Читать книгу Es lebt sich so dahin - Andrea Lieder-Hein - Страница 5

Immer noch September

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Was soll ich sagen, mein Geburtstag war ein Tag wie jeder andere. Eine Nachbarin kam vorbei und fragte, ob sie meine Tageszeitung haben könnte. Da sei ein Artikel über Bewerbungen drin. Ihr Sohn wolle sich bewerben. Würde auch Zeit. Jetzt so mit 29. Aber in Italien kenne man das ja. Hotel Mama. Wär ja auch bequem, für sie. Sei sie nicht so alleine...

Um das Gespräch zu beenden, gab ich der Frau meine noch ungelesene Zeitung und schaute zum hundertsten Male auf das Handy, ob da nicht doch noch was ...? Oder ob sie vielleicht einen Überraschungsbesuch geplant hatten??? Oder wenigstens ein Geschenk? Hatte mich jahrelang mit Erziehung abgequält. Und nun?

Kiel ist ja nicht aus der Welt. Flensburg schon eher. Hihihi. Fast schon Dänemark. Und Middelgaarder Förde? Gleich um die Ecke. Ums Eck, wie ich immer sag.

Aber nein. Nix passierte! Und dann habe ich abends wie jeden Sonntag Tatort geguckt. War Gort sei Dank eine neue Folge. Die Sommerpause mit den ollen Wiederholungen endlich vorbei.

Tja, nun ist schon wieder Dienstag und ich bin seit drei Tagen 66, und das Leben fängt nicht an, sondern geht einfach nur weiter.

Ich bin dann vorhin mal ins Café „Middelgaard & Meer“ gegangen. In Middelgaard-Holm. Das ist an der Ostsee. Zwölf Kilometer von hier. Wunderbar. Mit kleiner Seebrücke. Und das Café direkt auf dem Steg. Ein Traum, sag ich Ihnen.

Die haben so Riesentorten. Neunstöckig. Alles selbst gebacken. Und immer verschieden. Die passen kaum auf den Teller und füllen für mindestens eine Woche Magen und Darm. Und das Gehirn. Aber lecker.

Während ich da noch so saß, kam dieses Pärchen. Er elegant, mit Anzug. Machte was her. Sie nicht so. Hausmütterchen. Sieht man heute kaum noch.

Ist immer das Gerede von „Frauen haben mindestens 30 Paar Schuhe“, aber diese schien nur ein Paar zu besitzen. Seit längerem. Und sie trug sie jeden Tag. So sahen sie jedenfalls aus, bequem und.... Schwamm drüber.

Beide setzten sich gegenüber hin und redeten erst wieder, als die Bedienung kam und sie was bestellten.

Sie nahm ein Kännchen Kaffee. Dass es das überhaupt noch gibt!!! Kein Becher, keine Tasse, keine Latte, keinen Cappu, nein, ein Kännchen Kaffee. Er wollte nur einen Espresso. Sie überlegte noch und bestellte dann die neunstöckige Schokoladentorte.

Danach schwiegen sie wieder.

Als die Bestellung eintrudelte, staunte ich nicht schlecht. Ich hatte noch nichts bestellt, denn ich blätterte immer noch suchend in der Karte und wusste nicht so recht, wofür ich mich entscheiden sollte.

Plötzlich schrie die Frau „Iiiigiiitttt“. Quer durchs Café.

Sie erklärte ihrem Mann, dass die Torte nach Erdöl schmecke. Vermutete Gift oder Schlimmeres. Man hörte ja so viel. Auch vom Fleisch. Nadeln drin. Antibiotika. Warum nicht mal Erdöl in Torte???

Entsetzlich, alles. Früher war alles noch so einfach. Einfach leben, nicht dauernd Angst haben. Und jetzt? Terroristen, Nahrungsmittel-Mafia, alle waren sie hinter einem her. Geld, Geld, Betrug, wo man hinschaute...

Er, der seriöse Mann, sah etwas indisponiert drein, schaute auf seine hochkarätige Armbanduhr, räusperte sich und sagte dann ganz unromantisch: „Liebes, ich muss noch dringend zu einem Termin. Falls es Dir schlechter gehen sollte, halte mich bitte auf dem Laufenden. Bis heute Abend.“ Und weg war er.

Die Bedienung war inzwischen am Tisch und erklärte, dass in dem Kuchen frische Blüten mit eingebacken werden. Ein Geheimrezept. Für das besondere Aroma. Eine regionale Rezeptur ihrer Torten. Lavendel möglicherweise.

Nein, das wollte die Frau nicht. Ohne zu bezahlen stand sie auf, glotzte bockig aus er Wäsche und verließ das Café. In ihren bequemen Schuhen. Dabei faselte noch etwas wie UNERHÖRT.

Diese Erdöl-Rezeptur interessierte mich nun aber. Ich bestellte mir die Torte, neunstöckig, mit Blüten, und einen Cappuccino dazu. Lecker. Mächtig lecker.

Es lebt sich so dahin

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