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2. Brakfeste Gramo’on Broman

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»Broman, du bist eine Schande für alle Braks!«, rief der oberste Stollenmeister aus und warf theatralisch die stämmigen Arme über den Kopf. Wutschnaubend stampfte Ermon dann mit auf den Rücken gekreuzten Armen im Kreis durch das Zimmer und warf Broman immer wieder böse Blicke zu.

Seit Jahren, nein Jahrzehnten kam der junge Brak zu spät zur Arbeit, und wenn er kam, führte er die Arbeiten schlampig aus oder gar nicht.

Durch schlecht gebaute Tunnelabstützungen oder zu früh losgelassene Loren hatte er schon mehrmals Leben und Maschinen gefährdet. Genauso wie gestern, als ihm ein zentnerschwerer Brocken Erz aus dem Greifer gerutscht war und dabei fast den Stollenmeister unter sich begraben hatte.

Jetzt war ein und für allemal Schluss. Der oberste Rat hatte gestern in einer Eilsitzung das Urteil gefällt.

Es war nicht das erste Mal, dass der junge Brak eine Standpauke bekam und deswegen schaltete Broman die Ohren auf Durchzug und schaute sich wieder einmal das Arbeitszimmer des Stollenmeisters an.

An den Wänden standen Regale, die vollgestopft waren mit Pergamentrollen, Büchern, Miniaturen von Seilwinden, Kränen, Loren und anderen Maschinen, die man für den Bergbau brauchte.

Der Bergbau, der alle Clans der Braks ernährte, der Bergbau, für den jeder Brak lebte – der Bergbau, den er so sehr hasste.

Zwei Ereignisse hatten ihn zu einem anderen Brak werden lassen.

»Komm, Broman, spann die Eldar vor den Wagen. Wir müssen uns beeilen. Die Menschen haben keine Geduld und warten nicht lange. Hopp, hopp!«

Beim großen Hämmerer, war Broman aufgeregt. Zum ersten Mal in seinem Leben würde er die Brakfeste mit seinem Vater verlassen und zu einem Markt der Außenwelt gehen.

Eilig spannte er die störrischen Zugtiere der Braks an. Mit der Rechten führte er die Eldars, die Linke legte er in die schwielige Hand seines Vaters und schaute lächelnd in sein bärtiges Gesicht.

»Danke, Vater, dafür dass ich mitkommen darf.«

Der alte Brak lächelte gütig zurück und dachte wehmütig an sein eigenes erstes Mal.

In einem ungewöhnlich flotten Tempo, zumindest für Braks, näherten sie sich dem Ausgang.

Schabend öffnete sich das Tor der Brakfeste und Broman riss der Ausblick fast von den Füßen. Mit aller Kraft hielt er sich an seines Vaters Hand und an den Zügeln der Eldar fest, so überwältigend war das, was er sah. Die riesige gelbe Sonne, die er nur aus Erzählungen kannte, schien von einem hellblauen Himmel herab, an dem kleine Wolken entlangzogen. Die Straße vor ihnen schlängelte sich durch eine sanft abfallende, mit saftig grünem Gras bewachsene Hügellandschaft. In weiter Ferne, fast nicht zu erkennen, stand die trutzige Burg der Menschen.

»Das ist Hohen Horst, mein Junge.« Broman saugte den Anblick in sich auf.

»Wenn wir hier stehen bleiben, kommen wir zu spät. Auf geht’s!«, sprach der Vater sanft und schob seinen Sohn über die Schwelle.

»Ja, Vater.«

Er zog an den Zügeln und die Eldar setzten sich zu seinem Erstaunen, ohne die typische Störrigkeit, in Bewegung.

Das Gras fühlte sich wunderbar weich unter den Stiefeln an. Insekten summten um sie herum. Vögel flogen frei am Himmel, nicht eingesperrt in Käfigen. Schafherden weideten auf den Hängen und Menschen bearbeiteten ihre Felder. Die Freiheit und Größe der Landschaft erschien Broman grenzenlos.

