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12 O zittre nicht, mein lieber Sohn

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Die beiden Elfenmänner standen, mit wackeligen Knien, in der Mitte des gewaltigen Kuppelbaus. Über ihnen wölbte sich das dunkle Dach der Halle mit dem aufgemalten Sternenhimmel, dessen enorme Ausmaße sie mit einem Blick nicht erfassen konnten. Hinter ihnen summte Gildanmir, der Meteorit, für den diese Halle errichtet worden war. Der Bote aus dem All, der vom Himmel Gekommene, sang leise, aber unüberhörbar, seinen Ton. Den Ton, den Einen, in dem alle Klänge der Welten aufgehoben waren. Der Gesang von der Weisheit der Gesetze des Universums. War man bei Verstand und lauschte ihm nur lange genug, wurden einem Dinge offenbar, die einem ansonsten für immer verschlossen blieben. Trat man vor Gildanmir allerdings in einem Zustand der Verwirrung, so dauerte es in der Regel nicht lange, bis sein Lied die Verrücktheit zutage brachte. Nicht selten waren Anhörungen im Angesicht des Gildanmir in Ausbrüchen der Wut, in Tobsuchtsanfällen und Irrsinn der Befragten geendet. Doch heute sollte es nicht um solche Dinge gehen.

Hinandua, der Weise, hatte zu einer Ratssitzung geladen. Niemals zuvor war den Elfen von Engil die Ehre zuteil geworden, an einer solchen Versammlung, einer Sitzung des „Ehrwürdigen Rates der Elfen zu Ildindor“ teilzunehmen. Etwas Außergewöhnliches musste geschehen sein, etwas so Irritierendes, dass der Rat sich genötigt sah, die Engilaner hinzu zu ziehen. Nun standen die beiden Eingeladenen in der Mitte dieser Halle und wünschten sich nur eins: weit, weit weg zu sein, am liebsten auf der sonnendurchfluteten Lichtung Engils. Cichianon wagte nicht, sich umzusehen. Er wollte nicht in die Gesichter derer schauen, die um sie herum saßen. Auf ihren hohen Stühlen prangten, über den Köpfen, die Wappen ihrer Ahnen. Die Augen des Engilaners suchten nach einem Halt, seine Füße nach festem Grund, nach der Kraft der Erde. Stattdessen spürte er die finsteren, prüfenden Blicke der Ratsmitglieder auf sich ruhen. Sie durchleuchteten ihn und Doriando von oben nach unten, schauten in ihren Geist und in ihre Seelen. Der Boden schwankte unter Cichianons Füssen. Er fühlte sich, wie der Kapitän eines Schiffes, dass, verlassen von seinen Matrosen, auf hoher See in einen Sturm geraten war. Er sah hinüber zu Hinandua, dem Alten. Der saß auf dem Thron der Könige und wirkte seltsam abwesend. Seine langen, grauen Haare fielen ihm strähnig ins Gesicht. Dann hob er, ohne aufzuschauen, langsam seine rechte Hand. Sofort erstarben alle Gespräche. Gespenstische Ruhe trat ein. Das einzige Geräusch, das noch zu hören war, war der magische Klang des Gildanmir.

„Ehrwürdige Mitglieder des Rates, Cichianon, Doriando, meine Söhne“, begann der Alte, nach einer halben Ewigkeit, mit leiser, brüchiger Stimme, „die Zeiten sind rauer, als wir alle uns das wünschen können.“

Erneut ließ er eine lange Pause entstehen. Dann fuhr er fort: „Wir alle dachten, dass der mit den vielen Namen, der sich selbst Anapäst, der fünfte König nannte, der Finstere, der Stille, dass der Noswan, der keine Schönheit in sich trägt, wir sagen der Unerhörte, nach der Schlacht der vier Heere ein für alle Mal geschlagen sei. Wir alle dachten, dass die Gefahr, die aus Morendo kam, für immer gebannt sei. Wir alle dachten, dass Dorémisien, dass Adagio, Ildindor und Engil, Smorzando und Andante, die Völker der Minglom, der Ongloshin und Fanandua, die Menschen in Fasolanda, dass alle diese eine lange Periode des Friedens, des Wachstums, des Wohlstands, des Austausches und des Handels zum gegenseitigen Nutzen erleben würden und nicht Zeiten der Kriege und des Kämpfens. Wir wollten unsere Kinder und Kindeskinder endlich wieder in gute Schulen, zu guten Lehrern schicken, sie die magischen Künste und das Wissen über die Welten lehren, ihnen, wie vormals, in glücklicheren Zeiten, Dinge beibringen, die ihr Leben angenehm, nützlich und lebenswert machen. Wir wollten ein Leben führen in Liebe und im Einklang mit der Natur und der Welt um uns herum und wir müssen heute erkennen: Wir haben uns geirrt! Wir haben uns geirrt und es ist möglich, dass wir für diesen Irrtum teuer bezahlen müssen.“ Der Alte hielt inne und atmete schwer.

