Читать книгу Am Sandpass - Andreas Nolte - Страница 5

– 4 –

Оглавление

FREI! Frei. Frei? Über ihren Ellenbogen im Fensterrahmen strich der Wind, während sie das Lenkrad locker festhielt. Mit der anderen Hand holte sie die Zigarettenschachtel aus ihrer Tasche. Sie drückte den Zigarettenanzünder hinein. Endlich kann sie fahren, muss niemandem mehr erklären, wohin, bis wann, mit wem. Ihr Phone hatte sie ausgeschaltet; kann man doch nie wissen, wer einem hinterher spioniert.

Nach 10 Kilometern bog sie von der Hauptstraße ab, auf einen schmalen Weg. An einigen Stellen war der Asphalt noch erhalten, der Rest war Schotter. Im Rückspiegel sah sie lediglich eine dichte Staubwolke, die hinter dem Wagen in den Himmel stieg. Hier draußen also wohnt er: Jakob. JAKOB! Ein schöner Name, biblisch. Ihr eigener hingegen so langweilig: Suse. Jakob, mit dem sie erst zwei oder dreimal auf dem Schulhof gesprochen hatte. Jakob, der so eine weiche Stimme hat. Jakob mit dem Flaum auf der Oberlippe– Hör auf zu schwärmen, Frau!

Der Weg wurde immer schlechter, ausgehöhlt vom Winterregen. Sie war sich nicht einmal sicher, ob sie wirklich auf dem richtigen Weg war; sie hatte es bei Google nachgeschaut; wie weit draußen die wohnen! Ihr Vater hätte nicht wissen dürfen, dass sie hier ist, bei den TAUGENICHTSEN. Ihr Vater ist nicht gut auf Jakobs Familie zu sprechen. Vor Urzeiten muss da mal was gewesen sein, wegen einer Frau.

Büschel von Gras, dazwischen der karstige Boden, eine Landschaft ohne Farbe. In der Ferne tauchte die Farm auf. Je näher sie kam, desto kleiner erschien sie. Als sie das Tor zum Grundstück erreicht hatte, war es nicht mehr als ein flaches Haus, eher eine Hütte, mit einem Schober daneben, der langsam verfiel. Jakob arbeitete hinten am Zaun, er hämmerte Pfosten in den Boden. Sie stieg aus. Als sie sich näherte, schaute er hoch. Sie rief: „Was machst du da?“

„Ich flick die Zäune. Und was machst du hier?“

Sie stellte sich neben ihn, er arbeitete weiter. „Sollen wir `ne Tour machen?“ Sie zeigte auf ihr Auto.

Für einen Moment schaute er dorthin. „Schick“, sagte er, „ist das deins?“

„Ja, seit eben. Und? Machst du eine Tour mit?“

Er kratzte sich an der Stirn. Ihr fiel auf, wie schlank seine Finger sind; keine Hände für grobes Werkzeug.

„Weißt du, mein Alter–“, fing er an.

„Hast du Schiss?“ Ist er etwa ein Angsthase? „Kannst ja sagen, wir müssen was für die Schule machen.“

„Okay. Aber setz dich ins Auto, er muss dich ja nicht gleich sehen.“

Sie ging zurück, während er im Haus verschwand. Nach gut fünf Minuten kam er wieder, die Haare noch feucht, ein neues T-Shirt an. „Na, du hast aber schnell geduscht“, sagte sie. Sie nahm ihre Tasche vom Beifahrersitz und warf sie auf den Rücksitz.

„Man tut, was man kann.“ Er ließ sich neben sie fallen. „Dann mal los!“

„Wo sollen wir hin?“ fragte sie.

„Fahr mal.“

Sie fuhren zurück zur Hauptstraße. „Links? Rechts?“

„Nur weg“, antwortete er. „Lass uns zum Sandpass.“

„Kannst du mir mal aus der Tasche eine Zigarette geben? Nimm dir doch auch eine“, sagte sie.

„Das ist ja`n Durcheinander“, bemerkte er, als er ihre Tasche durchsuchte.

Der Zigarettenanzünder sprang heraus, und sie hielt sich das glühende Metall an die Zigarette. „Hast dir ja doch keine genommen.“

„Ach, im Augenblick–.“

Als er nicht weitersprach, deutete sie auf den Zigarettenanzünder: „Dass Autos überhaupt noch so Dinger haben.“

„Wieso meinst du?“

„Na, weil sie heute doch alle so viel Angst um ihre Gesundheit haben.“

„Ach du meinst, weil niemand mehr raucht. Man braucht sie noch als Stromanschluss. Falls du im Auto fernsehen willst.“

Sie lachte. Sie war froh, dass er überhaupt was redet; Jakob gilt auf dem Schulhof als Ganz Schweigsamer. Sie sagte: „Dabei sterben wir alle sowieso. Nur verpassen die vor lauter Angst um ihre Gesundheit noch ihr Leben.“

„Wohl wahr.“ Er schaute aus dem Fenster.

