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DIE GEBURT

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Signora Caterina Ricci Gramitto, verheiratet mit Stefano Pirandello, Schwefelhändler, bewohnt das große Haus in Porto Empedocle mit ihrer Erstgeborenen Rosolina (so getauft zu Ehren von Rosolino Pilo, dem General unter Garibaldi), kurz Lina genannt.

Als die Cholera ausbricht, ist Signora Caterina wieder schwanger und hat das Zimmer herrichten lassen, in dem schon Lina zur Welt gekommen ist und in dem nun auch das neue Kind das Licht der Welt erblicken soll.

Doch die Angst vor einer Ansteckung ist groß. Der Gatte bringt sie zusammen mit der Tochter in ein kleines Haus auf dem Land, das fast am Abhang des ausgetrockneten Flußbettes steht, und von wo aus man das Meer sehen kann. Das Haus befindet sich genau an der Stelle, wo das Gemeindegebiet von Girgenti beginnt. Don Stefano ist kein häuslicher Typ: zum einen, weil er wirklich viel zwischen Palermo und den Schwefelminen im Inneren der Insel zu tun hat; zum anderen, weil er ein richtiger Mann ist, und ein richtiger Mann hält sich nicht in den Wänden seines Hauses bei Frau und Kindern auf.

Caterina leistet er vor allem abends und in der Nacht Gesellschaft, allerdings nur, wenn er kann. Einer seiner Brüder ist Junggeselle und hat keine familiären Verpflichtungen.

An schönen Vormittagen, wenn die Hausdienerin, eine Bäuerin aus der Umgebung, das Haus reinigt oder die Wäsche wäscht, geht Signora Caterina langsam die achthundert Meter, die das Haus von dem Steilhang trennen, unterhalb dessen sich der wie Kupfer schimmernde Strand und das Blau des Meeres ausdehnen.

Da steht eine jahrhundertealte Pinie, in deren Schatten ein flacher Stein aufgestellt worden ist, der als Sitz dient. Da verbringt Signora Caterina ein paar Stunden, während Lina, die noch nicht laufen kann, zusammengekauert an ihrer Brust schläft. Um die Zeit zu verbringen, klöppelt sie, die Klöppelröllchen hat sie immer dabei. Wenn sie zurückkommt, hat das Hausmädchen schon den Tisch gedeckt und das Essen vorbereitet und möglicherweise auch bereits das Abendessen gekocht. Nach dem Mittagessen schläft sie ein bißchen. Dann kommt bei Einbruch der Dunkelheit, wenn sie die Lampen anzündet, der Bruder. Signora Caterina fühlt sich zuversichtlich: immerhin kann sie ein paar Worte wechseln. Die Schwangerschaft verläuft ruhig.

Sie weiß nicht, daß ihr Gatte Stefano sich aufgrund seines Herumreisens mit der Cholera angesteckt hat. Sie weiß es nicht, weil ihr Gatte es ihr nicht sagen will, und er hat auch alle Mitglieder der Familie seiner Frau schwören lassen, daß sie schweigen würden: er hat Angst vor dem Gefühlsausbruch seiner Frau, die ja zudem schwanger ist. Als er beim Ehemann einer ihrer Schwestern zu Gast ist, schickt Don Stefano ein paar kurze Zeilen an Caterina und gibt vor, in Palermo zu sein und von Geschäften völlig in Anspruch genommen zu werden.

Es mußte sich um eine leichtere Form der Erkrankung handeln, denn Don Stefano überlebte, und war nach etwas über einem Monat sogar in der Lage, sich wieder auf den Beinen zu halten.

So präsentierte er sich eines Tages seiner Gattin. Allerdings hatte er nicht bedacht, daß die Krankheit seinen Körper ausgetrocknet und Veränderungen in seinem Gesicht nach sich gezogen hatte: als er vor sie hintrat, hätte Donna Caterina fast der Schlag getroffen. Und so, wie er plötzlich aufgetaucht war, hatte Don Stefano sich gleich am folgenden Tag wieder seinen Geschäften gewidmet. Fünf Tage später, gegen zwei Uhr nachts, wurde Donna Caterina vor der Zeit von Geburtswehen befallen.

In dieser Nacht schlief der Bruder im Haus, der, notdürftig angezogen und mit einer Lampe in der Hand, über die Felder eilte, auf der verzweifelten Suche nach einer Bäuerin, die als Hebamme helfen konnte. Zu dieser Nachtzeit jedoch hatte niemand den Mut, ihm die Haustüre zu öffnen. Als er gegen halb vier völlig verzweifelt heimkehrte, hatte seine Schwester ganz alleine einen Jungen zur Welt gebracht, ein Siebenmonatskind, während Töchterchen Lina glücklicherweise ungestört weitergeschlafen hatte.

Dem Kleinen wurde der Name Luigi gegeben.

Sobald er in der Lage ist zu verstehen (und das ist er schon bald), was die Mutter ihm erzählt, begreift der kleine Luigi, daß er an einem Ort und an einem Tag zur Welt gekommen ist, die anders waren, als man ursprünglich geplant hatte. Eine doppelte Niete.

