Читать книгу Die Liebesbotschafterin - Andreas Menne Peter - Страница 7
Vierter Hinweis
ОглавлениеGut gemacht! Du verstehst, dass man in einem Forum unverbindlich sein muss. Warst du schon mal im Residenzgarten in Würzburg? Es ist wie in Bergrothenfels.
Das war es also. Hm. Kein sonderlich ausführlicher Hinweis. Aber wie sie schon geschrieben hatte: In einem Forum konnte man schlecht verbindlich sein, ohne dass jemand anderes den Hinweis fand.
Es ist im Residenzgarten wie in Bergrothenfels? Nein, das konnte sie unmöglich meinen. Michael kannte den Residenzgarten. Es war zwar einige Jahre her, als er eine entfernte Verwandte mit seinen Eltern hier besucht hatte und sie durch den Garten hinter der Residenz gegangen waren, aber die Anlage unterschied sich deutlich von dem Ort, den er gesehen hatte. Sie meinte, der Hinweis war so dargebracht wie in Bergrothenfels. Ein Herz auf einem Stein. So musste es sein.
Michael rieb sich die Augen. Der Residenzgarten war schon geschlossen, er würde bis morgen warten müssen und irgendwie war diese Zwangspause wohl auch angebracht. Er war müde und emotional aufgewühlt. Er sollte essen und sich dann etwas ausruhen.
***
Michael durchschritt die abendliche Anlage. Es war noch hell und viel los an diesem Freitagabend. Er hatte keine Lust, jemandem zu begegnen, also lief er schließlich zurück zum Motel und startete seinen Wagen, nur um 200 Meter weiter durch den Drive-in einer Burger King Filiale zu fahren. Immerhin entging er damit einer langen Warteschlange am Tresen.
Im Motel kaute er lustlos auf seinen Fritten herum. Irgendwie wünschte er sich, dieses Mädchen wäre mit ihm hier. Dabei ließen die wenigen Hinweise, die er bisher gefunden hatte, nicht annähernd sichere Schlüsse zu, was die Persönlichkeit der geheimnisvollen Unbekannten betraf. Vielleicht war sie ja doch nur irgendeine Tussi, die im Rausch eine unsinnige Aktion gestartet hatte. Er verwarf den Gedanken schnell wieder. Es erschien ihm abwegig, dass jemand so konsequent eine Sache durchzog und dabei vollkommen verblödet war. Auf der langen Reise zu den Verstecken wäre sie wieder nüchtern geworden oder gar nicht erst angekommen. Außerdem gefiel ihm die Vorstellung einer sehnsuchtsvollen Romantikerin viel besser. 21.00 Uhr. Er hätte ins Kino gehen können, stattdessen ging er ins Bett. Er war hundemüde.
***
Als er erwachte, war es draußen hell. Von einer leichten Panik erfasst stand er auf. Bis wann musste er das Zimmer geräumt haben? 8.30 zeigte seine Uhr. Er beruhigte sich wieder. Sollte er überziehen, würde er eben das Ticket für einen weiteren Tag lösen, auch kein Drama. Ohnehin würde er vielleicht noch eine Nacht länger hierbleiben. Das würde sie entscheiden, dachte er sich mit einem Lächeln.
Er frühstückte in einem Diner, schließlich machte er sich auf den Weg zur Residenz. Ob sie hier irgendwo wohnte oder nur Urlaub gemacht hatte? Ob ihn ihre Hinweise in weite Ferne führen würden? Viele Fragen gingen Michael durch den Kopf, während er das Fahrzeug durch die Innenstadt lenkte.
Er parkte direkt vor der Residenz und lief durch das offene Gatter. Immerhin durfte der Garten kostenfrei betreten werden. Er blickte sich suchend um. Hier gab es viele Steine. Steine als Mauern, Steine als Treppen, Steine als Skulpturen. Einfassungen. Randsteine. Brüstungen. Konnte sein, dass er gleich fand, was er suchte. Konnte aber auch sein, dass er den ganzen Tag brauchen würde, soviel war sicher.