„Wie schon einmal, in früherer Zeit, haben wir zugelassen, dass die Völker Dorémisiens rücksichtslos nur ihren eigenen Interessen folgen. Wir haben zugelassen, dass der Bund der Völker, der durch den Großen Rat geschmiedet wurde, zerbrach. Dieser Bund rettete seinerzeit Dorémisien vor dem Untergang. Der letzte Krieg hat viele Leben gekostet und wir konnten ihn nur deshalb gewinnen, weil wir alle zusammenstanden und einer sich für den anderen einsetzte. Es scheint schon so lange her zu sein und doch liegt es nur wenige Sonnentänze zurück. Cichianon“, fragte der Alte den jungen Elfen, hob seinen Blick und schaute traurig in die hohe Kuppel über ihnen, „sage mir, wie oft wurde das `Fest des Klanges´ bei den Steinkreisen gefeiert, seitdem der Unerhörte in der ´Schlacht der vier Heere´ besiegt wurde?“

„Viermal, o Hinandua, mein weiser Lehrer!“, antwortete Cichianon.

„Ja, viermal!“, wiederholte der Alte langsam. Er wirkte müde und das Sprechen fiel ihm hörbar schwer. Trotzdem hob er jetzt die Stimme und rief zornig: „In dieser kurzen Zeit haben die Bewohner Dorémisiens den Bund der Völker zerstört und so viel Misstrauen gesät, dass wir nicht einmal mehr in der Lage sind, die wichtigsten Nachrichten auszutauschen. Dem Rat ist zu Ohren gekommen, dass Fasolanda in ernsthaften Schwierigkeiten steckt und aus der Hauptstadt hören wir darüber nicht das Geringste, jedenfalls nicht von unserer Königin. Keine Nachricht, kein Glissando mit einer Botschaft, kein Bote, nichts! Glücklicherweise gibt es noch einige Aufrechte aus dem Kreis der Weisen, die ein Interesse daran haben, dass der Kontakt zwischen den Völkern nicht gänzlich abreißt. Von ihnen haben wir einige sehr beunruhigende Nachrichten erhalten. Es gibt Zeichen, dass der Unerhörte wieder aktiv geworden ist. Er versucht offenbar, durch Intrigen und gezielte Provokationen Unfrieden zu stiften. Das scheint ihm zunehmend zu gelingen. Außerdem scheint sein Interesse an der Vollendung des siebenfachen Sonnenkreises wieder aufgeflammt zu sein.“

„Der Sonnenkreis?“, rief Aisdolan, eines der Ratsmitglieder. „Wir dachten, der Orden hätte seinerzeit das Pergament vernichtet?“

„Wie du siehst, Aisdolan“, entgegnete Hinandua nachdenklich, „ist das bislang offenbar nicht geschehen.“ Er schaute in die Runde. „Doch möchte ich jetzt gerne unseren Gästen erklären, warum wir sie zu dieser Zusammenkunft gebeten haben.“ Der Alte wandte sich an die beiden Engilaner.

„Ihr seht, meine Lieben, die Dinge sind kompliziert. Wir wissen zu wenig über die Situation in der Hauptstadt und daher möchten wir euch beide, Cichianon und Doriando bitten, nach Fasolanda zu gehen und dort Erkundigungen einzuholen, wie es um unsere Sache steht.“

„Wir sollen als Spione in die Hauptstadt gehen?“, fragte Doriando.

„Spione?“, entgegnete Hinandua. „Was für ein hässliches Wort! Nein, ihr sollt Augen und Ohren offenhalten und den Rat darüber informieren, was in Fasolanda geschieht. Wir müssen erfahren, wie es um die Königin steht. Wir wissen, dass dies eine gefährliche Reise werden wird. Es mag sein, dass ihr dort mit Schergen des Unerhörten zusammentrefft und sie sind nicht leicht zu erkennen. Ihr wisst, der Finstere kennt kein Mitleid und tötet ohne Gnade, um seine Ziele zu erreichen. Doch ihr seid jung und stark, kennt die Hauptstadt, den Weg dorthin und seid, trotz eurer Jugend, erfahren genug mit den Schlichen des Bösen. Die Königin vertraut euch.“

