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Tiberia, KIN-Zeit: 13.5.8.15.6, Freitag

Alanna verschränkte trotzig die Arme vor ihrer Brust. Wie so oft in der letzten Zeit war es auch an diesem Abend wieder zu einem deftigen Ehestreit im Schlafgemach des Regentenpaares gekommen. Die Fronten hatten sich mittlerweile dermaßen verhärtet, dass mit einem einvernehmlichen Konsens nach allen Regeln der Wahrscheinlichkeit kaum mehr zu rechnen war.

Dass dieser dämliche Betonschädel Kiloon aber auch nicht begreifen wollte, was er mit seiner sturen Haltung anzurichten im Begriff stand! Wenn Alanna ihren Gemahl zuerst nur geringgeschätzt und als labil eingeschätzt hatte, so hasste sie ihn inzwischen abgrundtief. Er stand ihren visionären Plänen wie ein ungehobelter Bremsklotz im Wege, obwohl sie ihm ihren unverrückbaren Standpunkt wieder und wieder dargelegt hatte.

»Jetzt denke doch einmal über den Tellerrand hinaus! Was geht uns dieses verflixte Terra überhaupt noch an? Wir haben in der Vergangenheit schon viel zu viele Ressourcen gebunden, indem wir die dortige Bevölkerung ständig überwachten. Tiberia ist derzeit unsere Heimat, über das Wohlergehen dieses Planeten sollten wir uns Sorgen machen! Du weißt, dass momentan einiges im Argen liegt.

Wenn ich nur daran denke, wie viele Missionare im Laufe der Zeit nach Terra unterwegs gewesen sind! Und mit welchem Ergebnis?

Wir haben jedes Mal zwar einige Veränderungen herbeigeführt, jedoch kaum wirkliche Verbesserungen hinterlassen! Terraner verhalten sich mehr wie Tiere, als dass sie typisch menschliche Eigenschaften pflegen. Sie scheinen über sämtliche Zeitalter hinweg immer einen Weg zu finden, alles Gute, Sinnvolle und Schöne zu pervertieren.«

Die ehrgeizige Regentengattin war es gewohnt, dass ihre Argumentationen in sich logisch wirkten und daher kaum zu widerlegen waren. Bei Rededuellen trug sie meistens den Sieg davon. Doch Kiloon knickte zu Alannas Leidwesen seit kurzem bei Diskussionen dieser Art nicht mehr so leicht ein.

Er vertrat weiterhin selbstbewusst seine Auffassung, dass die terrestrischen Menschen zumindest entfernte Halbbrüder und -schwestern des tiberianischen Volkes seien, die man daher nicht einfach aufgeben und ihrem Schicksal überlassen dürfe. Sie empfand es als überaus anstrengend, sich seine stets gleichen Argumente täglich aufs Neue antun zu müssen.

»Na und? Dann bringen sie sich eben im Namen der Religion gegenseitig um! Eine Milliarde mehr oder weniger … es würde das bedrängende Problem einer Überbevölkerung fürs Erste beseitigen, hast du daran schon einmal gedacht?

Wenn die Terraner sich in der bisherigen Geschwindigkeit unbekümmert weitervermehren, dann verhungern sie in spätestens fünfzig TUN sowieso! Oder sie sterben im Kampf ums tägliche Überleben, denn die Anbauflächen für Nahrungsmittel sind weltweit am Ende ihrer Kapazität angelangt.

Terra ist ein unwirtlicher Planet mit zerbrochener Kruste und instabiler Achse; er wird regelmäßig von Naturkatastrophen, Eiszeiten, Asteroideneinschlägen, Seuchen und Kriegen heimgesucht … es gibt dort so unendlich viele Möglichkeiten, auf natürlichem Wege draufzugehen. Die Bevölkerungszahl reguliert sich seit jeher von selbst.

Tot ist tot, was macht es also unter dem Strich für einen Unterschied, auf welche Weise diese Leute verblichen sind?«, fragte Alanna kaltschnäuzig.

»Auf einen sogenannten ›genetischen Flaschenhals‹ folgt stets eine veritable Bevölkerungsexplosion. Werden und Vergehen, mein übereifriger Schatz.«

»Ich bin hier der rechtmäßige Regent und trage die Verantwortung!«, protestierte Kiloon. »Ich will mitnichten als derjenige Herrscher unserer alten Familiendynastie in Erinnerung bleiben, welcher nichts mehr gegen die Selbstausrottung der Terraner unternommen hat. Ich werde wie mein Vater mit Herz und Verstand regieren, dabei beide Planeten im Fokus behalten – und dabei bleibt es!«

»Ach so, da kommen wir dem eigentlichen Kern der Sache schon näher!«, frotzelte Alanna spöttisch. »Es geht hier also in Wirklichkeit um dich, um deine Reputation, dein Vermächtnis und deine Eitelkeit – und nicht bloß um ein paar von der Kirche ermordete Menschen auf einem fernen Planeten, nicht wahr? Kannst es ruhig zugeben!

Ausgerechnet du hast es nötig, auf einmal so respektvoll über deinen Vater zu reden! Du warst damals voller Enthusiasmus mit von der Partie, trägst an den Geschehnissen dieselbe Schuld wie ich. Wir waren uns darüber einig, dass sein zögerliches Verhalten Tiberia nicht mehr zur Ehre gereichte. Willst du jetzt etwa dennoch in seine erkalteten Fußstapfen treten und dich genauso verhalten?«

»Du willst es einfach nicht verstehen!«, seufzte Kiloon. »Es fehlt dir an Mitgefühl, an Verantwortungsbewusstsein und Selbstlosigkeit. Daher fühle ich mich dazu berufen, notfalls an deinem Willen vorbei zu handeln. Ich muss im Interesse meines Volkes nach vorne schauen, anstatt wehmütig in der Vergangenheit zu wühlen – auf welche ich, nebenbei bemerkt, alles andere als stolz sein kann.

Wie ich bereits sagte: Ich bin der Regent!«

»Ach ja? Diese lächerlich einfältige Bemerkung kann eigentlich nur bedeuten, dass du nicht bloß über eine neue Zeitreise-Mission nachdenkst, sondern in aller Heimlichkeit bereits konkrete Pläne ausarbeitest. Mit meiner Zustimmung brauchst du dabei jedenfalls nicht zu rechnen, damit das klar ist!

Wir werden ja sehen, ob du diese Idiotie überhaupt durchdrücken kannst. Die Vordersten-Versammlung wird hierüber nach sorgfältiger Abwägung des Für und Wider zu entscheiden haben, und du kannst hernach lediglich noch deine Zustimmung erteilen, was immer dort beschlossen werden mag. An den Beratungen darfst du im Gegensatz zu mir nicht einmal teilnehmen!

Ich wünsche dir viel Erfolg bei der aufreibenden Überzeugungsarbeit, lieber Gemahl – vor allem bei der Vordersten der Sektion Wissenschaft, Technik, Geschichte und Schrift, auf deren fachlicher Meinung wohl das Hauptgewicht liegen wird! An ihr wirst du dir sämtliche Zähne ausbeißen.«

Voller Selbstzufriedenheit entfernte sie sich, um demonstrativ in einem anderen Raum schlafen zu gehen.

Operation Terra 2.0

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