Читать книгу Der Vermieter - Andrea Sauter - Страница 5
Tag 3
ОглавлениеAls Jessica am nächsten Morgen aufwachte, hatte sie ein gutes Gefühl. Vielleicht war das ein Zeichen, dass es von nun an aufwärts ging.
Heute lasse ich mir den Tag von nichts und niemandem verderben, versprach sie sich, als sie im Wohnzimmer die Gardinen zurückzog und durch die Glastür hinaussah. Die Aussicht war atemberaubend. Am wolkenlosen Himmel stand die leuchtende Sonne und schimmerte auf die grünen Nadelbäume, die den steilen Abhang bis zum Fuss des Berges bedeckten. Jetzt musste sie ganz genau überlegen, was sie tun konnte, um ihrer Familie zu beweisen, dass sie nicht mehr die alte Jessica war, die sich selbst bemitleidete und so furchtbar empfindlich war. In vier Wochen wollte sie sich ihnen als die neue Jessica präsentieren.
Sie beschloss, in die Stadt zu fahren und sich mit einem Notizheft in ein nettes Café zu setzen. Vielleicht würde ihr dort etwas zu ihrer Vergangenheit einfallen. Auf gar keinen Fall wollte sie wieder den ganzen Tag am Fenster vergeuden, um das Haus von Mr. Finch zu beobachten. Nachdem sie geduscht hatte, zog sie sich rasch an, schnappte sich die Handtasche und die Autoschlüssel und verliess das Haus.
Doch dann traute sie ihren Augen nicht.
Der hellbraune Mercedes von Mr. Finch parkte direkt vor ihrem Wagen, so dass sie an ihm vorbeigehen musste, um in ihr Auto zu steigen.
Sie kniff die Augen zusammen und versuchte auszumachen, ob der alte Mann im Wagen sass. Wahrscheinlich war jetzt der Zeitpunkt gekommen, sich ernsthaft mit der Anschaffung einer Brille auseinanderzusetzen, dachte sie, denn sie konnte nicht wirklich viel erkennen.
Jessica wollte gerade weitergehen, da registrierte sie einen dunklen Schatten an ihrer Seite und zuckte zusammen. Reglos blieb sie stehen. Sie hatte gar nicht gemerkt, dass der alte Mann direkt neben ihr stand.
Aber Mr. Finch schien hocherfreut, sie zu sehen. »Wollen Sie ein bisschen frische Luft schnappen, Mrs. Greene?«, fragte er. Der dunkelbraune Anzug, den er trug, sah speckig aus. Die obersten beiden Knöpfe seines Hemdes waren geöffnet, und Jessica konnte das vergilbte Unterhemd sehen. Er strich mit der Zunge über die Innenseite seiner Unterlippe und sah Jessica erwartungsvoll an.
Doch statt einer Antwort murmelte Jessica eine Entschuldigung, lief zurück ins Haus und verriegelte die Tür.
Mr. Finch schaute ihr verdutzt nach.
Jessica hatte nicht damit gerechnet, dass sich der Vermieter schon wieder hier oben herumtrieb. Mehr noch überraschte sie ihre übertriebene Reaktion auf diese Begegnung. Warum hatte sie ihn nicht einfach höflich begrüsst, war dann ganz locker ins Auto gestiegen und wie geplant in die Stadt gefahren? Sie konnte es sich nicht erklären. Und sie hatte keine Ahnung, was sie jetzt tun wollte. Erneut rausgehen? Oder den ganzen Tag wieder hier drinnen bleiben?
Die Türglocke läutete schrill.
Jessica erstarrte.
Es läutete noch einmal. Dann wurde heftig an die Tür geklopft.
»Mrs. Greene!«, rief der alte Mann. »Geht es Ihnen gut?«
Die Türklinke wurde niedergedrückt.
Jessica hörte auf zu atmen.
Mr. Finch sah sich ungeduldig um und drückte noch einmal auf die Klinke, aber die Tür gab nicht nach. Dann kniete er nieder und schaute durch das grosse Schlüsselloch.
»Das glaube ich jetzt aber nicht«, sagte Jessica wütend, als sie beobachtete, wie sich das Schlüsselloch verdunkelte.
»Mrs. Greene!« Die Stimme von Mr. Finch kam jetzt durch das Schlüsselloch hindurch.
»Was ist?«, schrie Jessica.
»Geht es Ihnen gut?«, brüllte Mr. Finch zurück.
»Bestens!«
»Warum machen Sie nicht auf?«
Ich weiss nicht, dachte Jessica, während sie wie hypnotisiert die Tür anstarrte. Dann schrie sie aus vollem Hals: »Weil es jetzt nicht geht!«
»Was geht nicht? Die Tür?«
»Nein!«
»Was ist mit der Tür?«
»Nichts!« Jessica war schon fast heiser. Ihr Hals schmerzte.
»Was heisst nichts? Nichts geht mehr?«
»Ach, vergessen Sie es!«
»Was?«
»Nichts!«
»Was?«
Jetzt reicht‘s, dachte Jessica, ging in die Küche, riss dort das Fenster auf und schrie: »Es ist nichts mit der Tür! Die Tür ist völlig in Ordnung! Ich muss jetzt arbeiten! Auf Wiedersehen, Mr. Finch!«
Gerade als der alte Mann an das Küchenfenster herantrat, knallte Jessica das Fenster zu. Dann zerrte sie so fest am Vorhang, dass dieser beinahe aus der Schiene herausflog, stürzte aus der Küche und versteckte sich dann wieder hinter der Haustür.
Es war nichts mehr zu hören.
Nach zehn Minuten schlich Jessica zum Küchenfenster. Der Wagen von Mr. Finch stand noch da. Von ihm war weit und breit nichts zu sehen.
War er im Atelier? Sollte sie es jetzt wagen, das Haus noch einmal zu verlassen? Würde sie es unbehelligt zu ihrem Auto schaffen, bevor er zurückkam?
»Was habe ich eigentlich für ein Problem?«
Jessica seufzte, ging ins Wohnzimmer und liess sich dort auf die Couch fallen. Sie blickte fragend zum Hirsch empor. »Was meinst du?«
Der Hirsch schaute stumm zurück.
Im nächsten Augenblick läutete das Telefon. Ärgerlich nahm Jessica den Hörer ab.
»Was gibt‘s?«, fragte sie unhöflich.
»Mrs. Greene, sind Sie das? Hier spricht Mr. Finch. Es tut mir leid ...«
»Nein, hier ist nicht Mrs. Greene. Sie haben eine falsche Nummer gewählt«, erklärte Jessica.
»Aber ich erkenne doch Ihre Stimme«, rief Mr. Finch verzweifelt. »Und ich habe mich garantiert nicht verwählt!«
Jessica hörte es nicht, sie hatte bereits aufgelegt. Solange er noch den Hörer in der Hand hält, überlegte Jessica, bleibt mir genügend Zeit, um unbemerkt von hier zu verschwinden.
Sie raste in die Diele, riss den Mantel von der Garderobe, nahm die Handtasche, den Autoschlüssel, rannte wie gehetzt zum Auto, stieg ein, knallte die Tür zu, trat aufs Gaspedal und preschte den steilen Abhang hinunter.