Hinandua machte eine kurze Pause, atmete einige Male tief und fuhr dann fort: „Wir haben euch heute hierher kommen lassen, in die Halle des Gildanmir, um die Stimmen Engils in dieser Angelegenheit zu hören. Der Gildanmir ist das Ohr des Universums und trägt die Weisheit der Welten in sich, die mit Worten nicht gesagt werden kann. Doch wenn ihr sprecht, so wird der Gildanmir das Gewicht eurer Worte wägen und uns zeigen, ob der Klang eurer Sprache dem Klang eures Herzens folgt oder nicht. Also sprecht wahrhaftig, wenn ich euch frage: Wie denkt ihr über diese Reise?“

Hinanduas Worte verhallten und hinterließen erneut einen Moment der Stille. Niemand wollte seine Stimme erheben. Auch Cichianon und Doriando schwiegen. Unter dem hohen Dachgewölbe war nur noch das geheimnisvolle Summen des riesigen Steines zu hören. Im dämmrigen Licht der Halle funkelte und glitzerte er, wie von silbrigem und goldenem Sternenstaub überzogen. Hin und wieder schien ein Leuchten von dem gewaltigen Felsen auszugehen. Endlich fasste sich Cichianon ein Herz:

“Weiser Hinandua, ehrwürdige Mitglieder des Rates! Ihr habt uns nach Ildindor gerufen, um Engil eine Stimme zu geben im Angesicht Gildanmirs, der die Weisheit der Welten in sich trägt. Ich will also jetzt zu euch sprechen, so wie es den Mitgliedern des ehrwürdigen Rates gebührt und Gildanmir, der mit Feuer vom Himmel Gekommene, möge bezeugen, dass ich wahr spreche. Auch wir Elfen in Engil haben die Gerüchte vom Wiedererstarken des Unerhörten vernommen. Auch wir sind sehr beunruhigt, zu erfahren, dass die Dinge in Fasolanda in Unordnung geraten sind. Es ehrt uns sehr, dass der Rat uns die Aufgabe anvertrauen will, in die Hauptstadt zu gehen, um die Sache des Elfenvolkes dort zu vertreten. Doch ich bitte euch um etwas Geduld. Wir wollen zunächst unsere Kräfte sammeln und dann sehen, mit welchen Mitteln wir dem Unerhörten entgegentreten können. Wir hoffen, dass das Menschenmädchen Sinja mit dem `flammenden Herz´ und dem Zauberbogen zu uns stößt. Das würde vieles leichter und uns erheblich stärker machen. Dem Vernehmen nach soll der Kreis der Weisen mit ihr Kontakt aufgenommen haben. Ich bitte euch also: lasst uns nach Engil zurückkehren, um mit unseren Freunden die Lage zu beraten und dann eine Entscheidung zu treffen.“

Erhebliche Unruhe entstand unter den Ratsmitgliedern nachdem Cichianon seine Rede beendet hatte. Alle tuschelten und redeten durcheinander. Einige schauten Cichianon und Doriando grimmig an, andere abschätzig. Schließlich erhob sich Gisandela, eine große, schlanke Elfenfrau mittleren Alters von ihrem Sitz. Sie hatte glattes, weißes Haar, das ihr über die Schultern und den Rücken fiel, war in einen bodenlangen, dunklen Umhang gekleidet und trug einen Langbogen mit sich, der aufgestellt so groß war, wie sie selbst. Sie wartete, bis Ruhe im Saal eingekehrt war und sprach dann zu den Anwesenden:

„Weiser Hinandua, ehrwürdige Mitglieder des Rates! Ich kann nicht glauben, was wir hier zu hören bekommen von Cichianon von Engil, einem der Helden der `Schlacht der vier Heere´. Doriando… Emelda… Amandra… Gamanziel… Ferendiano… Cichianon? Elfen von Engil, hat euch der Mut verlassen? Ist euch das angenehme Leben in den Wäldern von Adagio zu Kopfe gestiegen. Hat es euch weichgemacht? Seid ihr nicht mehr in der Lage, Freund von Feind zu unterscheiden und entsprechend zu handeln? Der Rat hat euch auserwählt nach Fasolanda zu gehen und, wenn nötig, dem Unerhörten entgegenzutreten und wir hatten gute Gründe für diese Wahl. In vielen Kämpfen habt ihr bewiesen, dass es an Mut, an Kraft, an Geschicklichkeit und Klugheit wenige mit euch aufnehmen können. Doch die Worte, die ich heute von dir höre, Cichianon, zeugen nicht von Mut und Klugheit. Sie zeugen von Verzagtheit und Wankelmut. Sind das die Helden von Engil? Sind das die, die auf den Mauern Fasolandas standen und gegen eine übermächtige Armee aus Morendo den Sieg errangen? Ich glaube nicht, dass es einen Grund für euch geben sollte, den Auftrag des Rates zurückzuweisen. Ihr solltet, sobald als möglich, den Weg nach Fasolanda antreten und dort tun, was zu tun ist! Ferendil, das Schwert von Ildindor soll euch begleiten, euch schützend zur Seite stehen und dafür sorgen, dass ihr auch von diesem Kampf siegreich zurückkehren werdet!“