Die Tatsache, daß er im siebten Schwangerschaftsmonat geboren ist, müßte in gewisser Hinsicht, wenn man einer Bauernweisheit Glauben schenken will, ein eindeutiges signum individuationis darstellen, ein Brandmal, wie bei Pferden. »Figliu settiminu/o diavulu o parrinu«, heißt es im Sizilianischen: Alternativen gibt es keine für ein Siebenmonatskind, entweder gehört es dem Teufel oder der Kirche.

Der nicht geplante Ort wird für Luigi später einmal Anlaß zu besonderem Stolz sein.

In einem Brief an einen Freund wird er schreiben:

Ich bin nämlich ein Sohn des Chaos; und das nicht im allegorischen Sinne, sondern tatsächlich, denn ich bin auf einem Landgut geboren, das in der Nähe eines dichten Waldes liegt, den die Bewohner von Girgenti in ihrem Dialekt Càvusu, Chaos, nennen … eine dialektale Korrumpierung des ursprünglichen altgriechischen Wortes Xáos …

Von Càvusu zu Caos und von Caos zu Xáos wird die Nobilitierung des Ortsnamens notwendig: »Namen sind die Folge von Dingen, aber Dinge sind auch die Folge von Namen«, wird Leonardo Sciascia einmal bemerken.

Die räumliche Niete dagegen verursacht bei ihm einige Sprach- und Ratlosigkeit, auch einige Zweifel, und das nicht aus dem lokalpatriotischen Grund, zufällig auf dem Gebiet von Girgenti geboren zu sein, statt auf dem von Porto Empedocle. Nein, keineswegs! Das Problem ist ein ganz anderes.

Es handelt sich um allgemein bekannte Beschreibungen, die wir hier aber durchaus noch einmal lesen wollen.

In einer Nacht im Juni stürzte ich wie ein Glühwürmchen unter eine große einsame Pinie in einem Landstrich mit sarazenischen Olivenbäumen, am Rande einer Hochfläche aus bläulichem Lehm, die sich über dem afrikanischen Meer erhebt. Man weiß ja, wie Glühwürmchen so sind. Die Nacht, scheint ihr Schwarz gerade für sie auszubreiten, wenn sie, weiß Gott wohin fliegend, da und dort für einen Augenblick ihre sehnsüchtig blitzende grüne Lichtspur durch sie ziehen. Immer wieder fällt eines herab, und dann sieht man gerade so ein bißchen diesen seinen grünen Lichtseufzer zur Erde huschen, der so unerreichbar fern erscheint. So bin ich auch in dieser Juninacht herabgefallen

Und daher:

Ich glaube jedoch, für die anderen wird es eine Gewißheit gewesen sein, daß ich dort und nicht anderswo zur Welt kommen mußte und daß ich weder früher noch später geboren werden konnte; aber ich gestehe offen, von all diesen Dingen habe ich mir noch keinen Begriff gemacht und werde mir wohl auch nie einen machen können.

Ehrlich gesagt, glauben wir nicht, daß sich die Dinge so verhalten, wie Pirandello sie uns mitteilt: eine Vorstellung davon, weshalb sein unfreiwilliger Aufenthalt auf Erden von einer zweifachen Spur gekennzeichnet worden ist, hatte er sich ganz fraglos gemacht.

Und wenn schon keine klare Vorstellung, dann doch wenigstens die Feststellung eines Unbehagens.

Aufgeschreckt aus dem Schlaf, vielleicht auf Grund eines Irrtums, und in einem Durchgangsbahnhof aus dem Zug gezerrt. Nachtzeit; und ich ohne alles Gepäck.

Ich habe Mühe, mich von meiner Betäubung zu erholen

Ich stehe auf dem Bahnsteig, allein, in der Finsternis einer einsamen Station; und weiß nicht, an wen ich mich wenden soll, um zu erfahren, was mit mir geschehen ist, wo ich bin.

Und dann: Warum als Mensch geboren werden, als fröstelnder, verlorener Transitreisender?

Man wird auf viele Weisen und in vielen Formen zum Leben geboren: Baum oder Stein, Wasser oder Falter … oder Frau, und nur ein einziges Mal und in dieser bestimmten Form, denn niemals waren zwei Formen identisch, und so für eine geringe Zeit, manchmal nur für einen Tag und auf einem äußerst kleinen Raum, während man um sich herum und unbekannt die ganze weite Welt hat, die riesige, undurchdringliche Leere der Existenz. Als Ameise wird man geboren, als Schnake, als Grashalm.

Tja. Und wieso nicht Vierbeiner?

Ich weiß, welche Anstrengung ich in manchen Augenblicken auf mich nehme, um mich lediglich auf zwei Pfoten zu halten. Glaub mir, mein Freund: wenn es der Natur nachginge, wären wir alle aus Neigung Vierbeiner. Das wäre das Beste! Bequemer, angenehm bedächtig, immer ausgeglichen … Wie oft würde ich mich hinwerfen und auf der Erde gehen wollen, so, mit aufgestützten Fingern, auf allen Vieren! Diese verdammte Zivilisation ruiniert uns! Vierbeiner, ich würde ein schönes wildes Tier sein; Vierbeiner, ich würde dir ein paar Tritte in den Bauch versetzen, wegen der Grobheiten und Ungereimtheiten, die du von dir gegeben hast; Vierbeiner, ich hätte keine Frau, keine Schulden, keine Sorgen.

Aber nun ist er eben als Mensch geboren, er ist klein, ein Junge, der den Namen Luigi trägt.

Der vertauschte Sohn

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