Am nächsten Tag, als die Sonne am höchsten stand, erreichten sie den Marktplatz und bauten ihren Stand auf. Broman war so aufgeregt wie selten zuvor.

»Schau dich um«, sagte der Vater, drückte ihm ein paar Münzen in die Hand und gab ihm einen Klaps auf den Rücken.

Mit staunenden Augen schlenderte Broman über den Markt.

›Beim Hämmerer, sind die Menschen groß‹, dachte er.

Den meisten reichte er gerade bis zur Brust. Die jungen Kinder waren so groß wie er. Sei es drum. Es gab so viel zu sehen. Da waren die Bauern, die ihre Feldfrüchte verkauften. Tischler, Weber, Gerber und Schmiede, deren Arbeiten aber sehr minderwertig in seinen Augen waren, stellten ihre Waren aus. Broman war überwältigt.

Auch die Gerüche versetzten ihn in eine andere Welt: Mal süß und mal würzig wehte es aus den Garküchen herüber. Ein Fest für die Nase, besser als der ewig muffige Gestank aus den Stollen.

Aber am interessantesten waren die unterschiedlichen Besucher des Marktes: Da waren nicht nur Menschen. Aber er kannte die anderen Rassen aus der Brakschule.

Die Gromlums erinnerten ihn am ehesten an seine Spezies. Sie waren ein wenig kleiner als er, und längst nicht so stämmig. Mehr wie junge Menschenkinder waren sie gebaut.

Dann gab es noch die Kalabonks. So wie seine Kenntnis war, kamen sie aus einem riesigen Wald. Er konnte sich zwar nicht vorstellen, was ein Wald sein sollte, aber er wusste, was ein Baum war und davon unzählbar viele; so hatte sein Freund Trand es ihm erklärt. Kalabonks waren noch kleiner und dünner als Gromlums und pechschwarz, wie Holzkohle. Wenn er mit einen von denen ringen würde, hätte er Angst ihn zu zerbrechen.

Dann kreuzte eine Gruppe Xin seinen Weg. Mit langen weißen Gewändern bekleidet, sah es fast so aus, als ob sie über dem Boden schwebten. Erhaben schritten sie dahin, überragten jeden Menschen um wenigstens Haupteslänge und genossen die bewundernden Blicke der meisten. Ihre schmalen, länglichen Gesichter waren eingerahmt von weißen Haaren. Die mandelförmigen Facettenaugen, die kleinen Münder und die grazilen Nasen, alles bei den Xin war so andersartig, dass Broman mit offenem Mund dastand und ihnen staunend hinterherschaute.

Eine Menschenfrau kam auf ihn zu und ging in die Knie.

»Oho! Was haben wir den hier? Einen jungen Brak!«

Sie roch nach Blumen. Er liebte den Duft von Blumen. Leider gab es zu Hause diese Wunder der Natur nur, wenn Vater vom Markt, welche für seine Mutter mitbrachte.

»Ha-ha-hallo!«, stammelte er verlegen.

»Kann ich etwas für dich tun, mein Süßer?«, hauchte sie.

Oh ja, das konnte sie, dachte sich Broman freudig. Er legte sich in die Brust.

»Meine Dame«, sagte er höflich, »Sie könnten mir sagen, wie ich an eine Sache komme, so dass ich den Duft der Blumen, wonach Sie so gut riechen, mit nach Hause nehmen kann.«

Die Frau guckte ihn verdutzt an und fing herzhaft an zu lachen.

»Das hat mich noch keiner gefragt. Du bist mir ja einer. Na komm, ich zeig es dir. Umsonst ist das aber auch nicht.«

»Schon gut.« Er kramte ein paar Münzen aus seiner Tasche und legte sie in ihre ausgestreckte Hand.

»Reicht das?«

»Ob das reicht?« Sie schluckte. »Das reicht fürs ganze Jahr. Komm mein Held, ich gebe dir, was du brauchst.«

Sie gingen zu einem Zelt, in dem die Frau kurz verschwand und mit drei kleinen Flakons wieder herauskam. »Das ist alles, was ich habe. Ich hoffe, du magst es?«

Broman öffnete die Flaschen der Reihe nach und war von jedem einzelnen Duft begeistert.

