Читать книгу EI_LAND - Andreas Hillger - Страница 7
III
Оглавление»Und immer ist es hektisch, Hier gibt man niemals Ruh, Die Menschen sind elektrisch Und mit der Nacht per du.« Drei Schwestern, »Berlin, Berlin«
»Da muss ich ein wenig ausholen. Geboren im Berliner Westen, dann über die offene Grenze in den Osten abgehauen. Wilde Zeiten waren das, Nächte im Tacheles auf Stühlen aus geklauten Mercedes-Radkappen, Tage auf einer abgewetzten Matratze in der Mainzer Straße. Irgendwann haben mir meine Eltern ein Ultimatum gestellt – Zehlendorf oder Friedrichshain, Lacoste oder Lederjacke. Ich bin zu Kreuze gekrochen, erst nur zum Schein, dann aus wachsender Überzeugung. Als Anwalt wollte ich meine alten autonomen Freunde gegen das System verteidigen, dem Rad der Geschichte in die Speichen greifen … aber als ich mit dem Studium schließlich fertig war, hatte es sich längst weitergedreht. Ich flüchtete mich in eine Agentur – zunächst als Justiziar, später dann als Texter. Denn was ist schließlich ein Plädoyer gegen einen Slogan? Leben im Lift und im Loft, aufwärts immer, abwärts nimmer. Alle machten irgendwas mit Medien, after work traf man sich zur Party … die alten Besetzer, die inzwischen längst Besitzer waren. Verzeihen Sie, wenn das ein bisschen zu sehr nach Klischee klingt, aber genauso ist es gewesen.« Konrad hatte sich in Hitze geredet, er lockerte seine Krawatte und beugte sich vor. »Könnte ich jetzt vielleicht doch eine Zigarette …? In Erinnerung an die alten Zeiten?«
Ich reichte ihm das Etui und gab Feuer. »Irgendwann bin ich dann wieder falsch abgebogen. Es gab keinen Grund, aber immerhin einen Anlass: Angelique, Tänzerin aus Frankreich, die mir bei einem Event in einer malerischen Industrie-Ruine über den Weg lief. Wir hatten den Abend für einen großen Kunden ausgerichtet, buntes Licht auf nackten Ziegelmauern, Cocktails und Canapés, Smooth Jazz und ein paar Testimonials – das gewohnte Programm, natürlich ganz exklusiv. Zwischen den üblichen Verdächtigen, den Windigen und Wichtigen wirkte sie wie ein Fremdkörper, der seinen Platz sucht. Und ich wollte, dass sie ihn bei mir findet – diese dunkle Gazelle, ungezähmt und flink, gelenkig und … aber ich will Sie nicht mit Altherren-Fantasien langweilen. Angelique war nach Berlin gekommen, um als Performerin Karriere zu machen. Ihre makellose Erscheinung erwies sich dabei allerdings eher als Hindernis. Ihr fehlte der Defekt, der Riss in der spiegelglatt polierten Fassade. Brüchig wurde diese perfekte Glasur nur dann, wenn sie nach irgendwelchen Castings schluchzend in meiner Wohnung saß, mit bebenden Schultern und verlaufenem Lidstrich. Schließlich ließ ich mich von ihrer zunehmenden Verzweiflung zu einem Fehler verleiten: Ich wollte sie mit einer eigenen Compagnie zur exquisiten Marke aufbauen, zum neuen strahlenden Star am Himmel über Berlin. Heute weiß ich, dass es kaum eine bessere Methode gibt, um in kurzer Zeit viel Geld zu verbrennen.« Wolter machte eine wegwerfende Handbewegung, bei der die Asche seiner erloschenen Zigarette zu Boden fiel. »Oh, Pardon!«
Er bespeichelte eine Fingerkuppe und versuchte, den grauen Wurm vom Teppich zu tupfen. »Lassen Sie nur. Erzählen Sie weiter!« Ich war ungeduldig.
»Viel mehr bleibt da nicht zu sagen. Man soll sich eben nicht von seinen Gefühlen leiten lassen – selbst dann, wenn sie aufrichtig sind. Ich kündigte meinen Job, wühlte mich Tag und Nacht durch Formulare und Verträge, plauderte auf Premieren und Vernissagen mit Künstlern und Kuratoren. Dass ihr Interesse weniger unseren Konzepten als vielmehr dem Koks und der Kohle galt, begriff ich leider zu spät. Im Grunde habe ich am Ende teuer erkauft, was Angelique aus eigener Kraft nicht erkämpfen konnte. Die miserablen Kritiken für ihre Shows buchte ich unter blanker Missgunst, den Jubel der Claqueure hingegen nahm ich für bare Münze. Denn natürlich fanden wir das Publikum, das wir verdienten – selbstverliebte Szenegänger, die sich vor Vorstellungen mit verlogenem Überschwang begrüßten und danach das vorsätzlich in schäbigem Look belassene Foyer in ihren Catwalk verwandelten. Dass sich auch meine Femme fatale bewusst mit Tänzern umgab, die eher schön als begabt waren, erkannte ich erst, als wir vor leeren Reihen spielten. Die Karawane der Eitlen war bald weitergezogen, echte Kenner der Kunst aber mieden unsere oberflächlichen Shows. Mit schwindender Kraft stemmte ich mich gegen das Unvermeidliche, doch mit meinen letzten Reserven kam mir auch die Liebe abhanden. Angelique kehrte heim nach Paris und ließ mich auf einem Berg von Schulden allein sitzen. Eine Rückkehr in die Agentur wäre mir wie das Eingeständnis meines Versagens erschienen, also beschloss ich, mich abermals neu zu erfinden. Der rettende Einfall kam mir in einer Markthalle: Das Geld liegt auf dem Feld, primitive Ware bringt bei raffiniertem Einsatz den höchsten Gewinn. Seither fahre ich als Stellvertreter für Bio-Bürger über die Dörfer, als Makler des guten Geschmacks und Gewissens. Das Geschäft läuft bestens, vor allem mit alten Sorten, Mangold und Amarant, Violette Möhre und Rote Bete. Die Mangalica-Schweine und Galloway-Rinder natürlich Nose to Tail, Freilandhaltung und Trockenreifung garantiert. Im Grunde bin ich meiner Passion treu geblieben: Ich wecke Sehnsüchte wie einst in der Agentur und bereite ihnen die Bühne wie danach im Theater. Allerdings erzählen nun Obst und Gemüse von Herkunft und Heimat: An der Pastinake soll noch Acker kleben, eine kleine Druckstelle veredelt jede Bratbirne – radikal, regional, saisonal. Der Kunde darf anonym bleiben, die Waren aber haben klingende Namen: Geflammter Kardinal und Rheinischer Krummstiel, Siberian Tiger und Taiwan Teardrop, Bamberger Hörnchen und Rosa Tannenzapfen … pure Poesie, die auf der Zunge zergeht. Und auf keinen Fall die ewig gleichen Farben und Formen, abgewaschen, ausgewogen und eingeschweißt. Jede Frucht ein Einzelstück. Man ist schließlich, was man isst: blassgelb oder dunkelrot, steinschwer oder federleicht! Pro Gramm ist Programm! Anfangs hatte ich meinen eigenen Stand, inzwischen versorge ich nur noch handverlesene Restaurants. Und weil die glühenden Salamander dort auch im Winter heißhungrig sind, stecke ich nun im Schnee. Das ist der Stand der Dinge – mein Leben im Schnelldurchlauf.«