Читать книгу Wie der kleine Muck erwachsen wurde - Andreas A.F. Tröbs - Страница 7
Auf Messers Schneide
ОглавлениеHörst du das, Weib? Da draußen ist Volksfest! Wegen mir! Ob ich da drauf stolz sein kann?“ Omar lachte bitter. „Ssssch, ssssch!“, versuchte sie, ihn zu besänftigen. „Na, ist doch wahr! Wenn wir die Ziege nicht so dringend brauchen würden, würde ich dazwischenschlagen. Hassan Ibn Odd Set würde ich auf einen seiner Böcke binden und in die Wüste jagen, auf Nimmerwiedersehen. Und die Menschen, diese dummen Menschen! Haben die vergessen, wer den meisten, ach, was sage ich, wer allen Gewinn aus den Wetten zieht?“ Sein Gesicht rötete sich noch heftiger.
„Omar! So beruhige dich doch! Hassan Ibn Odd Set versteht es eben, Geschäfte zu machen. Das ist nun mal so!“ „Ist nun mal so!“, äffte Omar seine Frau nach. „Ist nun mal so? Wie war das denn mit der Familie, die in ihrer Hütte verbrannt ist? Meinst du, einer der Frauen und Männer ist so blöd und lässt seine Hütte abbrennen und sich selbst gleich mit? Selbst den kleinen Kindern wird eingetrichtert, dass sie am Feuer nichts zu suchen haben, weil es Frauensache ist. Und dann brennt einfach so eine Hütte nieder? Ich höre noch Hassan Ibn Odd Sets Worte: Die Bewohner hätten fahrlässig gehandelt. Fahrlässig, dass ich nicht lache! Da hat der nachgeholfen! Nachgeholfen, weil in diesem Dorf einfach nichts Spektakuläres mehr geschah und er Angst hatte, dass seine Wettleidenschaft in Vergessenheit gerät und seine Geschäfte versiegen! Ich sage dir: Der hat die Hütte anzünden, die Türen verrammeln und alles darin verbrennen lassen! Bei Allah, so und nicht anders war’s! Und dann stellt der sich noch vor die brennende Hütte hin und nimmt scheinheilig Wetten an! So, als ob jemand diesen Brand überleben würde. Die Dorfbevölkerung wettete natürlich auf den Tod von allen: Mann, Frau und Kind! Und wie war das Ergebnis, Weib? Weißt du’s noch?“ „Wie durch ein Wunder hatte die junge Frau überlebt!“ Latifas große Augen sahen ihren Mann nachdenklich an. „Wie durch ein Wunder? Latifa, wach auf! Das war kein Wunder! Das war Betrug! Tamima, die junge Frau, kroch aus der Brandruine wie Phoenix aus der Asche und war unversehrt! Kein Härchen hatte sich bei ihr durch die Feuersbrunst gekräuselt! Nichts! Einzig ein wenig rußgeschwärzt war sie, aber sonst heil und unversehrt! Glaubst du, das ging mit rechten Dingen zu? Und heute ist Tamima Hassan Ibn Odd Sets Weib. Dumm, eitel und selbstgefällig! Ich glaube: Vor der hat selbst Hassan Ibn Odd Set manchmal mächtig Bammel!“ Sie schwiegen. Die Kinder begannen zu lärmen, Latifa musste sie zur Ordnung rufen. Der Säugling schmatzte an ihrer Brust, und sie sagte: „Da war da auch noch die Sache mit dem Schlangenbiss!“ Omar winkte ab. „Ach ja, siehst du, das war auch wieder typisch Hassan Ibn Odd Set. Jassir wird von einer Kobra in die Wade gebissen und Hassan Ibn Odd Set machte die Leute glauben, dass es nur eine harmlose Natter gewesen sei. Jassir starb und Hassan gewann.“ „Und bei Saliha“, ereiferte sich Latifa, „machte er den Leuten nach ihrem Sturz vom Kamel weis, dass sie sich den Hals gebrochen habe und mit dem Tod ringe! In Wirklichkeit stellte ihr Mann fest, nachdem man sie in die Hütte gelegt hatte, dass sie nur vor Schreck ohnmächtig geworden war und ihr sonst weiter nichts fehlte.“