»Danke, die Dame«, sagte er, verbeugte sich höflich und schlenderte weiter über den Markt. Er besorgte sich noch etwas zu essen und hatte einen kurzen Streit mit einem Wirt, dessen Bier er zu wässrig fand. Ansonsten war er aber voll zufrieden, als er sich am nächsten Morgen mit seinem Vater auf den Heimweg machte.

Das war die eine Sache, weswegen er den Berg so hasste. Weil er es liebte, im Draußen zu sein – und zum Zweiten:

Am nächsten Tag war er Vollwaise geworden.

»Der Berg hat sie zu sich geholt«, hatte der Priester bei der Gedenkfeier gesagt. Ein Begräbnis gab es nicht, denn sie waren ja schon begraben. Es sei eine Ehre, wenn der große Hämmerer einen Brak so zu sich holte. Broman hätte ihm am liebsten seinen Hammer in die salbungsvolle Schnauze geschlagen, die Beine gebrochen und dann in das tiefste Loch gestoßen, das es gab. So oft hatte er es sich ausgemalt, wie er dann auch noch laut dafür gebetet hätte, dass die Edroks den Priester holen sollen, um ihn dann dem Wy’yrm zum Fraß vorzuwerfen.

Aber er hatte sich beherrscht und nichts getan. Nur geweint und getrauert. Seitdem hasste er den Berg Gramo’on und alle, die darin lebten.

Der Hass ging über in Resignation.

Die Resignation wurde zu Gleichgültigkeit.

Ihm war es egal, wenn er Fehler machte. So schwere Fehler, dass dabei Maschine und Brak gefährdet wurden.

›Es ist doch eine Ehre, wenn der große Hämmerer einen holt ...‹, dachte er oft voller Sarkasmus.

So glühend wie ein normaler Brak – aber was hieß schon normal? – die Arbeit in den Minen liebte; verabscheute er sie im gleichen Maß.

Das Kriechen in den Stollen, die dauernde Dunkelheit, der Staub, die schlechte Luft und die Plackerei, die so hart war, dass man jeden Abend halb tot ins Bett fiel und sofort einschlief, stieß ihn in eine Lethargie, die ihn daran hinderte, der Brakfeste Gramo’on kan Brak den Rücken zu kehren.

Das Einzige, was ihn am Leben hielt, war die Erinnerung an seine Eltern. Daran, dass seine Mutter den Duft von Blumen liebte, und sein Vater ihm die weite Welt draußen vor dem Tor gezeigt hatte.

»Broman! Hörst du mir überhaupt zu!«, brüllte ihn Ermon an.

»... hm? Jaja, ehrwürdiger Oberbaumeister«, gab er murmelnd zurück.

»Nein, du hast mir nicht zugehört. Dir ist es egal, wie immer. Wie oft haben wir dich schon ermahnt? Du benimmst dich unmöglich, ohne Verantwortungsgefühl. Du benimmst dich, als seist du nicht ein Teil dieser Gemeinschaft. Darum höre jetzt das Urteil, welches der oberste Rat erlassen hat ...«

Dabei stellte er sich hinter den Tisch und schaute Broman ernst in die Augen.

»Broman, Trabors Sohn, hiermit verbannen wir dich aus der Brakfeste Gramo’on. Hundert Jahre sollst du draußen leben, ausgeschlossen von der Gemeinschaft der Braks. Keine andere Feste wird dich aufnehmen und dir Schutz bieten. Möge dich diese Strafe läutern und dir Erleuchtung bringen. Du kannst gehen!«

»Was?«

»Hole deine Sachen und verlasse noch heute Gramo’on kan Brak!«, sagte Ermon fest.

»Jaja!«, stammelte der Verurteilte und ging rückwärts zur Tür, zog sie auf und verschwand mit einem kurzen Kopfnicken.

