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Mukhtar (Muck) und Vater

Segen und Fluch

Mukhtar (Muck), ein buckliger Junge von 18 Jahren, ging in der kleinen Hütte auf und ab. Er wäre ohne seinen sichtbaren Buckel mit seinem beherzten Auftreten, seiner schnellen Auffassungsgabe und seinen klaren, schwarzen Augen ein ansehnlicher junger Mann gewesen. Wie oft hatte er diesen Buckel verflucht und ihn zum Scheitan gewünscht, aber er besaß ihn nun einmal und musste mit ihm leben. Die Mutter des zwar sanftmütigen, aber manchmal auch rebellischen Jungen starb bei seiner Geburt. So wuchs er allein mit seinem Vater auf. Ständig war Mukhtar von dem Geruch von Leim, Leder und Schuhwichse umgeben. Dabei musste er Vaters Demut vor der Obrigkeit ertragen und seine einfachen Lebensweisheiten anhören, die ihn aber auch auf sonderbare Weise berührten. In diesem eigentümlichen Gefühlswirrwarr schwang noch ein anderes Gefühl mit, nämlich das Gefühl der Freiheit, das untrennbar mit seinem Hang zur Harmonie und seiner Abscheu gegenüber Ungerechtigkeit verbunden war. Es war jene Ungerechtigkeit, die er oft selbst erleben musste, denn seine Altersgenossen trieben fortwährend böse Scherze mit ihm.

Verspottet und verlacht, verkroch er sich dann tief gekränkt im finstersten Winkel der Hütte, zitterte vor Schmerz und Scham am ganzen Körper und wünschte sich oft ein großes, tiefes Loch im Boden, um darin versinken zu können. Jedoch, die Anfeindungen hatten ihn im Laufe der Jahre nicht gebrochen, sondern gestählt! Er hatte sich nicht klein und dumm machen lassen, sondern sich stattdessen auf seinen angeborenen Verstand besonnen, von dem der weise Ibrahim sagte, dass der erst wachsen müsse, wachsen, wie das Wörtchen „vermag“, das erst bei dem Wort „Vermögen“ so richtig interessant werde. Der weise Ibrahim war der Mann, der zwar wie ein Eremit lebte, aber ein kluger Mensch war, der Mukhtar Schreiben, Lesen und viel über den menschlichen Körper lehrte. Mukhtar hatte alles sehr schnell begriffen. Er pfiff also auf seine äußere Erscheinung und widmete sich mit Eifer seinen Studien, die er mit hellen Sinnen und wachen Augen betrieb. Denn er wusste, dass es nur darauf ankommt. Er folgte seiner inneren Stimme, lernte eifrig von den Lebenserfahrungen der Alten und zahlreichen Betrachtungen und Beobachtungen der Menschen. Mukhtar lauschte gern der großen Natur, erfreute sich an ihren Schauspielen, und sein Verstand wuchs gemeinsam mit seinem Selbstvertrauen. Und weil er sich dieser Geistesgabe immer stärker bewusst wurde, beflügelte sie ihn so weit, dass auch sein Mut wuchs, den Verstand zur rechten Zeit einzusetzen. Und seine stetige Bemühung begann die ersten Früchte zu tragen, denn plötzlich gab es immer weniger Anfeindungen, bis sie schließlich irgendwann ganz erstarben.

