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3. Argan Tai Andras

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Bis auf drei Bengel, die einen verkrüppelten Bettler mit kleinen Steinen bewarfen, war der Marktplatz von Argan Tai leer. Nach einiger Zeit verloren sie den Spaß daran und widmeten sich den Ratten, die das getrocknete Blut unter der Hirnrichtungsplattform vom Boden knabberten. Aber auch das wurde noch einiger Zeit langweilig und sie setzten sich an die Absperrung, um nachher eine gute Sicht zu haben. Denn heute wurde was geboten.

Die Familie des Bauern Lüten sollte wegen Wilderei hingerichtet werden. Vater, Mutter, die beiden Söhne und die fünfjährige Dita.

Es war bekannt, dass mit dem neuen Herrscher von Argan Tai, Rand I, nicht gut Kirschen essen war. Die Gesetze waren streng und die Strafen grausam.

Also: Nichts Unrechtes zu tun, oder man ließ sich dabei nicht erwischen.

Beides hatte die Familie Lüten nicht beherzigt und musste jetzt dafür bezahlen.

›Besser, wenn die Obrigkeit sich an anderen ausließ, als an einem selbst.‹ So dachten die meisten Bewohner von Argan Tai.

Die zwei Missernten in den letzten Jahren, die hohe Abgabenlast an das neue Königshaus und die folgende Hungersnot hatte fast jeden kriminell werden lassen. Suff und Hurerei bestimmten das Straßenbild. Mord und Totschlag waren an der Tagesordnung.

Aber ein paar Leute gab es noch, die sich gegen die Grausamkeit Rand’s stellten oder zumindest versuchten, sie zu mildern.

Andras hatte eine gute Sicht auf den Hirnrichtungsplatz. Das Zimmer im dritten Stock des Gasthauses ›Zum goldenen Schwein‹ war perfekt für sein Vorhaben, so wie sooft zuvor.

Auf dem Bett hüpften die Flöhe, das Stroh in den Kissen faulte und die Wanzen ließen sich von der Decke herunterfallen, um ihre Opfer zu piesacken. Andras war das egal. Er wollte hier nicht nächtigen. Er hatte eine Aufgabe zu erfüllen.

»Jamon! Sind die Pfeile fertig?«

Andras drehte sich zu dem Mann um, der auf dem Boden kauerte und dort mit Töpfen und Tiegeln und kleinen Blasrohrpfeilen hantierte.

»Ja, gleich. ... bin kein Hexenmeister, sondern Giftmischer und wir wollen ja beide, dass das Gift seine Wirkung entfaltet«, kam die mürrische Antwort.

»Beile dich. Die fangen gleich an.«

»Ja! Bei allen Göttern. Das Gift muss an den Pfeilspitzen richtig getrocknet sein, sonst wirkt es nicht. Ich sage dir Bescheid!«

Andras drehte sich dem Fenster zu. Er strich die schulterlangen, glatten, schwarzen Haare nach hinten und spähte durch den fadenscheinigen Vorhang hinunter auf den Marktplatz.

Die Tribüne für den Statthalter Rands I. und die hohen Herren der Stadt wurde soeben hergerichtet. Die Schenken und Garküchen öffneten ihre Türen und Fenster und schon kam der erste Pöbel, um sich Bier zu bestellen.

Die Henkersknechte brachten die Utensilien für die Hinrichtung. Nach einer Stunde stand auf der zehn Schritt im Quadrat und ein Schritt hohen Plattform alles bereit:

Der vier Schritt lange, vorne spitz zu laufende Pfahl; die zwei Schritt lange Säge, das Kreuz mit den Lederriemen zum Fixieren, und der mächtige Topf Öl, der mit Kohlebecken erhitzt wurde.

Die drei Bengel vom Morgen standen direkt an der Absperrung und hatten beste Sicht. Der frühe Vogel fängt den Wurm.

Der Bettler, den sie geärgert hatten, schlug noch schnell ein Bein unter, um mehr Mitleid zu erregen, und freute sich auf ein lukratives Geschäft.