Jessica fuhr in schnellem Tempo nach Banff, wo sie zuerst einen Supermarkt aufsuchte. Irgendwie war ihr die Lust auf einen Einkaufsbummel, mit anschliessendem Abstecher in ein gemütliches Café, vergangen. Dafür wollte sie sich heute Abend etwas Schönes kochen und es sich vor dem Kamin gemütlich machen.
Jessica drosselte das Tempo und fuhr vor dem Supermarkt auf den grossen Parkplatz.
Die automatische Schiebetür summte, als Jessica den Laden betrat. Unmittelbar neben dem Eingang schnappte sie sich einen Einkaufswagen und fuhr damit ziellos immer wieder die Gänge auf und ab. Dabei nervte sie sich, dass sie einmal mehr einen Einkaufswagen mit einem blockierten Rad erwischt hatte.
Der Supermarkt erstreckte sich nach hinten weiter, als es von aussen den Anschein machte. Das Sortiment war riesengross. Wer die Wahl hat, hat die Qual.
Jessica nahm eine Tüte Vollkornpasta aus dem Regal und starrte sie unschlüssig an. Vollkorn in Teigwaren?, wunderte sie sich und legte sie zurück. Weiter vorne holte sie eine Packung Pilzplätzchen aus der Tiefkühltruhe, studierte die Zutaten und warf sie zurück in die Gefriertruhe. Zu riskant. Bestimmt waren hier versehentlich giftige Pilze hineingeraten. Steinpilze und Knollenblätterpilze sehen sich doch zum Verwechseln ähnlich.
Sie schaute sich um, liess den Blick über die Regale schweifen und stierte in die Einkaufswagen der anderen Kunden.
In der Obst- und Gemüseabteilung liess sie eine Mango in den Einkaufswagen fallen, nahm die Frucht aber gleich wieder heraus und legte sie zurück. Eine Mango zu schälen und zu verspeisen schien ihr viel zu anstrengend.
Mit der Zeit merkte sie, dass ihr eigentlich gar nicht nach Kochen zumute war.
Als sie ihren Einkaufswagen durch die Spirituosenabteilung schob, wurde ihr bewusst, wozu sie eigentlich eher in Stimmung war.
Jessica blieb abrupt stehen. Sie lud ein paar Flaschen Rotwein, eine Flasche Whisky und zwei Sechserpackungen Bier in den Wagen und fuhr damit zur Kasse. Ein schlechtes Gewissen hatte sie schon dabei. Na ja, sie hatte mal ein kleines Alkoholproblem gehabt. Schliesslich gab es in ihrem Elternhaus kein Mineralwasser, Limonade oder Cola, sondern nur Bier, Wein und Schnaps. Sie war sozusagen mit Alkohol gross geworden. Während den beiden Schwangerschaften hatte sie mit dem Trinken aufgehört, da sie den ungeborenen Kindern eine Hasenscharte ersparen wollte. Seither ging es rauf und runter. Aber seit sechs Monaten hatte sie keinen Tropfen Alkohol mehr angerührt.
Als sie die lange Schlange an der einzigen geöffneten Kasse sah, ging sie noch einmal zurück, holte Zigaretten, ein paar Tüten Kartoffelchips und in der Sportabteilung, in der sie versehentlich gelandet war, nachdem sie sich verfahren und die Kasse nicht mehr gefunden hatte, einen Baseballschläger. Sie hatte damit nicht vor, sich sportlich zu betätigen, sie fand einfach, dass jede Frau, die alleine auf einem Berg wohnte, eine Waffe haben musste. Und ausserdem gab es ein chinesisches Sprichwort, das treffender nicht sein konnte: Es ist besser für Nichts vorbereitet zu sein, als für Etwas nicht vorbereitet zu sein.
Die Warteschlange an der Kasse war in der Zwischenzeit noch länger geworden. Es gab nichts, was Jessicas Nerven mehr strapazierte, als Warteschlangen. Egal wo, egal wann.
Ungeduldig trat sie von einem Fuss auf den anderen.
Sie blickte auf ihre Uhr, zum zwanzigsten Mal.
Fünf Minuten später war nur noch ein Kunde vor ihr, als eine weitere Kasse öffnete.
Blitzschnell überlegte sie, ob es sich wohl lohnen würde, die Kasse so kurz vor dem Ziel zu wechseln. Ja! Der Kunde vor ihr hatte den Wagen fast bis zu seinem Kinn hinauf geladen.
Als sie auf die neu geöffnete Kasse zuging, kam eine schwarzhaarige Frau im Pelzmantel um die Ecke eines Regals geschossen und schubste Jessica zur Seite.
»Hallo!«, rief Jessica aufgebracht.
Ohne Jessica eines Blickes zu würdigen, knallte die Frau, die in ihrem Mantel aussah wie der Häuptling eines Indianerstammes, eine Packung vakuumverpackte Steaks aufs Förderband.
»Das glaube ich jetzt aber nicht!« Jessica beugte sich vor, riss der Kassiererin die Packung aus der Hand, schmiss sie auf den Fussboden und fing an, ihre Einkäufe auf das Förderband zu legen. »Pelztragen ist Gewissenssache, Fleisch essen auch, aber Vordrängen geht gar nicht«, erklärte Jessica der Kundin im Pelzmantel, die entsetzt zusah, wie Jessicas Sachen über den Scanner gezogen wurden.
Die Leute an der Nebenkasse musterten Jessica mit missbilligenden Blicken und schüttelten die Köpfe. Aber das bekam sie gar nicht mit. Hastig packte sie ihre Einkäufe ein.
Nachdem sie an der Kasse ein kleines Vermögen hingeblättert hatte, nahm Jessica den ersten Ausgang, an dem sie vorbeikam.
Der grosse Parkplatz war fast menschenleer. Nur eine junge Frau, mit einem blassen Gesicht und roten Flecken auf den Wangen, die wie ein Ausschlag aussahen, lud mehrere Einkaufstüten in den Kofferraum ihres Wagens. Auf dem Rücksitz hüpften zwei Kinder auf und ab, kreischten und schnitten Grimassen, als Jessica an ihnen vorbeilief.
Jessica wollte aus Spass den mittleren Finger zeigen, verkniff es sich aber und rollte ihren Einkaufswagen laut scheppernd weiter über den Asphalt, bis sie damit den Bordstein rammte.
Mit affenartiger Geschwindigkeit verstaute sie ihre Einkäufe im Kofferraum ihres Range Rovers, setzte sich ans Steuer, rollte rückwärts aus der Parklücke und drückte auf die Hupe, als sie an den hüpfenden Kindern vorbeifuhr.
Hoffentlich ist Mr. Finch verduftet, dachte Jessica, als sie die kurvige Gebirgsstrasse hinauffuhr. Was war schon wieder der Grund, weshalb ich in die Berge gefahren bin? Ach, jetzt weiss ich es wieder! Friedliche Stille in der Natur, Zeit um ein wenig zur Ruhe zu kommen.
Bisher hatte ich nur Stress!
Aber das kann ich doch alles haben, sagte sie sich. Ich darf mich nur nicht von dem alten Mann verrückt machen lassen.