Mit diesen Worten drehte sich Gisandela herum, trat einige Schritte aus dem Kreis der Ratsmitglieder heraus und holte hinter ihrem Ratssitz ein mächtiges Schwert hervor. Ein Raunen ging durch den Saal. Mit beiden Händen hielt sie die Waffe über ihren Kopf. Erneut kam Unruhe auf unter den Versammelten.

„Das Schwert der Könige!“

„Ja, hier ist Ferendil, das Schwert der Fürsten von Ildindor, geschmiedet mit Feuer und Eisen in den Bergen des Nordens!“, rief Gisandela. „Dieses Schwert hat eine Bestimmung. So steht es geschrieben. Und diese Bestimmung ist die Befreiung der Königin aus ihrer Gefangenschaft.“

Sie zeigte, wie zum Beweis ihrer Macht, jedem der Anwesenden die Klinge. Sie war mit Silber beschlagen und so lang, wie der ausgestreckte Arm eines erwachsenen Mannes. Im Lichte Gildanmirs blitzte sie wie Gisandelas eisblaue Augen. Der Schwertgriff war mit dunklem Leder umwickelt und durch langgezogene Fäden aus grün schimmerndem, oxidiertem Kupfer mit der Klinge verwoben. Aus dem Griff heraus wuchsen, links und rechts zwei grimmig schauende Drachenköpfe. Das Wappen der Elfenherrscher prangte auf der Parierstange: der Wolfskopf vor dem Silbermond. Hinandua nahm das Schwert ohne Regung entgegen.

Cichianon sah die mächtige Waffe und erschrak. Er brauchte einen Moment, um zu begreifen, was geschehen war. Hatte Gisandela, Mitglied des ehrwürdigen Rates der Elfen, die Engilaner gerade aufgefordert, in den Kampf gegen den Unerhörten zu ziehen? Wollte sie seinen Tod? Wollte sie ihn und seine Freunde in eine Schlacht schicken, die nicht zu gewinnen war? Er versuchte, seine Entrüstung zu verbergen, ging einen Schritt nach vorne, auf den Sitz des Alten zu und sprach:

„Hinandua, weiser Meister, ist es das, was du uns gelehrt hast? Zum Schwert zu greifen, wo wir noch nichts wissen von Schwertern des Feindes? Sollen wir in eine Schlacht ziehen, ohne zu wissen, wer unser Gegner ist und mit welchen Waffen er kämpft? Sollen wir einen erneuten Krieg beginnen, wo wir noch gar nicht wissen, ob wir ihn überhaupt führen müssen?“ Dann drehte er sich herum und wandte sich mit bebender Stimme an die übrigen Ratsmitglieder.

„Mit dem Schwert gegen einen unbekannten Gegner ziehen. Kampf um des Kampfes willen? Krieg, um des Krieges willen? Ist es das, was der weise Hinandua uns gelehrt hat? Oder ist es die Klugheit, in Ruhe zu beobachten, um im rechten Moment das Richtige zu tun?

Ich denke, das ist es, was Hinandua uns Elfen allezeit mit auf den Weg gab. Dass Klugheit und scharfe Sinne oft stärkere Waffen sind, als das beste Schwert. Wollt ihr Doriando, meine Freunde und mich wirklich in einen Kampf schicken ohne dass wir uns darauf angemessen vorbereiten? Wollt nicht auch ihr, dass wir möglichst viele Kräfte vereinen, um dann nach Fasolanda zu gehen und zu tun, was notwendig ist? Viel darf uns die ehrwürdige Gisandela unterstellen, aber nicht, dass wir aus Verzagtheit oder Wankelmut den Kampf vermeiden. Wenn er geführt werden muss, dann sind wir Elfen von Engil die ersten, die zum Bogen greifen. Doch so weit ist es nicht. Daher bitte ich euch: Lasst uns nach Engil zurückkehren, unsere Freunde benachrichtigen und mit frischen Kräften die Reise antreten!“ „Feiglinge!“, schrie Gisandela und sprang auf. Ihre Augen funkelten vor Kampfeslust.

