Читать книгу Am Sandpass - Andreas Nolte - Страница 4
06.09. – 3 –
ОглавлениеHerr Haraldson rief erst am nächsten Montag an. Er habe sich das Angebot gründlich durch den Kopf gehen lassen und sei zu dem Schluss gekommen, einmal nachzufragen, ob sich noch etwas am Preis machen ließe.
„Eigentlich sind alle Rabattmöglichkeiten ausgereizt“, antwortete Ralph.
„Ist das Ihr letztes Wort?“
„Ja, wissen Sie–.“ Ralph suchte nach einer Erklärung.
„Ja?“
„Ja, bei Barzahlung des gesamten Kaufpreises könnte ich Ihnen noch einen Skonto von 1,5% gewähren.“
„Sind nicht 3% üblich?“
„Ja, wissen Sie–.“ Er hätte jetzt wie Haraldson klagen müssen über die wirtschaftliche Lage, die im Allgemeinen und die im Speziellen – wie lächerlich! Aber er musste etwas sagen; Haraldson verstand sich darauf, zum richtigen Zeitpunkt zu schweigen. „Also gut“, sagte Ralph, „2%.“
„2,5? Ich käme auch sofort vorbei, ja?“
„Okay. 2,5.“
Als Herr Haraldson zwanzig Minuten später vorfuhr, bedauerte Ralph schon längst sein Zugeständnis. Für das Unternehmen bliebe kaum etwas übrig.
Diesmal kam nur seine Tochter mit. Sie war wie letztens in Schwarz: Schwarzes Netzhemd über schwarzem T-Shirt über schwarzer Hose über schwarzen Boots; die Fingernägel schwarz lackiert, die Augen schwarz umrandet und die Haare waren auch schwarz. Ralph konnte sich erinnern, dass sie als Mädchen mal blond war. Über der Schulter hing ihre Schultasche; natürlich auch in Schwarz. Bei der Begrüßung schaute sie Ralph nur kurz an, aber es schien ihm, als würde ihr Blick ihn röntgen. Kein Lächeln.
„Möchten Sie einen Kaffee?“ fragte er und wies auf den Kaffeeautomaten für die Kundschaft.
„Gerne. Du auch?“ Haraldson wandte sich an seine Tochter. Sie wollte nicht. Ralph bediente ihn –SCHWARZ? MIT ZUCKER?– und sortierte daraufhin die nötigen Papiere. Alles schien klar, bis Haraldson fragte: „Welche Farben haben Sie denn zur Auswahl?“ Selbst seine Tochter zog erstaunt die Augenbrauen hoch.
Ralph sagte: „Es gibt keine Auswahl. Mein Angebot gilt für den Wagen, der da steht, Entschuldigung.“
„Das ist aber kein Neuwagen.“
Ralph schloss kurz die Augen; diesmal würde er nicht nachgeben! Aber noch bevor er sich Entgegnungen zurechtgelegt hatte, sagte die Tochter: „Natürlich nehme ich den Wagen, wie er da steht.“ Und zu ihrem Vater gewandt: „Glaubst du etwa, ich will noch Wochen warten?! Du lässt mich ja sowieso nicht mit deinem fahren.“
„Das wär ja auch noch schöner“, sagte er. Er schaute zur Decke und schwieg für den Rest der Verhandlung. Die Tochter gab alle Informationen, die Ralph zum Ausfüllen der Formulare benötigte, der Vater musste nur noch ein paar Unterschriften leisten.
Herr Haraldson hatte tatsächlich 30.000 in bar mitgebracht, alles in 50ern. „Frisch gedruckt“, scherzte er und holte sechs Bündel aus seinem Aktenkoffer. „Die Bank hat sie schon gezählt.“
„Sie gestatten, dass ich nachzähle. Auch Banken können sich vertun.“ Als er damit fertig war, sagte er: „Wir können die Anmeldung gerne für Sie übernehmen. Das dauert ungefähr fünf Tage. Sie wissen ja–.“
„Ich mache es selbst“, sagte Tochter Haraldson.
„Das sollte innerhalb von drei Tagen geschehen. Sie wissen ja–.“
„Kein Problem.“
Als ihr Ralph die Schlüssel und Papiere aushändigte, erschien für einen Moment ein schmales Lächeln auf ihrem Gesicht: „Danke.“
Er öffnete die Flügeltüren, die Tochter startete und fuhr in ihrem rasanten Stil auf die Straße. Herr Haraldson war sitzen geblieben. „Ein schönes Geschäft haben Sie“, sagte er. „Mein Hotel–.“ Er schluckte seine Klagen herunter. „Haben Sie schon gehört. Der Kaczek ist wieder raus.“
„Kaczek, Kaczek?“ Ralph hatte den Namen schon mal gehört. „Ach ja, war da nicht letztens eine Notiz in der Zeitung?“
„Ja, sie wollen es möglichst klein halten“, antwortete Haraldson.