Nach einer Weile stellte sie das Radio ein. »David Hasselhoff! Der hat mir gerade noch gefehlt!« Trotzdem trällerte sie mit: »I am looking for freedom!«
Doch als sie die höchste Stelle der Strasse erreicht hatte und den hellbraunen Mercedes immer noch in der Einfahrt stehen sah, war es wieder vorbei mit der Freiheit.
Sie blieb im Auto sitzen und dachte über ihre Möglichkeiten nach: Sie konnte wieder in die Stadt zurückfahren, so lange im Auto sitzen bleiben, bis der Vermieter verschwunden war, oder schnell wie der rote Blitz aus dem Wagen steigen und ins Haus rennen.
Dann kam Jessica auf die Idee, sie könnte sich wie ein normaler Mensch verhalten und einfach aus dem Wagen steigen und die Einkäufe ins Haus tragen.
Schliesslich nahm sie ihre Handtasche vom Beifahrersitz, öffnete die Autotür, stieg aus und ging um den Wagen herum zum Kofferraum, da kam Mr. Finch aus einer anderen Richtung schnurstracks auf sie zu.
»Da bin ich aber froh!«, sagte er zur Begrüssung.
»Worüber sind Sie froh?«, grüsste Jessica zurück.
»Dass Sie wohlauf sind. Ich habe mir schon Sorgen gemacht. Geht die Tür wieder?«
»Die Tür geht wieder.« Es hatte keinen Sinn, mit dem offensichtlich Schwerhörigen weiter über die Tür zu diskutieren.
Mr. Finch blickte fasziniert in Jessicas grosse Augen. »Waren Sie einkaufen?«
Jessica entzog sich seinem bohrenden Blick und schaute hinab ins Tal, während sie die Frage mit einem knappen »Ja« beantwortete.
»Dann helfe ich Ihnen, die Einkäufe ins Haus zu tragen.«
»Ich habe nichts gekauft«, sagte Jessica schnell.
»Dann haben Sie jetzt bestimmt Zeit, sich das Atelier anzusehen!«
Was wäre jetzt schlimmer gewesen? Mr. Finch die Einkäufe ins Haus tragen zu lassen, oder mit ihm ins Atelier zu gehen? »Nein, wirklich nicht ...«
»Kommen Sie schon«, insistierte Mr. Finch. »Ich lasse Sie auch ganz schnell wieder gehen.«
»Also gut«, gab Jessica schliesslich nach.
Mr. Finch glänzte auf und schritt voraus. Jessica machte zuerst keine Anstalten, ihm zu folgen. Ihr war gar nicht wohl bei dem Gedanken, mit Mr. Finch allein in dieses Atelier zu gehen. Warum ging sie dann mit? Sie wusste es nicht.
Mr. Finch öffnete das Gittertor, und sie betraten den Garten, der das Wohnhaus weitläufig umschloss. Sie gingen einen Pfad entlang, der quer durch ein dicht verwachsenes, winterlich kahles Gebüsch führte, dann lag das Atelier vor ihnen.
Es war ein niedriger Bau mit einem riesigen Fenster. Drei Stufen führten zu einer kleinen, blau gestrichenen Tür hinauf.
Mr. Finch packte mit festem Griff die schwere eiserne Klinke und verbeugte sich höflich. Dann stiess er die Tür schwungvoll auf, so dass sie mit voller Wucht gegen die Wand klatschte. Es entstand ein riesiges Loch im Verputz. Mr. Finch lachte hell auf.
Jessica stimmte nicht in sein Lachen ein. Ihre Miene wurde eher noch verkniffener.
Ein grosser Vorraum tat sich auf, dessen Wand aus Spiegelglas bestand. Ein runder Tisch stand in der Mitte.
»Kommen Sie«, sagte Mr. Finch. »Schauen Sie sich in Ruhe um.«
Zaghaft trat Jessica über die Schwelle.
Mr. Finch summte vor sich hin, während er sich an einem Tisch mit Gläsern zu schaffen machte. Trotz den an den Wänden lehnenden Ölbildern, den herumliegenden Farbtuben, der Palette und den Staffeleien, entstand bei Jessica nicht der Eindruck, als würden in diesem Atelier grossartige künstlerische Werke entstehen.
Mit gespielter Neugier betrachtete sie das Bild auf der Staffelei. Was ihr da entgegentrat, verwunderte sie nicht im Geringsten. Das Bild zeigte eine nackte Frau, die auf einer Holzbank sass und erstaunt aufblickte.
Das Bild war unvollendet und die nasse Farbe verriet, dass Mr. Finch zuletzt daran gearbeitet hatte.
»Rubens ist mein Vorbild. Wie finden Sie das Gemälde?« Mr. Finch reichte Jessica ein Glas mit hochprozentig riechendem Inhalt.
»Sehr interessant«, erwiderte Jessica knapp.
»Das Bild heisst Susanna im Bade, belehrte Mr. Finch sie. »Und das Nächste, das Sie hier sehen, ist die Toilette der Venus.«
Jessica nickte gelangweilt.
Plötzlich und unerwartet schrie Mr. Finch: »Ich erachte, dass die ganze Welt meine Heimat ist!«
Jessica zuckte zusammen und erstarrte.
»Das hat Rubens gesagt«, erklärte er, wieder ganz ruhig und zeigte auf die nächste Staffelei. »Dieses Gemälde heisst der Eremit und die schlafende Angelika.«
»Wo ist der Eremit?«, erkundigte sich Jessica.
»Der kommt noch«, antwortete der alte Mann und zeigte auf das nächste Bild. »Kennen Sie das?«
Jessica zuckte die Achseln, als sie auf die nackten Kinder blickte, die gemeinsam ein Gebüsch durch die Gegend schleppten.
»Das ist der Früchtekranz.« Mr. Finch lachte. »Es ist schwierig, in dieser Gegend Modelle zu bekommen. Da muss ich eben meiner Fantasie freien Lauf lassen.« Er fuhr sich mit der Hand durch das spärlich verbliebene weisse Haar und betrachtete dabei sein Werk voller Ehrfurcht.
Jessica räusperte sich und warf einen skeptischen Blick auf das Trinkglas. Sie war zwar versucht, etwas Alkoholisches zu trinken, um ihre Nerven zu beruhigen, hatte aber den dringenden Verdacht, dass mit diesem Getränk etwas nicht in Ordnung war. Ausserdem fühlte sie sich schon benommen genug, von dem unbestimmten Geruch nach Farben, Terpentin und abgestandenem Tabak. Also liess sie es bleiben und stellte das Glas wieder auf den Tisch.
»Trinken Sie«, sagte Mr. Finch. »Das ist eine Spezialität aus der Schweiz – ein echter Appenzellerschnaps.«
Bei dem Wort Schweiz blieb Jessicas Herz augenblicklich stehen und fing erst nach einer gefühlten Minute wieder an zu schlagen.
»Waren Sie schon einmal in der Schweiz?«, fragte Mr. Finch, unbeirrt von Jessicas Herzstillstand.
»Noch nie«, antwortete Jessica zögernd. »Und Sie?«
»Vor langer Zeit. Ein schönes Land. Klein aber fein. Genau wie Sie.«
Jessica blickte ihn mit einem gefrorenen Lächeln an.
