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1.3. Persönlichkeit & Ausstrahlung
ОглавлениеWenn eine Person eine Rolle spielt, tut Sie dies nur so lange, bis der Vorhang fällt.
Persönlichkeit und Ausstrahlung als Meta-Aspekte
Persönlichkeit und Ausstrahlung sind im Rahmen der in diesem Buch betrachteten Soft Skills so genannte Meta-Aspekte. Das bedeutet, dass sie sich auf eine höhere logische Ebene beziehen als zum Beispiel die konkreten, im Buch beschriebenen Arbeitstechniken. Als Meta-Aspekte fließen sie in fast alle bereits betrachteten und folgenden Bereiche mit ein. Wenn Sie beispielsweise etwas an Ihrer Ausstrahlung ändern, wirkt sich das auch auf die Wahrnehmung durch andere beim Einsatz einer bestimmten Moderationstechnik aus.
Flexible und fixe Persönlichkeitseigenschaften
In der psychologischen Theorie besteht Persönlichkeit aus flexiblen (zeitraumbezogenen) und fixen (zeitpunktbezogenen) Eigenschaften. Neben physiologischen Eigenschaften, welche ebenfalls die Persönlichkeit und Ausstrahlung determinieren, zählen dazu kognitive Fähigkeiten sowie Denkweisen in emotionalen und sozialen Aspekten.
Probieren Sie Persönlichkeit und Ausstrahlung in einen direkten Zusammenhang zu setzen, so stoßen Sie auf Schwierigkeiten. Die Vermutung, dass Ausstrahlung die in Erscheinung tretende Persönlichkeit darstellt, ist dabei zwar intuitiv nahe liegend, aber widerspricht wie folgend dargestellt der wissenschaftlichen Betrachtung. An zwei Beispielen können Sie die vorwiegend unbewussten Faktoren Persönlichkeit und Ausstrahlung besonders einleuchtend beobachten. Erstens wird bekanntlich innerhalb weniger Sekunden entschieden, ob auf einen Flirt eingegangen wird oder nicht. Zweitens, wie im Kapitel „Bewerbung“ beschrieben wird, entscheiden sich die meisten Bewerbungsgespräche innerhalb der ersten drei Minuten (Kapitel 2.2.).
Grundlage jeder Interaktion
In der kurzen Zeit der jeweiligen Entscheidungsfindung beider Beispiele, sei es beim Flirt oder im Bewerbungsgespräch, ist eine Evaluierung von Fachkompetenz oder besonderen Qualitäten nicht möglich. Erkennbar wird, beruflich sowie privat bilden Persönlichkeit und Ausstrahlung stets die Grundlage jeder Interaktion. Ein affektiertes oder negatives Auftreten, sei es im beruflichen Alltag oder zu Hause, führt stets zu einem schlechten Eindruck beim Gegenüber. Persönlichkeit und Ausstrahlung bestehen aus zahlreichen Faktoren, welche aufgeschlüsselt und einzeln schwer darstellbar sind; die Beeinflussung eines isolierten Faktors auf diese Ausstrahlungs- und Persönlichkeitseigenschaften ist so gut wie gar nicht abgrenzbar. Dies ist allerdings auch nicht nötig, da die Einflussfaktoren dieser Aspekte nur in der Summe, also dem ganzen Bild der Person, Wirkung zeigen und eine Persönlichkeit bilden. Erst die ausgeglichene Symbiose aller einzelnen Elemente beschreibt eine persönliche oder berufliche Wesensart, welche einen Charakter formt, und nur diese Einheit führt damit auch zu Ihrem persönlichen und beruflichen Erfolg.
Wie können Sie sich nun diesem Komplex der Persönlichkeit annehmen? Im Folgenden schlagen wir eine Strukturierung von Persönlichkeit und Ausstrahlung in drei Felder vor, wobei in eines dieser Felder auch der Themenkomplex der Ausstrahlung einzuordnen ist. Wir differenzieren Fühlmuster, Denkmuster und Verhaltensmuster.
Fühlmuster
Gefühle werden während der Erziehung geprägt und haben sich bis zum postpubertären Stadium stark fortentwickelt. Diesen Gefühlen gilt es, sich durch Kenntnisse und Umgehensweisen anzunehmen. Die Fühlmuster werden stark durch die Werte- und Moralvorstellungen beeinflusst, wie sie in Kapitel 1.1. diskutiert wurden. Fühlmuster beschreiben dabei das Gefühl für das eigene Selbst, wie beispielsweise das Selbstvertrauen. Ebenso fallen Stimmungen in die Kategorie der Fühlmuster. Stimmungen, welche im Rahmen einer ganzheitlichen Betrachtung der Soft Skills von Relevanz sind, beschreiben unter anderem Angst und Furcht, Trauer und Freude sowie die Zufriedenheit und Unzufriedenheit. Dabei beschreibt dieser Themenkomplex neben der Erläuterung der einzelnen Muster auch die positive Umgehensweise mit diesen.
Denkmuster
Denkmuster beschreiben allgemein kognitive Vorgänge, Reaktionen und Verknüpfungsmuster. Die Denkmuster basieren nach dieser Schematisierung nur auf den Fühlmustern und werden in der Jugend geprägt. Es gibt viele verschiedene Denkmuster, wie beispielsweise Selbstachtung, der Unterschied zwischen analytischem und emotionalem Denken sowie die Wahrnehmung von Stärken und Schwächen. Denkmuster können Sie auf der einen Seite durch praktische Methoden konkret umformen, aber auf der anderen Seite hilft auch erfahrungsgemäß schon der gekonnte Umgang mit ihnen im Privat- und Berufsleben weiter.
Abbildung 1: Sichtbarkeit von Fühlmustern, Denkmustern und Verhaltensmustern
Verhaltensmuster
Verhaltensmuster können sich verändern
Verhaltensmuster sind offen sichtbare Verhaltensweisen, welche auf den Fühl- und Denkmustern basieren. Sie beschreiben zum Beispiel Authentizität, Souveränität oder Charisma, ein intro- oder extrovertiertes, dominantes oder eher gewissenhaftes Auftreten. Verhaltensmuster werden wie die vorherigen Muster frühzeitig geprägt, sie unterliegen aber im Laufe der Jahre einer außergewöhnlich starken Veränderung.
Fühlmuster analysieren
„Glauben ist Vertrauen, nicht Wissenwollen.“
HERMANN HESSE
Fühlmuster beschreiben Gefühle, welche uns unbemerkt in jeder Situation in unserem Handeln und Denken beeinflussen. Fühlmuster können bereits aus jahrelanger Erziehung gebildet werden, sind aber ebenfalls Momentaufnahme von Gemütszustand und Stimmung. In diesem Kapitel wird auf zwei Komplexe dieser Fühlmuster eingegangen. Der erste Komplex ist das Gefühl von Selbstvertrauen oder Selbstbewusstsein. Dabei werden neben einem theoretischen Hintergrund auch Selbstwertquellen sowie Bedrohungen aufgeführt. Ebenso präsentieren wir Ihnen einige Übungen zur Entfaltung Ihres positiven Selbstwertgefühls. Als zweiter elementarer Bereich werden die Umgehensweisen mit Stimmungen dargestellt. Dabei wird in drei Teilgebieten der jeweilige positive und negative Aspekt einer Stimmung beschrieben und auf aktive Verhaltensweisen hingewiesen.
Selbstwertgefühl, Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen
„Die Gelassenheit ist die anmutigste Form des Selbstbewusstseins.“
F. DE LA ROUCHFOUCAULE
Selbstwertgefühl speist sich aus sozialer Anerkennung und Erfolgen
Selbstwertgefühl ist die Empfindung für den eigenen Wert im Privaten und/oder im Beruf. Selbstwert oder auch Selbstbewusstsein ist größtenteils Resultat aus Zufriedenheit oder der Anerkennung von individuellen Leistungen oder Erfolgen. Ein Sprichwort lautet beispielsweise: „Die Seele ernährt sich von Anerkennung.“ Dabei ist die Anerkennung nicht nur von externen Meinungsträgern bedeutend, sondern primär ist die eigene Wertschätzung relevant. Auf ein Selbstwertgefühl ist jeder Mensch angewiesen, denn bei einem Fehlen dieses Fühlmusters besteht nicht nur für die Person an sich eine Gefahr, sondern auch ein Risiko für alle anderen Personen in ihrem Umkreis.
Hohes Selbstwertgefühl macht weniger empfindlich
In der Stress- und Emotionstheorie wird die Verletzung des Selbstwertgefühles als ein typischer Faktor für negative Emotionen verantwortlich gemacht. Hauptquellen dieser Verletzung sind berufliche oder familiäre Ursachen. Wie weiter hinten im Kapitel „Selbstwertbedrohungen“ beschrieben, wird besonders externe Kritik von zahlreichen Personen als bedrückend angesehen. Dabei leiden Personen mit einem niedrigen Selbstwert erstens mehr unter den gleichen Reizen sowie zweitens auch eher, als eine Person mit einem höheren Selbstwertgefühl. Fast immer potenziert sich die emotionale Mangelerscheinung in einem Teufelskreis von Unzufriedenheit und Selbstwertmangel.