Ermon setzte sich schwer hin und stützte seinen Kopf in die Hände. Wie viele Jahre schon brachte dieser Broman ihn um den Verstand? Es war jetzt wirklich Zeit gewesen, Konsequenzen zu ziehen. Die Strafe war hart, aber gerecht, dachte er, seufzte und wandte sich den Plänen für die nächsten Stollen zu.

Broman stand draußen vor der Tür und konnte es nicht fassen. Verbannung? Pah! Endlich durfte er weg aus diesen stinkenden, verrußten Höhlen und den beengenden Stollen. Raus in die weite Welt, mit frischer Luft und strahlender Sonne, saftigen Wiesen und Wäldern, Flüssen und Seen aus den Geschichten. Vielleicht würde er sogar das Meer irgendwann sehen.

Alle Schwermut fiel mit einem Schlag von ihm ab. All das, wonach er sich in den Jahrzehnten dumpfen Dahinlebens gesehnt und nie geschafft hatte es anzugehen, wurde jetzt vor ihm, wie ein neues Kapitel in einem Buch aufgeschlagen.

Er rannte laut jubelnd zu seiner Wohnkammer. Vorbei an staunenden Braks, die kopfschüttelnd, hastig zur Seite wichen. Schnell stopfte er seine Habseligkeiten in einen Rucksack. Steckte sich händevoll bunte Steine, die die Menschen so liebten, in die Hosen und Manteltaschen und riss den mächtigen Bergbauhammer aus der Halterung von der Wand. Hektisch blies er das kleine Öllicht aus und schloss die Tür von außen mit einem lauten Rumms, welcher sich in seinen Ohren sehr endgültig anhörte.

Er rannte los und überlegte, ob er sich noch irgendwo verabschieden sollte, ihm fiel aber niemand ein. Seitdem seine Eltern ums Leben gekommen waren, hatte er niemanden gehabt, den er als Freund bezeichnen konnte.

»Endlich frei, raus hier!«

Scharf zog er die Luft ein. Er hatte noch was vergessen. Schnell hastete er zurück, riss die Tür auf, entzündete hektisch die Öllampe und kramte in seinem Schrank. Da! Der Beutel mit Medizin und Verbänden – in den Rucksack. Und da! Das Wichtigste: Die drei Flaschen mit dem Riechwasser, die er seiner Mutter geschenkt hatte. Die sie aber nie ausprobieren konnte. Behutsam steckte er sich die kleinen Fläschchen in seine Brusttasche.

Jetzt aber! Er schlug die Tür achtlos hinter sich zu und sauste wieder los, Richtung Haupttor.

»Hrrr! Schon wieder ... Scheiße!« Noch mal zurück, Tür auf, Öllampe auspusten und wieder los.

Froh gelaunt kam er am Tor an. Die beiden Wächter wussten anscheinend Bescheid, denn sie öffneten ihm sofort.

»Hey!«, rief Broman. »Warum so trübsinnig?«

Die beiden schauten ihn verwundert an, während er hinaustrat. Dreiundvierzig Jahre, nachdem er zum ersten Mal Gramo’on kan Brak verlassen hatte, trat er wieder hinaus in eine grüne, von der Sonne beschienene Welt und stand auf der Straße. Diesmal aber nicht, um nur kurz den Markt zu besuchen. Nein, diesmal stand er am Anfang eines neuen Lebens. Denn zurückkommen, das hatte er sich fest vorgenommen, würde er nicht mehr.

Der Wind zerrte an seinem Bart und pflügte durch die strohigen, schulterlangen, braunen Haare. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals und in seinem Bauch rumorte es vor Aufregung. Er machte einen ausladenden Schritt und ließ dabei einen knatternden Furz fahren.

»Haha!«, lachte er laut auf. »Der Wind steht gut ... oder wie sagen die Menschen von der Küste immer?«

Hinter ihm schloss sich schabend das Tor der Brakfeste.

Mit einem fröhlichen Pfeifen auf den Lippen ging er los, seinem größten Abenteuer entgegen.

Thuazar

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