Als er einen Schritt auf sie zukam, zuckte sie zusammen und bewegte sich rückwärts in Richtung Ausgang. »Ich sollte nun wirklich gehen Mr. Finch«, sagte sie nervös. »Ich erwarte einen Anruf von meiner Familie.«
Mr. Finchs helle Augen quollen vor. »Aber Sie haben doch noch gar nichts getrunken. Und ausserdem wollte ich Ihnen noch ein ganz besonderes Gemälde zeigen.«
Danke, ich habe genug gesehen, dachte Jessica, während sie weiter zur Tür strebte. »Vielleicht ein anderes Mal.«
»Aber ...« Mr. Finch brach ab. Jessica hatte das Atelier bereits verlassen.
Mit schnellen Schritten lief Jessica durch den Garten, eilte zu ihrem Range Rover, nahm die Einkaufstüten aus dem Kofferraum, schleppte sie zur Veranda und stellte sie dort keuchend ab. Ängstlich um sich blickend, öffnete sie die Haustür, schnappte sich die Einkaufstüten, zog die Tür hinter sich zu und schloss ab.
Völlig ausser Atem ging sie zum Fenster, schlug den vergilbten Vorhang zurück und hielt Ausschau nach Mr. Finch.
Kurz darauf entdeckte sie den alten Mann. Sein Gesicht war mürrisch und unzufrieden. Er schien sehr nervös zu sein und nagte an seiner Unterlippe. Unschlüssig schaute er sich im Hof um, zuckte dann mit den Achseln und ging zu seinem Wagen. Plötzlich blieb er stehen, drehte sich um und schaute direkt zum Fenster.
Jessica erbleichte und wich zurück. Sie liess den Vorhang los und rührte sich nicht mehr. Er hat mich gesehen, dachte sie. Ich weiss, dass er mich gesehen hat.
Nun hatte es Mr. Finch eilig. Er stieg ein und fuhr sofort los.
Nachdem der Mercedes hinter der ersten Kurve verschwunden war, merkte Jessica, dass sie eigentlich immer noch müde war und legte sich auf die Couch. Schon nach kurzer Zeit schlief sie einfach ein.
Als sie aufwachte, war es bereits dunkel. Sie rieb sich verschlafen die Augen und schaute durch die Glastür im Wohnzimmer. Die Dunkelheit und die Stille draussen waren geradezu unheimlich. Aber genau das hatte sie ja gewollt. Friedliche Stille in der Natur, Zeit um ein wenig zur Ruhe zu kommen.
Wenn diese Ruhe doch nicht ständig durch den Vermieter unterbrochen würde! Bestimmt hätte sie sich bis jetzt schon einigermassen erholt. Sie wäre spazieren gegangen, hätte schon ein paar Seiten von ihrem Buch geschrieben. Aber auch wenn er nicht anwesend war, musste sie ja jeden Moment damit rechnen, dass er wieder an ihrer Tür klingelte, sie vor dem Haus abpasste oder einen völlig sinnlosen Anruf tätigte. Irgendetwas stimmte mit ihm nicht. Sie bekam in seiner Gegenwart jedes Mal eine Gänsehaut.
Sie erschrak, als ihr Magen plötzlich ein lautes Knurren von sich gab. Sie hatte den ganzen Tag noch nichts gegessen. Sie hatte heute überhaupt noch nichts Sinnvolles getan.
Was für ein komplett vergeudeter Tag!, dachte sie. Ich muss mich jetzt endlich zusammenreissen! Ich kann nicht den ganzen Tag auf dem Sofa sitzen oder liegen und darauf warten, bis sich meine Probleme von alleine lösen.
Jessica ging in die Küche, um Wasser für die Pasta aufzusetzen und eine Dose Tomatensauce aufzuwärmen. Während auf der einen Herdplatte das Nudelwasser sprudelte und auf der anderen die Sauce auf kleiner Flamme kochte, entkorkte sie eine Flasche Rotwein und schenkte das Glas viel zu voll ein. Vielleicht würde es nicht schaden, sich ein wenig zu betrinken. Nur dieses eine Mal. Sie trank das halbe Glas in einem Zug, füllte es wieder bis zum Rand und nahm noch einen Schluck. Eine angenehme Benommenheit stellte sich ein.
Als die Tomatensauce heiss war, goss sie diese über die Pasta, streute eine ganze Packung geriebenen Parmesankäse darüber und trug den Teller ins Esszimmer. Dort knipste sie einen Kronleuchter an, der den Raum in ein kaltes weisses Licht tauchte.
Jessica fühlte sich ganz komisch, so alleine an dem langen polierten Holztisch zu sitzen. Sie war es nicht gewohnt, alleine zu essen. Sie vermisste ihre Familie.
Kurz entschlossen nahm sie den Teller und das Glas und ging damit ins Wohnzimmer, wo sie sich auf die Couch setzte, die Beine auf den Couchtisch legte und den Teller auf dem Schoss abstellte.
Der Wein schmeckte wirklich gut. Sie hatte das Gefühl, noch nie so guten Wein getrunken zu haben.
»Zum Wohl«, sagte sie zum Hirsch, als sie das zweite Glas Wein an ihre Lippen setzte.
Jetzt war sie überzeugt davon, dass Mr. Finch diesen Hirsch getötet hatte. Wenn der alte Mann Gänse gestopft und lebend gerupft hatte, schreckte er auch nicht davor zurück, einen Hirsch zu ermorden.
Dann fiel ihr noch etwas ein. Er hatte die Schweiz erwähnt und sogar ein für die Schweiz typisches Getränk in seinem Sortiment. War das ein Zufall? Oder wusste er darüber Bescheid, dass sie die ersten zwanzig Jahre ihres Lebens in der Schweiz verbracht hatte?
Das Geräusch eines Kofferraumdeckels, der hart zugeschlagen wurde, riss sie aus ihrer Grübelei. Sie stellte ihr Glas mit einem Klirren auf den Tisch, erhob sich von der Couch, ging in die Küche und schaute durch das Küchenfenster auf den Vorplatz, wo sie Mr. Finch sah, der mit einer grossen Tasche beladen in seinem Haus verschwand.
»Das glaube ich jetzt aber nicht!«, rief sie fassungslos. »Was macht der denn jetzt schon wieder hier?« Sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. Es war kurz nach zehn.
Sie ging zurück ins Wohnzimmer und kratzte die restliche Pasta von ihrem Teller. Für ein paar Minuten gelang es ihr, nicht mehr an den alten Mann zu denken, bis sie plötzlich das Gefühl hatte, dass sich vor ihrem Fenster etwas bewegte.
Sie starrte durch die Glastür, konnte aber nichts anderes erkennen als das Wohnzimmer, einen Hirschkopf und eine Frau, die mit weit aufgesperrten Augen auf der Couch sass.
Sie löschte das Licht und beobachtete, wie eine schattenhafte Gestalt ans Fenster trat und sich vorsichtig umblickte.
Jessica duckte sich hinter dem Vorhang und sah, wie die Gestalt durch die Glasscheibe ins Wohnzimmer hineinspähte.
Plötzlich hämmerte eine Faust gegen die Scheibe.
Jessica wollte schnell den Vorhang ziehen, da erkannte sie Mr. Finch und der schrie: »Mrs. Greene! Sind Sie noch wach?«
Ich bringe ihn um, dachte Jessica.