Er durchforstete das Gebiet zunächst ebenerdig. Seine scheinbar planlosen Streifzüge hätten sicher Verdacht erregt, aber der Gärtner, der hier im Park arbeitete, hatte keine Augen für ihn. Kurz spielte er mit dem Gedanken, ihn zu fragen, ob er ein rotes Herz auf einem Stein gesehen hatte. Aber schließlich fand er es reichlich albern. Außerdem war es wohl auch nicht gestattet, in diesem Park einfach einen Stein zu bemalen und hätte der Gärtner ihn gefunden, hätte er sicher auch schon die Nachricht geplündert. Nein, sie musste sehr umsichtig vorgegangen sein, dessen war er sich sicher. Sie hatte ihre Nachricht an einem Platz versteckt, wo niemand zufällig darüber stolpern würde.
Michael stieg die Treppen zur ersten Ebene hinauf. Hier standen hohe, mit Efeu bewachsene Steinwände. Das musste es sein! Ein Stein unter dem Efeu. So hoch, dass er von dem Grün vollständig bedeckt wurde, welches die Gärtner nur stutzten, wenn es den Boden erreichte. Er blickte sich suchend um, aber niemand war zu sehen. Es wäre wohl doch etwas auffällig, wenn er in Anwesenheit der Parkgäste unter dem Bewuchs nach einem Hinweis suchte. Er begann in einer Ecke und schob den dichten Vorhang beiseite, dann arbeitete er sich nach rechts vor. »Mal sehen.« Hier in der Mitte war auch nichts. Wenn nicht hier, dann konnte es immer noch auf der anderen Seite sein oder auf einer der höheren Ebenen ... da! Ein Herz auf einem Stein. Im ersten Moment hocherfreut, im zweiten besorgt blickte er zu dem Symbol auf, das in gut drei Meter Höhe sein Ziel farblich markierte. Wie hatte sie es geschafft, es dort anzubringen und wie hatte sie auch noch einen Hinweis hinter dem Stein verstecken können? Und wie glaubte sie, sollte er ihn bergen? »Genau wie sie«, fiel es ihm ein, aber wie war sie da herangekommen? Konnte er sich an dem Efeu hochziehen? Ausgeschlossen. Es würde reißen und wenn nicht, dann würde er keine Hand frei haben, um den Stein zu entfernen. Er musste sich etwas anderes einfallen lassen. Wie konnte man hier unbemerkt einen Stein entfernen?
»Mit einer Leiter«, bemerkte er. Hinter der Efeuwand aufgestellt. Damit war er komplett unsichtbar. Aber wo sollte er eine besorgen und wie sollte er sie hierherkriegen? Er spielte mit dem Gedanken, einfach in einen Baumarkt zu fahren und eine zu kaufen, die er dann seelenruhig durch den Torbogen tragen würde. Könnte gut sein, dass ihn niemand aufhielt. Es gab keine Wachposten an den Eingängen und es sah auch sonst nicht danach aus, als würde die Anlage überwacht werden. Zumindest nicht offensichtlich. Vermutlich täuschte der Eindruck aber wirklich nicht. Die Kosten-Nutzen-Rechnung würde nicht aufgehen. Eine lückenlose Überwachung war sehr aufwendig und Pflanzenräuber vermutlich die geringste Sorge der Betreiber. Also überließ man den Garten dem Prinzip: Die Besucher überwachen sich selbst. Wenn jemand absichtlich etwas zerstörte, gab es sicher einen aufmerksamen Passanten, der dem Einhalt gebot oder Meldung machte. Nur hatte er ja nicht vor etwas kaputtzumachen. Trotzdem: Er glaubte nicht, dass es eine gute Idee war, hier mit einer Leiter einzumarschieren. Vielleicht würde ja ein Bediensteter aus dem Inneren des Gebäudes Wind davon bekommen oder der Gärtner würde ihm argwöhnen.
Der Gärtner! Das war es. Der hatte sicher eine Leiter und wenn er Mittagspause machte ...
Er ging zurück auf den Hauptweg. Von Weitem sah er den Mann gerade in einem Blumenbeet arbeiten. 11.30 sagte die Uhr. »Möglich wäre es ja, dass er um 12 Uhr Mittagspause macht.« Er sah die Ladefläche des Transporters ein. Damit der Lieferwagen des Gärtnereiunternehmens ein- und ausfahren konnte, musste jedes Mal das ganze Tor geöffnet werden. Ob der Bedienstete dann jeden Mittag mit dem Lieferwagen aufbrach oder sich nicht doch in einer Bäckerei in der Nähe etwas holte?
