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Braun werden, aber schnell

Ich habe einen Traum“, hatte der schwarze Bürgerrechtler Martin Luther King am 28. August 1963 in Washington vor 250.000 Demonstranten gerufen. „Ich habe den Traum, dass meine Kinder eines Tages nicht mehr nach ihrer Hautfarbe, sondern nach ihrem Charakter beurteilt werden!“

Roswitha beurteilte ihre Kinder immer noch nach der Hautfarbe. „Wie blass du wieder aussiehst!“

Nicht aus Rassismus tat sie das. Aus reiner Fürsorge. „Geh doch mal an die frische Luft! Hock nicht immer vor dem Computer! Wo kommen denn diese Pickel und Pusteln her?“ Von der Pubertät, könnte man meinen. Aber nein: „Wir müssen mehr vegetarisch kochen, mehr Obst essen, mehr Sport treiben, mehr nach draußen!“

Wolf-Rüdiger, ihr noch neunundvierzigjähriger Mann, wäre auch lieber nach seinem Charakter beurteilt worden. War ein müdes Hellgrau seine vorherrschende Gesichtsfarbe, warnte ihn Roswitha vor baldigem Burn-out-Syndrom. Kam er mit geröteten Wangen und Ohren aus dem Büro, befürchtete sie Bluthochdruck und Herzinfarkt.

Es ist eigenartig: Noch immer gilt „knackebraun nach Hause kommen“ als untrüglicher Beweis für einen glücklichen, gelungenen Urlaub. Egal, wie astronomisch hoch die Sonnenschutzfaktoren der Cremes und Öle noch werden und wie oft Hautärzte vor den Gefahren krebserregender Verbrennungen warnen – sonnengebräunte Haut ist nicht nur Schönheitsideal, sondern auch Statussymbol. Jahrhundertelang war klar: Das Dekolleté einer vornehmen Frau schimmert porzellanweiß, denn für die groben Arbeiten unter sengender Sonne hat sie natürlich Personal. Gebräunte Gesichter verraten den Bauern, die Magd und alle, die ihr Brot draußen im Freien verdienen müssen.

Heute signalisiert Hautbräune: Da hatte jemand das Geld und die Zeit, sich in die Sonne zu legen! War in einer Weltgegend, wo immer die Sonne scheint. Da hat eine Frau drei kleine Kinder, einen Teilzeitjob und keinen Mann, sieht aber wahnsinnig frisch und erholt aus. Ich packe das locker, ich bin souverän, ich bleibe entspannt, verkündigt ihr Teint.

Deshalb verblüffte es Wolf-Rüdiger, dass Roswitha kopfschüttelnd eine sonnenbankbraune Person betrachtete, als sie nebeneinander in der U-Bahn saßen. Eine junge Frau schräg gegenüber trug ein bauchfreies T-Shirt, obwohl sie beileibe nicht bauchfrei war. Roswitha fuhr mit der Hand an ihrem Körper entlang. Dorthin, wo mal eine Taille gewesen sein musste. „Rettungsringe sollte man nicht auch noch öffentlich präsentieren“, flüsterte sie, „und rot sind die Speckröllchen auch noch! Weil die Röhrenjeans so klemmt. Möchte nicht wissen, wie die im Bikini aussieht.“

Wolf-Rüdiger nickte. Ehrlicherweise hätte er sagen müssen: „Ich schon“. Aber was man nicht weiß, kann man sich ja denken, und so stellte er sich noch ein paar andere Hautpartien der freizügigen Bauchigen vor.

„Hörst du mir überhaupt zu?!“, hörte Rüdiger seine Frau fragen. Ein ehrlicher Charakter hätte jetzt „Entschuldige, nein“ geantwortet. Rüdiger aber sagte verdattert „Ja, klar“ und wurde dabei ein wenig rot.

Zu seinem fünfzigsten Geburtstag präsentierte Roswitha sie dann doch: ihre unstraffe, blasse, weitgehend nackte Haut. Auf Ibiza. Während einer Woche Strandurlaub in der preiswerten Nebensaison. Der war das Festgeschenk für ihren Mann. Von dem sie träumte, dass er knackebraun in den Berufsalltag heimkehren und als glücklich erholter, souverän entspannter Bonvivant beneidet werden würde.

Jede Art von fünfzigstem Geburtstag hatten die beiden schon mitgemacht: Rockkonzerte in zu kleinen Räumen (mit Tinnitus-Garantie, tagelang); kreatives gemeinsames Kochen unter Anleitung eines 5-Sterne-Chefs (der Knoblauchgeruch im Partyhemd überlebte jeden Waschgang), Barfußtanzen in Mittelalterkostümen aus Filzwolle (Wolf-Rüdiger klagte noch lange über sogenannten Phantom-Juckreiz) und esoterische Klangmeditationen mit Solo-Cellistin (zwei Mal musste Roswitha diskret geweckt werden). Auf all diesen Jubiläen ihrer Freunde war Roswithas Traum gereift: Zum Fünfzigsten ab in die Sonne!

Die aber blieb hinter schweren Wolken so verborgen wie Wolf-Rüdigers erotische U-Bahn-Fantasien hinter seiner Stirn. Sonnenbaden? Braunwerden? Im März auf den Balearen diesmal Fehlanzeige. Am ersten kühl windigen Strandtag fegte eine regnerische Sturmbö Roswithas Handtasche samt Pass und Geldbörse in die Brandung. Am zweiten Nieselregentag bekam Wolf-Rüdiger erst Schnupfen und dann allergische Hautrötungen. Am dritten Urlaubstag schließlich – da setzte sich ein irisches Paar zu ihnen an den Tisch. Sie wog schätzungsweise hundertzwanzig Kilo und hatte die schneeweißeste Alabasterhaut, die Roswitha je gesehen hatte. Er war so struppig rothaarig und schuppig sommersprossig, wie ihn keine Whisky-Werbung hätte besser erfinden können. Sie sprachen englisch, das war zu ahnen, aber wegen ihres Dubliner Dialekts kaum zu verstehen. Die beiden kramten Spielkarten hervor, man verständigte sich rasch über die wichtigsten Grundregeln, und dann begannen Canasta-, Rommé- und Bridge-Turniere. Ein unablässiges Zuprosten auf runde Geburtstage und verregnete Urlaube, ein Lachen und Herumalbern bis in die Nacht. Die Gesprächsthemen schwankten von Kindererziehung bis Weltpolitik.

„Als Barack Obama gewählt wurde“, rief Wolf-Rüdiger irgendwann mit schwerer Zunge, „da brachten sie bei uns im Fernsehen die I-have-a-dream-Rede von Martin Luther King.“ Er musste kurz aufstoßen und holte tief Luft. „Also, wenn man die so in Schwarz-Weiß sieht, im Original meine ich, wenn man die nochmal hört – da kriegt man vor Rührung, da kriegt man …“

Da kriegt man richtig Gänsehaut, wollte er sagen.

Aber Roswitha wusste auch nicht, was Gänsehaut auf Englisch heißt.

Malessa macht Urlaub

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