Ralph erinnerte sich: Kaczek, der Vergewaltiger; der, der dreimal Frauen in die Höhlen verschleppt hatte, eine war später an den Folgen der Misshandlung gestorben; ein Kinderschänder, eine der Frauen war ein Mädchen von 15 Jahren gewesen; hatte Lebenslang bekommen, und war jetzt nach 15 Jahren probehalber entlassen. „Lebt er nicht neuerdings wieder bei seinem Bruder hier in Sabel?“
„Allerdings! Keine Sicherungsverwahrung, und er ist nicht mal therapiert worden.“ Haraldson beugte sich in seinem Stuhl so weit vor, dass sein Kinn fast die Schreibtischplatte berührte. „Ist das GERECHT?“
„Na ja“, antwortete Ralph.
„Wir haben beschlossen, etwas dagegen zu unternehmen.“
„Wer?“
„WIR, die Bürger von Sabel.“
„Hat der Stadtrat das beschlossen?“
„Der Stadtrat! Der Stadtrat! Bis die was beschließen, sind unsere Frauen alle–.“
„Na ja.“ Ralph war der Ton unangenehm; was ereifert der sich so? War seine Frau betroffen damals? Nein. Seine Schwester? Nein. Niemand in seiner Familie.
„Das kann man doch nicht zulassen! Schließen Sie sich uns an!“
„Was denn?“
„Eine Mahnwache. Vor dem Haus von dem Bruder. Wir bewachen ihn Tag und Nacht, dass er nichts anstellen kann. Unterstützen Sie uns.“ Er versuchte Ralph in derselben Art anzuschauen, wie es seine Tochter vorhin gemacht hatte; aber er hatte nicht diesen Röntgenblick. „Es ist wichtig“, fügte er hinzu.
„Ach, wissen Sie. Das Geschäft, die Familie, es gibt so viel zu tun.“
Haraldson ließ sich in den Stuhl zurückfallen. „Ja, ich verstehe schon.“ Plötzlich sprang er auf und streckte Ralph die Hand entgegen: „Ich habe ja auch viel zu tun. Das Hotel und– damit alles schön für die Gäste ist.“
Er eilte zu seinem Wagen zurück und stieg ein. Doch als Ralph eine Minute später noch einmal rausschaute, stand der Wagen immer noch da, und Haraldson saß bewegungslos hinter dem Steuer, als hätte ihn sein abrupter Aufbruch zu sehr erschöpft. Haraldsons Hotel war einmal das erste in der Stadt gewesen. Bis eine der landesweiten Billigketten ein Gebäude aus Fertigteilen am Stadtrand errichtet hatte und die Geschäftsleute auf der Durchreise abfing.
Endlich startete er den Wagen. Diese alten Motoren haben doch noch einen unverwechselbaren Klang, dachte Ralph. Früher, als er und sein Bruder nach der Schule zum Vater ins Autohaus gekommen waren, machten sie immer einen Wettbewerb daraus: Wer erkennt als erster am Klang Marke und Typ der vorbeifahrenden Autos. Sein Bruder war meistens schneller, so wie er überhaupt geeigneter war für Autos. Aber sein Bruder ist seit zehn Jahren tot. Nur deshalb ist es jetzt seine Aufgabe, die Familientradition fortzuführen.
Der Werkstattmeister kam kurz herein, um sich einen Kaffee zu nehmen. Alle Mitarbeiter hatten die Erlaubnis dazu. „Chef, wir müssen heute Überstunden machen.“
„Ich werde gleich nach Hause fahren. Denken Sie an die Alarmanlage, wenn Sie gehen, ja?“
„Wird gemacht, Chef.“
Wenigstens die Werkstatt läuft gut: Die Autos heute, die alle gleich klingen, haben auch alle die gleichen Probleme. Automatik hier, Assistent da, meist liegt der Fehler in der Elektronik. Es wäre wohl besser, wenn sich sein Unternehmen auf Reparaturen spezialisieren würde, den Autoverkauf sollten sie aufgeben. Aber was für eine Aufgabe hätte ich dann noch? Hab ja nicht mal ein ordentliches Handwerk gelernt.