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IV

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»Wer will hier den Herrscher machen? Wer kann noch für Morgen sorgen? Uns Beladenen und Schwachen Hoffnung auf die Zukunft borgen?« Drei Schwestern, »Bettlers Bankett«

Am Anfang hatte ich ihm noch aufmerksam zugehört, inzwischen aber war mein Interesse erloschen. Mich ärgerte Konrads marktschreierische Eitelkeit, seine allzu genau gesetzten Pointen waren mir suspekt. Er hatte diese Geschichte wohl schon oft erzählt und ihre Wirkung immer weiter verfeinert, nun klangen die schlagfertigen Sätze wie vielfach gedroschene Phrasen. Und gerade weil ich solche Floskeln selbst mühelos beherrschte, wollte ich mich damit nicht abspeisen lassen …

»Aber nun Sie!« Wolters Frage riss mich aus meinen Gedanken. »Sie sind hier doch kein Eingeborener, oder?«

Ich goss uns noch einmal ein, obwohl ich wusste, dass wir das morgen bereuen würden. »Um das zu verstehen, müssen Sie zunächst begreifen, was in Schwarzmühl vor sich geht. Alles hat mit der Kohle zu tun, diesem Fluch und Segen. Als hier vor fast zweieinhalb Jahrhunderten die ersten Flöze gefunden wurden, galt das schwarze Gold den Sorben schon als Geschenk des Teufels. Und wenn man sich heute umsieht, kann man dem kaum widersprechen. Die ganze Gegend ist von der braunen bröseligen Blumenerde abhängig, auf der man hier die Blütenträume von Arbeit und Wohlstand züchtet – weiße Wolkenfahnen über Kühltürmen, nimmersatte Kessel und Turbinen, das Labyrinth der Rohre und Gleise … und natürlich die Maschinengiganten mit ihren kraftstrotzenden Armen und riesigen Zähnen, mit monströsen Schaufelrädern und Eimerketten. Doch diese Bilder kennen Sie ja selbst.« Konrad nickte.

»Ist Ihnen aber auch schon aufgefallen«, fuhr ich fort, »dass hier selbst Ortsnamen nach Pest und Tod klingen? Carna Plumpa, Schwarze Pumpe! Herz der Finsternis! Erst nur ein Gasthof mit einer Pferdetränke, die im Dreißigjährigen Krieg wohl als Warnung vor der Seuche schwarz angestrichen wurde. Dann wachsende Kolonie an einer Reichsstraße – und zuletzt ein Moloch mit Kraftwerken und Kokereien, Brikettfabriken und Gaswerken. Von Tausenden genährt und unersättlich wuchernd wie ein Geschwür, das seine Metastasen tief in die Erde treibt.«

Da war sie wieder, diese Mischung aus Faszination und Entsetzen, mit der ich mir selbst die sattsam bekannten Fakten immer wieder neu in Erinnerung rief. »Und während man auf der einen Seite hastig Wohnsilos hochzog, um den Oger mit Menschenfleisch zu füttern, fraßen sich seine Vasallen andererseits durch die Siedlungen. Dutzende Dörfer wurden ausgelöscht, um die Feuer weiter anzufachen, Sorno und Tornow, Klinge und Scheibe, Groß und Klein Buckow, Groß und Klein Lieskow. Devastierung klingt so klinisch sauber wie die Verödung einer Wunde, meint aber das Gegenteil: Ortsinanspruchnahme, schmerzhaftes Ab- und Aufreißen. Immerhin hat man in sicherer Entfernung manchmal frische Gräber für die Toten ausgehoben und stets neue Wohnungen für die Lebenden gebaut, ehe man die störenden Häuser und Höfe abräumte. Doch Geschichte lässt sich eben nicht so einfach umsiedeln. Hier wird noch immer Vergangenheit verheizt, gehen Lebensläufe von Generationen in Rauch auf. Und der Fortschritt misst sich an der Strecke, die der Vorschnittbagger täglich zurücklegt. Man kann ihn aber auch in Megatonnen aufwiegen.«

»Jetzt werden Sie mal nicht pathetisch.« Wolter blickte mich mit leicht glasigen Augen an, die Worte kamen ihm hörbar schwer über die Lippen. »Wo gehobelt wird, fallen eben Späne. Und schließlich heilt die Zeit doch alle Wunden.«