Die Wirte hatten immer mehr zu tun. Zum Saufen hatte paradoxer weise auch der ärmste Hungerleider immer Geld. Und so füllte sich der Platz mit Schaulustigen jeden Alters.

Andras schaute erschüttert hinab. Was war bloß aus dieser Stadt geworden. Seit vor zwei Jahren der Herrscher von hohen Horst, Rand I., Argan Tai im Handstreich einnahm, hatten sich die Bewohner, gebeutelt von Hunger und Armut, in blutgierige Monster verwandelt.

Von der einst blühenden Metropole war nicht mehr viel übrig. Das weise, herrschende Königshaus war von Rands Henkersbeil ausgelöscht worden. Andras war der einzige Überlebende dieses Massakers gewesen.

Nur noch das Recht des Stärkeren regierte die Straßen. Das gemeine Volk gab sich dem Suff hin, die neuen Adeligen, angeführt von dem Statthalter Sragon Kempra, frönten der Völlerei und die Armen verreckten kläglich im Dreck der Straße.

Nur er, Andras, und ein paar andere versuchten, zumindest ein wenig das Schicksal mancher Unglücklichen zu lindern. Auch, wenn es nur so ging, dass er die Delinquenten selbst in Reuds Reich schickte.

So wie heute, wieder einmal.

»Hier Andras. Die Pfeile und das Blasrohr«, sagte Jamon und reichte ihm die Sachen.

»Nur fünf Pfeile?«, fragte Andras entsetzt.

»Mehr Gift hatte ich nicht«, bedauerte Jamon. Er legte Andras die Hand auf die Schulter. »Möge Reud deine Zielgenauigkeit mehren. Ich gehe nach unten und passe auf, dass du ungestört bleibst.« Er klopfte ihm auf die Schulter und ging.

Andras schaute auf die Utensilien.

»Wieder liegt es an mir, Schlimmeres zu verhindern«, flüsterte er und ging zum Fenster.

Die fünf Henkersknechte mit ihren roten Kapuzen betraten die Plattform. Alle waren grobschlächtige, kräftig gebaute Männer. Ihre Brutalität war über die Grenzen Argan Tais hinaus bekannt. Die Menschen fürchteten und verachteten sie. Aber die Vorfreude auf die Abwechselung in ihren stumpfen Leben ließ sie alles vergessen, auch dass sie in der folgenden Woche schon die Nächsten sein konnten.

Die lange Holzfällersäge, die von zwei Menschen geführt werden musste, wurde inspiziert. Einer der Henker entfernte noch die letzten Fleischfetzen von der jüngsten Hinrichtung und schmiss sie mit hämischen Lachen in die Menge, die angeekelt zurückwich. Zwei Ratten huschten herbei und schnappten sich die Leckerbissen.

Der lange Pfahl wurde mit Fett eingeschmiert. Die Spitze wurde nochmal glatt geschliffen. Sie sollte spitz sein aber nicht zu spitz. Die inneren Organe sollten beim Pfählen zur Seite geschoben, nicht aufgespießt werden. Eine Kunst, die diese Männer perfekt beherrschten.

Das Öl im großen Kochtopf war heiß. Die Mechanik um einen Menschen langsam in den Topf abzulassen, wurde installiert. Die Lederriemen am Kreuz, zum Fixieren der bedauernswerten Opfer, waren neu, stark und reißfest, mussten sie auch sein. Manche Männer bekamen übermenschliche Kräfte, wenn man sie häuten oder verstümmeln wollte. Vor kurzen noch hatte ein Schmied, nachdem man ihm den rechten Fuß abgehackt hatte, die Armriemen zerrissen, mit beiden Händen den Kopf des Henkersknecht erwischt und ihm mit einem Ruck das Genick gebrochen. Als Strafe dafür hatte es eine Woche gedauert, bis der Schmied endlich seinen letzten Atemzug getan hatte.

