Читать книгу Operation Terra 2.0 - Andrea Ross - Страница 7
ОглавлениеTiberia, KIN-Zeit 13.5.8.7.3, Mittwoch
Kiloon zeigte sich seit einigen UINAL ungewohnt reiselustig. Normalerweise war es freilich üblich, dass Mitglieder der Marsdynastie jeden, den sie sprechen wollten, zu sich befahlen – doch gerade in den Räumlichkeiten des eigenen Regierungssitzes konnte sich der junge Herrscher seit einiger Zeit nicht mehr sicher fühlen. Seine technikbegeisterte Gattin neigte fatalerweise zum Spionieren.
Das hohe Risiko, dass sie seine Gespräche heimlich mithören und dabei Näheres über die anstehenden Zukunftspläne erfahren könnte, wollte er keinesfalls eingehen. Nicht jetzt, wo es um die Zukunft seines ganzen Volkes ging.
So kam es, dass Kiloon sich stattdessen mit zwei Leibwächtern in den Magnetzug setzte, um Solaras in dessen Privaträumen aufzusuchen. Der Vorderste der Sektion Archiv, Geschichte und Schrift würde seinem Regenten und dessen Begleitern für dieses Vorhaben extra grüne Gewänder zur Verfügung stellen, denn sein Weißes hätte ihn eindeutig als Mitglied der Regentenfamilie identifiziert und sofort ungewolltes Aufsehen erregt. Dasselbe galt für die dunkelrote Kleidung der Wachmänner.
Die unterirdische Bahntrasse für Privilegierte war nur über wenige Einund Ausgänge erreichbar; diese lagen allesamt in den jeweiligen Arbeitsräumen sämtlicher Sektionsvorderster Tiberias verborgen. Regent Kiloon vertraute Arden von allen infrage kommenden Würdenträgern noch am ehesten, deshalb hatte er sich spontan für dessen Exit entschieden.
Das letzte Wegstück bis zu Solaras‘ Wohnhaus würde er allerdings per Magnetfahrzeug zurücklegen müssen; er konnte nur hoffen, dass ihn während dieser Fahrt kein Mensch erkennen würde. Wahrscheinlich hätte niemand aus der tiberianischen Bevölkerung Verständnis dafür aufgebracht, dass ausgerechnet er als Regent die ultrastrenge Kleiderordnung missachtete.
Wenig später kündigte der geräuschlose Aufzug, welcher den Bahnsteig mit dem Sektionsgebäude verband, durch ein verhaltenes »Pling!« an, dass Kiloon und seine Begleiter am Ziel angelangt waren. Die Wandverkleidung glitt zurück und gab den Weg in Ardens Allerheiligstes frei.
Als der junge Archivar sich tief vor seinem Regent verbeugen wollte, um ihm devot seinen Respekt zu erweisen, hielt Kiloon ihn sogleich zurück. Er legte ihm energisch eine Hand auf die linke Schulter, schüttelte den Kopf.
»Ihr wisst doch, dass ich heute inkognito hier bin! Also gebt mir lieber gleich das vereinbarte Kleidungsstück, bevor mich noch jemand zu Gesicht bekommt. Ich ziehe mich schnell um, aber danach können wir uns gerne kurz unterhalten. Wir sind hier doch wirklich unbeobachtet, nicht wahr?«, fragte er sichtlich nervös und sah sich verstohlen um.
»Selbstverständlich! Meinen Berater habe ich unter einem Vorwand weggeschickt«, bestätigte Arden und hoffte inständig, dass sich Tirim tatsächlich auf den Weg zu Alannas geheimem Bauprojekt gemacht hatte. Er sollte dort zum Schein spazieren gehen, aus sicherer Entfernung Eindrücke sammeln und sich einen Überblick zum aktuellen Stand der Arbeiten im Felsental verschaffen.
»Es kann und darf nicht sein, dass unserer Sektion sämtliche Informationen über ein Großprojekt dieses Ausmaßes einfach vorenthalten werden!«, hatte er ihm achselzuckend erklärt.