12 Uhr. Wie erhofft legte der Gärtner die Arbeit nieder, aber statt sich zu entfernen, stieg er in den Lieferwagen und holte eine Brotbox aus dem Inneren. Schließlich setzte er sich auf eine Bank ganz in der Nähe und begann zu essen.
»Mist«, dachte Michael, das Ziel schon vor Augen. Er musste sich wohl etwas anderes einfallen lassen, doch plötzlich erhob sich der Mann und lief in Richtung Ausgang. Offensichtlich musste er auf die Toilette. Das war seine Chance! Zwar würde er seinen Plan ein wenig ändern müssen – eigentlich hatte er vorgehabt, die Leiter nach getaner Arbeit wieder zurückzubringen, aber dafür war nun keine Zeit. Er würde sie einfach an Ort und Stelle stehen lassen. Der arme Kerl. Hoffentlich bekam er keinen Ärger. Na, er würde sie schon wiederfinden.
Je näher er dem Pick-up kam, desto heftiger pochte sein Herz. Wenn der Gärtner zurückkam ... Wenn ihn jemand sehen würde ... Rasch nahm er die Leiter von der Ladefläche und verschwand hinter einer mannshohen Hecke. Sein Körper hatte sich völlig versteift. Jeden Moment rechnete er damit, dass ihn jemand anhalten würde, doch nichts geschah. Er erreichte die Treppe und lief nach oben. Ihm kam in den Sinn, dass er, falls man ihn erwischen würde, zwar erklären könnte, dass er die Leiter nur kurzzeitig ausborgen wollte und sie ja nicht mal das Gelände verlassen hatte, aber das würde ihm wohl nicht viel nützen: Diebstahl war Diebstahl.
Er erreichte den Zielpunkt unbeschadet und fummelte seine Kletterhilfe eiligst hinter den Efeuvorhang. Dann vergewisserte er sich noch einmal, dass ihm niemand gefolgt war und dass sich keiner in Sichtweite befand. Anschließend verschwand er ebenfalls hinter dem Gestrüpp.
Langsam kletterte er die Leiter nach oben. Immer darauf bedacht, keine Aufmerksamkeit zu erzeugen – nicht, dass das Efeu in Wallung geriet – und besonnenen Fußes, das Gewicht richtig verteilt, denn durch den steilen Winkel, in dem die Leiter durch das Grünzeug bedingt stehen musste, konnte sie durch eine falsche Gewichtsverlagerung nach hinten umkippen. Zwar dürfte der Efeuvorhang dicht genug sein, um ihn im Fall der Fälle abzufangen, aber er wollte es nicht riskieren.
Schließlich hatte er den Stein erreicht. Vorsichtig tastete er ihn mit der Hand ab. Er saß tatsächlich locker. Michael jubelte innerlich, dann zog er den Quader langsam nach vorne und grapschte in der Dunkelheit nach dem Tütchen. Er fand es und zog es rasch heraus. Schließlich zwang er sich dazu, den Stein wieder in die Fassung zu schieben, bevor er sich eiligst aus dem Staub machte und durch einen der Seitenausgänge den Park verließ.
***
Er hatte ein äußerst mulmiges Gefühl dabei, zu dem Parkplatz zurückzukehren, der sich direkt dem Ein- und Ausgang anschloss, durch den der Gärtner entschwunden war. Aber dort stand nun mal sein Auto. Den Brief hatte er noch nicht gelesen. Er beschloss, irgendwo anders hinzufahren. Hier auf dem Parkplatz fand er keine Ruhe. Er löste sein Ticket und machte sich auf den Weg zurück nach Dettelbach. Er würde irgendwo an der Straße parken und wenn der Hinweis nichts anderes in Aussicht stellte, noch eine Nacht länger in dem Motelzimmer verbringen.
So fuhr er in eine der Seitenstraßen und machte am Rand halt, dann öffnete er versucht beherrscht das Tütchen mit dem brisanten Inhalt. Es war wieder ein Zettel von dem gleichen Papier in derselben Größe. Er begann zu lesen.