In den unerfreulichsten Fällen von mangelndem Selbstwert versuchen die betroffenen Personen sogar, anderen vergleichbare Empfindungen einzureden. Wenn diese angegriffenen Personen nun ähnliche Schwierigkeiten mit ihrem persönlichen Wertegefühl entwickeln wie der Angreifer, hat dieser damit einen Schwächeren geschaffen, von welchem er sich bequem abgrenzen kann. Diese Abgrenzung und Unterdrückung ist Wurzel für sein eigenes Selbstwertgefühl.
Wie Menschen niedriges Selbstwertgefühl häufig zu kompensieren versuchen
Ein eher harmloses Auftreten einer Selbstwertmangelerscheinung ist das Ersatzselbstvertrauen. So versuchen die Betroffenen, sich mit Äußerlichkeiten, welche vorwiegend nicht auf persönlichen Erfolgen oder Leistungen beruhen, zu individualisieren. Aufgrund der fehlenden Eigenleistung bietet jedoch diese Art des Selbstvertrauens weder eine dauerhafte Zufriedenheit noch persönliches Glück, was diese Personen früher oder später erkennen. Ein Symptom von Mangelerscheinungen ist das Adaptieren von Eigenschaften oder Verhaltensweisen von aktuellen Stars oder Vorbildern als Orientierung. Pubertierende Kinder fangen beispielsweise an zu rauchen und neigen zu frühen sexuellen Aktivitäten, um dieser Orientierung nachzuleben und damit den gleichen Status in der Gesellschaft wie dieses Vorbild einzunehmen. Subsumiert probieren diese Individuen mehr darzustellen, als sie selbst fühlen bzw. als sie wirklich sind. Werden Personen mit affektiertem Selbstvertrauen dabei ertappt und findet eine Gegenüberstellung mit der Realität statt, werden diese erfahrungsgemäß ablehnend und sogar aggressiv.
Prägende Eigenschaften von Personen mit mangelndem Selbstwertgefühl sind vorwiegend verkrampftes und unnatürliches Auftreten sowie spießige oder verklemmte Umgangsweise. Die Identifikation, ob ein Selbstvertrauen einer anderen Person authentisch oder affektiert ist, bedarf einer gründlichen und professionellen psychologischen Ausbildung. Haben Sie demzufolge Geduld mit anderen und mit sich selbst, wenn Sie die Authentizität eines Selbstvertrauens überprüfen.
Personen mit einem echten Selbstwertgefühl sind durch ein ganzheitliches Lebenskonzept geprägt. Sie benötigen keine Abgrenzung zu anderen, sei es durch Sprüche, die neueste und teuerste Mode oder einem spektakulären Auftritt in der aktuellsten Bar. Sie gelten oft sogar genau im Gegenteil als eher anspruchslos, offen und praktisch. Sie sind tolerant, kooperativ und leicht umgänglich. Zusätzlich sind sie erfahrungsgemäß nicht besitzergreifend, weder in Bezug auf Personen noch auf Taten.
Struktur
Strukturell gibt es mehrere theoretische Modelle, um Selbstwert zu kategorisieren. Üblich ist die Abgrenzung des Selbstwertes nach der Quantität, nach der Zielgruppe oder nach der Ausbreitung. Zusätzlich zu diesen Unterscheidungen birgt die Literatur noch weitere erwähnenswerte Modelle, welche aber meist nur theoretische Nützlichkeit besitzen.
Hoher und niedriger Selbstwert
Ihre Geltung für die Umwelt
Hoher Selbstwert heißt, Sie erkennen unkompliziert oder außerordentlich stark Ihre individuelle Geltung in Ihrer direkten Umgebung oder der Gesellschaft. Ein niedriger Selbstwert symbolisiert die Schwierigkeit bei der Identifikation von persönlichem Wert für sein soziales Umfeld.
Individueller und kollektiver Selbstwert
Diese Abgrenzung unterscheidet das Betrachtungsobjekt. Beim individuellen Selbstwert wird nur eine einzelne Person beobachtet, beim kollektiven Selbstwert eine Gruppe, welche sich der Selbstwertbetrachtung unterzieht. Dabei kann eine Person einen kollektiven Wert fühlen, ohne einen individuellen Selbstwert zu akzeptieren. Diese Differenzierung ist wichtig für die Betrachtung einiger Gruppenprozesse in den folgenden Kapiteln.
Globaler und spezifischer Selbstwert
Diese Differenzierung bezieht sich auf eine Quelle des Selbstwertes. Unterschieden wird, ob es sich um einen allgemeinen Selbstwert handelt oder ob er von einer konkreten Begebenheit herrührt.
Stabiler und variabler Selbstwert
Im Falle, dass der Selbstwert quantitativen oder qualitativen Veränderungen unterliegt, spricht man von stabilem oder variablem Selbstwert. Da im Laufe der Persönlichkeitsentfaltung eine Person kontinuierlich ein neues Selbstbild erfährt und entwirft, ist der Selbstwert zu einem gewissen Teil variabel.
Positiver und negativer Selbstwert
Der positive Selbstwert führt zu einem positiven Wohlbefinden, der negative zu einer negativen Aura. In dieser Kategorisierung ist eine Verlagerung in den positiven Bereich vorteilhaft, soweit eine gesunde Selbstkritikkultur besteht. Diese allgemeine Abgrenzung zwischen positivem und negativem Selbstwert wird für die kommenden Kapitel weiterverwendet.
Abbildung 2: Dimensionen des Selbstwertgefühls
Gemeinsam haben die in Abbildung 2 dargestellten Merkmale alle, dass eine Verschiebung in ein Extrem, mit Ausnahmen des positiven Selbstwerts, unvorteilhafte Facetten aufwirft. Stets ist ein hoher positiver Selbstwert nur im Rahmen substanzieller Selbstkritik produktiv und demnach ist unbeirrt ein Mittelmaß von Selbstbewusstsein und Kritik zu forcieren.
Abbildung 3: Balance zwischen Selbstbewusstsein und Selbstkritik
Aus Kritik kann sich Hilflosigkeit entwickeln
Beispielhafte Einflüsse für die Ausbildung von einem negativen Selbstwertgefühl sind die Abwertung der eigenen Persönlichkeit und der sozialen oder fachlichen Kompetenz durch eine andere Person oder sich selbst. Pauschalisiert handelt es sich dabei um Fremd- und Selbstkritik, mit welcher nicht umgegangen werden kann. Schwierig wird der Umgang mit Kritik, wenn sie vor einer größeren Gruppe geäußert wird. Als zweites Mangelgefühl forciert die Vermutung des Missverstehens zwischen der betroffenen Person und anderen Menschen in ihrem Umkreis eine Einschränkung des Selbstwertes. Diese Eindrücke entwickeln zügig ein Empfinden von Vernachlässigung oder Missachtung. Aus Kritik sowie Kommunikationsunfähigkeit entsteht sich häufig eine Hilflosigkeit, welche den Teufelskreis erfahrungsgemäß von vorne nährt.
Quellen und Bedrohung
Was Ihr Selbstwertgefühl behindert und fördert
Neben diesen verschiedenen Einordnungen von Selbstwert gibt es unerschiedliche Einflussfaktoren, welche die Ausprägung des Selbstwertes determinieren. Dabei können Sie zwischen Selbstwertquellen und Selbstwertbedrohungen unterscheiden. Aus den Selbstwertquellen entstehen ebenfalls fundamentale Selbstwertbedrohungen, wenn sich Konstellationen entwickeln, in welchen die fachliche oder soziale Kompetenz einer Person in Abrede gestellt wird oder es zu unmittelbaren Angriffen auf die Persönlichkeit kommt. Ebenso tauchen Bedrohungen auf, wenn sich Selbst- und Fremdbild in einem eklatanten Ungleichgewicht befinden.
Typische Quellen, aber auch Bedrohungen für das Selbstwertgefühl sind kulturelle Faktoren, soziale Faktoren, Familie, relevante Bezugsgruppen und individuelle Faktoren (Abbildung 4).
Abbildung 4: Selbstwertquellen und Selbstwertbedrohungen
1. Kulturelle Faktoren
Selbstwert gemessen an kulturellen Maßstäben und sozialen Erwartungshaltungen
Wie schon im Kapitel 1.1.„Werte & Glaubenssätze“ angesprochen, befinden wir uns fortwährend in der kulturellen Einwirkung unseres unmittelbaren gesellschaftlichen Umfeldes, welches durch die Jahre von Kindheit und Jugend vorgeprägt wurde. Durch Erziehung und Entwicklung während dieser Kinder- und Jugendzeit adaptieren wir die Normen und Werte unseres sozialen Umfeldes. Diese Anschauungen beeinflussen den Kern des Selbstwertgefühles und beantworten beispielsweise die Fragestellung, was wir und unsere Kultur überhaupt als Wert an sich ansehen. Mit der Zeit manifestieren sich verschiedene Wertevorstellungen, Ideale und Ansichten. Das Entsprechen nun gerade dieser Ideale ist Träger von Selbstwert und Selbstvertrauen. Die kulturellen Faktoren und Einflussgrößen auf das Selbstwertgefühl reifen darüber hinaus durch differenzierte Wahrnehmung im fortschreitenden Alter.