»Mrs. Greene!«, schrie der Vermieter erneut. »Ein Telefonanruf für Sie!«
Während Jessica mit ihrer rechten Hand immer noch den Vorhang umklammerte, überlegte sie, ob das überhaupt möglich war, dass jemand bei ihm anrufen und sie verlangen würde.
Mr. Finch blieb hartnäckig: »Ihre Tochter ist am Apparat!«
Meine Tochter? Das glaubt er ja selber nicht. Nach einem langen Zögern rief Jessica: »Sagen Sie meiner Tochter, sie möge mich doch auf dem Handy anrufen!«
»Ihr Handy funktioniert auch nicht! Wahrscheinlich ist es abgestellt!«, schrie Mr. Finch. »Kommen Sie doch mit und fragen Sie Ihre Tochter selbst!«
Sie überlegte hin und her. Konnte das stimmen? War bei ihr zu Hause etwas passiert? Brauchte ihre Tochter ganz dringend ihre Hilfe?
Nein, bestimmt nicht. Er will mich doch nur zu sich locken, wie ein Kinderschänder. Rasch ging sie zum Telefonapparat und hob den Hörer ab. Nichts. Das Telefon war tatsächlich tot. Dann suchte sie ihr Handy. Es war weder in ihrer Handtasche noch in ihrer Manteltasche. Sie überlegte krampfhaft, wann sie das Handy zuletzt gesehen hatte. Sie konnte sich nicht erinnern.
»Kommen Sie doch mit!«, schrie Mr. Finch und klopfte erneut heftig gegen die Glasscheibe.
Kommen Sie doch mit, schoss es ihr durch den Kopf. Sie hatte ein Déjà-vu. Dieser Satz kam ihr plötzlich so bekannt vor. Wo hatte sie das schon einmal gehört?
»Gut, wie Sie wollen!«, rief Mr. Finch beleidigt. »Dann eben nicht!«
Einen Moment später hörte Jessica, wie eine Autotür zugeschlagen wurde, ein Motor aufheulte und sekundenlang die absolute Stille überdeckte.
Das Motorengeräusch verklang in der Ferne und Jessica lief aufgeregt im Wohnzimmer auf und ab.
Was soll ich jetzt tun? In Jessicas Kopf fing es an zu spuken. Sie hatte Angst den Verstand zu verlieren.
Sie fing an ihr Handy zu suchen, jedoch ohne Erfolg. Es war spurlos verschwunden.
Dafür war sie auf die Zigaretten gestossen, die sie am Morgen gekauft hatte. Mit zitternden Händen öffnete sie eine Packung, holte Streichhölzer, die auf dem Kamin lagen, und zündete sich eine Zigarette an. Sie zog so heftig daran, dass es ihr dabei schwindlig wurde und sie sich hinsetzen musste. Wahrscheinlich lag es aber auch daran, dass ihr Körper mit Nikotinpflastern übersät war.
Sie schaute an die Wand über dem Kamin und fing wieder an, sich mit dem Hirsch zu unterhalten. Irgendwie hatte sie der Hirsch auf eine Idee gebracht. Nämlich, dass Mr. Finch ihr das Handy aus der Tasche genommen hatte, als sie diese im Atelier unbewusst auf einen Stuhl gestellt hatte.
Jessica konnte nicht länger herumsitzen. Sie musste wissen, ob mit ihrer Familie alles in Ordnung war. Sie kam zu dem Schluss, dass es nur eine Möglichkeit gab, dies herauszufinden: Sie brauchte ein Münztelefon. Dazu musste sie nach Banff fahren. Dort hatte bestimmt irgendein Restaurant oder eine Bar geöffnet, wo sie einen Anruf tätigen konnte.
Sie huschte zur Garderobe, zwängte ihre Füsse in die Stiefel, zog ihre Jacke an und schaute in den Spiegel, um ihre Frisur zu kontrollieren.
Ich sehe ja schrecklich aus, stellte sie fest, während sie hastig am Reissverschluss ihres Schminktäschchens herumzerrte. Schliesslich schaffte sie es, Lippenstift und Puderdose herauszuangeln. Geübt zog sie die Lippen nach, stäubte sich ein wenig Puder ins Gesicht und setzte einen Hauch Rouge auf die Wangen. Dann stürmte sie zur Tür hinaus.
Draussen war es stockfinster. Ihr Range Rover war in der Dunkelheit kaum auszumachen. Das zwitschernde Geräusch des elektronischen Wagenöffners verriet aber den Aufenthaltsort ihres Wagens.
Rasch kletterte sie ins Auto, legte mit hektischen Bewegungen den Gang ein und fuhr los.
Was konnte passiert sein? Jessica überlegte hin und her. Weshalb hatte Alice versucht, sie anzurufen? War jemand krank? Alle schlimmen Gedanken, die Eltern haben können, schossen ihr durch den Kopf. Hatte sich Alice ein Zungenpiercing stechen lassen und war dabei zu verbluten?
Oder hatte Matthew seinen Lehrer verprügelt? Schliesslich hatte er solche Drohungen schon öfters ausgestossen. Ihr nächster Gedanke war noch abgefahrener. Vielleicht war Michael mit der hübschen Sprechstundenhilfe Nancy durchgebrannt und die Kinder waren ganz alleine in dem grossen Haus!
Unsinn! Bestimmt war es etwas Banales, wie die Frage: »Mom, wo hast du meine Designerjeans verstaut? Wieso hat Daddy meine Handyrechnung nicht bezahlt?«
Jessica schaute in den Rückspiegel. Ein Auto folgte ihr mit eingeschalteten Scheinwerfern. Sie fuhr etwas langsamer, in der Hoffnung, dass der Wagen sie überholen würde.
Das tat er aber nicht. Stattdessen wurde er auch langsamer.
Ist es der Mercedes von Mr. Finch?, überlegte sie. Aber weshalb sollte der Vermieter mich mitten in der Nacht verfolgen?
Erneut blickte sie in den Rückspiegel, aber sie konnte nichts sehen – die Scheinwerfer blendeten sie, so dass es unmöglich war, etwas zu erkennen.
Nach einer Weile wurde sie nervös. Sie setzte den Blinker, lenkte den Range Rover an den Strassenrand und hielt an. Aber die Rechnung ging nicht auf. Statt dass der Wagen an ihr vorbeifuhr, hielt er nur knapp hinter ihr.
Sie knallte die Zentralverriegelung herunter und beobachtete das Auto hinter sich durch den Rückspiegel.
Ihr Hände fingen an zu zittern. Sie war doch nicht verrückt! Sie wurde verfolgt!
Sobald er aussteigt, fahre ich los!, überlegte sie.
Sie zwang sich, nicht in Panik zu geraten. Doch dann fehlten ihr doch die Nerven, noch länger zu warten. Sie trat aufs Gas und schlitterte mit quietschenden Reifen vom Strassenrand weg. Bis zur nächsten Kurve hielt Jessica das Gaspedal voll durchgedrückt. Mit verbissenem Gesicht umklammerte sie das Lenkrad mit beiden Händen und hoffte, dass kein Dickhornschaf die Strasse überqueren würde.
