Читать книгу Höllenteufel - Andre Rober - Страница 4
Kapitel II
Оглавлениекомната вскрытия - Obduktionsraum - stand auf der wuchtig anmutenden, doppelflügeligen Tür. Der einstige Glanz des Edelstahls war im Laufe der Jahrzehnte zu einer matten, mit Kratzern übersäten, unansehnlichen Oberfläche verkommen. Der Einsatz scharfer Scheuermittel hatte aber nicht nur auf dem Metall seine Spuren hinterlassen: Auch das Glas der beiden bullaugenähnlichen Fenster, die in je einem der Flügel in genieteten Rahmen für einen Ein- oder Ausblick sorgen sollten, war stumpf geworden. Nicht blind, aber man konnte dahinter nur noch schemenhaft Strukturen erkennen.
Vor dieser Barriere, der Grenze zwischen den Lebenden und den Toten, stand der junge Uniformierte und starrte vor sich auf den Boden. Betroffen zum einen und ängstlich, verlegen zum anderen. Sein erstes Mal. Nicht dass er im Laufe der Ausbildung schon den obligatorischen Gang in die Gerichtsmedizin hinter sich gebracht hatte. Heute war es etwas anderes. Scheu blickte er auf und als er merkte, dass seine Begleiterin in den Anblick einer Fotografie vertieft war, erlaubte er seinen Augen, einige Momente auf der jungen Frau zu verweilen. Zusammengesunken, fast kauernd, saß sie auf einem der Plastikstühle und hielt das Bild mit beiden Händen geradezu andächtig vor ihr Gesicht. Ihre Lippen formten stumme Laute, fast, als würde sie allein in einer Kirche sitzen und innig beten. Sie war schlank, zierlich, aber nicht dünn. Ihr ebenmäßiges Gesicht wurde eingerahmt von einigen lockigen Strähnen, die nicht wie der Rest ihrer blonden Haare in dem wilden Dutt an ihrem Hinterkopf gezähmt waren. Das Blau ihrer Augen konnte er auch aus dem gebotenen Abstand noch leuchten sehen, die Stupsnase, gerötet vom Gebrauch zu vieler Taschentücher, stand gerade über dem kleinen, aber volllippigen Mund. Zerbrechlich wirkte das Mädchen, und erschöpft. Er kannte ihre Geschichte und wusste, dass ihr das Leben in ihren jungen Jahren schon zu viel zugemutet hatte. Umstände, die ihr schon früh Verantwortung abgerungen hatten, die Entscheidungen und Taten erforderten, denen Menschen in ihrem Alter eigentlich noch nicht ausgesetzt werden sollten. Und wenn sich gleich hinter dieser Tür, die so abweisend kalt den Raum dahinter verschloss, die Vermutung bestätigen würde… ein weiterer Schicksalsschlag für seinen Schützling, als den er sie zumindest für den Moment ansah. Da sie immer noch das Foto betrachtete, von dem er nur vermuten konnte, was darauf zu sehen war, studierte er die zarten Finger, die schlanken Beine. Ihm fiel auf, dass sie die Füße, die in weinroten Stiefeletten steckten, ein wenig nach innen gedreht hatte, was ihre Verletzlichkeit in dieser Situation noch unterstrich.
Da waren sie nun: Er, wahrscheinlich kaum fünf Jahre älter als sie, und die blonde Frau, zwei Fremde, die sich erst kurz zuvor getroffen hatten, um an diesem unwirtlichen Ort zusammen zu warten. Zu warten, dass entweder eine schreckliche Ahnung zur nicht minder schrecklichen Gewissheit würde oder aber, dass die Erleichterung einen Atemzug lang durch den Körper strömte, um dann der zernagenden Ungewissheit wieder jenen Raum zu geben, der von allen anderen Gedanken Besitz ergriff.
