Читать книгу Der Typ aus Evas Rippe - Andrea Ralfbüchert-Mener - Страница 10
Wenn einer Ohren hat zum Hören, so höre er!
ОглавлениеMarco machte, wie mir seine Eltern zu Beginn unserer Beziehung während eines Gesprächs unter sechs Augen und unter dem Deckmantel der Verschwiegenheit anvertrauten, auch auf andere Art schmerzhafte Erfahrungen. Weitaus gefährlicher als sein Tunnelblick und der mit latenter Verletzungsgefahr einhergehenden Neigung, sich während des Gehens von weiblichen Schönheiten ablenken zu lassen, war nämlich sein Unvermögen, aufmerksam zuhören zu können. Ich müsste das wissen, meinten sie, um gewappnet zu sein, und so sollte ich mich, bevor ich ihn direkt auf etwas ansprechen durfte, zunächst seiner ungeteilten Aufmerksamkeit versichern.
Schon Jesus Christus hatte seinen Jüngern unmissverständlich eingetrichtert:
Es gibt nichts Verborgenes, das nicht offenbar wird,
und nichts Geheimes, das nicht bekannt wird
und an den Tag kommt.
Gebt also acht, dass ihr richtig zuhört (…)8
Es war etwa ein Jahr, bevor ich ihn kennenlernte – also Marco, nicht Jesus. Er befand sich im dritten Lehrjahr und wohnte noch bei seinen Eltern, als er eines Nachts, zwar lädiert, doch offensichtlich nüchtern, von seinem Skatabend nach Hause gewankt kam. Die Jacke dreckig und zerrissen, ein ausgewachsenes Veilchen rund ums linke, geschwollene Auge, Schürfwunden an Handballen und Knien …
Vom entsetzten Vater zur Rede gestellt, erzählte er, es wäre gar nicht zum Skatspielen gekommen, weil ihr dritter Mann kurzfristig abgesagt hatte, und wie sie noch beratschlagten, was mit dem Abend weiter anzufangen sei, wären drei große, grobschlächtige Kerle hereingekommen und hätten sich an ihren Tisch gesetzt. Sein Freund Danny hatte kein Problem damit; er war mit den dreien gleich per Du – besonders mit dem, den sie „Breaker“ nannten. Der war Kran- oder Baggerfahrer oder etwas in der Art und schwärmte von seinem Job im Allgemeinen und von der Arbeit mit der Abrissbirne im Besonderen. Er schien sich in dieses Gerät regelrecht verliebt zu haben. Wer ihn mit glänzenden Augen und verklärtem Blick von dieser martialischen Stahlkugel reden hörte, traute ihm zu, seine tonnenschwere Angebetete abends am liebsten sogar mit ins Bett nehmen zu wollen, wenn es denn sowohl die Statik der Schlafstätte als auch die des Hauses zugelassen hätten.
Danny und die Kumpel des Breakers quiekten vor Vergnügen, als dieser nun eine Verwüstungs-Story nach der anderen zum Besten gab, nur Marco fand keinen Zugang zu seinen neuen Gesprächspartnern; ihn interessierte deren Thematik nicht. So saß er gedankenverloren auf seinem Stuhl, schlürfte sein Bier, starrte mit nach innen gerichtetem Blick vor sich hin und irgendwann auch in das Gesicht des Breakers, der irritiert ins Stocken geriet. Auf dessen Stirn erschienen vertikale Falten, und sein Unterkiefer schob sich nach vorn. „Was ist los, wieso glotzt du so dämlich?“
Danny, der im Eifer gar nicht auf seinen Freund geachtet hatte, erschrak, begriff die Situation jedoch sofort, verpasste Marco einen Rippenstoß mit dem Ellbogen und zischte: „Los, Mann, nun sag du auch mal was!“ Und Marco erwachte aus seiner Starre, griente den Breaker an und stellte die alles entscheidende, verhängnisvolle Frage: „Ja, eh – was machst du eigentlich beruflich so?“
Der Breaker, der wohl noch nie etwas ohne seine vergötterte Abrissbirne auseinandergenommen hatte, beschloss spontan, hier eine Ausnahme zu machen. Im letzten Moment gelang es Marco, aus den Klauen des Gewalttäters zu fliehen, bevor er schwerere Verletzungen als Hämatome und Schürfwunden davontragen konnte. Auch Danny nutzte die Gelegenheit, sich aus dem Staub zu machen, um nicht als Äquivalent herhalten zu müssen.
„Um Himmels Willen, Breaker – das ist nicht die Ruine – das ist der Neubau!
Es ist nun einmal das Los der Männer, sich nicht auf mehrere Sachen gleichzeitig konzentrieren zu können und manchmal kann das, wie man sieht, sogar lebensgefährlich sein.