Einer der Knechte nahm einen fetten Schinken und schmiss ihn in den Topf, mit dem heißen Öl. Das Zischen und Blubbern war so laut, dass die Menge ein wenig zurückwich. Der Knecht spießte das Fleischstück mit einem Speer auf, zog es heraus und warf den Schinken in die Zuschauer. Diesmal stoben die Menschen nicht auseinander, sondern sprangen mit Gejohle auf das halb rohe Stück Fleisch. Manche prügelten und schlugen sich, um etwas abzubekommen.

Nachdem sich der Tumult gelegt hatte, kam eine unheimliche Stille über den Platz. Alle warteten, dass der oberste Richter und der Henker mit der Familie Lüten erschienen.

Dann endlich konnte man die große Trommel hören, die das Eintreffen der Gruppe ankündigte. Der oberste Richter in seiner schwarzen Robe und dem hohen zylinderförmigen Hut hielt die Pergamentrolle mit dem Urteilsspruch und schritt voran. Dahinter schritt der Henker, komplett in schwarzes Leder gekleidet, behelmt und bewaffnet mit einem riesigen Beil. Er hielt das Seil, mit der er die Familie Lüten hinter sich herzog.

Zuerst kam der Vater, der mit tippelnden Schritten hinterherlief. Fast nackt war er, über und über mit Brandwunden bedeckt. Die blutverschmierten Finger und Zehen zeigten jeden, der es sehen konnte, wo vor der Folter die Nägel gesessen hatten. Seiner Frau, mit der kleinen Dita an der Hand, hatten die Folterknechte nicht so hart zugesetzt. Ihr glasig stierender Blick zeigte aber, dass auch ihr übel mitgespielt worden war, wahrscheinlich so, wie es die Folterknechte immer mit gefangenen Frauen taten.

Dita weinte tonlos in den Rock der Mutter. Ihre kleine Kinderseele war in den letzten Tagen durch die Grausamkeiten, die sie erleben musste, gebrochen worden. Wenn sie wüsste, was noch alles kommen würde ...

Die beiden Söhne liefen mit stolz erhobenen Häuptern hinterher. Stolz erhoben, aber blutverschmiert, grün und blau geschlagen und die Lumpen, die sie anhatten, waren rotbraun verkrustet.

Der Tross endete mit vierzig Soldaten, die sich nun rund um die Plattform verteilten. Langsam mit gemessenen Schritten betrat der Richter über eine kleine Treppe die Richtstätte und stellte sich in die Mitte.

Langsam entrollte er das Pergament und schaute drohend in die Zuschauer. Die dumpfe Trommel endete mit einem Wirbel und die Menge verstummte.

»Im Namen des Königs Rand I, von Hohen Horst, Protektor von Argan Tai, verkünde ich, dass die Familie Lüten wegen Wilderei zum Tode verurteilt worden ist und heute vom Leben zum Tod gebracht wird.

Die Schwere des Verbrechens bestimmt die Schwere der Strafe. Arnen Lüten wird gepfählt, so wie er das Wildschwein gepfählt und über dem Feuer geröstet hat. Ernane Lüten wird die Haut abgezogen, so wie sie das Fell des Wildschweines abgezogen hat. Arend Lüten wird mit der Säge geteilt, so wie er das Wildschwein mit der Säge geteilt hat. Berend Lüten wird ausgeweidet, so wie er das Wildschwein ausgeweidet hat.

Dita Lüten wird in siedendem Öl gekocht, so wie sie mitgeholfen hat Teile des Wildschweines zu kochen.«

Beim letzten Urteilsspruch ging ein Raunen durch die Menge. Frauen drückten ihre Kinder an sich und Männer drohten mit den Fäusten.

»Wer das Urteil anfechten möchte, soll jetzt vortreten oder für immer schweigen.«

Langsam drehte sich der Richter um die eigene Achse und schaute in die Menge. Sofort verstummten die Protestrufe.