»Irgendetwas müssen wir doch darüber dokumentieren – und wenn es vorläufig lediglich unsere eigenen Impressionen sein sollten, bis jemand ganz Bestimmtes sich endlich seiner, beziehungsweise ihrer Pflicht entsinnt und mit der Sprache herausrückt!«
Dennoch, der alte Tirim besaß ein untrügliches Gespür für Schwindeleien aller Art; falls er ihn durchschaut hätte, ließe ihn seine Neugier zunächst in der Nähe dieses Arbeitsraums verharren. Er könnte als Vorwand beispielsweise einen plötzlichen Schwächeanfall vorschützen oder über seine zahlreichen Gebrechen klagen, um anschließend unvermittelt wieder hier aufzukreuzen.
In seinem sehr fortgeschrittenen Alter konnte Tirim es sich bedauerlicherweise sogar leisten, ab und zu ganz offen Ungehorsam zu zeigen. Im Zweifelsfall würde er sein unbotmäßiges Verhalten geschickt auf irgendwelche kognitiven Beeinträchtigungen schieben und somit ungestraft davonkommen.
Vermutlich war dies einer der Gründe dafür, weshalb normalerweise im letzten Lebensabschnitt niemand mehr mit wichtigen Aufgaben betraut wurde! Tirim galt eben in vielerlei Hinsicht als Sonderfall.
Ardens Befürchtungen zum Trotz tauchte der eigenwillige Greis für dieses Mal jedoch nicht mehr auf; vielleicht hatte ihn seine Neugier also doch geradewegs zur angeordneten Observation des Felsentals getrieben. Jedenfalls konnte sich Kiloon nach ein wenig Smalltalk vollkommen unbehelligt auf den Weg zu Solaras‘ Wohnung am beschaulichen HammaltanWasserbassin machen.
›Hoffentlich bleibt Tirim weiterhin weg, bis der Regent am späten Nachmittag plangemäß zurückkehren und mitsamt seiner Entourage wieder in den Aufzug steigen wird!‹, dachte Arden aufatmend. Ihm stand insofern ein unruhiger Nachmittag bevor, denn er trug schwer an seiner Verantwortung für die Sicherheit des Regenten; jedenfalls, solange dieser in seinen Räumen weilte.
Als Kiloon einen schwimmenden Steg betrat, der von der Uferpromenade zu Solaras‘ türkisgrüner Wasserbehausung führte, kam ihm sein Gastgeber bereits winkend entgegen. Er hatte entlang des Ufers sämtliche Blüten von ihren Stängeln gepflückt, die er hatte finden können.
Es tat ihm leid um die pflanzlichen Lebewesen, denn Solaras konnte als sehr naturverbunden gelten. Die vorsorgliche Maßnahme war jedoch zweifellos notwendig, um böse Überraschungen von vornherein auszuschließen zu können. Winzige Nano-Augoren wurden nämlich neuerdings sehr gerne unauffällig inmitten hübscher Blumenkelche versteckt, wie er aus eigener leidvoller Erfahrung wusste. Wenn jedoch keinerlei Blütenstände mehr in der näheren Umgebung vorhanden wären, würden eben auch keine natürlichen Insekten dort verweilen wollen.
Falls während Kiloons Besuchszeitraum also dennoch Sitargas oder ähnliche Arten hartnäckig rund ums Haus summen sollten, wäre dies ein untrügliches Warnzeichen dafür, dass irgendwer digitalisierte Überwachungsdrohnen losgeschickt haben musste.
Solaras traute Alanna ebenso wenig über den Weg wie ihr eigener Ehegatte. Jetzt weniger denn je!
*
Der Regent kam ohne Umschweife zur Sache.
»Solaras … ich bin mir durchaus darüber im Klaren, dass wir dir während der letzten Mission das Äußers-
te abverlangt haben. Wahrscheinlich wirst du dich von den traumatischen Erlebnissen noch nicht einmal vollständig erholt haben; dennoch muss ich dir heute eine wichtige Frage stellen, auf die ich eine ehrliche Antwort erwarte!«
Das klang nicht gut. Gar nicht gut.
