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MARIA STELLA

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Es ist schwierig, mit der Mutter Worte zu wechseln, mit dem Vater ist es unmöglich. Doch glücklicherweise findet der kleine Luigi in der Wohnung in Girgenti eine Freundin.

Das ist das Hausmädchen, die Dienerin Maria Stella. Mit ihr kann er richtig sprechen, offen. Maria Stella ist eine junge Frau aus dem Volk und muß eine hervorragende Geschichtenerzählerin gewesen sein und erfreut sich an dem aufmerksamen, intensiven Blick ihres kleinen Schützlings.

Ein populäres sizilianisches Sprichwort hieß damals: ›La criata fa la criatura – Die Dienerin macht das Menschlein.‹

Dieses Sprichwort war doppelsinnig. Es besagte zunächst einmal, daß die Dienerin, wenn sie jung war, von einem Mann im Haus, dem Hausherrn oder auch dem jungen Herrn, unvermeidlicherweise irgendwann schwanger wurde. Danach besagte es, daß es oft die Dienerin war, die das Kind der Familie aufzog und ›heranbildete‹.

Unter verschiedenen Gesichtspunkten war es Maria Stella, die den kleinen Luigi eigentlich heranbildete.

Der Sizilianer ist nicht religiös, sondern abergläubisch. Verga, Capuana, Brancati, Sciascia haben das ausführlich dargestellt. Und es reicht, wenn wir in unserer Zeit an den Mafiamörder denken, der, obwohl flüchtig, oft den Priester in sein Versteck kommen ließ, das mit Altärchen und Heiligenbildchen ausgestaltet war.

Bestimmte religiöse Feste gehören wegen einiger Aspekte mehr zur heidnischen Seite der Sizilianer als zur katholischen. Wenn wir uns auf Girgenti und sein Gebiet beschränken, erinnern wir uns an mindestens zwei: Das Fest unseres Herrn von den Schiffen (es gibt auch einen Einakter von Pirandello, der diesem Fest gewidmet ist), das vor der kleinen Kirche San Nicola stattfindet und vor allem in einer wüsten Schlachterei von Schweinen besteht; und das Fest des heiligen Calò (das Pirandello in dem Roman Die Ausgestoßene unerklärlicherweise als Fest der Heiligen Cosmas und Damian bezeichnet).

In fast allen sizilianischen Häusern hatte der Klerus (mit dem man in toto die Religion identifizierte) eine Macht, die weit über die geistliche hinausging: sein Rat war in jeder Lebenslage gefragt, angefangen beim Kauf eines Möbelstücks bis hin zur Eheschließung.

Die Familie Pirandello war dagegen ein Stachel im Fleisch von Padre Sparma, Pfründeneigner der in unmittelbarer Nähe gelegenen Kirche San Pietro. Die Pirandellos hatten zwar ihre Kinder taufen lassen, aber sie rannten nicht in die Kirche, sie waren keine praktizierenden Gläubigen, und das reichte aus, daß die Nachbarn sie als gottlose Menschen bezeichneten. Das stimmte zwar nicht, aber die Pirandellos gehörten aufgrund ihrer Erziehung und ihrer Überzeugung zu denen, die sich zu dem Sprichwort bekannten: »Bei Mönch und Pfaffenklos / hör’ nur die Mess’! Dann gib ihm den Nierenstoß« (womit gemeint ist, daß man ihnen das Rückgrad brechen solle).

Das Hausmädchen Maria Stella erzählt dem Kleinen die gleichen Geschichten, die ihr erzählt worden waren, als sie klein war. Es sind Volkserzählungen, wie die vom Haus der Granellas, das von respektlosen Gespenstern bewohnt wird, oder die Geschichte vom Raben von Mìzzaro, auch sie mit Gespenstern als Hauptfiguren, oder die vom Engel Einhunderteins, der nachts eine große Engelschar anführt. Als erwachsener Mann kehrt Pirandello wieder zu diesen Geschichten zurück, die er aus dem Mund von Maria Stella gehört hatte, und macht sie zum Gegenstand seiner Novellen (die Geschichte des Engels Einhunderteins wird einen großartigen Monolog in dem Theaterstück Die Riesen vom Berge; I giganti della montagna bilden). Aber es steht außer Zweifel, daß die Geschichte, die den kleinen Jungen am meisten beeindruckt, die Geschichte vom vertauschten Sohn ist.

Der vertauschte Sohn

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