„Ehrwürdige Mitglieder des Rates! Ich bitte euch“, schritt Hinandua ein. Er hob beide Arme. Allmählich beruhigten sich die Anwesenden. Diejenigen, die bei Gisandelas Worten aufgesprungen waren, nahmen ihre Plätze wieder ein.

„Meine lieben Söhne! Gisandela ist Mitglied dieses Rates als Vertreterin einer der besten Sippen der Fanandu. Ihr Vater, Fislandor, war ein angesehener Anführer unserer Soldaten. Ihre Mutter Amandel ist die Tochter des ehemaligen Präfekten von Windigerèn. Aus ihren Worten, da bin ich sicher, spricht nicht Hass. Aus ihnen spricht der Stolz auf Ildindors Geschichte und seine einstige Macht und sie hat recht. Ich sage euch, Fanandu, das Volk der Elfen, hat in seiner Geschichte Großes und Großartiges vollbracht. Unsere Fürsten herrschten über Territorien jenseits des großen Meeres, besaßen unermessliche Reichtümer. Unsere Meister beherrschten die Kunst der weißen Magie. Unsere Gelehrten schrieben unsere Geschichten in tausende von Büchern und unsere Geschichten wurden zu unserer Geschichte. Das Volk der Fanandua schuf Bauwerke von nie gekannter, ewiger Schönheit. Häuser, Paläste, Brücken und Plätze, die noch heute ihresgleichen suchen in allen Welten. Es gibt keinen Grund, warum wir nicht stolz sein sollten auf diese Leistungen. Und doch haben wir nicht nur Grund, stolz zu sein auf unsere frühere Stärke. Wir haben mindestens genauso viel Grund, stolz zu sein auf unsere Gegenwart. Nicht nur auf das, was wir waren. Auch auf das, was wir sind: ein starkes Volk inmitten starker Völker, in dem jeder seine Stimme hat. Ein Volk, das in Frieden, Respekt und gegenseitiger Achtung mit seinen Nachbarn lebt. Das ist in dieser gefährlichen Welt nicht selbstverständlich. Doch ich höre aus den Worten Gisandelas auch Furcht. Die Furcht vor dem Unbekannten. Furcht vor dem Finsteren. Vor dem, der sein Gesicht nie zeigt. Vor dem, der uns nicht wissen lassen will, wer er ist und was er ist. Aber ich sage euch: er will genau, was wir gerade tun – er will, dass wir uns entzweien.

Cichianon, mein Lieber! Auch ich bin der Ansicht, dass wir diesem Unbekannten zunächst am besten dadurch begegnen, dass wir ihn kennenlernen. Das bedeutet für euch, nach Fasolanda zu gehen, Kontakt zur Königin aufzunehmen und zu den Mitgliedern des Kreises der Weisen, denen wir noch vertrauen können. Dies ist der Auftrag, den euch der Rat erteilt. Diese Aufgabe wird schwierig genug und erfordert sicherlich nicht den Einsatz eines Schwertes. Wenigstens nicht eines Schwertes, das aus Eisen geschmiedet ist. Der Geist Ferendils wird euch begleiten als eine Erinnerung daran, dass das Schwert des Verstandes zuweilen schärfer ist, als die Klinge aus Stahl.“

Er hob das Schwert der Könige in die Höhe und betrachtete es von allen Seiten.

„Denkt an Ferendil und versucht, die Dinge in Fasolanda so zu regeln, dass diese Waffe keine blutigen Wunden mehr schlagen muss. Wenn euch dies gelänge, wäre das ein großartiger Sieg! Und jetzt geht! Ruht in den Türmen von Ildindor und brecht auf, sobald die Sonnen ihren Tanz beginnen! Und du, Gisandela, gib dem Schwert von Ildindor seinen Platz in der Halle der Ahnen zurück.“

Gisandela trat vor Hinanduas Thron und beugte ihr Knie. Er legte Ferendil zurück in ihre Hände und sagte leise, fast flüsternd: „Hoffen wir, dass wir mit diesem Schwert nicht noch einmal gegen den Feind ziehen müssen! Der letzte Krieg hat zu viele Leben gekostet!“

Damit löste Hinandua die Zusammenkunft des Rates auf. Gisandela nahm das Schwert der Könige an sich und verließ grußlos die Halle.

Sinja und der siebenfache Sonnenkreis

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