Sie schnipste die Asche in den Fahrtwind. „Sag doch mal was“, sagte sie schließlich.

„Du musst aufpassen wegen Feuer.“

„Ach, bist du–!“ Sie drückte die Kippe dann aber im Aschenbecher aus. Wenn er nicht redet, muss halt ich– sie sagte: „Ja, weißt du, das sind so Typen wie der Autohändler letztens, mit dem wir die Probefahrt gemacht haben– übrigens sind wir da auch zum Sandpass gefahren.“

„Was war mit dem Händler?“

„Na, halt so`n Typ mit spitzem Mund und hässlicher Brille. Der würd dir sogar seine Großmutter verkaufen, wenn er dadurch Gewinn macht.“ Welchen Schwachsinn red ich da?! Sie sagte: „Was meinst du dazu?“

„So`ne Typen kenn ich. Sind überall in der Stadt.“

„Und in der Schule, und– ich möcht niemals so werden wie die!“

„Dann musst`e weg von hier.“

„Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich werde wie die“, sagte sie. Er antwortete nicht.

„Is ja klar“, sagte sie, „wir tun das alles nur, um nicht an den Tod zu denken. Das ist doch schrecklich. Oder, was findst` du?“

„Ganz schön morbide. Fahr mal nicht so schnell.“

Suse kann Kritik nicht leiden; aber sie wusste, dass er Recht hat, und ging etwas vom Gas. Die Straße war kurvenreich und führte steil bergan. Schließlich erreichten sie die Passhöhe. Die Luft hier oben war frisch, fast schon kühl, obwohl die Sonne schien. Kaum dass hier etwas Gras wächst; ansonsten nur Flechten auf dem Fels. „In der Stadt riecht es schon nach Herbst“, sagte Suse.

„Ja, Herbst.“

„Man riecht das Ende.“

Sie standen nebeneinander und schauten in die Ebene. Es war nicht zu erkennen, wo Horizont und Himmel miteinander verschmolzen. Hinter ihnen, dort wo die Straße den höchsten Punkt passierte, stand ein Fahnenmast; die zerzauste Nationalflagge schlug im Wind. Der Schrei eines Adlers und Stille.

„Es kommt mir so vor, als wären wir die einzigen Menschen auf der Welt“, sagte sie.

Er stand nur da und schaute in die Ferne. Was er dort sah, konnte sie nicht mal erraten. Es war, als wolle er sich durch den Anblick hypnotisieren.

„Sag mal, weißt du eigentlich–.“

Nach einiger Zeit fragte er: „Was?“

„Ach nichts.“ Der Zwist zwischen ihren Eltern; die Frage kam ihr plötzlich zu persönlich vor. Sie trat etwas näher zu ihm. „Was machst du, wenn du`s Abi hast?“

„Jedenfalls nicht hier bleiben. Selbst wenn ich`s nicht schaffe.“

„Ist es so knapp bei dir?“

„Ich sollte mehr tun.“

Sie standen jetzt so nahe beieinander, dass ihre Schultern sich fast berührten. Als sich Suse ihm zuwandte, war sein Blick noch immer in die Ferne gerichtet. Einen Scherz machen? Seine Hand nehmen? Nach einem Moment wandte sie sich zurück zum Auto. „Lass uns fahren!“ Ihre Stimme war härter als gewollt.

Sie saß schon im Auto und hatte sich eine Zigarette genommen, als er endlich kam. Auf der Rückfahrt schwiegen beide. Erst an der Stelle, wo der Weg zu Jakobs Haus abzweigte, sagte er: „Du kannst mich hier rauslassen.“ Er blieb aber sitzen, nachdem sie schon angehalten hatte. Mit einem Ruck wandte er ihr den Kopf zu: „Ich hab mich sehr– ja schön, dass du vorbeigekommen bist.“ Kurz berührte er ihre Schulter, dann stieg er aus, die Hand zum Gruß erhoben. Sie winkte ihm nach, aber da hatte er sich schon weggedreht.

„Scheiße!“ rief sie und schlug so hart aufs Lenkrad, dass ihr die Hand davon weh tat.

Am Sandpass

Подняться наверх