»Nun denn!«, rief der Richter. »Möge die Familie Lüten durch Schmerz und Tod Läuterung erfahren und reinen Herzens in Reuds Arme fallen. Henker, walte deines Amtes!«

Andras machte sich bereit. Nun war es wieder einmal an ihn, das Leiden der Verurteilten zu mildern. Wie oft schon hatte er so den Schuldiggesprochenen geholfen? Aber was konnte er sonst tun, außer diesen Akt der Gnade zu vollziehen?

Das Kreuz wurde auf zwei Böcke abgelegt und der Vater bäuchlings darauf fixiert. Die Arme am Querbalken. Um die Fußknöchel knoteten zwei der Knechte Seile und zogen die Beine links und rechts herunter. Der Henker trat mit einem breiten Messer in der Hand herbei.

Die Frau und die Söhne schrien, wollten sich losreißen und auf den Henker losstürmen. Die Knechte schlugen mit Knüppeln auf Bauch und Rücken ein, bis die Jungen und die Mutter Ruhe gaben.

Totenstille herrschte. Nur das leise Weinen Ditas, die jetzt zitternd und allein dastand, war zu hören.

Als der Henker merkte, dass die ungeteilte Aufmerksamkeit ihm gehörte, begann er sein blutiges Handwerk. Er widmete sich dem Vater und erweiterte mit dem Messer die natürliche Öffnung in die der Pfahl eindringen sollte. Der geschundenen Körper wollte sich aufbäumen wurde aber von den Fesseln und Seilen zurückgehalten. Dabei gab er ein Geräusch von sich wie ein morsches Stück Holz das man langsam brach. Die Zähne klapperten und die Gesichtsmuskeln zuckten unkontrolliert. Dann erstarrte das Gesicht zu einer Maske des Schmerzes, den dieser arme Mann erlitt. Das war Andras Zeitpunkt.

Er zielte und traf. Der kleine Pfeil drang in die Seite des Körpers ein. Innerhalb von Sekunden erschlaffte der Mann und er bekam nicht mehr mit, wie der Henker und seine Knechte den Pfahl langsam in seinen Leib einführten, bis er kurz über dem Schulterblatt die Haut nach außen drückte. Einer der Knechte machte einen Kreuzschnitt über der Wölbung und der Pfahl trat aus dem Körper heraus. Die Füße wurden mit den Seilen an den Pfahl gefesselt; die Hände ebenso. Dann wurde er aufrecht gestellt und in einer Vertiefung der Plattform fixiert. Andras Pfeil blieb unbemerkt. Der Henker nickte seinen Knechten zu, die sich der Frau zuwandten. Dita die sich neben ihre Mutter gekniet hatte, wurde grob weggezerrt und bekam eine Ohrschelle, als sie schreiend zu ihr zurück wollte. Wimmernd kroch sie zu ihren Brüdern und die Menge wurde merklich unruhiger. Mit einem Ruck rissen die Knechte Ernane die Lumpen vom Leib und stießen sie zu dem Kreuz, dass die anderen zwei Schritt neben dem Gepfählten aufrecht hingestellt hatten. Um die Handgelenke knoteten sie Seile, welche über den Querbalken geworfen wurden. Somit hing die Frau mit dem Bauch gegen das Kreuz. Die Beine wurden unten an den Balken festgebunden und der Henker trat hinzu. Er zog ein kleines scharfes Messer und schnitt von einer Schulter zur anderen. Ernane schrie auf und warf heftig den Kopf in den Nacken. Mit zwei weiteren geschickten Schnitten von den Schultern bis hinunter zum Becken hatte er die Schmerzgrenze der Frau überschritten und sie fiel in Ohnmacht. Dachte der Henker. Durch die beengte Sicht sah er nicht den kleinen Pfeil der in Ernanes dichtem Haarschopf steckte. Nach zehn Minuten war er fertig und Ernane ein roher Klumpen Fleisch. Nur noch schwer erkennbar, dass der Haufen, der nach dem Abnehmen vom Kreuz, und auf den Brettern der Plattform lag, einmal ein Mensch gewesen war.