2. Soziale Faktoren
Selbstwert durch Feedback direkter Kontaktpersonen
Sie erfahren anhaltend Rückmeldungen durch die Interaktion mit Ihrem gesellschaftlichen Umfeld. Wenn auch nicht explizit artikuliert, erlangen Sie Bestätigung oder Ablehnung in jeder Konversation mit einem Freund oder einem Arbeitskollegen. Diese Bestätigungen oder Ablehnungen ordnen Sie ein, dadurch geben diese Ihnen eine ungefähre Vorstellung Ihrer Akzeptanz in der Gesellschaft. Wie auch die kulturellen Faktoren unterliegen ebenfalls die sozialen Faktoren der unaufhörlichen Umgestaltung. Im Allgemeinen wird eine Person im Laufe der Zeit und ihrer Persönlichkeitsentfaltung sowie durch die Loslösung von Eltern und primärem Freundeskreis sozial unabhängiger.
3. Familie
Selbstwert durch familiäre Maßstäbe und Erwartungen
Die Familie ist grundlegend für jede psychologische Entfaltung in der Kinder- und Jugendzeit, welche größtenteils durch die Nähe zu den Eltern, ihre Liebe, Zuneigung, Anerkennung und Aufmerksamkeit geprägt ist. Eine Person, welche nicht bereits in diesem jungen Alter Selbstvertrauen und einen Selbstwert aufgebaut hat, benötigt wesentlich stärkere Impulse im Erwachsenenalter, um ein positives Selbstwertgefühl zu entwickeln. In der theoretischen Psychologie heißt es, dass bis zum siebten Lebensjahr entschieden ist, ob eine Person ein positives Selbstvertrauen haben oder eher zurückhaltend auftreten wird. Ferner treten die Familienmitglieder auch als unmittelbare Vertreter der kulturellen und sozialen Umgebung gegenüber einer Person auf und sind damit Vermittler der gesellschaftlichen Wert- und Moralvorstellungen. In der postjugendlichen Phase ist die Familie unmittelbarer Gegenpol zur Karriere. Sie kann beraten, unterstützen und Feedback geben sowie Ausgleich zu Beruf, Ausbildung oder Studium bieten. Dem gegenüber steht der Zeitaufwand, welchen Sie in eine Familie investieren und einbringen müssen. Damit wird die Familie zur permanenten Selbstwertquelle, kann aber auch eine eklatante Selbstwertbedrohung darstellen, wenn grundsätzlicher Dissens über Entwicklungswege besteht oder die Familie dem Einzelnen kein Vertrauen entgegenbringt und eine ausreichende Anerkennung verweigert.
4. Relevante Bezugsgruppen
Selbstwert durch Feedback aus „Peer-Groups“
Schon ab der ersten Schulklasse orientiert sich ein Mensch an Gleichaltrigen bzw. Menschen, die sich in gleicher und ähnlicher Situation befinden, den so genannten „Peer-Groups“. In diesen Gruppen werden Ideale gebildet und festgelegt, wie eine Person durch das Zeigen oder die Adaption von Merkmalen den zeitgemäßen Trendvorstellungen genügen kann. Die Anerkennung und Akzeptanz in diesen „Peer-Groups“ hat augenblickliche Einwirkung auf das Selbstwertgefühl. Die Frage, wie Sie bei einer anderen Person oder einer Gruppe ankommen, spielt unmittelbar eine Rolle in der Erwägung des eigenen Selbstwertgefühls. Diese Bezugsgruppen werden nicht mit der Abschlussprüfung der Oberschule abgelegt, sondern begleiten uns fortwährend – seien sie beruflich oder privat. Erfolg und Glück werden vielfach in Vergleichen zu anderen Personen aus unserer „Peer-Group“ gemessen. Besonders im fortgeschrittenen Alter, wenn die 50 überschritten ist, findet häufig eine Art vergleichendes Resümee statt. In diesem evaluiert der Einzelne, was er erreicht hat. Dabei betrachtet er die relevanten Bezugsgruppen und bewertet in einer Unterschiedsanalyse den eigenen Lebensweg. Fällt dieses Resümee negativ aus, fällt die Person eventuell in eine Midlife-Crisis.
5. Individuelle Faktoren
Mit individuellen Faktoren sind die Einflüsse umschrieben, welche von Person zu Person oder auch zwischen den Geschlechtern unterschiedlich ausgeprägt sind. So ist zum Beispiel soziale Überlegenheit ein solcher individueller Faktor. Auch das Verhältnis zu oder die Abhängigkeit von beruflichen Erfolgen oder die Neigung zur Selbstkritik können solche Faktoren sein, welche individuell das Selbstwertgefühl beeinflussen. Diese persönlichen Faktoren beeinflussen das Selbstwertgefühl ebenso stark und gelegentlich sogar nachhaltiger als die anderen Umstände. So ist beispielsweise das Verlangen nach Anerkennung unterschiedlich ausgeprägt und kann bei einer Person mit starker Ausprägung dieses Faktors besonders zügig zur Selbstwertquelle oder Selbstwertbedrohung werden.
Quellen und Bedrohungen des Selbstwertgefühls
Alle diese erwähnten Faktoren beeinflussen unser Selbstvertrauen. Als Quelle spenden und als Bedrohung rauben sie uns Kraft und Mut für komplexe Herausforderungen im Privat- und Berufsleben. Studien haben wiederholt bewiesen, dass Personen mit einem niedrigen Selbstwertgefühl nicht unter einer höheren Quantität von Faktoren litten, als selbstbewusste Personen. Vielmehr können sie mit einer vergleichbaren Anzahl von Faktoren nur schlechter umgehen. Demnach kommt es gar nicht darauf an, geradewegs alle der erwähnten Faktoren als direkte Quelle zu akquirieren, wenn Sie bereits zu einer Einzelnen ein außerordentlich zuträgliches Verhältnis aufgebaut haben.
Aufbau und Stärkung des Selbstwertgefühls
Trotz frühkindlicher Prägung ist mangelnde Selbstsicherheit kein unkorrigierbares Schicksal – es wurde erlernt und kann demnach größtenteils auch umgelernt werden. Dazu klären wir im Folgenden erst, welchen Grundlagen das Selbstwertgefühl entspringt und schließen dann einige konkrete Vorschläge an, wie Sie durch gezielte Übungen Ihr Selbstwertgefühl gegebenenfalls steigern können.
Individuen mit einem gesunden persönlichen Selbstwert haben erfahrungsgemäß eine positive Abgrenzung zu anderen Personen in ihrem Umkreis aufgebaut. Sie sind sich ihrer Individualität und ihrer eigenen Stärken bewusst geworden. Betont sei hierbei, dass es sich nicht um einen einfachen Vergleich mit anderen Personen handelt, in welchem Sie Schwachpunkte anderer identifizieren. Vielmehr geht es um die Identifikation der eigenen Stärken im Vergleich zur durchschnittlichen Qualifikation einer Gesellschaft bzw. des eigenen Umfelds. Dabei obliegen Ihnen nicht nur mehrere der oben genannten Selbstwertquellen, sondern meist entwickelt sich ein positives Verhältnis zu allen Faktoren.
Gerade die erste Aussage der Abgrenzung mag elitär klingen, ist aber per Rückschluss empirischer Forschung stichhaltig, da Individuen mit hohem Selbstwertgefühl auffallend häufig die Überlegenheit in einigen sozialen oder fachlichen Kompetenzbereichen gegenüber anderen Personen als Quelle ihres Selbstvertrauens aufführen.
Selbstwertgefühl nicht durch Vergleiche mit anderen, sondern durch eigenen Maßstab
Wie können Sie nun aber den Gedanken Ihrer fachlichen oder sozialen Ausnahmestellung, auch nur in einer ausbalancierten Form, postulieren, wenn Sie zuvor erkennen, dass selbstbewusste Personen an sich nicht sehr konkurrierend sind? Die angesprochene positive Abgrenzung ist der Initialschritt zu einer persönlichen Entfaltung, macht jedoch eine Person langfristig jeweils nur in diesem einen konkreten Vergleich seelenstark. Selbstwertgefühl ist aber langfristig unabhängig von Vergleichen und ist als ein intrinsischer Wert losgelöst von anderen Personen. In der abgrenzungsorientierten Formulierung heißt es: „Ich kann wenigstens besser finanzmathematisch rechnen als er.“ In einer selbst bezogenen Formulierung heißt es hingegen: „Meine Rechenleistungen sind für mein Alter herausragend gut. In der finanzmathematischen Kalkulation bin ich meiner akademischen Erfahrungen weit voraus“ (Kapitel 2.2.). Kompetenz, Stärke und Individualität sollten Sie bei der Suche nach Selbstwert nie direkt vergleichend bewerten. Lediglich im Rahmen der externen Evaluierung von Bewerbern für eine ausgeschrieben Stelle wird jedoch häufig eine vergleichende Bewertung vorgenommen.