Omar atmete schwer und schwieg. Da klopfte es hart an ihre Tür. Bevor jemand eine Antwort geben konnte, schwang sie auf und Hassan trat ein. „Ich dachte, ist gerade nichts los im Wettbüro, schaust mal nach Omar“, schwatzte er leutselig und rieb sich beide Hände. Latifa hatte sich schnell gefasst und rief genauso munter: „Ach Hassan, wenn du schon mal da bist, so komm doch einfach rein!“ Hassan, der sich schon mitten im Raum befand, beschlich nach ihren so resolut ausgesprochenen Worten doch ein bisschen Beschämung. Er drehte sich unsicher in dem kleinen Raum hin und her und wusste nicht, wohin mit seinen Händen. Latifa sah es mit tiefer Befriedigung und verzeichnete einen kleinen Sieg auf ihrem Konto. Ruhig, aber herausfordernd schaute sie Hassan an. Der druckste: „Ach, hätte ich vielleicht doch lieber anklopfen sollen?“ „Zum Beispiel“, kam von ihr zurück, und sie sprach weiter: „Wie du siehst, schläft Omar, und er wird auch wieder gesund!“ Der Säugling an Latifas Brust schmatzte. Hassan glotzte wie ein Maulesel und erklärte schnell: „Das will ich auch hoffen!“ „Hoffen?“ Latifas Mund verzog sich zu einem sauersüßen Grinsen. „Draußen hörte ich, wie du vom nahen Tod Omars berichtet hast!“ Hassan tat unschlüssig und erklärte unwirsch: „Naja, du weißt doch: die Wette!“ „Die du nach oben treibst, indem du falsch Zeugnis ablegst!“ In Latifas Augen funkelte es nun kampfeslustig, und Hassan wurde die Sache immer unangenehmer. Er antwortete nicht auf ihre Feststellung, sondern erwiderte: „Die Wetten stehen schon sehr gut! 87 zu 13!“ „Ach, ich verstehe“, gab Latifa zurück, „87 Leute wetten auf Omars Tod und 13 dagegen!“ Hassan wand sich wie ein Wurm am Haken: „Genau!“, mehr brachte er nicht mehr hervor. Latifa schaute Hassan unverwandt und durchdringend an: „Wer hat den größten Gewinn, während mein Mann mit dem Tode ringt?“ Hassan konnte nichts mehr sagen und glubschte nur stumm wie ein Chamäleon. Latifa hatte sich, immer noch den Säugling an der Brust, vor ihm aufgebaut: „Nun, ich will es dir sagen: Während wir, die wir alles ausstehen, uns mit lumpigen 400 Sultanos abfinden müssen, die nicht einmal für ein Kalb, geschweige denn für eine Kuh reichen, kassierst du alles und kannst in aller Ruhe deinen Reichtum vermehren!“ Mit so viel Furchtlosigkeit und Entschlossenheit hatte Hassan nicht gerechnet. Sein Mund war wie ausgetrocknet. Er schloss und öffnete ihn wie ein alter, bemooster Karpfen, ehe er endlich eine Erwiderung finden konnte: „Aber, aber! Da können wir doch drüber reden“, und er versuchte ein unsicheres Lächeln. „Reden?“ Latifa war in großer Rage: „Reden! Wir reden nicht! Ich will eine ordentliche Milchkuh und ein Stück Land, damit wir sie auch ernähren können und allezeit genügend Brennmaterial, das uns deine Sklaven immer bringen werden!“ „Wenn’s weiter nichts ist“, meinte Hassan, „soll es so sein!“ Er drehte sich auf dem Absatz um und verließ die Hütte, als hätte er den Leibhaftigen im Nacken.
Latifas Augen waren starr auf den aufsteigenden Qualm des Hüttenfeuers gerichtet, der fast senkrecht durch das Loch im Dach abzog. Dann lachte sie leise glucksend, streichelte sanft ihren schlafenden Mann und flüsterte: „Omar, wir schaffen das! Du wirst uns wieder gesund, hörst du, und dann streichen wir unseren Gewinn ein, dafür habe ich gesorgt, das hättest du sehen und hören sollen. Wir müssen nur den Verschlag etwas vergrößern. So eine Milchkuh braucht auch ihren Platz!“ Sie lachte leise. „Wenn du’s nur schon wüsstest! Oh, ich brenne drauf, es dir zu erzählen.“ Sie drehte sich entschlossen um, legte ihren nun ebenfalls schlafenden Säugling vorsichtig in die kleine Bettkiste, legte Brennmaterial nach, kümmerte sich um etwas Essbares und verließ die Hütte, um die Ziege zu melken.