Die Menge war wieder ruhiger geworden. Die Hinrichtung war, wie sooft blutig, aber die Delinquenten fielen, schnell in Ohnmacht, und mussten nicht lange leiden.

Nun legten zwei der Gehilfen das Kreuz auf die Böcke, während die drei anderen den sich heftig wehrenden Berend herbei zerrten.

Der junge Mann wurde mit dem Rücken auf das Kreuz gelegt und mit den Lederriemen fixiert. Der Henker kam mit einem sichelförmigen Messer und ohne zu zögern, öffnete er mit den Unterleib. Den Mund zu einem lautlosen Schrei geöffnet bäumte Berend sich auf, wodurch die Eingeweide durch die geschaffene Öffnung hervorquollen. Sofort griff der Henker zu und fing an zu zerren. Der Junge sackte zusammen. Andras hatte ihn im Ohr so gut getroffen, dass der Pfeil fast im Schädel verschwunden war. Nach zwei Minuten war der Henker fertig und die Leiche des Jungen wurde achtlos neben die Überreste der Mutter geworfen.

Andras war bisher zufrieden mit seiner Arbeit, wenn man damit überhaupt zufrieden sein konnte, Menschen zu Reud zu schicken. Aber was sollte er machen. War es Unrecht unschuldigen Menschen Leid zu ersparen? ›Nein!‹, dachte er grimmig und nahm den nächsten Pfeil, steckte ihn in das Blasrohr und widmete sich wieder dem Ort, des grausamen Geschehens.

Die Knechte stellten zwei Holzbalken in Vertiefungen der Plattform in einem Abstand von zwei Schritt auf. Mit einem kräftigen Schlag in die Magengrube machte ein anderer Arend gefügig, und noch einer hielt die schreiende Dita fest.

»Bring das Balg zum Schweigen«, knurrte der Henker ihm zu. »Bring es aber nicht dabei um!«

Der Gehilfe drückte kurz auf die Halsschlagader des Mädchens, das daraufhin ohnmächtig zu Boden glitt.

Arend wurde mit den Füßen oben an den Holzbalken mit Fußeisen befestigt. Die Hände fesselte man unten an die Balken. Die Hose und das Hemd riss man ihm vom Leib. Der Junge schaute stumm und mit ausdrucksloser Mine in die Gesichter der Nächststehenden, die entweder betroffen wegguckten oder sich umdrehten und gingen, nur um sofort von den nächsten Gaffern, ersetzt zu werden. Einer der Knechte stellte sich hinter ihm und einer vor ihm auf. Der Henker reichte seinen beiden Gehilfen die Säge, die sie zuerst noch in Höhe der Knie hielten. Auf ein Zeichen ihres Meisters hin begannen sie Arend, vom Schritt an zu zersägen. Der erste Aufschrei des Jungen war markerschütternd. Das Blut spritzte in alle Richtungen. Arend brüllte und kreischte sein Leid heraus. Die Knechte kamen beim Bauchnabel an und beide waren über und über mit Blut und Exkrementen besudelt, als der Junge endlich verstummte.

Das Raunen der Menge wurde lauter.

Andras trat vom Fenster weg und seufzte. Deswegen sah er auch nicht, dass einer der Knechte den Pfeil bemerkt hatte und den Henker darauf aufmerksam machte.

Da pfuschte ihm einer ins Handwerk, und das konnte er gar nicht haben. Der Pfeil steckte in der Seite des Jungen. Er verfolgte die angenommene Schussbahn und sah mehrere Häuser, die aber alle nicht in Frage kamen, bis auf eins. »Zum goldenen Einhorn«

Er sah genauer hin ... bewegte sich da etwas hinter dem Fenster?

Andras schlug das Herz bis zum Hals. Hatte der Henker ihn angestarrt? Vorsichtig lugte er nochmals durch die Gardine. Auf dem Marktplatz hatte sich eine kleine Rauferei zwischen ein paar Betrunkenen und Wächtern entwickelt. Ansonsten fiel im Nichts auf.