Plötzlich hörte sie hinter sich wieder das Dröhnen eines Motors. Sie warf einen raschen Blick in den Rückspiegel. »Was soll das?«, schrie Jessica wütend. »Gibt es in diesem Kaff eigentlich nur Irre?«
Noch schneller konnte sie nicht fahren. Sie hatte jetzt schon kaum mehr die Kontrolle über ihren Wagen.
Und dann, sie konnte es nicht glauben, wurde sie überholt. Der Wagen schoss mit blitzschnell kleiner werdenden Rücklichtern, mit halsbrecherischer Geschwindigkeit, in die Dunkelheit davon.
Jessicas Herz klopfte. Was war das denn?, wunderte sie sich. Eine Rakete?
Es dauerte eine Weile, bis sie sich von diesem Schock erholt hatte und nicht mehr alle paar Sekunden in den Rückspiegel blickte.
In der Zwischenzeit fuhr sie etwas langsamer, aber immer noch viel zu schnell. Erst als sie die Stadt erreichte, drosselte sie das Tempo, während sie nach einem Restaurant oder einer Bar Ausschau hielt.
Endlich! Auf der anderen Strassenseite leuchtete ihr die Neonschrift einer Bar entgegen. Zahlreiche Wagen parkten am Strassenrand. Unter Laternen standen ein paar komische Gestalten und unterhielten sich.
Ein paar Parkplätze waren gleich neben dem Eingang angelegt. Diese waren aber alle besetzt. Sie fuhr an der Bar vorbei, wendete ein paar Strassen weiter vorne, fuhr in die Parklücke, die sie schon zuvor entdeckt hatte, und stellte den Motor ab.
Eine dicke Nebeldecke hing über der Stadt. Es nieselte und war kalt. Jessica fror trotz des warmen Pullovers und der gefütterten Jacke. Sie kam an einem Schuhgeschäft, einem Delikatessenladen und einer Konditorei vorbei. Dann war die Bar in Sicht, auf die sie mit grossen Schritten zustrebte.
Über der Tür hatte sich ursprünglich ein Bär aus Neonröhren befunden, der blau ausgeleuchtet werden konnte. Anscheinend funktionierte die Lichtleitung nicht richtig, denn nur noch die Pfoten glühten blau. Der Körper lag im Dunkeln. Sie überlegte einen Moment, ob sie wirklich in diese Bar hineingehen wollte. Sie wusste, sie hatte keine andere Wahl. Nur so konnte sie herausfinden, weshalb ihre Tochter sie so verzweifelt gesucht hatte.
Durch eine Glastür gelangte sie in einen schmalen Gang. Dann führten drei Stufen zu einer vorhangbespannten Tür hinauf. Jessica spähte durch einen Spalt des Vorhangs in den langgestreckten Raum. Die Bar war brechend voll, die Musik ohrenbetäubend und es roch nach abgestandener Luft. Alles lachte und schrie durcheinander. Es machte den Anschein, als hätte sich ganz Banff versammelt, denn es waren alle Altersgruppen vertreten.
Jessica steuerte direkt die Theke an und stemmte beide Hände auf die Tischplatte. Eine Bardame, mit kanariengelben Haaren, tauchte hinter der Theke hervor und musterte den neuen Gast. Sie beugte sich näher zu Jessica und zog eine dünn gezupfte Augenbraue hoch. »Was soll es denn sein?«, fragte sie.
»Ich möchte bloss telefonieren«, antwortete Jessica.
»Das können Sie nur, wenn Sie auch etwas bestellen«, belehrte sie die Bardame, mit den gelben Haaren, dem knallengen T-Shirt und den noch engeren Jeans, die den Hüftspeck herausquellen liessen.
»Also gut«, sagte Jessica genervt. »Wenn ich telefoniert habe, komme ich an die Bar und bestelle etwas.«
Die Frau nickte und deutete mit dem Arm die Richtung an.
Jessica drängte sich an den zahlreichen Gästen vorbei und verschwand in einen langen Gang, wo sich ganz am Ende, in einer Nische, das Telefon befand.
Mit zittrigen Fingern warf sie Münzen in den Apparat, der an der Wand montiert war.
Ein Klingelzeichen ertönte. Jessica atmete auf. Gott sei Dank, das Telefon funktioniert!
Es läutete weiter. Jessica zählte neun Klingeltöne und wurde zunehmend nervöser.
Es muss etwas Schreckliches passiert sein! Ich hätte mit Mr. Finch mitgehen sollen! Ich hätte an Ort und Stelle herausfinden können, weshalb mich Alice gesucht hatte!
Jessicas Knie wurden immer weicher. Sie warf einen Blick auf die Armbanduhr. Es war kurz vor Mitternacht.
Nach dem zwölften Klingelzeichen war ein Klicken zu hören, gefolgt von Michaels schlaftrunkener Stimme.
»Michael!« Jessica schrie, als brauchte sie gar kein Telefon, um aus hundertdreissig Kilometern Entfernung verstanden zu werden. »Geht es euch gut?«
»Was?«, stammelte Michael. »Jessica? Bist du das?«
»Ja, wer denn sonst! Was ist passiert?«
»Was soll passiert sein? Geht es dir gut?«, fragte Michael verwundert.
»Die Frage lautet: Geht es euch gut?«
»Ja, bei uns ist alles in Ordnung«, antwortete Michael. »Weisst du eigentlich, wie spät es ist? Ist bei dir alles okay?«
»Ja, ich weiss, wie spät es ist. Meine Uhr funktioniert immer noch, aber mein Telefon ist kaputt. Weshalb hat mich Alice gesucht?«
»Tut mir leid, aber ich kann dir nicht folgen.«
»Es tut mir auch leid, aber wäre es trotzdem möglich, mir diese einfache Frage zu beantworten: Warum hat Alice mich angerufen?«
»Ich verstehe nicht.«
»Es ist etwas kompliziert«, sagte Jessica. »Der Vermieter hat mir gesagt, dass unsere Tochter mich gesucht hat.« Im Flüsterton fuhr sie fort: »Er ist so ein komischer alter Mann. Und ich hatte Angst, mit ihm mitzugehen.«
»Ich kann dich kaum hören. Wo bist du?«
Jessica sah sich um, ob jemand hinter ihr stand und das Gespräch belauschte, dann wiederholte sie das Gesagte etwas lauter.
»Was für ein alter Mann?«, erkundigte sich Michael.
»Ein alter Mann stört mich ständig und nervt.«
Auf der anderen Seite der Leitung herrschte einen Moment lang verwirrtes Schweigen. »Es wäre besser, wenn du wieder nach Hause kommen würdest«, sagte Michael schliesslich und sprach jedes Wort so langsam und betont aus, als würde er mit einem kleinen Kind sprechen.
»Nein, ich komme noch nicht nach Hause«, erwiderte Jessica gereizt und warf eine weitere Münze in den Apparat.
»Gut, dann eben nicht«, sagte Michael, ohne beleidigt zu wirken. »Ruf doch einfach morgen nochmals an, wenn die Kinder wach sind. Dann können wir alles in Ruhe besprechen.«
»Falls ich dann wieder ein Telefon habe.«
»Aber du telefonierst doch gerade.«
»Das ist nicht mein Telefon. Ich bin in einer Bar. Und jetzt muss ich noch etwas trinken.«
Es folgte eine Pause. »Du trinkst wieder?«
»Nein, ich muss etwas trinken, damit ich telefonieren kann«, antwortete Jessica und fügte hinzu: »Ich trinke nur Mineralwasser.«
»Na gut. Ich richte Alice aus, dass sie dich morgen zurückrufen soll.«
»Wie auch immer.«
»Ich mache mir langsam Sorgen«, sagte Michael.