Selbstwertgefühl durch Kenntnis von Stärken und Schwächen und Fokussierung auf Stärken und Erfolge
Zweite Grundeinstellung ist, seine Stärken und Schwächen zu akzeptieren – die Stärken einzusetzen, um seine Ziele zu erreichen, und seine Schwächen nicht als Grenzmarke, sondern in Form einer Herausforderung zu betrachten. Nur ungefähr 10 Prozent aller Menschen besitzen ein unerschütterliches Selbstvertrauen, die restlichen 90 Prozent müssen ihr Selbstwertgefühl verbessern, indem sie versuchen, an Schwächen zu arbeiten und ihre Stärken effektiver zu positionieren. Mitunter trägt bereits eine einfache Übung zu einer enormen Steigerung Ihres Selbstwertgefühls bei. Machen Sie sich einfach bewusst, wie viel Sie in einzelnen Bereichen bereits erreicht haben – regelmäßig und insbesondere dann, wenn Sie unzufrieden oder orientierungslos sind. Zum Beispiel so:
▪ kulturelle Faktoren: „Ich bin in einer werte- und sozialorientierten Gesellschaft aufgewachsen, habe eine anständige humanistische und kritische Ausbildung genossen und mit einem international gut anerkannten Abitur abgeschlossen.“
▪ soziale Faktoren: „Ich habe gute und tiefe Freundschaften – Freunde, welche mir stets zur Seite stehen, mich aber auch infrage stellen.“
▪ Familie: „Ich habe stets den guten Kontakt zu meinen Eltern und Großeltern gepflegt und kann mich jederzeit auf sie verlassen. Ich bin für sie, wie sie für mich, eine Unterstützung.“
▪ relevante Bezugsgruppen: „Ich komme mit allen aus der Volleyballgruppe außergewöhnlich gut klar, und wir haben immer ungeheuren Spaß zusammen.“
▪ individuelle Faktoren: „Ich habe mein Abitur gut bestanden, ein Studium abgeschlossen und die letzte wichtige GMAT-Prüfung erfolgreich abgelegt.“
Vermeidungshaltung gegenüber unangenehmen Situationen abbauen
Übungen zum Aufbau und der Steigerung des Selbstbewusstseins beruhen auf der Überwindung des Vermeidungsverhaltens unangenehmer Situationen. Solche Übungen können Sie zum Teil direkt während entsprechender Seminare durchführen. Andere Übungen entsprechen eher Aufgaben, welche Sie langsam und kontinuierlich in den Alltag einbauen müssen und nicht direkt in einzelne Aktivitäten umsetzen können. Zum Beispiel gibt es eine Aufgabe, welche verlangt, dass Sie einen nicht zwingend benötigten, preisgünstigen Gegenstand kaufen (z. B. einen Hammer) und ihn am nächsten Tag das Umtauschrecht nutzend zurückgeben. Dies steigert beispielsweise das Selbstvertrauen, etwas Legales, aber Unangenehmes zu tun.
Grüßen Sie alle Personen in Ihrem Umkreis mit einem „Einen schönen guten Tag“ oder ähnlich umfassenderem Satz als „Guten Tag“. Seien Sie konsequent. Gehen Sie in eine Einkaufsstraße oder setzen Sie sich in einen Bus und grüßen Sie zehn vollkommen unbekannte Personen mit einem „Guten Tag“. Manche Personen werden zurückgrüßen, manche sagen gar nichts. Den Personen, welche nachfragen, erklären Sie, dass Sie einfach nur freundlich sein wollten. Entschuldigen Sie sich auf keinen Fall!
Gehen Sie in ein Geschäft und bitten Sie eine Verkäuferin oder die Kassiererin, Ihnen den Zwanzig-Euro-Geldschein in Ein-Euro-Münzen zu tauschen. Wiederholen Sie dies so oft, bis es Ihnen nichts mehr ausmacht. Fragen Sie dann in jeder langen Schlange, ob Sie vorbei dürfen. Sie haben es sehr eilig oder Ihr Kind wartet allein zu Hause.
Weitere Übungen generieren Sie am besten dadurch, dass Sie Situationen suchen, in denen Sie typischerweise eine Vermeidungshaltung an den Tag legen und niemanden stören wollen. Ideal sind alle Aufgaben, die Ihnen unangenehm sind.
Die richtige Portion Selbstbewusstsein
Zielereichung wirkt direkt auf das Selbstwertgefühl
Das Erreichen der eigen formulierten Ziele und das Erfüllen der appellierten Standards wirken direkt auf die Höhe des Selbstwerts. Wenn eine Person nicht erreicht, was sie sich selbst vorgenommen hat, kann sie trotz hoher externer Anerkennung und Zurede nur ungenügend ein positives Selbstvertrauen aufbauen. Schnell entwickelt sich eine introvertierte Persönlichkeit, welche nicht offen mit anderen über eigene Probleme reden kann, da sie auch noch den Verlust der externen Anerkennung befürchtet.
Prinzipiell scheint ein moderat niedriger Selbstwert ein fundamentales Entwicklungspotenzial zu beinhalten. In der ständigen Entwicklung eines positiven Selbstwertgefühls müssen Sie einen produktiven Ausgleich zwischen Selbstkritik und dem Willen zur Veränderung erwirken. Eine zu hohe Willenskraft zur Veränderung und eine zu energische Selbstkritik führen aber konsequenterweise nicht zu einer Erreichung des Zieles. Andersherum ist bei Menschen mit hohem Selbstwert ein Mangel an Selbstkritik ein Hindernis, sich weiterzuentwickeln.
Abbildung 5: Weiterentwicklung in Abhängigkeit des Selbstvertrauens
Selbst- und Fremdkritik fördern die Persönlichkeitsausbildung
Aus den heutigen Erkenntnissen von Persönlichkeitsmodellen und Psychologie ist es natürlich anzustreben, ein positives Selbstbewusstsein aufzubauen. Dieses Selbstbewusstsein darf aber nicht nur abgrenzungsorientiert sein, sondern sollte auch selbstorientiert sein. Wenn Sie ein positives Selbstvertrauen aufgebaut haben, sollten Sie Fremd- und Selbstkritik anregen bzw. forcieren. Nur diese Anregungen entwickeln und manifestieren eine Persönlichkeit langfristig. Auch eine Person, welche gar keine Kritik zulässt, wird schnell durch ein introvertiertes Auftreten auffällig, da sie sich von anderen Meinungen und damit von anderen Personen an sich löst.
Woher wissen Sie nun, ob Sie die exakt ausreichende Menge besitzen und wie weit Sie damit richtig umgehen? Zuerst können Sie an den obigen Merkmalen evaluieren, wie weit das Selbstvertrauen ausgeprägt ist. Als modernes Element bietet sich ein wiederholtes 360°-Feedback an, welches Ihnen umfassend Kritik und erfahrungsgemäß überproportional viel Lob anbietet, um sich selbst weiterzuentwickeln. Die richtige Menge an Selbstvertrauen haben Sie, wenn Sie keinerlei Probleme mit Ihrem Selbstvertrauen in Ihrem privaten und beruflichen Umfeld haben und auf der anderen Seite nicht negativ durch dominierendes Selbstbewusstsein auffallen.
Stimmungen als temporäre Fühlmuster
Stimmungen sind dauernde Gefühlszustände, welche uns fortwährend im Privat- und Berufsleben umgeben. Dabei beeinflusst die Stimmungen jede zwischenmenschliche Interaktion und determiniert damit auch einen großen Teil unseres Verhaltens. Obwohl dieses Thema in der herkömmlichen Darstellung der Soft Skills eher wenig explizite Aufmerksamkeit findet, erscheint es bedeutend, sich auch mit diesem Gebiet zu beschäftigen. Durch Erkenntnisse über sich selbst können Sie sensibler und besser mit sich und anderen Personen umgehen.
Stimmungen prägen unser Verhalten
Stimmungen, welche unser Privat- und Berufsleben wohl am meisten beeinflussen, sind die der Trauer, der Freude, der Angst sowie der Zufrieden- und Unzufriedenheit.