Auf der Plattform wurde jetzt die kleine Dita mit den Armen an die Flaschenzugkonstruktion befestigt. Beim Hochziehen berührten ihre nackten Beine den heißen Kessel und sie kreischte erbärmlich auf, schrie nach ihrer Mama und zappelte an den Seilen wie ein Fisch am Haken.

Jetzt wurde die Menge unruhig. Immer mehr Rufe nach Erbarmen und Gnade kamen auf. Kleine Steine wurden geworfen und mutige Männer gingen gegen einige Wachen vor. Der Henker wusste, dass so eine Lage schnell eskalieren konnte. Nun gut, entschied er, sollte das Kind sterben, ohne zu leiden. Das Gekreische zerrte sowieso an den Nerven. Er gab dem einen Knecht das Zeichen, das Mädchen in den Topf fallen zu lassen, der sofort den Hebel umlegte. In dem Moment schoss Andras den Pfeil ab und ... verfehlte sein Ziel. Er hatte die Situation falsch eingeschätzt.

Normalerweise wurden die Delinquenten langsam in den Topf herabgelassen. Aber der beginnende Tumult auf dem Marktplatz hatte den Henker veranlasst, die Sache schnell zu beenden. Der Pfeil sauste über den Kopf des Mädchens hinweg. »Scheiße!«, fluchte Andras. Trotzdem wusste er, dass die Ohnmacht sofort einsetzten würde, und beruhigte sich damit. Zu seinem Erschrecken sah er aber eine furchtbare Wendung des Geschehens. Die Flaschenzugmechanik blockierte und Dita tauchte nur bis zu den Hüften in das heiße Öl ein. Das Mädchen schrie jaulend auf. Es strampelte und zappelte, rief immer und immer wieder schrill nach ihrer Mama, ihrem Papa und den Brüdern. Andras war erstarrt vor Schreck. Er hatte keine Pfeile mehr.

Die Menge fing an, vehement gegen die Wachen vorzugehen. Nicht mehr lange und der Mob würde auf den Henker und seine Knechte losgehen.

Andras sah das alles im Schock. Er hatte versagt. Gerade bei dem kleinen Mädchen hatte er versagt. Er schaute voller Scham weg und sah nicht, dass der Henker mit seinem Beil die Arme des Mädchens durchschlug. Klatschend fiel sie in das siedende Öl und starb.

Von unten rief Jamon herauf: »Beile dich. Ich glaube, wir sind entdeckt worden! Schnell!«

Andras schaute aus dem Fenster und sah mehrere Soldaten, die in seine Richtung liefen und ihn entdeckt hatten. Skrupellos brachen sie durch die Gaffer und rannten auf die Gaststätte zu.

»Hau ab Andras. Ich halte sie auf. Hau ab!!«

Sein Kamerad polterte die Treppe mit einem Kampfschrei herunter. Schwerter klirrten aufeinander. Jamon tat sein Bestes.

Andras schaute durchs Fenster zur Rinne hoch und zog sich daran auf das Dach. Die Häuser waren so nah aneinander gebaut, dass er von Dach zu Dach springen konnte. Er entfernte sich vom Marktplatz, bis er an der Stadtmauer ankam. Dort hangelte er sich in einen Hinterhof hinab, trat in eine schmale Gasse und steuerte von dort aus in Richtung Hauptstraße.

Nach einigen Schritten erreichte er diese und ging auf das Haupttor zu. Die beiden mürrisch drein blickenden Wächter musterten ihn nur kurz und vertieften sich wieder in ihr Würfelspiel.

Andras verließ Argan Tai mit einem unguten Gefühl. Die Schreie der kleinen Dita hallten noch in seinem Kopf nach. Und was war mit Jamon?

Hatte er es geschafft?

Er ging in Richtung Wald, der eine Wegstunde entfernt war. Dort hatten er und seine Gefährten ihr Lager in einer Höhle aufgeschlagen. Erstmal ausruhen und warten. Schlimmer konnte der Tag nicht mehr werden.

Thuazar

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