Für einen Moment war Jessica versucht, einfach die Wahrheit zu sagen: nämlich, dass es ihr total beschissen ging und dass sie am liebsten auf der Stelle wieder nach Calgary fahren würde. Aber diese Genugtuung wollte sie Michael nicht geben. Er hatte ihr prophezeit, dass sie es keine zwei Wochen aushalten würde. Er hielt Jessicas Vorhaben von Anfang an für eine Schnapsidee.
Stattdessen sagte sie: »Das brauchst du nicht, es geht mir gut.«
Michael seufzte. »Das hoffe ich.«
»Schlaf weiter«, sagte Jessica. »Ich melde mich wieder.« Sie legte den Hörer auf die Gabel, bevor Michael etwas erwidern konnte. Sie spürte, wie angespannt sie war. Tausend Dinge gingen ihr rasend schnell durch den Kopf. Hatte sich der Vermieter einen Spass erlaubt? Aus welchem Grund? Was hatte er davon?
Sie verstaute ihren Geldbeutel in der Tasche und ging zurück in die Bar.
Vielleicht sieht mich die Frau mit den gelben Haaren nicht, überlegte sie, während sie mit grossen Schritten durch die Bar lief. Dann verschwinde ich einfach von hier. So eine Frechheit! Ein Getränk für ein Telefongespräch! Erpressung nennt man das!
»Halt!«, rief die Bardame.
Jessica fühlte sich wie eine Ladendiebin, die gerade beim Stehlen ertappt wurde. Brav ging sie zur Theke.
»Fünfzehn kanadische Dollar«, verlangte die Bardame für das Bier, das sie bestellt hatte.
Ein teures Telefongespräch, dachte Jessica und legte schweren Herzens das Geld auf die Theke. Und ein völlig Unnötiges dazu.
Fünf Minuten später sass sie immer noch gelangweilt auf dem Hocker und studierte die Flaschen, die vor ihr auf dem Regal, das in die Wand eingelassen und indirekt beleuchtet wurde, standen. Sie lauschte der Musik und fing an, in Selbstmitleid zu zerfliessen. Jessica fühlte sich von dem melancholischen spanischen Lied ergriffen. Es war etwas Trauriges, etwas so verzweifelt Hoffnungsloses in den Worten von Enrique Iglesias, dass ihr dabei fast die Tränen in die Augen schossen.
Sie dachte an Michael und ihre Kinder, die jetzt zu Hause in Calgary friedlich in ihren Betten schlummerten, während sie, aus ihr jetzt unerklärlichen Gründen, in dieser Bar sass.
Eigentlich fand Jessica die kostenlosen Schalen mit gesalzenen Erdnüssen unappetitlich. Aber da sie schon wieder Alkohol trank und nachher noch mit dem Auto fahren musste, tauchte sie ihre Hand trotzdem in die Schale und bediente sich. Während sie Nüsse in sich hineinstopfte, kam sie mit dem Barkeeper, einem jungen Latino, ins Gespräch.
»Das ist nicht gerade ein toller Laden«, gestand er ihr. »Ich werde auch nicht lange bleiben. Ich verdiene mir nur etwas dazu. Wissen Sie, warum diese Bar zum blauen Bär heisst?«
»Nein, ich wusste nicht einmal, wie diese Bar heisst. Bin einfach reingelaufen«, antwortete Jessica mit schwerer Zunge und spülte eine Ladung Nüsse mit Bier hinunter.
»Der Besitzer sieht aus wie ein Bär. Er ist riesengross, behaart von Kopf bis Fuss und immer blau gekleidet.«
»Toll«, sagte Jessica aus Höflichkeit. Mehr dazu fiel ihr beim besten Willen nicht ein.
»Ich heisse übrigens José«, stellte sich der Latino vor. »Sie sind auch nicht aus der Gegend, nicht wahr?«
»Nein, aus Calgary.«
José stützte die Ellbogen auf die Theke und beugte sich vertraulich vor: »Obwohl Sie sehr gut Englisch sprechen«, sagte er, »scheint es mir, als ob es nicht Ihre Muttersprache ist.«
Jessica sperrte die Augen auf. Sie hatte alles unternommen, um den lästigen Schweizerakzent loszuwerden. Ja, sogar einen Vocalcoach hatte sie eigens dazu angeheuert. Seit zwanzig Jahren hatte sie kein Wort Schweizerdeutsch mehr gesprochen. Seit dem Tag, als sie von zu Hause weggelaufen war. In aller Frühe verliess sie damals das Haus und kehrte nie wieder zurück. Sie hatte ihre Eltern seit zwanzig Jahren nicht mehr gesehen, wusste nicht einmal, ob sie noch lebten. Und schon seit vielen Jahren wurde sie nie mehr auf ihren Akzent angesprochen. Wie zum Teufel konnte dieser Gonzales, oder wie auch immer er hiess, ihren nicht mehr vorhandenen Akzent hören? »Was denken Sie denn, woher ich komme?«, fragte Jessica wütend. »Vielleicht aus dem Urwald?«
Der Barkeeper lachte lauthals und sprach weiter, erzählte irgendetwas über Affen, blaue Bären und Hirsutismus, aber Jessica hörte seine Worte gar nicht richtig und deren Sinn verstand sie erst recht nicht. Sie fühlte sich zum Umfallen müde. Hin und wieder verschwamm ihr schon der Raum vor den Augen.
Plötzlich bemerkte sie aus dem Augenwinkel heraus einen Typen, der am anderen Ende der Theke auf seinem Hocker sass und ständig zu ihr herüberglotzte.
Ihre Augen blieben dann an diesem Mann hängen, weil er ihr bekannt vorkam.
Der Mann mochte ungefähr vierzig Jahre alt sein. Er hatte dunkle Haare mit weissen Schläfen. Eine kahle Stelle auf seinem Kopf glänzte. Es machte den Anschein, als ob seine Augenbrauen den Verlust seiner Haare wettmachen wollten. Sie wuchsen buschig und dicht über seinen wasserblauen Augen.
Er trug einen hellblauen Pullover. Und er sah aus wie Mr. Finch!
Jessica wandte ihren Blick ab und schaute stattdessen in den Spiegel hinter der Theke, vielleicht um herauszufinden, ob sie genauso schockiert aussah, wie sie sich fühlte.
Alles erschien ihr surreal.
Der Barkeeper schwafelte jetzt etwas von Puritas und Sombreros, während er die bereits schon saubere Theke immer und immer wieder mit einem Lappen abwischte. Die gelbhaarige Bardame behauchte Cognacgläser, die sie anschliessend mit einem Geschirrtuch polierte, während der Finchklon sie immer noch anstarrte.
Am liebsten hätte sie geschrien. Stattdessen griff sie nervös nach einer Papierserviette und begann das Zellophan in dünne Streifen zu zerreissen. Erst als ihr die Bardame einen vorwurfsvollen Blick zuwarf, hörte sie damit auf und schob die Papierfetzen von sich.
