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Kapitel 17

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Bern, Waisenhausplatz, 23. November 2019, 13:35

Obermaier war noch keine zwei Minuten aus seiner Mittagspause zurück, als Lisa und Zigerli bereits in sein Büro platzten. Ein fünfliber-großer Fettfleck zierte auf Brusthöhe das Diensthemd von Obermaier und legte Zeugnis vom gemeinsamen Mittagessen mit Trachsel ab. Die beiden hatten sich wahrscheinlich, wie mindestens zweimal pro Monat, eine Zytglogge-Röschti mit Bauernwurst, Speck und Spiegelei in ihrem Lieblingsrestaurant Anker gegönnt. Für das Vorhaben von Lisa war dies äußerst positiv, weil anzunehmen war, dass Obermaier nach dem feinen Mahl bester Laune sein würde. Tatsächlich begrüßte er die beiden Ermittler überschwänglich.

»Ah, Frau Kollegin Manaresi und der Herr Kollege … ähm …« Den Namen von Zigerli konnte sich Obermaier nie merken. Er interessierte ihn schlicht nicht.

»Was kann ich für Sie tun?«, erkundigte sich Obermaier.

»Herr Obermaier, einmal mehr brauchen wir Ihren Rat, das heißt Ihre Unterstützung«, umgarnte Lisa den bayrischen Pfau.

»Na, dann schießen Sie mal los. Wie kann ich Ihnen helfen?«

»Es geht um eine vermisste Person. Genauer gesagt um meine jüngste Schwester Alva. Sie ist seit drei Tagen nicht von einem Besuch bei einer Kollegin zurückgekehrt.« Lisa hatte absichtlich die Abwesenheitsdauer von Alva verlängert, weil sie befürchtete, dass Obermaier ansonsten versuchen würde, auf simples Abwarten zu plädieren. »Kürzlich haben Sie persönlich mit einer sehr erfolgreichen Handyortung einem Bergsteiger in Grindelwald das Leben gerettet. Ich bin immer noch tief beeindruckt, wie Sie dies hingekriegt haben. Könnten Sie netterweise auch eine Ortung von Alvas Handy veranlassen?«

»Nun ja, grundsätzlich liegt dies in meinem Kompetenzbereich. Allerdings scheint mir, dass im vorliegenden Fall keine Bedrohung von Leib und Leben vorliegt. Das wäre eine zwingende Voraussetzung. Jede Handyortung wird nämlich registriert, und im Rahmen von Qualitätskontrollen wird periodisch überprüft, ob die durchgeführten Ortungen auch tatsächlich angebracht waren. Es tut mir leid, aber in Ihrem Fall kann ich leider nicht helfen.«

Lisa hatte damit gerechnet, dass der deutsche Wichtigtuer widerspenstig sein würde. Auf eine Anmachnummer wie vor Kurzem bei Trachsel hatte sie keine Lust. Sie musste Obermaier auf eine andere Art überzeugen. Ihre Antwort hatte sie sich deshalb im Voraus sorgfältig überlegt.

»Herr Obermaier, Sie sind unsere letzte Hoffnung. Wir sind total verzweifelt. Aber ich verstehe Sie. Dienstvorschriften sind Dienstvorschriften. Die muss man penibel einhalten.«

»Da bin ich absolut Ihrer Meinung, junges Fräulein«, betonte Obermaier.

»Sagen die Dienstvorschriften nicht auch, dass während dem Dienst über Mittag kein Alkohol getrunken werden darf? Mir ist vorhin die Quittung des Restaurants Anker von heute Mittag auf Ihrem Pult aufgefallen. Dort werden sechs Halbe Bier ausgewiesen. Das wären drei für Sie und drei für Trachsel.«

»Rechnen kann ich selber! Worauf wollen Sie hinaus, Frau Manaresi?«, fauchte Obermaier. Seine gute Laune hatte sich in Sekundenbruchteilen in Ärger verwandelt. Feindselig blinzelte er Lisa an. Es kostete sie Mühe, weiter die Rolle der gestrengen, pflichtbewussten Polizistin zu spielen.

»Wenn man die Dienstvorschriften beim Essen großzügig auslegen kann, sollte dies beim Handyorten auch möglich sein«, kombinierte Lisa.

Obermaier schluckte leer und überlegte fieberhaft. Es passte ihm überhaupt nicht, nach der Pfeife einer Juniorpolizistin zu tanzen. Ihm fiel aber nichts ein, das ihn aus der Affäre retten könnte. Zähneknirschend antwortete er:

»Für Sie, Kollegin Manaresi, mache ich eine Ausnahme. Schätzen Sie sich glücklich, über Beziehungen zu den richtigen Stellen zu verfügen.«

Lisa ließ ihm die erneuten Wichtigtuereien durchgehen. Sie war zu ungeduldig und wollte so rasch als möglich Kontakt mit ihrer Schwester herstellen. Leicht ungehalten reichte sie Obermaier einen Zettel mit Alvas Handynummer.

Eine knappe halbe Stunde später war Obermaier zurück.

»Tut mir leid. Die Ortung war nicht erfolgreich. Ich vermute, dass das Handy ausgeschaltet ist.«

Kurz hegte Lisa den Verdacht, dass Obermaier gar keine Ortung durchgeführt hatte. Die Enttäuschung im Gesicht von Zigerli, welcher Obermaier unauffällig gefolgt war, ließ sie innehalten. Mit einem kurzen »Danke« verdrückten sich Lisa und Zigerli aus Obermaiers Büro.

Inzwischen war es Lisa gewohnt, mit Rückschlägen umzugehen. Es gehörte dazu, immer wieder in einer Sackgasse zu landen. Die Kunst des Ermittelns lag darin, beharrlich zu bleiben und auch Spuren zu verfolgen, welche auf den ersten Blick aussichtslos wirkten.

Lisa und Zigerli brauchten eine neue Spur. Sowohl auf der Suche nach dem Mörder von Siri als auch auf der Suche nach Alva. Siri konnte niemand mehr helfen, Alva war möglicherweise in Gefahr. Sie beschlossen deshalb, zum Stufenbau zu gehen. An den Ort, an welchem Alva bekanntermaßen zum letzten Mal von anderen Personen gesehen worden war. Es ging bereits gegen Ende des Nachmittags, als die beiden den Eingang des Eventlokals erreichten. Dieser war verschlossen, es war auch keine Menschenseele zu entdecken. Eine Verlegenheitsspur hatte sich leider einmal mehr als aussichtslos herausgestellt. Frustrierender Alltag der Kriminalpolizei.

Lisa und Zigerli beschlossen, zu Fuß den Rückweg zur Wache am Waisenhausplatz anzutreten. Die kühle Novemberluft würde ihren rauchenden Köpfen guttun. Es war ein ruhiger Frühwinterabend. Die einbrechende Dämmerung malte stimmungsvolle Wolkenbilder in den Berner Himmel. Gedankenverloren stapften Lisa und Zigerli der Innenstadt zu. Lisa überhörte das schwache Signal ihres Handys, als eine Kurznachricht eintraf. In demselben Moment summten auch die Mobiltelefone von Elin und Luca.

Das Böse kam auf leisen Sohlen.

Das Schweigen der Aare

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