Trauer und Freude
„Die größte Gefahr lauert im Moment des Sieges.“
NAPOLEON BONAPARTE
Trauer und Freude treffen uns vorwiegend unerwartet und beeinflussen uns über einen ausgedehnten Zeitraum. Bedeutend ist, mit Freude ebenso einträglich und produktiv umzugehen, wie auch mit Trauer. Trauer ist dabei eine Reaktion auf ein Verlustgefühl. Diese Verluste können beispielsweise der Tod von einer nahe stehenden Person, eines Haustiers oder der Verlust eines Lieblingsgegenstandes sein. Im Muster der Trauer treten vier Phasen auf:
▪ Verdrängungsphase, welche sich durch ein betäubtes Benehmen zeigt
▪ Verzweiflungs- oder Sehnsuchtsphase
▪ niedergeschlagene oder depressive Phase
▪ Reorganisation des Individuums
Alle Phasen müssen durchwandert werden
Diesen Prozess der vier Phasen hat schon Sigmund Freud (1856 bis 1939) als „Trauerarbeit“ (Abbildung 6) bezeichnet. Heute ist dieses Muster nicht nur akzeptiert, sondern es ist auch aufgezeigt, dass eine Person alle diese Phasen durchwandern muss, um nicht in den Zustand der pathologischen Trauer, das heißt, in anhaltende Depressionen zu verfallen. Besonders die letzte Phase der Reorganisation kann nicht nur mit Schuldgefühlen, sondern auch mit Aggressionen, beispielsweise gegenüber der verstorbenen Person oder dem nahen Umfeld, einhergehen.
Abbildung 6: Trauerarbeit nach Sigmund Freud
Haben Sie diesen Prozess verstanden, können Sie sich und andere Personen in der Trauerarbeit unterstützen und sich oder der Person Zeit zum Durchwandern aller Phasen geben. Eine bessere Verarbeitung des Vorfalls führt zu einem geringeren Risiko des Rückfalles in Aggression, Niedergeschlagenheit und Depression.
Zeitnahe Verarbeitung von positiven und negativen Gefühlen
Wie bereits eingangs diskutiert bedarf der Umgang mit Freude ebenfalls einer aktiven Herangehensweise. Freude ist ein Gefühl, welches Sie ebenso wenig unterdrücken sollten wie Trauer. Es gibt jedoch Situationen, in welchen Sie aus strategischen Gründen keine überschwängliche Freude zeigen sollten, wie beispielsweise in professionellen Verhandlungen. Äußerst häufig ist die Zeit der freudigen Euphorie schon aufgrund der Unachtsamkeit eine erneute Quelle der Gefahr. Ebenfalls gibt es Szenarien, in welchen Sie aktive Freude, zum Beispiel Freude an einer Opportunität (z. B. Freizeit), verschieben müssen, um ein höheres Maß an Freude zu einem späteren Zeitpunkt zu genießen. Zu Beachten ist dabei aber, dass verschobene Freude sich mit der Zeit verkleinert. Die Freude über ein erfolgreiches Meeting ist nach zwei Wochen nur noch kaum nachzuvollziehen, da die Erleichterung von Stress und Aufregung nicht mehr zurückzuverfolgen ist.
In der Autobiographie von Jack Welch, ehemaliger CEO von General Electric, führt dieser auf, welchen positiven Wert es hat, Erfolge zu feiern. Fragen auch Sie sich einmal, warum Sie oder eine andere Person Erfolge brauchen, wenn Sie diese nicht auch ausleben möchten.
Abbildung 7: Ausmaß von Stimmungen im Zeitablauf
Angst und Furcht
Furcht ist konkret, Angst unbestimmt
Angst ist das Gefühl einer Bedrohung und wird seit der Existenzphilosophie stark von Furcht abgegrenzt. Furcht ist nach Sören Kierkegaard (1813 bis 1855) die Reaktion auf eine spezifische Bedrohung. Angst ist allerdings ein Gefühl, welches sich gegen das Unbekannte richtet. Angst ist dabei nach Martin Heidegger (1889 bis 1976) nicht nur die Konfrontation des Menschen mit der Gewissheit des Todes, sondern auch das Unbehagen – beispielsweise in Form von Existenzsicherheit im Arbeitsmarkt entsprechend Karl Marx (1818 bis 1883). Furcht ist im alltäglichen Sprachgebrauch vorwiegend gleichzusetzen mit der Präsenz von Angst, wobei sich diese nicht auf ein konkretes Ereignis bezieht.
Angst spannt heute ein weitläufiges Feld der Gefühlsregung auf und kann von konkreten Befürchtungen, beispielsweise dem Nichterreichen eines Ziels, bis hin zur Weltangst führen. Dabei kann es in fortgeschrittenen Stadien zur Aufhebung der persönlichen Steuerung durch Willen und Verstand kommen. Diese Auswirkungsreichweite der Angst ist je nach Angstneigung unterschiedlich ausgeprägt. Angst kann nach Jeffrey A. Gray ebenfalls durch Furcht vor Bestrafung oder Frustrationen entstehen, aber auch nach G. Mander aus der Kapitulation vor der eigenen Machtlosigkeit herrühren.
Abbildung 8: Furcht versus Angst
Als prinzipielle Differenz können Sie noch den Unterschied zwischen Realangst und neurotischer Angst betrachten. Die neurotische Angst scheint unbegründet, im Gegensatz zu der Realangst, welche sich genau auf eine Begebenheit bezieht.
Angst verlernen
Angst wird erlernt und kann ebenso auch gezielt wieder verlernt werden. Dazu gibt es mehrere psychologische Methoden, wie beispielsweise die Konfrontationstheraphie. Als aktives Hilfsmittel zum Überwinden von starker Angst und Furcht, wie beispielsweise Höhenangst, kann im Allgemeinen nur die Konsultation eines Fachmannes helfen. Auf diverse Angstzustände in Arbeitssituationen, wie zum Beispiel die Angst vor einer Präsentation oder der allgemeinen Redeangst, wird in diesem Buch in den einzelnen Kapiteln hingewiesen und eine ausführliche Herangehensweise erläutert (Kapitel 2.2., 2.3. und 4.3.). In jedem Fall sollten Sie anerkennen, dass Furcht eine natürliche Eigenschaft ist und Sie demnach keine persönliche Abwehrhaltung ihr gegenüber einnehmen sollten. Biologisch ist der Angstzustand mit einem erhöhten Adrenalinaustausch verbunden, welcher auf der einen Seite Nervosität oder Stress verursacht, aber auf der anderen Seite auch die Aufmerksamkeit und momentane Kraft steigert.
Unzufriedenheit und Zufriedenheit
„Ich wäre lieber Bettlerin und ledig als Königin und verheiratet.“
KÖNIGIN ELISABETH I.
Chancen und Gefahren von Unzufriedenheit
Zufriedenheit und besonders Unzufriedenheit sind prägende Elemente der heutigen Gesellschaft. Unzufriedenheit ist die einflussreichste Quelle für Depression, kann aber gleichzeitig Initiator für Erneuerung sowie Tatkraft und damit Weiterentwicklung sein. Es gibt Personen, welche in ihrer Unzufriedenheit tiefer in die Traurigkeit rutschen. Andere Menschen benötigen gerade diese Unzufriedenheit als Energiequelle, die nächsten Schritte zu finden und zu realisieren. Folglich ist unter Berücksichtigung der individuellen Aspekte ein aktiver Umgang mit Unzufriedenheit nur schwer im Sinne eines Patentrezeptes zu pauschalisieren. Um seine Unzufriedenheit zu managen, hat es sich als außerordentlich hilfreich herausgestellt, sie in Worte zu fassen und niederzuschreiben. Dies ermöglicht, aus der Unzufriedenheit substanzielle Ziele zu formulieren und einen Handlungsplan als Quelle der individuellen Weiterentwicklung abzuleiten. Diese Methode versucht, der Unzufriedenheit durch Visualisierung Transparenz zu verleihen. Wird diese Aufstellung abgeschlossen, ist schon die Hälfte der durchführbaren Leistung getan – „das Erkennen des Problems ist schon die Hälfte der Lösung“. Jeden visualisierten Bereich können Sie nun durch die Identifikation von Quellen und Einflussfaktoren der Unzufriedenheit strukturieren und so feststellen, an welchen Sie durch Eigeninitiative aktiv arbeiten können. Haben Sie die Einflussfaktoren der Unzufriedenheit formuliert, können Sie diese, wie im Kapitel „Ziele & Visionen“ beschrieben, in einen aktiven Arbeitsplan einfließen lassen.
Konkretisieren Sie Unzufriedenheit, um sie greifbar zu machen
Entscheidend ist es, sich der Unzufriedenheit nicht hinzugeben und sie pauschal und unkonkret im Raum stehen zu lassen. Nur die Konkretisierung schafft Sicherheit und wirft Möglichkeiten zur Bearbeitung auf. Im vorherigen Kapitel wurde Angst als Gefühl vor dem Unbekannten definiert. Unzufriedenheit sollten Sie demnach Transparenz verleihen. Umfassende Zufriedenheit ist heute besonders bei Personen zwischen 20 und 50 Jahren selten anzutreffen. Einer flüchtigen Zustimmung, ob der Befragte denn zufrieden sei, folgt doch meist bei ausgiebigerer Forschung eine rasche Relativierung. Persönlichen Fortschritt zu fordern und der Wille nach einem Mehr an materiellen und immateriellen Gütern lässt uns rastlos streben. Sie sollten sich aber auch regelmäßig eine gewisse Zufriedenheit gönnen, um Lebensabschnitte genießen zu können.