»Selbstverständlich! Womit kann ich Euch dienen?«, fragte Solaras höflich; er war alarmiert und analysierte im Hinterkopf bereits alle möglichen Gründe, weshalb Kiloon ihm eine derart nebulöse Ankündigung machen könnte. Der bei weitem besorgniserregendste Gedanke aus dieser Kollektion der Befürchtungen schien ihm zu sein, dass er ihn womöglich zu einer weiteren Mission nach Terra bewegen wollte. Ein solches Unterfangen wäre nun wirklich das Allerletzte gewesen, dem er freiwillig hätte zustimmen können!
»Es geht im Wesentlichen darum, das Endergebnis der Operation Terra 2.0 zu korrigieren. Du hast bestimmt zur Genüge mitbekommen, dass auf Terra schon kurz nach eurem Auftreten weltweit eine kirchliche Diktatur entstanden ist!«, antwortete Kiloon, ohne mit dieser Äußerung eine konkrete Frage zu verbinden.
»Man hat sogar eine neue Zeitrechnung etabliert, bei der die Zählung mit dem Tag deines vermeintlichen Todes beginnt.
Überhaupt scheinen die Terraner deine Ermordung bis heute als heldenhafte Großtat zu betrachten, denn in jedem einzelnen Haushalt hängen Holzkreuze mit deinem gegeißelten Abbild herum. Das ist krank, nicht wahr? Sie weiden sich am grausigen Anblick eines blutüberströmten Toten!
Dieses gestörte Verhalten zeigt anschaulich, wie sehr die Terraner sich in ihrem Irrglauben verzettelt haben. Es hat sich ein Massenwahn aus dieser Glaubensrichtung entwickelt, der die bitteren Früchte des Verderbens für die belogenen und geknechteten Menschen in sich trägt.
Solaras, wir müssen dringend ein paar Veränderungen implementieren, um die Bewohner von ihrem abartigen Schreckensregime zu befreien. Dieses Malheur wurde unbeabsichtigt von uns verursacht, also sind wir auch dazu berufen, Abhilfe zu schaffen. Das gebietet uns die Menschlichkeit.«
Sein Gegenüber schüttelte voller Entsetzen den Kopf. »Ich fliege dort nicht mehr hin, auf gar keinen Fall! Ihr müsst Euch schon einen anderen Messias erwählen und mich dieses Mal außen vor lassen. Wie ihr seht, hat meine Anwesenheit den Menschen auf Terra sowieso kein Glück gebracht. Außerdem hat mein Nervenkostüm unter ihren grausamen Quälereien derart gelitten, dass ich mich einem weiteren Einsatz nicht gewachsen fühle.
Wusstet Ihr eigentlich, dass Eure Gattin meine Teilnahme damals mithilfe einer Lüge erpresst hat? Ich wurde gegen meinen ausdrücklichen Willen rekrutiert!«
Kiloon wirkte betroffen, seine Miene bekam einen angeekelten Ausdruck. Es war ihm überdeutlich anzusehen, was er von ihren undurchsichtigen Machenschaften hielt.
»Nein, das wusste ich nicht, kann es mir aber sehr gut vorstellen. Alanna neigt leider dazu, Menschen wie Gebrauchsgegenstände zu behandeln. Was immer sie getan haben mag, ich kann mich nur stellvertretend bei dir entschuldigen.
Verzeih mir bitte, ich habe mich vorhin scheinbar missverständlich ausgedrückt. Du sollst dieses Mal nicht mitfliegen, sondern vielmehr als Ausbilder im Missionscamp fungieren. Die neue Crew könnte von deinem wertvollen Erfahrungsschatz profitieren. Noch ist nichts entschieden, aber ich möchte gern vorab wissen, ob ich im Bedarfsfall auf deine Loyalität zählen könnte.«
Solaras fiel ein riesengroßer Stein vom Herzen. Erneut begann es in seinem Hinterkopf mächtig zu arbeiten. Im Missionscamp würden garantiert auch wieder Mitarbeiter aus der Sektion Bildung und Ideologie beschäftigt werden … vielleicht war das seine lang ersehnte Chance, mit Kalmes wiedervereint zu werden!