Plötzlich zuckte Jessica zusammen. Der Finchklon hatte der Bardame etwas zugerufen.
Die gleiche Stimme wie Mr. Finch! Ich glaube, ich werde langsam verrückt!
Noch mehr Gäste trafen ein. Ein grosser Teil von ihnen verschwand in einem Nebenraum, der ziemlich geräumig sein musste, denn er schluckte eine grosse Anzahl Menschen.
Geistesabwesend und bewegungslos blieb Jessica auf ihrem Hocker sitzen. Sie dachte an das Gespräch mit Michael, fragte sich erneut, weshalb der Vermieter zu so später Stunde an die Scheibe gehämmert und ihr diese faustdicke Lüge aufgetischt hatte. Erst als an das Durchreichefenster hinter der Theke geklopft wurde, tauchte sie aus ihren Gedanken wieder auf.
Die Bardame schob das Fenster hoch, holte ein Tablett, das mit zwei vollen Tellern und einer Brotschale beladen war, heraus, und ging damit zu einem Tisch in der Ecke, der sich zum Winkel hinter der Tür befand. Obwohl Jessica überhaupt nicht hungrig war, versuchte sie einen Blick auf das Essen zu erhaschen und drehte den Kopf.
Plötzlich fragte sie sich, was sie hier überhaupt noch machte? Das Telefongespräch war doch schon längst erledigt!
Sie stürzte das restliche Bier hinunter und knallte das Glas auf die Theke. Dann fiel ihr auf, dass der Hocker, auf dem der Typ im hellblauen Pullover gesessen hatte, leer war. Ihr Blick durchflog die Bar. Der Finchklon war verschwunden.
Sie sprang vom Barhocker, griff in die Handtasche, nahm ohne abzuzählen ein paar zerknitterte Geldscheine aus dem Geldbeutel, knallte sie auf die Theke, bahnte sich dann rücksichtslos ihren Weg durch die Menge und verliess mit schnellen Schritten die Bar.
Die Tür klappte automatisch hinter ihr zu.
Draussen fiel ihr ein, dass sie das Bier doppelt bezahlt hatte. Ein sehr teures Telefonat!
Der Nebel, der schon bei ihrer Ankunft kurz vor Mitternacht unangenehm und feucht gewesen war, verdichtete sich noch mehr. Jessica konnte kaum noch die andere Strassenseite erkennen. Sie überlegte krampfhaft, wo sie ihren Range Rover abgestellt hatte. Dann erinnerte sie sich, dass sie sich die Konditorei gemerkt hatte und ging den gleichen Weg zurück.
Während sie im Eiltempo durch die nebligen Strassen marschierte, überlegte sie, ob ihr der Finchklon wohl irgendwo auflauerte.
Es gibt keinen Finchklon, sagte sie sich schliesslich. Ich habe mir alles nur eingebildet. Wahrscheinlich vernebelt das Wetter auch meinen Verstand.
Trotz dieser Einsicht rannte sie die letzten paar Meter zum Wagen, schloss auf, setzte sich ans Steuer und verriegelte den Wagen von innen.
Sie liess den Motor an, trat aufs Gas und fuhr mit kreischenden Reifen davon.
Nachdem sie Banff verlassen hatte und die kurvige Gebirgsstrasse hinauffuhr, überkam sie das dringende Bedürfnis, sich zu übergeben. Sie biss die Zähne zusammen und kämpfte gegen die heftige Übelkeit an. Sie versuchte den Range Rover an den Strassenrand zu lenken, aber dort war einfach nicht genügend Platz zum Anhalten.
Jessica zwang sich, an etwas anderes zu denken, als an die Flasche Rotwein, die Pasta mit Tomatensauce, das Bier und an die Erdnüsse mit Bakterien. Aber es funktionierte nicht.
Jetzt konnte sie wirklich nicht mehr länger warten. Sie riss einen Vollstopp, kletterte aus dem Wagen und erbrach den gesamten Mageninhalt auf den glitzernden Asphalt.
Ein Motorrad donnerte an ihr vorbei, während sie leichenblass und mit dicken Schweisstropfen auf der Stirn, auf der dunklen Strasse stand und sich fragte, wie überhaupt alles so weit kommen konnte.
Alles wegen diesem blöden Telefonanruf! Alles wegen Mr. Finch!
Sie wischte sich mit dem Handrücken den kalten Schweiss von der Stirn, stieg wieder in den Wagen, und fuhr weiter.
Eine Viertelstunde später erreichte sie den Hügel und lenkte ihren Range Rover langsam über den Kiesweg. Sie zog den Zündschlüssel heraus und liess sich seufzend gegen die Rücklehne sinken. Soll ich wieder nach Hause fahren?, überlegte sie.
Nein! Sie hatte nicht vor aufzugeben. Sie wollte das hier durchziehen und sie war wild entschlossen, dieses Buch zu schreiben, um herauszufinden, was damals passiert war.
Nachdem sie aus dem Wagen gestiegen war, blieb sie noch eine Weile stehen und atmete tief durch. Die Luft war kalt und frisch.
Doch als sie die dunkle Strasse hinunterblickte, merkte sie, dass ihre Hände zitterten.
Plötzlich zuckte sie zusammen, weil sie dachte, jemand wäre hier draussen.
Der Vermieter!
Die Person, die sie im Auto verfolgt hatte!
Der anonyme Anrufer von gestern!
Vielleicht der Motorradfahrer, der an ihr vorbeigedonnert war, während sie das wilde Durcheinander in ihrem Magen mitten auf die Strasse entleert hatte!
Abrupt drehte sie sich um, stürmte ins Haus, schlug die Tür hinter sich zu und verriegelte sie hastig.
Das Wohnzimmer wirkte noch düsterer und unfreundlicher, als sie es vor dem Barbesuch in Erinnerung hatte. Jessica blickte zum Hirsch auf und tippte grüssend mit dem Finger gegen die Schläfe, dann liess sie sich auf die Couch sinken und blieb wie benommen sitzen.
Ihr fiel plötzlich das Handy wieder ein und sie fing an, es zu suchen. Im Schlafzimmer wurde sie fündig. Es lag auf der Bettdecke und war ausgeschaltet.
Sie konnte sich beim besten Willen nicht daran erinnern, ihr Handy auf das Bett gelegt zu haben. Und ausserdem schaltete sie es nie aus. Schon darum nicht, weil sich ihr Spatzenhirn den vierstelligen Code nicht merken konnte.
Vielleicht fällt mir die Zahlenkombination über Nacht wieder ein, dachte sie und legte das Handy auf die Kommode.
Mit viel Überwindung raffte sie sich auf, die Zähne zu putzen und sich abzuschminken. Sie schlüpfte in ihren Schlafanzug und kroch ins Bett. Das Laken und die Daunendecke fühlten sich kalt an. Fröstelnd rollte sie sich zusammen.
»Verfroren ist hier noch keiner«, hörte sie die Stimme von Mr. Finch sagen. Sie schüttelte den Kopf und warf einen Blick auf den Digitalwecker auf dem Nachttisch. Die Zahlen zeigten fünf vor zwei.
Morgen früh wird alles wieder im Lot sein, dachte sie.
Oder auch nicht. Sie schloss die Augen und schlief sofort ein.