Читать книгу Sinja und der siebenfache Sonnenkreis - Andreas Milanowski - Страница 6
4 Flöte und Bogen
ОглавлениеEinige frühe Sonnenstrahlen brachen durch das bunte Blätterdach und tauchten die kleine Waldlichtung in freundliches Morgenlicht. Wie ein warmer Wind wehte eine Flötenmelodie um die seltsamen Gewächse herum, die die Lichtung umstanden. Der Klang der Flöte verband sich mit dem Zwitschern eines Vogels in den hohen, bunten Bäumen. Die Melodie strich am Ufer des Bächleins entlang, das, halb von silbrig - blaugrün schimmerndem Moos bedeckt, durchs Unterholz plätscherte. `Nachmittag eines Fauns´, ein Stück von Claude Debussy, einem Komponisten aus der anderen Welt. Ein Nachmittagsstück am frühen Morgen, das brachte natürlich nur einer fertig. Bald jedoch erfüllte die zauberische Musik die gesamte Lichtung. Ein milder, leichter Wind ließ die Blätter leise rascheln und vermischte sich mit den süßlich-verführerischen Klängen. Magie lag in der Luft. Seltsame Wesen, die aussahen wie zu groß geratene Eichhörnchen und, in einiger Entfernung, ein Reh mit seinem Kitz blieben in der Bewegung stehen, verharrten schweigend und lauschten dem wundersamen Spiel. Schmetterlinge, groß wie eine Hand, tanzten über die Lichtung im Rhythmus der Musik. In ihren bunten, durchscheinenden Flügeln brachen sich immer wieder, für Bruchteile eines Augenblicks, die Strahlen der Sonnen. Sie zauberten glitzernde Lichtperlen auf die Blätter der Bäume und die riesigen Farngewächse der Umgebung. Klingender, glitzernder Friede. Ein Friede, der jäh gestört wurde.
Der Pfeil blieb surrend im mächtigen Stamm eines der Bäume stecken. Schlagartig brach die Musik ab. Das Geschoss hatte den Flötenspieler um wenige Zentimeter verfehlt. Fast hätte der Pfeil seine Nase gestreift. Ferendiano drehte langsam seinen Kopf in die Richtung, aus der der Pfeil gekommen war.
„Bist du irre, Schwester?“, polterte er wütend los, als er die Absenderin erkannt hatte.
„Mach nicht so ein Theater“, entgegnete die Angesprochene. „Hätte ich dich treffen wollen, dann hätte ich dich getroffen. Das weißt du ganz genau.“
Emelda machte eine Hechtsprung, rollte ab, dann eine Rolle seitwärts auf dem weichen Moosboden.
„Kein Grund, mich so zu erschrecken!“
„Ich muss trainieren und immer nur auf Scheiben schießen ist mir zu langweilig!“
„Na fein! Und da hast du dir mich als Ziel ausgesucht?“, rief der Elf entrüstet. „Das ist ja wohl das Allerletzte!“
„Nicht dich, Bruder! Faltram ist mein Ziel! Der alte Baum!“
Sie sprang auf, schlug zwei, dreimal mit ihren Flügeln, spannte in der Bewegung ihren Bogen erneut, blieb für einen Moment fast waagerecht in der Luft stehen und feuerte einen weiteren Pfeil in das mächtige Gehölz. Mit einem `Grrrrr´ blieb dieser unmittelbar neben dem ersten Pfeil in der Baumrinde stecken, sodass die Spitzen der beiden Geschosse einander im Holz berührten. Ein dritter, ein vierter, ein fünfter Pfeil folgten schnell und bildeten mit den beiden anderen einen Fächer.
„Tut mir leid, Dicker. Muss dich mal wieder ein bisschen pieken!“
Der riesige Waldbewohner drehte unendlich langsam seine Krone in Richtung der Schützin und brummte unwirsch. Das heißt, eigentlich fühlte sich sein Brummen eher an, wie ein leichtes Erdbeben. Der Waldboden zitterte unter den Füßen der beiden Elfen. Verärgert ließ Faltram zwei pinkfarbene Blätter und einige kleine Ästchen zu Boden trudeln. Nicht, dass ihn Emeldas Pfeile wirklich verletzt oder ihm Schmerzen bereitet hätten. Das hätte eine Elfe niemals getan. Es war ein Teil des Spiels, dass er mit ihr spielte und zu dem Spiel gehörte, dass er sich über ihre Attacken ärgerte.
„Na bravo!“, applaudierte Ferendiano. „Wie ich sehe, ist das `E´ schon in Frühform.“
Er warf seinen braunen Pferdeschwanz, der ihm fast bis übers Hinterteil reichte, auf den Rücken. Seine langen, spitzen Ohren lauschten kurz in die Umgebung. Mit blankem Oberkörper stand er, mittlerweile wieder entspannt, an einen der anderen Bäume gelehnt und hielt seine Querflöte in der Hand.
„Und wer hat dich so früh aus den Blättern geholt?“, fragte Emelda.