Obwohl Sie im Alter zwischen 20 und 30 Jahren die ganze Welt erstürmen können und vielleicht möchten, sollten Sie nicht vergessen, beispielsweise mal mit Ihren Freunden den ganzen Sonntag Fußball zu spielen und dann ohne schlechtes Gewissen den Abend noch im Kino zu verbringen. Denn, was hilft Ihnen eine erstürmte Welt mit einem frühen Herzinfarkt oder einem Hirnschlag, wovon momentan immer jüngere Menschen betroffen sind?
Zufriedenheit und Inaktivität
Umgekehrt sollten Sie jedoch auch kritisch beurteilen, ob ein heutiges Zufriedensein nicht zu vielleicht später folgenreicher Inaktivität führt. Die Inaktivität besonders in den jungen Jahren kann im späteren Leben eine Reihe negativer Konsequenzen haben, zum Beispiel die beruflichen Chancen stark limitieren. Aus einer momentanen Zufriedenheit heraus Abschlüsse hinzuschmeißen oder auf eine Ausbildung zu verzichten, hat besonders heute im Kampf um jeden Arbeitsplatz und der damit verbundenen finanziellen Absicherung schwere Folgen.
Hinzuzufügen ist noch, dass Sie auch unzufrieden und trotzdem glücklich sein können. Dies ist der Fall, wenn Sie jede Situation genießen, welche Ihnen das Leben bietet, aber Sie sich zur selben Zeit etwas mehr Herausforderung wünschen.
Denkmuster interpretieren
„Wenn es einen Glauben gibt, welcher Berge versetzen kann, dann ist es der Glaube an die eigene Kraft.“
MARIE VON EBNER-ESCHENBACH
Auch Denkmuster haben verschiedene Quellen
Die Individualität von Persönlichkeiten, besonders in ihrer Wahrnehmung, bezieht sich nicht nur auf die Gefühlsebene, sondern auch auf kognitive Vorgänge. Denkmuster basieren auf den Reaktionen, Implikationsmustern und Kategorisierungen der Fühlmuster. Denkmuster haben wie jedes die Persönlichkeit determinierende Merkmal mehrere Quellen. Sie werden geprägt durch das Umfeld, wie Gesellschaft und Kultur, primär jedoch durch Eltern und Schulkameraden während des Kindes- und Jugendalters. Es wird früh und auf indirekte Weise gezeigt, was „gut“ und „schlecht“, „erwünscht“ und „unerwünscht“ oder „richtig“ und „falsch“ ist. In diesem Zusammenhang sind Denkmuster immer auch durch Glaubenssätze geprägt und andersherum.
Diese zahlreichen Einflüsse unterliegen solch starker historischer Veränderung, dass die Entwicklung einer Person in seiner Jugendzeit von vor 15 Jahren grundlegend unterschiedlich und nicht im Geringsten mit einer heutigen Entwicklung vergleichbar ist und sich damit vollends verschiedenartige Denkmuster in den verschiedenen Generationen kristallisieren. Aus äquivalenten Gründen sind solche Denkmuster noch unterschiedlicher in einer internationalen Betrachtung.
Neben spezifischen Denkmustern ist der Mensch auch durch allgemeine Denkeigenschaften bestimmt. Eine dieser allgemeinen Eigenschaften soll vor den folgenden Kapiteln kurz erläutert werden:
Relatives und absolutes Denken
Als übergeordnetes und primäres Denkmuster ist anzuführen, dass der Mensch größtenteils relativ anstatt absolut denkt – Gedachtes wird permanent im Zusammenhang mit anderem betrachtet und eingeordnet. Der Mensch denkt in Vergleichen. Dies ist nicht beklagenswert, denn es ist evolutionäre Anpassung an die heutigen intellektuellen Anforderungen der Gesellschaft im Rahmen einer Effizienzbetrachtung. Absolut wird vorwiegend nur noch in den kreativen Bereichen, wie beispielsweise der Kunst, gedacht. Allerdings ist auch dies eher rückläufig, denn auch in der Kunst wird durch Einsatz moderner Methoden und Tools heute mehr modelliert als kreiert.
In den folgenden Abschnitten soll einleitend der Komplex der Selbstachtung erläutert werden. Abgegrenzt von Selbstbewusstsein hat Selbstachtung als ein uns ständig beeinflussendes Element weitreichende Bedeutung auf die folgenden Abschnitte. Als zweiter grundlegender Abschnitt folgt die Differenzierung zwischen analytischem und emotionalem Denken. Dieser Unterschied determiniert viele Problemfälle und Entscheidungsklemmen des heutigen Berufs- und Privatlebens. Als dritter Punkt wird das Denkmuster der Stärken- und Schwächenanalyse detailliert beschrieben. Dieser Punkt, welcher in der Praxis am häufigsten verwendet wird, wird hier ausführlich strukturiert.
Selbstachtung
Selbstachtung durch Wertschätzung der eigenen Person
Selbstachtung ist die Wertschätzung einer Person gegenüber seinem eigenen Ich und seiner Fähigkeit glücklich zu leben. Selbstachtung ist die ehrliche, objektive Beurteilung der eigenen Persönlichkeit. Sie wird in der Theorie von einigen Autoren nicht unbedingt von Selbstwertgefühl abgegrenzt, aber gerade in der Gliederung differenzierend zwischen Fühl- und Denkmustern ist der Unterschied evident. Selbstwertgefühl ist ein Fühlmuster, Selbstachtung jedoch ein Denkmuster, denn Selbstachtung ist die intellektuelle Wertschätzung, Selbstwertgefühl betrachtet emotionale Prozesse.
Abbildung 9: Existenzielle und intellektuelle Selbstachtung
Existenzielle und intellektuelle Selbstachtung
Selbstachtung gibt es in zwei Formen, nämlich in der existenziellen und der intellektuellen Ausprägung. Dabei ist der intellektuellen Selbstachtung besonders der eigene Wert als Persönlichkeit wichtig. Beim Verlust der existenziellen Selbstachtung geht es gar nicht mehr um kognitive Persönlichkeitsaspekte, sondern schon um die Aufgabe des Gefühls der Existenzberechtigung als ganzer Mensch. Neben Selbstzweifeln und Ungewissheit führt der Verlust der existenziellen Selbstachtung auch zur gesundheitlichen, hygienischen und körperlichen Gleichgültigkeit.
Mitunter ist gerade die gegenseitige Förderung der eigenen Selbstachtung in einer Gruppenbeziehung sehr ausschlaggebend. Howard und Charlotte Clinebell stellen in ihrem Buch „The Intimate Marriage“ die Selbstachtung als höchstes Element einer privaten Beziehung dar, welcher die Partner explizite Beachtung schenken sollen. Besonders die Stärkung der Selbstachtung des Partners führt zum dauerhaften „Eheerfolg“. Gerade in Partnerschaften gibt es einen beobachtbaren so genannten positiven Zyklus, welcher wechselseitig die Selbstachtung aufbaut. Beispielsweise baut Person 1 die Selbstachtung einer Person 2 nach einem Misserfolg wieder auf. Person 2 bedankt sich für die Unterstützung und baut damit die Selbstachtung von Person 1 auf.
Selbstachtung lässt sich mit physiologischer Gesundheit vergleichen
Ein Individuum, welches seine Selbstachtung verliert, entkoppelt sich von Fühl-, Denk- und Verhaltensmustern. In Gleichgültigkeit oder in affektiertem Auftreten gibt die Person sich allem hin, ohne die Konsequenzen für sich und andere abzuschätzen. Selbstachtung können Sie mit der physiologischen Gesundheit vergleichen. Dabei steht eine Person ohne Selbstachtung der eigenen Gesundheit meist gleichgültig gegenüber. Eine therapeutische Annäherung an mangelnde Selbstachtung ist die nondirektive oder klientenbezogene Gesprächspsychotherapie von Carl Rogers. Ihr Ziel ist die persönliche Selbstverwirklichung, und sie basiert damit auf den Problemen der mangelnden Selbstachtung. Sie propagiert die Eigenverantwortung und versucht, das aktive Erleben von Gefühlen zu forcieren. Diese Therapieform wird meist bei Depressionen, Angst- und schizophrenen Störungen eingesetzt. Basis dabei ist die professionelle Empathie des Therapeuten sowie die unbedingte Wertschätzung der zu behandelnden Person.
Analytisches und emotionales Denken
Emotional oder rational entscheiden
In der beruflichen Praxis und im Privatleben müssen Sie bei jeder Entscheidung wählen, wie weit Sie diese Entscheidung emotional oder analytisch treffen. Dabei treten wiederholt Konflikte auf, die aus dem Für und Wider beider Entscheidungswege resultieren. Ohne analytisches Denken scheint der berufliche Erfolg beschränkt zu sein, und ohne emotionale Rechenschaft fühlen Sie sich materialisiert, mechanisiert und nicht als soziales Gesellschaftsmitglied.