Ich schnaubte verächtlich. »Ja. Einfach einmal umgraben und dann wieder zuschütten, am besten mit Wasser. Von der Schlachteplatte zur Seenplatte, ein Paradies für die Segler aus der Stadt. Auf dem Grund aber liegen die versunkenen Siedlungen wie Vineta vor der Küste – als unsichtbares Zeichen für mangelnde Demut und wachsende Gier. Kennen Sie Horno? Das war mal ein Hort des Widerstands, ein Symbol für den Aufstand der kleinen Leute gegen die großen Mächte. Ein Dorf mit Geschichte, sechseinhalb Jahrhunderte alt, gebaut auf Findlingen und Lehm, mit Anger und Kirche als Mittelpunkt. Halbwegs heile Welt – und plötzlich im Weg. Schon lange vor der Wende hatte man beschlossen, dass die Bagger die kürzeste Strecke durch den Ort nehmen sollten, obwohl sie dabei gar keine Kohle finden würden. Ein Ausweichen wäre zwar möglich gewesen, hätte aber wohl zu viel Zeit und Geld gekostet. Kurzerhand wurde das Gelände zum Schutzgebiet erklärt, allerdings nicht für die Natur, sondern für den Bergbau. Eine einfache Formel: Keine neuen Häuser, keine neuen Menschen. Als der Wind im Land dann drehte, keimte bei den Alteingesessenen Hoffnung – und wurde bitter enttäuscht. Zwar galt Horno nun als Denkmal, aber auch das hielt die Geschichte nicht auf. Versprechen wurden gegeben und gebrochen, man lockte mit fetten Ködern – und jene wenigen, die Heimat noch immer der Entschädigung vorzogen, galten wahlweise als Verräter oder Märtyrer. Der Name des Dorfes ging um die Welt, Inder und Indianer sahen in ihm ein Vorbild für ihren eigenen Kampf gegen Landnahme … doch schließlich wurde Horno aufgelöst, das Ortsschild abgeschraubt. Am Ende gab es nur noch ein altes Paar, das sich weigerte, seine Obstbäume im Stich zu lassen. Wie Philemon und Baucis saßen sie fest verwurzelt auf ihrem Land, während man auf dem Kirchhof schon die Toten ausgrub. Kennen Sie die Stelle in Goethes ›Faust‹?« Ich griff den Band aus dem Regal und schlug ihn dort auf, wo das Lesebändchen die Passage markierte: »›Hat er uns doch angeboten / Schönes Gut im neuen Land! / Traue nicht dem Wasserboden, / Halt auf deiner Höhe stand!‹ Der alte Minister für Bergbau wusste wohl, wovon er sprach. Aber den eigentlichen Sinn für schwarzen Humor offenbarte auch in diesem Fall der Weltgeist selbst. Denn wissen Sie, wie die letzten Hornoer hießen? Domain! Sprechen Sie das mal englisch aus!«

Wolter lachte hell auf. »Kein schlechter Scherz, in der Tat! Aber warum erzählen Sie mir das alles?«

»Haben Sie das noch immer nicht verstanden? Schwarzmühl ist wie Horno, eine kleine Geisterstadt am Ende einer Straße, die gleich hinter dem Ort ins Nichts mündet. Die meisten sind schon fort, nur die Hartnäckigsten klammern sich noch an Hab und Gut. Mit Liebigs Hund sind wir die Glorreichen Sieben, ohne ihn das dreckige halbe Dutzend – ein Häuflein Freischärler im Kampf gegen eine übermächtige Armee. Bei Lichte besehen ist es ein Spiel auf Zeit, das den Preis mit jedem Tag steigert. Auch die Domains haben schließlich in letzter Sekunde einen Vergleich geschlossen, als ihnen die unverstellte Aussicht auf die Bagger die Ausweglosigkeit ihrer Lage vor Augen führte. Aber sie haben sich teuer verkauft. Und wir sind nicht billiger zu haben. Allerdings gibt es ein Problem: Wir können nichts für unsere Zukunft tun, sondern müssen mit dem unaufhaltsamen Verfall leben. Denn wenn wir den Wert der Siedlung steigern, schmälern wir unsere Aussicht auf Erfolg. Die Grundstücke und die Häuser sind längst geschätzt, jede Veränderung zum Besseren ist verboten. Und darauf lauern unsere Feinde ja nur – dass wir ihnen den Beweis für ihre Behauptung liefern, es gehe uns nur um Gewinn. Ich weiß, das klingt verrückt, aber wir sitzen die Gegenwart aus, während uns die angeblich frohe Zukunft belagert – ein klassisches Patt, ein Waffenstillstand von unbestimmter Dauer. Selbst wenn die Tage von Island längst gezählt sein sollten, kennt doch niemand die Stunde der Kapitulation.«

Wolter gähnte. »Absurd! Jedes Ende mit Schrecken wäre doch besser als so ein Schrecken ohne Ende. Und Sie haben Spaß an diesem Manöver?«

Wie sollte ich es ihm verständlich machen? »Ich bin der ultimative Zugezogene, ein finaler Späteinsiedler sozusagen. Das Haus habe ich geerbt – und ich erfülle einen letzten Willen, indem ich es bewohne. Das ist schwer zu begreifen, vor allem so weit nach Mitternacht. Wir reden morgen weiter. Sie können auf dem Sofa schlafen, Decke und Kissen bringe ich gleich. Zum Bad geht es über den Flur, zweite Tür links.«

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