„Na ja“, sagte der Angesprochene und streckte sich genüsslich, „an einem solch wunderbaren
Sonnentanz darf man doch mal vor dem Frühstück aufstehen und ein kleines Liedchen trällern!“
„Dann war die zauberhafte Musik eben von dir? Das heißt, du hast deinen klugen Gedanken sofort in die Tat umgesetzt? Das sieht dir gar nicht ähnlich!“ Emelda grinste schelmisch.
„Nun, ich hatte wahnsinnige Sehnsucht danach, von dir beleidigt zu werden. Was wäre mein Leben ohne dein Geläster, Schwester? Dafür muss man dann schon mal früh raus, nicht wahr?“ Ferendiano lachte sein jungenhaftes Lachen.
„Sind die anderen schon unterwegs?“, fragte Emelda.
„Ja! Sie sind vor Sonnenaufgang nach Ildindor geritten, um sich mit Hinandua und den Alten zu beraten.“
„Das ist gut! Wir müssen dringend einige Dinge klären. Es scheint unruhig zu sein in Fasolanda. Man munkelt, der Unerhörte sei zurück.“
„Ja, ich habe das auch gehört. Bis jetzt ist es aber nur ein Gerücht. Ich hoffe sehr, dass es das auch bleibt!“
„Hmm! Das hoffe ich auch, aber mein siebter Sinn sagt mir etwas anderes und du weißt, bei wem sie zuerst nachfragen, wenn es in der Hauptstadt Kuddelmuddel gibt.“
„Lass mich an deinen Eingebungen teilhaben, Schwester!“
„Nun, das hat wenig mit Eingebung zu tun, eher mit…sagen wir mal….Ohren offenhalten!“
„Und welche Weisheiten sind an deine offenen Ohren gedrungen?“
„Scheinbar weiß man in der Hauptstadt mehr als bei uns, denn einige aus dem Kreis der Weisen von Fasolanda haben wohl beschlossen, einen Glissando in die Menschenwelt zu schicken, um Sinja eine Nachricht zukommen zu lassen.“
„Oh, Sinja wird kommen?“, freute sich Ferendiano. „Das ist schön. Sie war lange nicht mehr hier!“
„Freu dich nicht zu früh. Bislang scheint sie die Nachricht nicht erhalten zu haben.“
„Was macht dich da so sicher?“
„Ganz einfach: sie hat uns bis jetzt nicht gerufen!“
„Hat es der Vogel nicht geschafft?“
„Das ist unklar. Wir werden vielleicht mehr erfahren, wenn Cichianon und Doriando zurück sind.
Möglicherweise hast du recht und der Glissando hat die Menschenwelt nicht erreicht. Vielleicht ist ihm etwas zugestoßen oder die Botschaft wurde abgefangen.“
„Das wäre allerdings tragisch!“
„Das kannst du laut sagen!“
„DAS WÄRE ALLERDINGS TRAAAGISCH!“, schrie Ferendiano so laut er konnte.
In der obersten Etage des Waldes entstand sofort erhebliche Unruhe. Das Gekreische kleiner Äffchen und zorniges Vogelgezeter waren die Antwort auf Ferendianos Schrei. Waldfrüchte, kleine Äste und Blätter flogen aus dem obersten Stockwerk des Waldes zu Boden.
„Du bist und bleibst ein alberner Kindskopf, Ferendiano!“, rügte Emelda den Elfen mit einem verschmitzten Lächeln, „musst du den ganzen Wald verrückt machen mit deinem Blödsinn?“
„Oh gestrenge Schwester vom heiligen Orden des `E´, zeigt Milde mit einem armen Komödianten! Ich bin nun mal das `F´ und das steht für Freude und Fröhlichkeit. Allerdings, meine Liebe, mache ich mir in letzter Zeit häufiger mal Gedanken darüber, warum ausgerechnet unsere beiden Töne, das `E´ und das `F´ in der C -Dur -Tonleiter unmittelbar nebeneinanderliegen. Die Fröhlichkeit und der Ernst als Nachbarn? Ob das einen tieferen Sinn hat oder ist es einfach eine seltsame Laune der Natur? Sind wir vielleicht doch enger miteinander verwandt als uns lieb ist?“
„Solange mein `E´ dabei der Leitton ist, soll mir deine Verwandtschaft recht sein!“, grinste Emelda.
„Musst du immer das Kommando haben, Schwester? Ist das wirklich so wichtig? Und was ist mit der Liebe? Was ist mit deinem Herzen? Du weißt, wie wenig sich Macht und Liebe vertragen. Oft schließen sie sich gegenseitig aus. Wenn du die Liebe für die Macht opferst, wird das kein gutes Ende nehmen. Dann wird dein `E´ bald der Leidton sein. Also pass auf dich auf!“
„Wer sagt, dass ich das will? Pass´ du mal besser auf, dass dir dein eigenes Temperament nicht abhandenkommt! Solch ernsthafte Gedanken zu Beginn eines Sonnentanzes? Das bin ich von dir gar nicht gewöhnt.“
„Nun, man wird älter und reifer. Aber keine Angst, feurige Schwester, auf nichts achte ich so sehr, wie darauf, dass mir das Lachen nicht einfriert!“
„Dann bin ich ja beruhigt!“