Abbildung 10: Analytisches und emotionales Denken
Analytische und emotionale Argumentationen, gelegentlich auch im Kontrast wirtschaftlichen und sozialen Denkens dargestellt, stellen sich gerade in der Berufswelt immer mehr als Schwierigkeit heraus. Die Wirtschaft befindet sich in einem unbeirrten Konzentrationsprozess und dabei wird jede noch so kleine Ineffizienz im Rahmen der Prozessoptimierung möglichst beseitigt. Die Arbeitsplatzanzahl eines Unternehmens ist eine lockere Stellschraube zur Kostenkontrolle geworden, welche gegenwärtig die mittelfristige Flexibilität von Organisationen gewährleisten soll. Demzufolge müssen Sie von einer emotionalen Begründung oder Rechtfertigung scheinbar größtenteils absehen, um die unternehmerischen Ziele verfolgen zu können und Ihre eigene Existenz zu gewährleisten.
Wenn Sie hierbei moralische Bedenken haben und Ihr Gewissen mit Ihnen in einen inneren, kritischen Dialog geht, ist das gut und richtig. Damit meinen wir nicht, dass Sie tendenziell in die eine oder andere Richtung entscheiden sollen. Vielmehr ist im Rahmen der Selbstbeobachtung wichtig zu erkennen, ob bei Ihnen das eine oder andere Denkmuster dominiert und inwieweit Sie beide Denkmuster in Balance halten.
Zweifelsohne werden Ihnen eines Tages Angelegenheiten und Entscheidungsfälle zugeteilt, welche schwierig zu lösen sind und Sie in die Not unangenehmer Auswahlsituationen bringen. Sie sollen eine Entscheidung treffen, die wirtschaftlich notwendig und sinnvoll ist, die Ihnen aber auf emotionaler und moralischer Ebene Bauchschmerzen bereitet. In einem solchen Dilemma und Zielkonflikt hilft es nichts, eine notwendige Entscheidung aufzuschieben.
Hilfreich ist es in den meisten Fällen, die Situation aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten: So können Sie zum Beispiel positive Aspekte suchen und finden. Die Entscheidung wird Ihnen immer noch schwer fallen, aber das Positive ist, Sie können sie fällen. Sie können beschließen, was in der jeweiligen Situation eine adäquate Lösung ist. Dies ist eine Pflicht, aber auch eine Ehre, welche nicht allen Menschen zugetragen wird.
Solche Entscheidungen treffen Sie täglich im Kleinen sowie zunehmend auch im Großen. Es ist dabei auch eine soziale Aufgabe, analytisch zu sein. Bewahren Sie zum Beispiel die Konkurrenzfähigkeit des Unternehmens durch Stellenstreichung, schützen Sie alle verbleibenden Arbeitnehmer. Ebenso können Sie eine soziale Entscheidung auch analytisch fällen, so beispielsweise, wenn Sie aufgrund Ihrer Kalkulation die Unnötigkeit der Stellenstreichung beweisen können.
Wichtig ist, dass Sie Ihre Denkmuster kennen und akzeptieren. In der nächsten Ebene können Sie dann lernen, innere Konflikte zwischen Emotionalität und Rationalität nicht als Hindernis, sondern als nützlichen Mechanismus anzusehen, der Ihnen bei Ihrer Persönlichkeitsentwicklung hilft, Ihre Ziele und Werte in Einklang zu halten.
Stärken und Schwächen
„Der Stärkere ist als solcher noch lange nicht der Bessere.“
CARL JAKOB BURCKHARDT
Stärken und Schwächen aus eigener und aus fremder Sicht
Kein Bewerbungsgespräch kommt um sie herum: Stärken und Schwächen. Sie gehören zur Selbst- sowie zur Fremdeinschätzung; in der Selbsteinschätzung müssen Sie die Stärken und Schwächen finden, interpretieren und verarbeiten. Eine Fremdeinschätzung der Stärken und Schwächen, beispielsweise in Form eines Feedbacks, müssen Sie ebenfalls aufnehmen, interpretieren und verarbeiten.
Zur aktiven Herangehensweise wird im Folgenden ein Prozess beschrieben, welcher ausgehend von der Identifikation der Stärken und Schwächen über die Bewertung und Interpretation konsequent auch zur Bearbeitung der Ergebnisse führt. Der konsequente Umgang mit Stärken und Schwächen in der Bewerbungsphase und in kommunizierter Form, beispielsweise in einem Personalgespräch, werden in den jeweiligen Kapiteln besprochen.
Stärken und Schwächen identifizieren
Um sich mit Ihren Stärken und Schwächen zu beschäftigen, müssen Sie diese erst einmal identifizieren. Dafür gibt es zwei leicht abgrenzbare Möglichkeiten: erstens die Eigenidentifikation und zweitens die Fremdidentifikation. Wenn möglich, sollten Sie beide Methoden verwenden, um ein umfassendes Bild zeichnen zu können und genügend Arbeitsmaterial für die folgenden Schritte bereitzustellen. Die Identifikation von Stärken und Schwächen in der Selbsteinschätzung stellt sich leider als außerordentlich knifflig heraus. Die Fremdeinschätzung im Gegensatz bedarf zwar der Überwindung und Vorbereitung, in der Durchführung genügt ihr aber die Aufnahme der Berichterstattungen.
Abbildung 11: Eigene und fremde Identifikation individueller Stärken und Schwächen
Orientierungsfragen zur Identifikation von Stärken und Schwächen
Zur Identifikation der eigenen Stärken und Schwächen müssen Sie einerseits eine retrospektive Betrachtung Ihrer bisherigen Laufbahn vornehmen und andererseits Ihre jetzige Kompetenz beurteilen. Die Laufbahn besteht neben akademischen und beruflichen Entwicklungen auch aus unzähligen sozialen Komponenten. Für die Ableitung von Stärken und Schwächen helfen Orientierungsfragen, wobei diese mitunter besonders wirkungsvoll sind, wenn Sie aus der entgegengesetzten Richtung fragen, zum Beispiel bei Eigenschaften wie Pünktlichkeit „Was bin ich zum Glück nicht?“.
Nutzen Sie folgende Fragen als Ausgangspunkt, um Ihre Stärken zu identifizieren:
▪ Welche Themen habe ich öfter tief greifend behandelt?
▪ Was haben ich nicht, was mich an anderen Personen stört?
▪ Warum habe ich keine beruflichen oder privaten Probleme?
▪ Was prägt fast jede Arbeit oder Aktion?
▪ Was treibt mich an, etwas zu tun?
Zur Identifikation der Schwächen können Sie folgende Fragen als Anregung nutzen:
▪ In welchem Bereich habe ich noch nicht gewirkt?
▪ Was fällt mir Besonderes auf, was andere Personen besser können?
▪ Was fehlt mir am häufigsten im Alltag?
▪ Was hält mich ab, Dinge zu tun?
Zur Fremdeinschätzung verwenden Sie optimalerweise das 360°-Feedback. Ein Winkel von 360° bildet bekanntlich einen Kreis, und dieser Kreis wird um die Person gelegt, welche das Feedback erhalten möchte.
Abbildung 12: 360°-Feedback von Kunden, Kollegen, Vorgesetzten und Mitarbeitern
Es werden dem Bild folgend alle Kontaktpersonen um die betrachtete Person zur Formulierung eines Feedbacks aufgefordert. Dies heißt, dass Sie beispielsweise als Führungsperson nicht nur von Ihrem eigenen Vorgesetzten ein Feedback erhalten, sondern dieses Feedback auch durch die Beurteilung Ihrer untergeordneten Mitarbeiter ergänzt wird. Im theoretischen Konstrukt des 360°-Feedbacks werden als dritte Perspektive die gleichgestellten Mitarbeiter (Kollegen) und als vierte Dimension die Kunden befragt. Damit werden rund um die Person Meinungen und Beurteilungen gesammelt, welche dann nach der Interpretation ein vielschichtiges Porträt des Auftretens der betrachteten Person in der Gesellschaft darstellen.
Echtes Interesse und Verstehen, vor allem von negativen Fremdeinschätzungen
Die Bitte um ein Feedback ist, nach der gründlichen Vorbereitung, recht simpel. Die Rezeption der Informationen sollte keine einseitige und passive Wahrnehmung von Beurteilungen und Einschätzungen sein, sondern Sie sollten als bittende Person aktiv am Verständnis des Gesagten interessiert sein. Wenn Sie die Beurteilungen nicht komplett verstehen, ist die Fremdeinschätzung wertlos. Besonders negative Aspekte werden erfahrungsgemäß oft ausgeblendet und verdrängt, dabei müssen Sie gerade diese präzise hinterfragen und erläutern lassen sowie um Beispiele und Verbesserungshinweise bitten, um sie verstehen und zukünftig daran arbeiten zu können.