Der Tod des Vaters

Nein, Vater, du gehst nicht!“ Die Augen des Jungen schauten bettelnd: „Du weißt doch, dass der die Leute nur belügt und betrügt!“ Mukhtar hatte seine Wanderung unterbrochen und wandte sich flehend an seinen Vater, einen hinfälligen und spindeldürren alten Mann. „Vater, hast du vergessen, dass du für Hassan Ibn Odd Set schon zwei Paar der feinsten Schuhe anfertigen musstest, und dass es keinen Gewinn für dich gab? Hassan Ibn Odd Set hat dich schlichtweg getäuscht! Getäuscht, so, wie er das seit Jahr und Tag mit allen hier tut!“ Mukhtars Vater, der inmitten seiner Schuhmacherutensilien wie ein weiteres Inventarstück saß, legte erbost seine Arbeit nieder und fixierte seinen Sohn: „Statt hier große Volksreden zu halten, könntest du endlich lernen, wie man einen Schuh haltbar macht und ordentlich flickt. Ich bin der einzige Schuhflicker im Dorf und werde mich bald auf die lange Reise zu Allah begeben. Es wird also höchste Zeit, Sohn, dass du dieses ehrbare Handwerk erlernst!“ Seine Rede wurde von einem heiseren Husten unterbrochen. Mukhtars Vater litt unter der gefürchteten Sandkrankheit, die in jedem Jahr ihren Tribut von den Alten forderte. Mukhtar wusste das, er zögerte und setzte sich neben seinen Vater. „Vater, ich weiß, dass du recht hast! Aber findest du das jetzt fair? Ich meine, davon anzufangen, wo ich dich doch nur vor einer neuen Dummheit bewahren will!“ „Dummheit?“, die Augen des Alten hatten sich verengt: „Sprich du mir nicht von Dummheit!“ Mukhtar zuckte wie unter einem Peitschenhieb zusammen. „Vater, ich kann deine Arbeit nicht weiterführen. Die Welt ist so groß! Ich spüre, wie mich alles in diese Welt hinauszieht! Ich will meine Lebtage nicht in dieser Oase fristen. Der weise Ibrahim – du weißt doch, das ist der, der mich umsonst lesen und schreiben lehrte und der mir viel von der weiten Welt verriet – also, der weise Ibrahim erzählte mir auch von Maon, der Sultanstadt, und dass dort einer wie ich sein Glück bestimmt finden würde!“ „Firlefanz, das ist doch alles Firlefanz!“, erregte sich der Alte und bekam einen schlimmen Hustenanfall. Als er ihn endlich überstanden hatte, flüsterte er mit traurigen Augen: „Aber Sohn, wie kann man denn ohne seiner Hände Arbeit das Leben meistern? Du kannst nichts, hörst du, niiiichts! Lesen und Schreiben, na immerhin! Aber hat man je gehört, dass so etwas einen Mann, geschweige denn eine ganze Familie ernährt hat?“

Der Vater zögerte. Er senkte seinen Blick und musste erneut husten. Danach sammelte er sich mühsam und brummelte versöhnlich: „Mukhtar, mein Sohn! Ich will nicht im Streit von dir scheiden. Gehe deine Wege! Aber lass dir gesagt sein, dass es schwer werden wird, den einmal eingeschlagenen Weg wieder zu verlassen! Allah möge dich segnen und dich auf all deinen Wegen begleiten!“ Mukhtar küsste seinem Vater Stirn und Hände und rief gerührt: „Hab tausend Dank, Vater! Ich laufe noch mal schnell zum alten Ibrahim und bin gleich wieder zurück.“ „Vater, Vater, stell dir vor: Omar ist am Leben! Es geht ihm gut! Du hättest also wieder eine Wette verloren, weil du auf seinen Tod setzen wolltest!“ Mukhtar war in die kleine Hütte gestürmt, um schnell diese freudige Nachricht loszuwerden. Doch sein Vater saß aschfahl und stumm, zusammengekauert auf seinem Holzschemel und atmete nicht mehr.

„Vater, Vater!“ Mukhtar schüttelte ihn. „Was ist los? So rede doch, sprich mit mir! Schimpfe mich aus, was ich nur für ein nutzloser Tagedieb bin! Oh Vater, du hattest ja so recht! Und weil du recht hattest, konnte ich nichts erwidern und bin davongelaufen. Ich war nicht bei Ibrahim. Ich hatte Angst vor dir und konnte deine Wahrheit einfach nicht mehr ertragen! Und nun bin ich zurück und du bist tot! Tot! Du hast gewusst, dass du sterben wirst und hast mir deinen Segen gegeben! Ach, was warst du nur für ein guter Vater! Allah, ich bitte dich: Sei meines armen Vaters Seele gnädig!“ Mukhtar fiel in sich zusammen und weinte laut und hemmungslos.

Wie der kleine Muck erwachsen wurde

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