»Ja, diese Aufgabe würde ich allerdings mit Freuden übernehmen!« strahlte Solaras erleichtert. »Meinetwegen ab sofort! Wann soll es denn losgehen?«
»Nicht so schnell!«, lachte Kiloon amüsiert. »Noch muss ich gegen Widerstände ankämpfen und viel Überzeugungsarbeit leisten. Alanna weiß noch nichts Konkretes. Es wird ein hartes Stück Arbeit werden, sie in ihrer Eigenschaft als Vorderste zur Kooperation zu bewegen!
Seit ich sie zu meiner Regentin gemacht habe, funktioniert das altbewährte System zur Gewaltenteilung nicht mehr. Sie hat, wie jeder weiß, neuerdings eine Doppelrolle als Regentin und Vorderste inne, die es ihr fatalerweise ermöglicht, nahezu überall ihr Veto einzulegen. Deshalb musste ich mich, gleich einem Dieb in der Nacht, verkleidet hierherschleichen, anstatt dich einfach zum Regentschaftssitz zu beordern!«
Solaras‘ Lächeln erstarb. »Ihr wollt Eure bislang unwissende Gattin tatsächlich vor vollendete Tatsachen stellen, indem Ihr zu gegebener Zeit Euren verwegenen Plan, eine vollständige Crew und dazu ein kompetentes Beraterteam präsentiert?
Alanna ist leider ausgerechnet die Vorderste meiner Sektion! Momentan hält sie mich offenkundig nicht einmal für uneingeschränkt arbeitsfähig; ich bin bis auf weiteres vom Dienst in der Wissenschaftssektion suspendiert. Wenn sie nicht wünschen sollte, dass ich alsbald in Euer Missionscamp einziehe, werde ich fernbleiben müssen!
Außerdem brächte sie es garantiert mühelos fertig, die anderen Vordersten in der entscheidenden Versammlung von der Sinnlosigkeit oder Gefährlichkeit einer neuen Mission zu überzeugen. Ihr kennt doch ihre rhetorische Begabung und die schlagende Überzeugungskraft ihrer Konzepte!«, sinnierte Solaras. Ihm erschien Kiloons blauäugig erdachtes Intrigengewebe recht fadenscheinig.
Kiloon verlor die Geduld, schlug mit der flachen Hand auf die Tischplatte. »Deswegen unternehme ich doch diese demütigende Tour hier! Ich muss heimlich alle Vordersten abklappern, sie nach und nach für meine Idee einnehmen. Da ich lieber nichts dem Zufall überlassen möchte, besuche ich auch sämtliche Kandidaten, die für die Zeitreise und für leitende Positionen im geplanten Missionscamp infrage kommen. Das dauert seine Zeit!«, wetterte der Regent genervt.
»Seit Alanna widerrechtlich die Macht an sich gerissen hat, besitzt sie nicht mehr sehr viele Freunde auf Tiberia; ich hoffe inständig, dass wir mit vereinten Kräften gegen sie ankommen werden. Ihr muss orkanartiger Gegenwind entgegenblasen, damit sie notgedrungen kapituliert und zum Einlenken gezwungen ist«, fügte Kiloon in versöhnlichem Ton hinzu.
»Dann wünsche ich Euch viel Glück und Durchhaltevermögen! Mit meiner Unterstützung könnt Ihr zuverlässig rechnen
– ich habe mit meiner kaltherzigen Vordersten sowieso noch eine Rechnung offen! Ich stehe jederzeit zu Eurer Verfügung«, versprach der in Kobaltblau gekleidete Wissenschaftler mit einer angedeuteten Verbeugung.
Niemals zuvor hatte sich ein Regent der Marsdynastie vor seinen Untergebenen so sehr erniedrigen müssen. Auch dafür rechnete Kiloon »seiner« Alanna die alleinige Schuld an. Als er Solaras verließ, schwante ihm, wie schwierig seine Aufgabe zu bewältigen sein würde. Ihm stand eine ganze Reihe ähnlicher Gespräche bevor.