Feedback von unten fördert Kritikkultur
Das Erbitten eines Feedbacks von seinen eigenen Mitarbeitern wird bis zum heutigen Zeitpunkt kaum vorgenommen, hat aber effektvolle und sogar wirtschaftliche Vorteile. Abgesehen von einer kommunikativen Nähe und gesunden Kritikkultur, welche zwischen dem Vorgesetzten und seinen Mitarbeitern aufgebaut wird, können Arbeitsabläufe durch konkrete Hinweise des Mitarbeiters verbessert werden. Sie dürfen sich aber nicht darüber hinwegtäuschen lassen und vermuten, dass ein Feedback von den eigenen Mitarbeitern sehr objektiv ist. Ein Mitarbeiter ergründet in Ihren Fragestellungen prompt einen Hinterhalt und fürchtet, durch kritische und möglicherweise unbeschönigte Rückäußerungen negative Konsequenzen tragen zu müssen.
Stärken und Schwächen interpretieren und bewerten
Handelt es sich um tatsächliche Stärken und Schwächen?
Nicht alle Punkte, welche von Ihnen selbst oder einer anderen Person als Stärken und Schwächen identifiziert wurden, sind wirklich Ihre substanziellen Stärken oder Schwächen. Trotzdem sollten Sie die Hinweise einer Fremdeinschätzung nicht leichtfertig als falsch verbuchen, auch wenn Sie vorerst keinen persönlichen Zusammenhang erkennen können. Sie betreffen, auch wenn sie vorerst unberechtigt erscheinen, die Wahrnehmung Ihrer Person. Die Fremdeinschätzung ermittelt konkret, wie Sie eingeordnet wurden; die Eigeneinschätzung kristallisiert hingegen heraus, wie Sie ursprünglich auftreten wollten. Gerade die Differenz ist von größtem Interesse zur folgenden Bearbeitung und Weiterentwicklung. Bei grob abweichenden Auffassungen zwischen Selbst- und Fremdbewertung erfragen oder überlegen Sie, wie diese Personen auf diese spezifischen, Ihnen unbekannten Erkenntnisse gekommen sind. Eine schnelle und einfache Auflösung ist, dass die Person sich nicht viel mit Ihnen beschäftigt hat. Meist gibt es jedoch viel aussagekräftigere und ehrlichere Antworten als diese.
Primäre Bewertungsaspekte Ihrer Stärken und Schwächen
Die identifizierten Stärken und Schwächen müssen Sie nun nach ihrer Signifikanz gewichten. Dabei ist es hilfreich, die Strukturierung unter zwei Gesichtspunkten zu betrachten. Erstens: Wie oft kann ich diese Stärke einsetzen bzw. wie oft tritt diese Schwäche auf? Zweitens: Welche Folgen hat diese Stärke bzw. Schwäche? Diese erste Bewertung betrifft alle Stärken und Schwächen, egal ob Sie diese durch eine Fremd- oder Selbsteinschätzung identifiziert haben. Das Ergebnis können Sie getrennt für Schwächen und Stärken als ganz normale Matrix graphisch darstellen. Tragen Sie auf der Achse „Ausprägung“ ein, wie stark die jeweilige Stärke bzw. wie schwach die jeweilige Schwäche tatsächlich relativ zu anderen Fähigkeiten und Fertigkeiten sind. Auf der Achse „Auswirkung“ tragen Sie Ihre subjektive Einschätzung ein, wie groß der Effekt dieser Stärke oder Schwäche ist. Eine hohe Auswirkung bei einer Stärke kann also hohen Gewinn versprechen, eine Schwäche mit starker Auswirkung hingegen ein tatsächliches Risiko darstellen. Punkte, welche weiter weg vom Ursprung liegen, sind daher bei der Bewertung von besonderem Interesse, da sie besonders eklatant sind und am meisten Entwicklungspotenzial bieten.
Abbildung 13: Auswirkung und praktische Bedeutung Ihrer Stärken und Schwächen
Stärken und Schwächen bearbeiten
Die Stärken und Schwächen, welche Sie nun in gewichteter und interpretierter Form dargestellt haben, können Sie jetzt bearbeiten. Dabei gibt es drei Herangehensweisen, welche in der Literatur vielfältig diskutiert werden. Erstens: Probieren Sie, jede einzelne Ihrer Schwächen abzubauen. Zweitens: Intensivieren Sie Ihre Stärken. Und drittens: Machen Sie gar nichts – es entwickelt sich sowieso alles von selbst und anders als geplant.
„Leben oder gelebt werden“
Besonders die dritte Methode ist nicht zu empfehlen, da die passive Lebensführung meist nicht von allein in die gewünschte Richtung führt. Die Dinge entwickeln sich zwar auch ohne Ihr Zutun – allerdings verlieren Sie damit den Einfluss auf Ihr eigenes Leben. Sie werden reaktiv statt proaktiv. Konfrontieren Sie sich selbst mit der Frage: „Wollen Sie leben oder gelebt werden?“ Ihre Stärken sind Ihre Produktionsfaktoren, Ihre Eintrittskarten, Ihre Tauschmittel, welche Sie gegen andere materielle und immaterielle Güter eintauschen können. Ein passiver Umgang mit diesen Produktionsfaktoren ist möglich, gleicht jedoch einer Verschwendung wertvoller Ressourcen – nicht nur für die Wirtschaft oder ein Unternehmen, sondern vorrangig für Sie selbst.
Demzufolge bleiben nur zwei Möglichkeiten übrig, welche Sie nicht einzeln betrachten, sondern verbinden sollten. Sie können jederzeit gleichzeitig an Ihren Stärken und an Ihren Schwächen arbeiten. Probieren Sie im Privat- und Berufsleben stets Ihre Stärken zu positionieren. Wenn Sie etwas gut können, zeigen Sie es. Machen Sie noch ein Zertifikat in diesem Gebiet oder suchen Sie sich Aufgaben, in welchen gerade diese Stärken gut zur Geltung kommen können. Arbeiten Sie gleichzeitig aktiv an der Reduzierung Ihrer Schwächen. Erwarten Sie nicht, dass Führungskräfte, Kollegen oder Mitarbeiter diese übersehen. Ist beispielsweise Ihr Englisch nicht besonders gut, üben Sie es. Verfolgen Sie ab jetzt täglich die Nachrichten von CNN oder BBC. Nach spätestens einem Monat bemerken Sie die Erfolge.
Regelmäßige Selbstreflektion
Der Bearbeitung folgt eine regelmäßig wiederholte Überprüfung der eigenen Stärken und Schwächen. Sorgfältig durchgeführt, identifizieren Sie dabei zu einem späteren Zeitpunkt möglicherweise weitere Stärken oder Schwächen. Dabei sollten Sie mit einem neuen Arbeitsblatt anfangen, um sich nicht durch die alte Übersicht beeinflussen zu lassen. Sind die neuen Stärken und Schwächen zusammengestellt, können Sie diese in der Interpretationsphase mit dem vorherigen Bild vergleichen und schon gründlicher an die konkrete Bearbeitung herangehen.
Verhaltensmuster identifizieren und nutzen
Verhaltensmuster basieren auf Denk- und Fühlmustern
Verhaltensmuster bilden in Kapitel 1.3. das abschließende Muster. Sie sind direkt sichtbare Verhaltensweisen, und dem Denkmuster äquivalent folgend, basieren sie auf den vorherigen Strukturierungen, also auf den Fühl- und Denkmustern. Ausgelebte Verhaltensmuster zeigen Lebenseinstellungen, welche Sie einnehmen, und werden vermengt mit der Lebenseinstellung, welche Sie gern einnehmen würden. Die Muster sind demnach immer Bild von Realität und Wunschvorstellung. Verhaltensmuster zeigen sich in verschiedenen Situationen. Beispielsweise entgleisen einem Choleriker eventuell bereits die Zügel, wenn ein Phlegmatiker erst hellhörig wird. Die Kenntnis dieser eigenen und fremden Verhaltensmuster hilft bei der Konfliktprävention und -bewältigung. Strukturell können Sie Verhaltenmuster in einer einfachen Matrix darstellen.
Abbildung 14: Verhaltensmuster und Änderbarkeit
Beispielhaft ist eine große körperliche Statur physiologisch und damit nicht veränderbar. Ein außergewöhnlich zurückhaltendes Auftreten ist aber veränderbar und so der Zeile „psychologisch“ zuzuordnen. Dieses Auftreten wird zum Beispiel auch durch die Rollen determiniert, welche Menschen im Privat- und Berufsleben einnehmen. Diese werden im Folgenden dargestellt und durch das DISG-Modell konkretisiert, welches eine Einordnung von Personen in bestimmte Verhaltensstrukturen ermöglicht. Eine solche Einordnung kann hilfreich sein, um Personen individuell und situationsgerecht anzusprechen. Abschließend wird die Ausstrahlung noch als originärer Bereich aufgeführt, welcher am bedeutendsten den Unterschied zwischen Realität und Wunschvorstellung in einem Verhalten aufzeigt.
Lebensrollen
„Der ist beglückt, der sein darf, wie er ist.“
F. VON HAGEDORN