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Es lebt sich so dahin

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Vorsichtig öffnete ich meine Augen und schaute verschlafen auf den Wecker. JA! Es war schon Sonntag. Sonntag, der 21. September. Mein Geburtstag.

Mein SECHSUNDSECHZIGSTER Geburtstag.

Ich, Schalotte Schiller, genannt Lotti, ich war ab jetzt 66. Mit 66 fängt das Leben erst an. DAS wüsst ich aber!!!

Sie denken, ich hätte Schalotte falsch geschrieben? Nein, meine Eltern wussten es nicht anders. Sie schrieben, wie man’s spricht. Und jetzt sprechen alle meinen Namen, wie man ihn schreibt. Passt doch!

Schiller? Du bist doch nicht etwa.... ?

Die UrururururEnkelin des alten Friedrich Schiller? Fünf-XS-Enkelin? „Die Räuber“, „Maria Stuart“, „Wilhelm Tell“???

Nein, die bin ich nicht. Ich bin Lotti aus Middelgaard an der Ostsee. Ja fast. Am Middelgaarder See. Die Ostsee ist gefühlt aber gleich um die Ecke. Man riecht sie. Leichter Seetang. Muscheln, Algen. Meer. Knapp neun Kilometer.

Ab heute bin ich 66 Jahre und seit einem Jahr auf Rente.

WO war sie hin? Die Zeit? Waren meine Kinder nicht eben noch klein? Und jetzt?

Jan ist 40, hat drei Kinder und freut sich schon fast auf seinen Ruhestand. Nein, er arbeitet gerne in Flensburg.

Tim ist der älteste von meinen Kindern. Er ist schon 42. Unverheiratet und kinderlos. Mit 42!!! Aber mit jahrelanger Lebensgefährtin. Sarah. Freundin sag ich immer. Nein, er bleibt dabei. Lebensgefährtin.

Tim wohnt gleich bei mir ums Eck, wie ich immer sage. In Middelgaarder Förde. DIREKT an der Ostsee. DAS macht den Unterschied. Aber nächste Woche zieht er um. Mit Sarah. Nach Kiel. Dann muss er nicht mehr pendeln. Der Nebel macht ihm viel zu schaffen.

Und Merle? Kinderlos, geschieden, 34. Wohnt und arbeitet in Kiel. Freund? Wenn, dann im Geheimen. Hihi.

Früher, ja früher, .... da hätten jetzt meine drei Kinder gerufen. „Mama, aufstehen. Frühstück ist fertig!“ Und dann wäre ich, noch im Morgenmantel, in die große Essküche gekommen. Kerzen auf dem geschmückten Tisch. Herbst-Blumen aus dem Garten. Selbst gebackener Kuchen. Selbst gekochte Marmelade. Dampfender Kaffee. Echter Filterkaffee. Keine kleinen Plastik-Näpfe, die sich automatisch in Maschinen öffneten und Kaffee zauberten. Gut, der ist auch lecker. Aber seien Sie jetzt mal ganz ehrlich! Wenn Sie so etwas haben. Riecht Ihre Küche dann lecker nach Kaffee? Läuft einem das Wasser im Mund zusammen? Bei offenen Plastik-Näpfchen? NEIN.

Und dann wären da Geschenke gewesen. Viele Geschenke. Traumhaft eingepackt. Liebevoll. Mit roten Schleifen.

Ja, damals war alles besser. NEIN, so will ich nicht denken. Ich rechne auch nicht mehr in DM. Ich kenn schon den Euro. Horte nicht heimlich DM im Schrank! Benutze den Euro sogar! Und er freut mich.

Über wie viele Grenzen fahre ich immer ohne Zollkontrollen? Ohne Währungsumtausch? CHANGE?... No Change. Ich kann überall meinen € nehmen und bezahlen. Jedenfalls fast.

Und heute? Mein Geburtstag? JÄMMERLICH. Regen von oben. Drinnen fast noch dämmerig. Keine Kerzen. Keine Blumen. Keine Geschenke.

Und dann macht es BIM... und BIM... und BIM

Hi, Mum, herzlichen Glückwunsch. Merle

Hi, MOM, heute 66. Cool. Mach was draus. Tim

Mama, ich drück dich herzlich. Happy Birthday. Jan

Jetzt hätte nur noch eine WhatsApp-Nachricht von meinem Mann Rudi gefehlt. Aber Rudi war vor zwei Jahren ausgewandert. Einfach so. Wohin? Ins Irgendwo. Ausgestiegen. Erste Zeichen von Burnout. Wie man es kennt. Ganz klassisch, stillos. Zigaretten holen und nie wieder aufgetaucht.

Sechsundsechzig, und kein bisschen weiser. Immer noch Kind im Kopf. Egal. Auf ins neue Lebensjahr, Lotti.

Es lebt sich so dahin

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