Jetzt blickte sie auf, jedoch richtete sie ihre traurigen Augen nicht auf ihn, sondern auf die Uhr, die ihr gegenüber neben der Stahltür an der Wand hing. Was sie sah, löste keine erkennbare Reaktion aus: keine Langeweile, keine Ungeduld, keine Verärgerung. Wahrscheinlich schaute sie nur auf die Uhr, weil es Menschen, die auf etwas warten, einfach tun – und fragte man sie nach der Zeit, sie wüssten die Antwort nicht…
Hinter den Bullaugen veränderte sich das Licht ein wenig und kurz darauf öffnete sich ein Türflügel nach innen. In der Öffnung erschien ein Mann, vielleicht Anfang sechzig, untersetzt. Sein langer weißer Kittel war schmuddelig, die Finger, die an der Tür zu sehen waren, ungepflegt. Um seinen Hals baumelte eine OP-Maske und die dicken Gläser seiner Weitsichtbrille vermochten nicht, seinen glasigen Blick zu verschleiern. Ebenso wie die rote Nase und das aufgedunsene Gesicht gab er davon Zeugnis, dass auch am heutigen Vormittag schon zu viel Vodka die Kehle des Rechtsmediziners benetzt hatte.
„модойдите сюда“, grunzte er kaum verständlich und ohne Begrüßung. Kommen Sie.
Er trat einen Schritt zur Seite.
Zögerlich erhob sich die junge Frau, sah unsicher zu dem Uniformierten und trat, nachdem dieser genickt und mit der Hand Richtung Tür gewiesen hatte, in den Raum. Der junge Mann blieb dicht bei ihr. Schüchtern sah sie sich um, während sie dem Arzt zu einer Wand aus Kühlfächern folgte, deren Stahltüren ebenso abgenutzt und überaltert aussahen, wie die am Eingang. Sie fröstelte augenscheinlich, schob die gestrickten Pulswärmer bis über die Handfläche, stellte den Kragen ihres Mantels auf und zog den Schal etwas enger. Wieder suchte sie Augenkontakt zu dem Beamten, der ihren Blick unbeholfen erwiderte und sich dann dem Kühlfach zuwandte, an dem sich der bekittelte Mann zu schaffen machte. Die Tür schwang auf und eine Bahre wurde sichtbar. Ein Laken, weiß und sauber, deckte den menschlichen Körper ab, der auf der metallenen Schublade lag. Der Pathologe zog sie heraus, bis etwa die Hälfte davon in den Raum ragte. Ohne Ankündigung, ohne vorbereitende Worte und ohne die Frage, ob sie denn bereit sei, schlug er das Leinentuch zurück, so dass Kopf und Schultern einer jungen Frau zum Vorschein kamen. Der Tod war gnädig mit ihr gewesen. Die an Alabaster erinnernde Haut war unversehrt, die Augen und Lippen waren geschlossen. Sie strahlte eine paradoxe Friedlichkeit aus, fast, als würde sie schlafen. Der Polizist konnte sich dem zarten Antlitz der Toten ebenso nicht entziehen wie zuvor auf dem Gang dem Anblick seines Schützlings. Trotz der schulterlangen, rotgefärbten Haare der Verstorbenen war die verwandtschaftliche Beziehung zu seiner Begleiterin leicht zu erkennen. Innerlich sank er ein wenig zusammen. Wie musste sie sich fühlen? Er sah hinüber und bemerkte, dass sie vor sich auf den Boden starrte – sie hatte es noch nicht fertiggebracht, den Leichnam anzusehen. Und wie sie dastand, noch hilfloser und angreifbarer als zuvor, hätte er ihr die Notwendigkeit am liebsten erspart, auch wenn er wusste, dass dies nicht möglich war. Doch bevor er sich mit tröstenden Worten an die Frau wenden konnte, raunte der ungeduldig wirkende Arzt ein barsches „это ее?“ – Ist sie es?
Die Frau blickte auf und sofort zeigte sich der Schmerz auf ihrem Gesicht. Es dauerte eine Zeit, bis sie schweigend nickte und sich, bevor einer der beiden Männer es hätten verhindern können, nach vorne beugte und der Toten einen Kuss auf die Stirn gab. Dann wandte sie sich dem Polizisten zu, den die feste, fast entschlossene Stimme überraschte, als sie ihn bat, ihr genau zu erzählen, was passiert sei.