstantin vor Elli immer den Netten spielte.

Doch ich kannte sein wahres Gesicht. »Wolltest du nicht mit Erstklässlern spielen?«, fügte ich schnell hinzu, um vom Thema abzulenken.

»Heute nicht! Die kleinen Scheißer sind mir zu gut gelaunt.«


Nun stierte er uns an. Seine Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. Wie die eines Hais, der gerade Blut gerochen hatte. »Was ist mit euch? Was treibt ihr zwei hier?«

»Wir … wir …«, stotterte ich.

»Wir wollten da rein«, erklärte Basti eilig. »Aber die Tür ist zu.«

Konstantin trat langsam auf uns zu. Einen Schritt, noch einen Schritt. »So, so. Ihr wollt also das Lehrerzimmer plündern?«

Basti und ich stolperten rückwärts. Einen Schritt zurück, noch einen Schritt zurück. Bis wir die Tür im Rücken spürten. Das war’s also. Nun würde uns Konstantin zu Apfelmus zerquetschen.

Ich griff nach Bastis feuchter Hand. Wenigstens musste ich nicht alleine sterben.

»Na dann. Zur Seite, ihr Popel«, befahl Konstantin auf einmal. »Und haltet eure Unterhosen fest. Jetzt rappelt’s nämlich.«

Er nahm Anlauf. Wie ein durchgeknalltes Walross schmiss er sich, den Kopf voraus, gegen die Tür. Sie gab sofort nach, als wäre sie bloß aus weicher Pappe.

Bastis Kinnlade klappte runter. »Was seine Eltern ihm wohl zu essen geben?«

»Egal, was es ist, auf jeden Fall bekommt er eimerweise davon.«

Konstantin streckte protzig den Kopf aus dem Lehrerzimmer. »Seid ihr fertig mit eurem Kaffeekränzchen?«

Um das Walross nicht zu verärgern, eilten wir schnell ins Zimmer. Und nachdem Konstantin sich der zweiten Tür gewidmet hatte, standen wir endlich in der fensterlosen, dunklen Kammer.

Konstantin ließ sein Feuerzeug aufleuchten, fand den Schalter und knipste das Licht an.

»Boah! Ich werd’ nicht mehr!« Das Walross pfiff verblüfft durch die Zähne. »Das ist ja der Wahnsinn!«

Aber nicht nur er machte große Augen. Ich blickte mich beeindruckt um. Die geheime Kammer war randvoll gefüllt mit Schätzen. Es fühlte sich an, als stünden wir im Lager des Weihnachtsmanns höchstpersönlich: Handys, Süßigkeiten, Spielsachen ÜBERALL. Mir blieb die Spucke weg. Der Anblick übertraf alles, was ich bisher gesehen hatte.

»Max, mach mal Räuberleiter«, rief Basti, »da oben ist mein Superman.«

Während wir beide unsere Sachen zusammensuchten, schleifte Konstantin einen gigantischen Pappkarton voller Böller und Raketen über die Türschwelle.


»Ha!«, grunzte er zufrieden. »Da haben sie also meinen Kram versteckt.«

»Was macht ihr denn da?« Ellis Stimme ließ Konstantin zusammenzucken. Verlegen strich er sich die verschwitzten Zotteln aus seinem roten Gesicht.

»Elli! Wie … wie schön, dass du da bist«, stammelte Konstantin. Seine tiefe Stimme wurde zu einem hohen Quieken. »Ich wollte dich gerade holen. Draußen gibt es gleich ein Riesenfest. Das solltest du dir nicht entgehen lassen.«

Als wir auf dem Schulhof ankamen, waren schon fast alle Schüler dort versammelt. Sie jubelten, tanzten und sangen Lieder. Keiner von den Lehrern schien sich daran zu stören. Ganz im Gegenteil. Frau Hoppe zündete jetzt gemeinsam mit Konstantin Böller, und Herr Nimmerfroh verteilte neben den Toiletten Kinderpunsch. Sogar Frau Besserdich hatte sich ans Lagerfeuer gesetzt und starrte mit einem seltsam abwesenden Grinsen in die Flammen.

Den Höhepunkt des Spektakels kündigte Konstantin mit einer kurzen Rede an: »Wir sind die Lichter! Lasst uns die Welt erleuchten!«

Ich rollte angewidert mit den Augen. Hatte er das aus einem Poesiealbum? Meine Oma besaß auch so eins, aus dem sie ständig vorlas.

Alle jubelten und klatschten. Staunend sahen wir hoch, als Raketen den strahlend blauen Himmel in eine bunte Explosion verwandelten.

Eine seltsame Wärme breitete sich in meinem Inneren aus und ich legte zufrieden meinen Arm um Bastis Schulter. Was für ein Tag! Und es wurde noch schöner, als ich bemerkte, dass Elli mich anlächelte. Während mein Herz plötzlich Purzelbäume schlug, lächelte ich zurück. Solche Freunde an seiner Seite zu haben, war wirklich das Beste auf der Welt.

Und eines musste ich zugeben: Konstantin war zwar das fieseste Kind, das ich kannte, doch für einen Augenblick, wirklich nur für eine mikroskopisch kurze Millisekunde, war ich froh, ihn jetzt hier zu haben.

Voll relativ! Der Tag, an dem die Zeit verschwand

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